Ein Stück Stadtgeschichte gibt es gegen Spende an den Kinderschutzbund

Historische Steine der alten Stadtmauer von Dortmund suchen ein neues Zuhause

Die Steine der Stadtmauer wurden bei Ausgrabungen am Ostwall Mitte 2021 in Höhe des Baukunstarchivs NRW gefunden.
Die Steine der Stadtmauer wurden bei Ausgrabungen am Ostwall Mitte 2021 in Höhe des Baukunstarchivs NRW gefunden. Foto: LQ-Archäologie

Die Idee entstand vor gut einem Jahr – jetzt wird sie Realität: die Denkmalbehörde der Stadt gibt den Dortmunder*innen einen kleinen Teil der alten Stadtmauer zurück. „Die mittelalterliche Stadtmauer, deren Überreste bis heute tief im Boden unter dem Wallring die Zeit überdauert haben, gehört den Dortmunder*innen ja ohnehin schon. Deshalb werden sie auch nicht verkauft oder versteigert, sondern gegen eine Spende für einen guten Zweck überreicht“, erläutert Stefan Thabe, der Leiter des Stadtplanungs- und Bauordnungsamtes, zu dessen Wirkungsfeld auch die Untere Denkmalbehörde der Stadt gehört.

Beim mittelalterlich geprägten Hansemarkt gibt es die Steine

Bauarbeiten für die klimafreundliche Wärmeversorgung der Innenstadt machten den weiteren Erhalt der Mauer im Boden an wenigen Stellen leider unmöglich. Mit Hilfe von DEW21, Grünflächenamt und Tiefbauamt sowie der Firma LQ-Archäologie wurden die betroffenen Steine sorgfältig ausgegraben und gelagert.

Beim mittelalterlich geprägten Hansemarkt am Sonntag, den 6. November 2022 zwischen 11 und 18 Uhr werden sie nun einzeln abgegeben. Wer einen oder mehrere Steine sein eigenen nennen möchte, muss dafür lediglich dem Kinderschutzbund Dortmund e.V. etwas Geld spenden.

So können all diejenigen, die für ihre eigene Freude ein Stück mittelalterliche Stadtgeschichte mit nach Hause nehmen möchten, durch ihre großzügigen Spenden noch etwas Gutes tun.

Wo genau wurden die Steine gefunden?

Stadtarchäologe Ingmar Luther von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Dortmund. Sonja Neuenfeldt | Nordstadtblogger

2021 wurden im Zuge der Fernwärmebaustelle der DEW21 vor dem Baukunstarchiv ein fast 100 Meter langes Stück der mittelalterlichen Stadtmauer freigelegt und archäologisch dokumentiert.

Das Interesse am Erhalt des historisch (ge)wichtigen Fundes führte dazu, dass die ursprüngliche Trasse der neuen Leitungen um wenige Meter versetzt und damit ein großes Stück Stadtgeschichte für die kommenden Generationen nahezu vollständig erhalten werden konnte.

Nur im Bereich der Einmündung von der Viktoriastraße auf den Ostwall war das Verlegen der Leitung in einer anderen Trasse nicht realisierbar. Ein Mauerstück von etwa 4,5 Meter musste daher weichen. Den gleichen Fall gab es noch einmal am Schwanenwall. Dort wurde ein 4,7 Meter langes Stück ausgebaut.

Wie kam es zu der Idee, die Steine an die Dortmunder*innen abzugeben?

Von Anfang an war klar, dass die Steine keinesfalls zerstört werden sollten. Insbesondere die „größeren Brocken“, die man nicht so einfach „mitnehmen“ kann, werden vom Grünflächenamt an anderer Stelle im Stadtbild eingesetzt. Das gilt insbesondere für die bis zu 180 Kilogramm schweren Steinquader, die für die äußere „Schauseite“ der Mauer verwendet wurden.

Innenseite der Stadtmauer am Schwanenturm
Innenseite der Stadtmauer am Schwanenturm. Foto: Klaus Winter für Nordstadtblogger.de

Ein Teil der mittelalterlichen Befestigung jedoch sollte an interessierte Dortmunder*innen abgegeben werden, um die Möglichkeit zu eröffnen, dass sich ein besonderes Bewusstsein für die eigene Stadtgeschichte ganz persönlich festigen kann.

„Wer ein Stück der Mauer zuhause hat, identifiziert sich vielleicht noch mehr mit der eigenen Stadt und ihren Wurzeln. Die Steine atmen ja im Grunde genommen mehr Geschichte als die Steine der Berliner Mauer – zumindest vom Alter her gesehen“, sagt Stadtarchäologe Ingmar Luther von der Unteren Denkmalbehörde mit einem Augenzwinkern.

Das große Interesse der Dortmunder*innen ein Stück Stadtgeschichte für die eigenen vier Wände oder den Garten zu ergattern, war nach dem Bekanntwerden der Idee enorm. Die Denkmalbehörde erreichten viele Fragen: Wann ist es soweit? Werden die Steine verkauft oder gibt es eine Versteigerung? Wie viel soll ein Stein kosten? Diese und viele andere Fragen galt es zunächst grundsätzlich bei der Stadt zu klären.

Warum werden die Steine beim Hansemarkt präsentiert und abgegeben?

Der Hansemarkt, dernoch bis zum 6. November in der City stattfindet, hat bereits einen starken Bezug zum Mittelalter, also genau zu der Epoche, in der die Stadtmauer für Dortmund eine zentrale Bedeutung als Bollwerk der Verteidigung hatte.

Mit der Nostalgiekirmes auf dem Alten Markt, dem Bauernmarkt mit altem Handwerk in der Kleppingstraße und dem Mittelaltermarkt mit seinen Ritterspielen auf dem Reinoldikirchplatz tauchen jedes Jahr Tausende Besucher*innen in das bunte mittelalterliche Treiben ein. Es kann für die Abgabe der geschichtsträchtigen Steine, die vor über 800 Jahren Leib und Leben der Dortmunder*innen vor Angreifern und Dieben schützten, wohl kaum eine geeignetere Gelegenheit geben.

Patrick Arens, der Vorsitzende des Schaustellervereins „Rote Erde Dortmund e.V.“, der den Hansemarkt organisiert, freut sich auf diese Aktion: „Das passt doch wunderbar zusammen und da kooperieren wir sehr gerne. Unsere Besucher*innen bringen ja direkt das Interesse am Mittelalter mit. Die Steine sind ein zusätzliches Highlight.“

Wo und wie genau läuft das mit der Spende und der Ausgabe der Steine ab?

Die Abgabe der Steine findet am Sonntag, den 6. November von 11 bis 18 Uhr auf dem Reinoldikirchplatz statt – ganz in der Nähe der Bühne. Insgesamt können rund 2.000 Steine ein neues Zuhause finden. Selbstverständlich kann man bei entsprechend hoher Spende auch mehrere Steine mit nach Hause nehmen.

Damit jedoch möglichst viele Dortmunder:innen in den Genuss eines Steins kommen können und um einen gewerblichen Weiterverkauf zu vermeiden, gibt es allerdings ein Maximum pro Haushalt, das bei zehn Steinen liegt. Die einzelnen Steine wiegen etwa zwischen fünf und 25 Kilogramm, sind also mit dem Lastenrad oder im Kofferraum eines Autos gut transportierbar.

Zwar können alle Interessierten die Höhe ihrer Geldspende an den Kinderschutzbund selbst bestimmen. Zur Orientierung empfiehlt die Denkmalbehörde jedoch 25 Euro für die kleinen Steine und 50 Euro für die größeren. Für die ganz besonderen Schmucksteine, von denen nur etwa 15 Stück angeboten werden, gelten 75 Euro als Empfehlung.

Vor Ort kann die Geldspende entweder in bar oder über PayPal an den Kinderschutzbund entrichtet werden. Zusammen mit dem Stein der Stadtmauer bekommt man eine Urkunde in die Hand, die die Echtheit des Steins bestätigt. Sie enthält neben dem Namen der neuen Besitzer*innen auch die Objektnummer und Angaben zu Fundort und dem Zeitraum der Ausgrabung. Jeder Stein wird danach zusammen mit der Urkunde fotografiert und bei der Denkmalbehörde katalogisiert.

Warum gehen die Spenden an den Deutschen Kinderschutzbund Dortmund?

Martina Furlan ist die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Dortmund. Foto: Kinderschutzbund
Martina Furlan ist die Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes Dortmund. Foto: Kinderschutzbund

Mit der Frage, wem der Spendenerlös zugutekommen sollte, hat sich die Stadt einige Zeit beschäftigt. Der Kinderschutzbund ist eine allgemein anerkannte Organisation, die sich in Dortmund mit ihren vielfältigen Angeboten seit mehr als 50 Jahren für Kinder und Familien einsetzt. Somit fiel die Wahl nicht schwer.

„Uns freut jede einzelne Spende. Die Aktion mit den Steinen der alten Stadtmauer ist auch für uns etwas ganz Besonderes. Es ist toll, dass wir mit dabei sein können“, sagt Martina Furlan, Geschäftsführerin beim Kinderschutzbund Dortmund. „Und der Erlös fließt wieder in Steine“, ergänzt der Vorsitzende, Klaus-Peter Langer, „denn das Dach im Kinderschutzbund muss neu gedeckt werden.“

Aus wie vielen Steinen bestand die Dortmunder Stadtmauer?

Zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung, also wahrscheinlich um 1200 nach Christus, wies der Umfang der Stadtmauer fast 3,3 Kilometer auf und schützte den etwa 81 Hektar großen Stadtkern. Für den Bau der Mauer, die in romanischer  Zweischalentechnik errichtet wurde, nutzen die Dortmunder den Ruhrsandstein, den sie aus den umliegenden Steinbrüchen brachen.

Die Steine der Stadtmauer wurden bei Ausgrabungen am Ostwall Mitte 2021 in Höhe des Baukunstarchivs NRW gefunden.
Die Steine der Stadtmauer wurden bei Ausgrabungen am Ostwall Mitte 2021 in Höhe des Baukunstarchivs NRW gefunden. Foto: LQ-Archäologie

Zwischen den aus mächtigen Steinquadern bestehenden Mauerschalen, wurde eine Mischung aus Bruchsteinen und Mörtel eingefüllt. Dies verlieh dem Bollwerk seine enorme Stabilität. Stadteinwärts war vor die etwa 9 Meter hohe Mauer ein Erdwall angeschüttet, der wiederum durch eine kleine Stückmauer gesichert war. Vor der großen Stadtmauer befand sich der 12 bis 18 Meter breite Hauptgraben, dem die circa 5 Meter hohe Vormauer sowie der Vorgraben und ein mit Palisaden geschützter Weg folgten.

Das Stadtgebiet lag im Mittelalter deutlich tiefer als heute, gleichzeitig vermuten die Archäologen, dass das Stadtgebiet mit seinem Höhenabfall nach Norden damals viel unebener war und sich das auch auf die Mauer auswirkte.

Am Fundort Ostwall wurde ein Teilstück entfernt, das rund 4,5 Meter lang, 1,10 Meter breit und 1,75 Meter tief war. Unter diesem Teilabschnitt ist jedoch noch Stadtmauer erhalten, so dass offen bleibt, wie tief die Mauer tatsächlich reicht. Ausgegraben wird immer nur so weit wie es bauliche Eingriffe erforderlich machen. Am Schwanenwall wurde ein Stück entfernt, das 4,7 Meter lang, 1,00 Meter breit und 2,20 Meter tief lag.

Die 2.000 Steine sind nur ein Teil der insgesamt ausgegrabenen Mauersteine. Weil die genaue Ausdehnung der Mauer, ihr exakter Verlauf und etwaige bauliche Erweiterungen oder Ertüchtigungen zu verschiedenen Zeiten teilweise nur vermutet werden können, ist die Frage, wie viele Steine insgesamt zum Einsatz kamen, kaum zu beantworten.

„Diese Frage zu lösen, wäre auch für uns als Denkmalbehörde interessant und spannend. Es geht mit Sicherheit in die Millionen, aber wirklich seriös abschätzen, lässt sich das leider nicht. Wir sind aber voll allem sehr froh über die bedeutenden Funde in den vergangenen Jahren, die nur durch Tiefbauvorhaben zutage traten und uns so viele völlig neue Erkenntnisse liefern konnten“, sagt Ingmar Luther von der Denkmalbehörde.

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