Dortmund tritt der „Trierer Erklärung“ des Deutschen Städtetages bei

Ein deutliches Zeichen für Vielfalt und die „Wehrhafte Demokratie“ im Stadtrat

In Dortmund demonstrierten 30.000 Menschen für Vielfalt und Demokratie – mittlerweile gibt es wöchtliche Mahnwachen in verschiedenen Stadtbezirken. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Der Rat der Stadt Dortmund hat eine „Erklärung zur Stärkung der Demokratie“ beschlossen und ist der sogenannten „Trierer Erklärung“ des Deutschen Städtetages vollumfänglich beigetreten (Wortlaut der Erklärung am Ende des Beitrags). Sie ist eine Reaktion auf die Enthüllungen von „Correctiv“ über die Deportationsphantasien einer Tagung in Potsdam, an denen u.a. Neonazis sowie Mitglieder von AfD und CDU teilgenommen hatten. Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU, Linke+, FDP/BL und „Die Fraktion“ hatten die Erklärung auf die Tagesordnung gebracht und – gegen die Stimmen von AfD und des Nazivertreters – beschlossen.

„Für den Triumph des Bösen reicht, es wenn die Guten untätig sind“

Dr. Christoph Neumann (Grüne) verband die Diskussion über die Erklärung mit einer Danksagung. „Ich möchte Danke sagen an die 30.000 Menschen, die in Dortmund demonstriert haben. Sie haben gezeigt: Diese Stadt ist mehr – wir sind mehr.“

Dr. Christoph Neumann (Grüne) Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Wenn darüber diskutiert wird, wie man Menschen deportiert und auch mit Tricks auch deutsche Staatsbürger ausweisen will, sind mehrere Grenzen überschritten“, zeigte Neumann rote Linien auf. Er erinnerte an den Jahrestag der Ermordung von Hans und Sophie Scholl, der sich am Tag der Ratssitzung zum 81. Mal jährte und erinnerte an den Ausspruch: „Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten untätig sind.“

Daher müsse sich der Dortmunder Stadtrat mit breiter Mehrheit der Trierer Erklärung anschließen. Dies sei ein Baustein, um gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Wirtschaft deutlich zu machen: „Nie wieder ist jetzt und wir sind mehr.“

„Remigration bedeutet nichts anderes als die Verschleppung von Millionen Menschen“

Auch Uwe Waßmann (CDU) zog historische Parallelen zu dem Treffen von ganz Rechtsaußen in Potsdam: „Der Gegenstand der Trierer Erklärung muss Sorgen machen. Die Mehrheit der Gesellschaft ist in Bewegung geraten. Wir müssen ganz klar machen, dass es Parallelen zur Wannseekonferenz gibt, weit entfernt von jeder Relativierung der industriellen Vernichtung von Menschen.“

Uwe Waßmann (CDU)
Uwe Waßmann (CDU) Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Nur sieben Kilometer von dem Ort, wo die Nazis die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ besprochen hatten, hätten sich Rechtsextreme, Rechtspopulisten und auch CDU-Mitglieder zusammengerottet. „Remigration bedeutet nichts anderes als die Verschleppung von Millionen Menschen“, so Waßmann. Damals hätten die Nazis darüber phantasiert, man könne die Juden nach Madagaskar oder Russland deportieren, wenn man den Krieg gewinnen würde. 

Eine Relativierung sah Waßmann in dem Vergleich ausdrücklich nicht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Der Schutz der Menschenwürde hat überragende Bedeutung als oberster Verfassungswert und ist ihr tragendes Prinzip. Das Grundgesetz vollzieht eine deutlich Abkehr von der NS-Zeit, wo der Staat alles und der Mensch nichts war. Daher treten wir der Erklärung voller Überzeugung bei“, so der CDU-Politiker.

Vielfältiger persönlicher Einsatz für die Demokratie gefordert

Mit der Parole „Nie wieder ist jetzt“ startete Carla Neumann-Lieven (SPD) ihre Ausführungen: „Mit großer Freude haben uns die Demos der letzten Wochen erfüllt. Es tat gut und tut gut, mit so vielen Menschen für die Demokratie und für Vielfalt auf die Straße zu gehen.“ Die SPD-Politikerin erinnerte daran, dass Migrationsbewegungen zur Geschichte der Menschheit gehören. 

Carla Neumann-Lieven (SPD)
Carla Neumann-Lieven (SPD) Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

Das Ruhrgebiet zeige seit Jahrzehnten, wie man erfolgreich mit Zuwanderung umgehe. Jetzt aber in den schwierigen und herausfordernden Zeiten sei die wehrhafte Demokratie gefragt.  „Die Probleme verunsichern manche Menschen, so dass sie unsere Werte aus den Augen verlieren. Aber die Mehrheit steht für Menschenrechte.“

Doch das Demonstrieren könne nur eine Zwischenstation sein, um den Rechtsruck zu stoppen. Dazu brauche es Gespräche, Aufklärung und Bildung. Und natürlich wählen gehen. „Wir müssen die Parteien wählen, die für Demokratie stehen und nicht für ihre Feinde. Nie wieder ist jetzt. Lassen sie uns weiter daran arbeiten“, so Neumann-Lieven.

„Man bekämpft nicht die AfD, in dem man ihre Politik macht“

Wasser in den Wein und die große überparteiliche Einigkeit goß Sonja Lemke (Die Linke+): „Vor einem Monat sind 30.000 Menschen auf die Straße gegangen. Überall gab es große Demos wegen der Enthüllungen, die hier aber wenig überrascht haben dürften. Doch statt im Parlament dagegen zu stehen, wurde das Rückfühungsverbesserungsgesetz beschlossen“, so Lemke. 

Sonja Lemke (Die Linke+)
Sonja Lemke (Die Linke+) Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

„Kein einziges Problem wird damit gelöst, dennoch wird sie von Union, Grünen und SPD gefordert. Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz vor Vertreibung. Asyl ist ein Menschenrecht“, so Lemke. „Man bekämpft nicht die AfD, in dem man ihre Politik macht, sondern indem man hinter den Menschen steht.“ 

Doch es gebe eine falsche Finanzpolitik, die Schuldenbremse und die falsche Verteilung von Vermögen. „Wir setzen ein Zeichen gegen Rechts und für Demokratie. Es soll kein Zeichen bleiben, sondern wir müssen das in reale Politik umsetzen. Ganz Dortmund hasst die AfD.“

Die vielfältigen Proteste sind nicht von einer „Einheitsfront“ organisiert

Diese Kritik trieb Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste) auf die Palme: „Dieser Missbrauch dieser Erklärung für ihre parteipolitischen Ziele in der Flüchtlingspolitik fand ich ausgesprochen deplatziert. Wir als Demokrat:innen können sehr unterschiedliche Meinungen zu Migrationspolitik haben. Aber uns vorzuwerfen, dass wir das Geschäft der AfD machen“, wies Kauch vehement zurück: 

Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste)
Michael Kauch (FDP/ Bürgerliste) Foto: Alex Völkel für Nordstadtblogger.de

„Sie aber machen das Geschäft der AfD, weil sie den Kontrollverlust des Staates negieren und jeden, der nicht ihrer Meinung ist, gleich zum Nazi erklären“, hielt er der Linken-Politikerin vor.

Aber auch Aussprüche der AfD – die Demonstrationen auch in Dortmund seien Einheitsfront gelenkt – wies Kauch als „Unverschämtheit“ zurück. „Es geht nicht darum, wie man zu Migrationspolitik steht, sondern wie zu Demokratie und Rechtsstaat“, so der FDP-Politiker. 

Kritik an OB-Zitat „Ganz Dortmund hasst die AfD“

Die AfD schoss nicht nur gegen die Demonstrant:innen, sondern auch (mal wieder) gegen den Oberbürgermeister. Dieser hatte in einem Redebeitrag gesagt: „Ganz Dortmund hasst die AfD“. Peter Bohnhof (AfD) bezeichnete das als „Falschbehauptungen und übelste Rhetorik, die einem OB unwürdig sind. Sie verkehren demokratische Regeln und Bräuche ins Gegenteil.“

Peter Bohnhof (AfD) Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

„Ganz Dortmund hasst die AfD? Abgesehen davon, dass es unwahre Tatsachenbehauptung ist – wir gewinnen ständig Wähler. Aber sie haben einen Neutralitätsgebot“, hielt er Westphal vor. Zudem sei der Begriff „Deportation“ auf der Privatveranstaltung nicht benutzt worden, hielt Bohnhof den demokratischen Fraktionen vor. 

„Warum findet sich die CDU auf dem Antrag? Da waren mehr CDU’ler als AfD’ler. Hier geht es nur um Diskriminierung“, so der AfD-Politiker. Die Erklärung wurde mit großer Mehrheit gegen die Vertreter von AfD und der Neonazi-Splitterpartei beschlossen. 

Das ist die Trierer Erklärung des Deutschen Städtetages

„Das jüngst bekannt gewordene Treffen von AfD-Funktionären mit Mitgliedern der Identitären Bewegung und die dort diskutierte Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland hat uns alle schockiert. Wir nehmen es nicht hin, dass rechtsextreme Kräfte eine Atmosphäre der Verunsicherung, der Angst und des Hasses in unserem Land und in unseren Städten schüren.

In unseren Städten leben Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammen – als Nachbarinnen und Nachbarn, als Kolleginnen und Kollegen, als Freundinnen und Freunde, als Familie. Das ist die Lebensrealität in unseren Stadtgesellschaften. Das macht unsere Städte aus. Unsere Städte gehören allen Menschen, die hier leben. Wir akzeptieren nicht, dass Bürgerinnen und Bürger, dass Familien, dass sogar Kinder in unseren Städten Angst davor haben müssen, von hier vertrieben zu werden.

Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Bewertungen politischer Themen, auch unterschiedliche Positionen zur Migrations- und Asylpolitik sind Teil unserer Demokratie. Demokratie braucht Auseinandersetzung, Demokratinnen und Demokraten müssen auch Streit aushalten und Widerspruch akzeptieren. Was wir nicht akzeptieren, ist, wenn der Kern unserer Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens angegriffen wird: die Würde des Menschen.“


Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!

Unterstütze uns auf Steady

Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    Die Intervention der LINKEN ist sehr zu begrüßen. Dies stand auf dem kleinen Schild, dass ich auf der großen Demo in Dortmund trug: „Heute Rückführung durch die Ampel, morgen Deportation durch die Nazi-AfD?“ Leider berichtet ihr nicht darüber, dass viele Teilnehmer/innen an den gegenwärtigen Demonstrationen auch die Heuchelei der Regierenden thematisieren, welche die großen Demonstrationen begrüßen, aber dabei sind, im großen Stil heutige Flüchtlinge abzuweisen. Nur die Rückführung der seit Jahrzehnten Eingereisten, wie die AfD sie fordert, die erscheint den Politikern der Mitte wohl als übertrieben? Und auch das sei gefragt: Wann befasst sich der Rat mit dem Durchführen der längst beschlossenen Beseitigung des Schildes „Kirdorf-Kolonie“ in Eving?

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert