Debatten im Stadtrat Dortmund vom heimischen Sofa aus verfolgen: Live-Streaming der Sitzungen auf den Weg gebracht

Gästebereich bei den Stadtratssitzungen, die gegenwärtig in den Westfalenhallen stattfinden. Fotos (5): Alex Völkel

Vielfältige Möglichkeiten der Meinungsbildung gehören zu den Grundvoraussetzungen einer lebendigen Demokratie. Sie vermitteln Infos darüber, was von gesellschaftlichem Interesse ist. Das mag durch Medien wie Zeitungen oder Blogs geschehen. Oder mündige Bürger*innen gehen einfach mal selbst in politische Entscheidungsgremien. Als interessierte Zuschauer*innen – dorthin, wo sie an Ort und Stelle tagen. Etwa auf kommunaler Ebene zu einer der Sitzungen des Dortmunder Stadtrates: Die Stühle stehen bereit, bitte nehmen Sie Platz! So ging das bislang. – Jetzt hat der Rat den Weg für ein neues Beteiligungsformat frei gemacht: Zukünftig sollen die Debatten per Live-Streaming übertragen werden.

Statt als Zuschauer*in in den Westfalenhallen: Ratssitzungen können bald von daheim aus verfolgt werden

Wollten politikinteressierte Dortmunder*innen an den öffentlichen Sitzungen des Stadtrates teilnehmen, verlangte das bisher physische Anwesenheit. Sie mussten ins Rathaus gehen, gegenwärtig – coronabedingt – in die Westfalenhallen. Das soll sich bald ändern. Nach einigem Hin und Her soll es demnächst eine Live-Übertragung von jeder Sitzung geben. ___STEADY_PAYWALL___

Vorgesehen ist, das Projekt zunächst bis zur Sitzungspause im Sommer 2022 laufen zu lassen, dann soll über seine Fortsetzung entschieden werden. Bis dahin wird ein externer Anbieter für die technische Realisierung  bzw. Produktion der Mitschnitte beauftragt. Die Aufzeichnungen werden dann von der Dortmund-Agentur über das virtuelle Stadtportal verbreitet und archiviert. So der Plan.

Doch eine Reihe anderer Fragen sind bislang ungeklärt und werden gegenwärtig von der Verwaltung geprüft. Sie kamen bei der Ratsdebatte in der vergangenen Woche zur Sprache. Denn das, was auf den ersten Blick klar zu sein scheint – einfach zeitgleich ins Netz zu streamen, was in dem kommunalen Repräsentationsorgan verhandelt wird –, das wirft im Einzelnen dann doch eine Reihe von Fragen auf. Da sind rechtliche Aspekte, da gibt es im Vorfeld aber auch eine politische Dimension.

Politik wird mit wachsendem Publikum redseliger, als sie es sonst vielleicht gewesen wäre

Videoaufnahmen aus der Ratssitzung werden demnächst zur Routine, jedenfalls auf Probe.

Beobachten Bürger*innen politische Debatten, bleibt das Geschehen im Sitzungssaal davon nicht unberührt. Soll Transparenz qua Information den Stoff für politische Meinungsbildung bilden, möchten die Parteien das Geschehen in ihrem Sinne beeinflussen – Menschen auf ihre Seite ziehen.

Denn die nächste Wahl, sie kommt bestimmt. Indem Redebeiträge wortreicher, unter Umständen aber auch populistischer werden.

Letzteres ist freilich vor allem in jenen Polit-Kreisen der Fall, die sich eh schon zum Sprachrohr einer schweigenden, angeblich von kulturfremden Migrant*innen drangsalierten Mehrheit ernannt haben – bei den Rechtspopulisten. Denn jede noch so große Absurdität mag relative Wirkung entfalten, wird sie medial nur oft und massiv genug wiederholt, leider.

Erst kürzlich wurde gemeldet: 25 Prozent aller US-Amerikaner*innen glauben immer noch, die vergangene Wahl in den Vereinigten Staaten sei entscheidend manipuliert worden und Trump daher immer noch der legitime Präsident.

Anfängliche Zurückhaltung demokratischer Parteien aus Sorge, rechter Demagogie Reichweite zu verschaffen

Videoaufzeichnung im Rat - zumindest die Haushaltsreden wurden von der Verwaltung aufgezeichnet.
Videoaufzeichnung im Rat – zumindest die Haushaltsreden wurden von der Verwaltung aufgezeichnet.

Insofern gab es seitens der demokratischen Parteien in Dortmund anfangs eine gewisse Zurückhaltung, einer Art „Rats-TV“ zuzustimmen – und damit potentiell der AfD wie Neonazis jene große Bühne zu verschaffen, nach der sie nur lechzen, um die Reichweite von Stellungnahmen demagogischen Inhalts zu vergrößern.

Dagegen lautet die typisch-rhetorische Frage von Rechtspopulisten gegenüber den demokratischen Parteien: Was haben Sie zu verbergen?

Deren Antwort kann aber nur lauten – nichts. Die Sitzungen sind sowieso (größtenteils) öffentlich. Auch deshalb haben sie sich wohl eines Besseren besinnen können. Ihr „Ja“ zum Streamen entstand aber auch – trotz der Gefahr, Rechtspopulisten eine Propaganda-Plattform zu bieten – mit Blick auf die durch Corona erzwungenen positiven Erfahrungen, die in anderen Großstädten mit Live-Übertragungen gemacht wurden.

Der Beschluss des Stadtrates, Direktübertragungen der Sitzungen auf den Weg zu bringen, beinhaltet – auf Anregung von Bündnis 90/Die Grünen – einen Passus, der sich auf den Missbrauch von Aufzeichnungen bezieht. Dort heißt es: „Die Mitschnitte der Ratssitzungen dürfen ausschließlich zum Zwecke politischer und journalistischer Arbeit verwendet werden.“

Rechtsfragen im Zusammenhang mit Persönlichkeitsrechten und Datenschutz

Was die juristische Seite des Problems betrifft, geht es zum einen um die Persönlichkeitsrechte von Ratsmitgliedern, konkret: um den Schutz ihrer Daten. Nicht jede*r mag damit einverstanden sein, dass seine/ihre Redebeiträge aufgezeichnet und visuell gestreamt werden.

Ratssitzung in der Westfalenhalle 2.

Live für alle Bürger*innen impliziert eben auch – anders als bei den Organen auf Landes- und Bundesebene – die explizite Zustimmung der gewählten Vertreter*innen aus den Parteien. Daher lautet es in der Beschlussfassung:

„Das Verbreiten und Teilen (auch eines Teils) des Mitschnitts in anderen Medien und auf anderen Plattformen ist nur zulässig, soweit und solange die Zustimmungen aller im jeweiligen Teil des Mitschnitts aufgezeichneten Personen hierzu vorliegen. Die Verwaltung wird beauftragt, darauf in geeigneter Form hinzuweisen und rechtlich gegen Dritte vorzugehen, die gegen diese Bestimmungen verstoßen.“

Sieht sich jemand in einem Zusammenhang abgebildet, der nicht erwünscht ist, d.h. ohne dass eine Einwilligung vorgelegen hätte, dann muss hier von der betroffenen Person – anders als beim Urheberschutz – eigenständig dagegen vorgegangen werden. Umgekehrt: Um solche Problemkonstellationen im Falle des Streamens von vornherein auszuschließen, müsste bereits während der Aufnahme auf jene Rücksicht genommen werden, die nicht abgebildet werden wollen, sondern auf ihr Recht am eigenen Bild pochen. Ein komplexes wie teures Verfahren.

Das Problem der Zweitverwertung von Aufzeichnungen, wenn sie auch später noch zugänglich sind

Andererseits lautet eine zentrale Frage: Wie sieht es aus mit der Zweitverwertung der Stream-Aufzeichnung? Soll es dazu überhaupt eine Gelegenheit geben? Beispielsweise in Form eines späteren Links über das Stadtportal, von wo aus sie abrufbar wäre?

Bereits gegenwärtig werden alle Stadtratssitzungen aufgezeichnet. Es gibt aber zumeist lediglich einen Audiomitschnitt, der hinterher dafür verwandt wird, ein (verkürztes) Sitzungsprotokoll zu erstellen. Das ist wichtig, um später verschriftlicht zu dokumentieren, wer wann was im Kern gesagt hat.

Die entsprechend angefertigten Mitschriftauszüge stehen Parteien, aber auch (für den öffentlichen Teil der Gremiensitzungen) allen Interessierten im Internet jederzeit (für die entsprechende Wahlperiode) zur Verfügung (Link: s.u.). Und: Audiomitschnitte der Sitzungen selbst dürfen nur von der Verwaltung und der Presse im Rahmen ihrer journalistischen Arbeit getätigt werden, nicht aber von den anwesenden Zuschauer*innen im Gästebereich.

Stadtverwaltung macht sich Gedanken zu rechtlichen Einzelfragen

Wie aber wäre es um eine zusätzliche Videoaufzeichnung bestellt? Dass es sich hier um einen Unterschied handelt, erhellt sich schnell: Schriftprotokolle, die nicht den Wortlaut abbilden, stellen lediglich einen Auszug des vormaligen Geschehens dar und müssen deshalb in jeder nachfolgenden Sitzung genehmigt werden.

Alle Ratsmitglieder haben und müssen das Recht haben, Korrekturen zu verlangen: „Das habe ich so nicht gesagt, sondern …“ Solche Einwürfe führen in aller Regel zu einer Abänderung des Sitzungsprotokolls.

Eine Live-Übertragung bzw. eine lückenlose Aufzeichnung umginge diese Schranke. Unbestechlich, was sich nun vor unser aller Augen abspielt – und unter Umständen später im Netz abrufbar ist und dort unautorisiert verbreitet werden könnte. Letzteres verstieße gegen das Urheberrecht. Dem ginge die Stadt Dortmund nach, sofern Videoaufnahmen missbräuchlich genutzt würden. – Die rechtlichen Details sind nach dem letzten Grundsatzbeschluss im Stadtrat seitens der Verwaltung nun in Klärung begriffen.

Weitere Informationen:

  • Protokolle der politischen Gremien in Dortmund; hier:
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