Palästinensische Gruppen setzen Solidarität mit Rassismus gleich

Beratungsstelle ADIRA bewertet Kundgebung gegen Solidaritätskonzert als antisemitisch

Rund 400 Menschen erklärten sich nach den Terror-Angriffen der Hamas solidarisch mit Israel.
Rund 400 Menschen erklärten sich nach den Terror-Angriffen der Hamas solidarisch mit Israel. Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de

Die Gruppierungen „Palästina Solidarität Duisburg“ und „Palästina Antikolonial“ rufen für Samstag (2. Dezember 2023) zu einer Kundgebung gegen „anti-palästinensischen Rassismus“ in Dortmund auf. Die Kundgebung richtet sich unmittelbar gegen ein Konzert, welches ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen möchte. Aus diesem Grund sieht die Beratungsstelle ADIRA die Kundgebung als antisemitisch motiviert an.

Konzert als Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung

Es soll ein Solidaritätsakt sein: Für den Abend des 2. Dezember ist ein Konzert mit den Bambergern Symphonikern, dem israelischen Dirigenten Lahav Shani und dem israelischen Violinisten Pinchas Zuckermann im Konzerthaus Dortmund geplant.

Der israelische Dirigent Lahav Shani ist derzeit Exklusivkünstler am Konzerthaus Dortmund. Foto: Marco Borggreve

Die Veranstalter möchten damit ein Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Ausgrenzung anlässlich des Angriffs auf Israel und des weltweit aufflammenden Antisemitismus setzen.

Doch für die Gruppierungen „Palästina Solidarität Duisburg“ und „Palästina Antikolonial“ ist dieses Anliegen offenbar ein Problem: Laut Ankündigungen in Sozialen Netzwerken rufen diese zur gleichen Zeit zu einer Kundgebung gegen „anti-palästinensischen Rassismus“ an den Dortmunder Katharinentreppen auf, da sie das Konzert „nicht unkommentiert“ lassen wollen. Ihrer Ansicht nach herrsche „kein Konflikt, sondern Kolonialismus, ethnische Säuberungen und ein Genozid vor“.

ADIRA wertet Kundgebung als Attacke gegen Dortmunder Kulturbetrieb

„Es ist die gleiche aggressive Rhetorik, die wir seit Wochen bei anti-israelischen Protesten beobachten können“, sagt Micha Neumann, Leiter der Beratungsstelle ADIRA in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde. „Israel wird dämonisiert, als Kolonialstaat dargestellt und dem Staat einen Genozid unterstellt. Beides ist faktisch falsch und eine Verdrehung der Tatsachen.“

Mehrfach wurde in Dortmund gegen israelischen Angriffe auf den Gazastreifen demonstriert- die Gräuel der Hamas gegen die israelische Zivilbevölkerung wurden weitgehend ignoriert. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Diese Dämonisierung ist nach der „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance, die auch von der Stadt Dortmund verwendet wird, als antisemitisch einzustufen.

Allein schon einem Konzert gegen Antisemitismus wird unterstellt, Ausdruck von Rassismus zu sein. Zugleich wird hier eine Schuldumkehr vorgenommen, denn zu dem Angriff auf Israel durch die Hamas verlieren die Gruppierungen kein Wort – ein klassisches Motiv des israelbezogenen Antisemitismus.

Für ADIRA besitzt die angekündigte Kundgebung zusätzlich eine neue Qualität im Vergleich zu anderen anti- israelischen Protesten: „Hier geht es nicht mehr ausschließlich gegen den Staat Israel, sondern ganz konkret gegen ein Konzert, das in Dortmund stattfindet. Damit sollen Kultureinrichtungen attackiert werden, die sich gegen Antisemitismus einsetzen“, sagt Neumann.

Vorfälle und Anfeindungen als enorme Herausforderung für die jüdische Community

Da es sich gleichzeitig um ein Konzert mit israelischen Künstlern handelt, wird ersichtlich, dass es den Organisatoren der Kundgebung auch nicht um Protest gegen die Regierung Israels geht, sondern unterschiedslos gegen alle Israelis. Auch diese Gleichsetzung ist antisemitisch.

Zugleich bagatellisieren und negieren die aufrufenden Gruppierungen die Erfahrungen von Betroffenen, denn sie beschreiben den vom Konzerthaus Dortmund beschriebenen „aufflammenden Antisemitismus“ als friedliche Solidarität – ganz so, als es hätte es in den letzten Wochen keine Zunahme von antisemitischen Vorfällen gegeben.

Micha Neumann von ADIRA Foto: Paulina Bermúdez für nordstadtblogger.de

„In unserer Arbeit machen wir die Erfahrung, dass die vielen Vorfälle und auch Anfeindungen eine enorme Herausforderung für die jüdische Community darstellen – auch weil es oft an Solidarität mangelt. Da ist das Konzert ein wichtiges Signal und einfach auch mal ein schönes Erlebnis für Betroffene von Antisemitismus in Dortmund“, verdeutlicht Micha Neumann.

„Dass dieses nun von israelfeindlichen Gruppen angegangen wird und die Erfahrungen von Antisemitismus in Frage gestellt werden, stellt einen Versuch der Einschüchterung von Jüdinnen und Juden in Dortmund dar und offenbart somit den antisemitischen Charakter der geplanten Kundgebung“, so der Leiter von ADIRA.

Verbreitung von Israel- und Judenhass statt Solidarität mit den Opfern

Hinzu kommt, dass die beiden aufrufenden Gruppen „Palästina Solidarität Dortmund“ und „Palästina Antikolonial“ einschlägig bekannt sind und in der Vergangenheit regelmäßig in Duisburg bzw. Münster durch Versammlungen in Erscheinung getreten sind, auf denen antisemitische Äußerungen getätigt wurden.

Trotz der Auflagen wurden auch verbotene Parolen wie diese gezeigt – sie sprechen dem Staat Israel das Existenzrecht ab. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

„Als Beratungsstelle fordern wir die Dortmunder Zivilgesellschaft dazu auf, die Kundgebung im Auge zu behalten und appellieren an die Behörden, jegliche antisemitische Aussagen zu unterbinden – so wie es auch in der Vergangenheit praktiziert wurde“, so Micha Neumann

„Es kann nicht sein, dass ein Konzert gegen Antisemitismus derart angegangen wird. Die Kundgebung macht deutlich, worum es diesen Gruppen geht, die vermeintlich für die leidenden Menschen in Gaza einstehen möchten: Um die Verbreitung von Israelhass und die Schaffung unsicherer Orte für Jüdinnen und Juden“, macht die Beratungsstelle ADIRA deutlich.

Mehr Informationen:

    • ADIRA (Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus) ist eine vom Land Nordrhein-Westfalen geförderte Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit mit dem Schwerpunkt Antisemitismus in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Dortmund.
    • Seit Oktober 2020 berät und unterstützt ADIRA in Dortmund Betroffene von antisemitischen Vorfällen in Dortmund und leistet Bildungs- und Präventionsarbeit zum Thema.
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Reaktionen

  1. Antisemitismus im Schulunterricht: Empirische Erkenntnisse und praxisorientierte Gegenstrategien (PM)

    Veranstaltung „Antisemitismus in Schulen“
    12.12.2023 | 18:00 Uhr
    Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstraße 50-58, 44147 Dortmund

    Der Sozialwissenschaftler Sebastian Salzmann forscht zu Antisemitismus in Schulen und den damit einhergehenden Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte. Auch in Nordrhein-Westfalen gehört Antisemitismus vielfach zum schulischen Alltag. Zu antisemitischen Vorfällen kommt es dabei nicht nur auf Schulhöfen, sondern auch im Unterricht selbst. Gleichzeitig ist die Schule ein Ort des Lernens, an dem eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen einen Platz haben soll. Gerade die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema Antisemitismus wird dabei jedoch als herausfordernd erlebt.

    Das Themenfeld Antisemitismus wirft für den Schulunterricht (sowie für die außerschulische, politische Bildung) verschiedene Fragen auf: Wie reagiere ich auf antisemitische Äußerungen? Worauf sollte ich bei der Konzeption von Bildungs- oder Unterrichtsreihen zum Thema achten? Wo fange ich eigentlich an? Antworten auf diese und weitere Fragen werden im Rahmen des Workshops gemeinsam erarbeitet. Dabei werden nicht nur aktuelle empirische Erkenntnisse zum Thema „Antisemitismus und Schule“ präsentiert, sondern zugleich praktische Impulse für die Bildungsarbeit diskutiert.

    Der Workshop richtet sich entsprechend nicht nur an Lehrkräfte oder Personen, die im Kontext Schule tätig sind, sondern auch an andere pädagogische Fachkräfte oder Interessierte. Die Teilnahme ist für alle kostenlos. Um eine Anmeldung unter info@u-turn-do.de wird aus planungstechnischen Gründen gebeten.

  2. Ulrich Sander

    Unabdingbar ist die Verurteilung des Pogroms der Hamas vom 7. Oktober. Und wo bleibt die Solidarität mit den Opfern des Krieges im Gazastreifen? Adam Tooze u.a. haben dazu das richtige ausgesagt. Schluss mit dem Krieg! Waffenstillstand. Zwei Staaten-Lösung!

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