„Aktion 3 – Deutsche verwerten jüdische Nachbarn“: Eine Ausstellung zur Ausplünderung der jüdischen Deportierten

Helmut Manz, Dagmar Stüber-Najib und Stefan Nölleke stellten das Programm vor. Fotos: Alex Völkel
Helmut Manz, Dagmar Stüber-Najib und Stefan Nölleke stellten das Programm vor. Fotos: Alex Völkel

„Aktion 3 – Deutsche verwerten jüdische Nachbarn“ lautet der ebenso provokative wie treffende Titel einer Ausstellung, die vom 6. November bis 15. Dezember 2019 in der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in der Nordstadt zu sehen ist.

Netzwerk aus Finanzämtern, Zoll und Gestapo plünderten die jüdischen Deportierten aus

Akribisch hielten die Finanzämter bzw. Vollstreckungsbeamten Verkäufe und Käufer fest.
Akribisch wurden die Verkäufe und Käufer dokumentiert – oft waren es ehemalige Nachbarn.

Seit Herbst 1941 wurde im Deutschen Reich unter dem Tarnnamen „Aktion 3“ die Ausplünderung der jüdischen Deportierten durch ein Netzwerk aus Finanzämtern, Zoll und Gestapo systematisch organisiert.

Das Reichsfinanzministerium gab Anweisungen heraus, wie das Vermögen der deutschen Juden einzuziehen sei. Der Staat bereicherte sich durch die öffentliche Versteigerung allen Besitzes.

Die Bevölkerung erwarb in diesen Versteigerungen Möbel, Wäsche, Bekleidung, Spielzeug etc. ihrer jüdischen Nachbarn, welche zuvor detaillierte Vermögensaufstellungen anzufertigen hatten. 

Es gab darüber hinaus  direkte Verkäufe und auch öffentliche Stellen haben sich bedient. Von der Ausplünderung der letzten Habe der deutschen Juden profitierten weite Kreise der Bevölkerung.

Diese Entrechtung und Enteignung ist in den durch die Finanzbehörden geführten Akten heute nachvollziehbar. Die Ausstellung dokumentiert diese Akten und zeigt die tiefe Entrechtung der Betroffenen.

Erst Ende der 1990er Jahre wurden die Rolle der Finanzbürokratie und ihrer Angehörigen, die Fragen nach ihrer Motivation, ihren Handlungsoptionen und Verantwortlichkeiten breiter erörtert.

„Wir haben von all dem nichts gewusst“ wird als Schutzbehauptung entlarvt

Das Bündnis Dortmund gegen Rechts und die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache haben gemeinsam mit weiteren UnterstützerInnen jetzt die Ausstellung zur „Aktion 3“ nach Dortmund geholt.

Sie wollen damit deutlich machen, dass die  Aussage „Wir haben von all dem nichts gewusst“ eine Schutzbehauptung ist, macht Hermann Klein vom Bündnis gegen Rechts deutlich.

Denn die Unterlagen und die Ausstellung machen deutlich, dass das Hab und Gut der ehemaligen Nachbarn öffentlich und systematisch verwertet wurde. „Aktion 3 macht deutlich, wie tief das in die Gesellschaft gegangen ist. Bis zur letzten Unterhose wurde alles verwertet“, macht Klein deutlich.

Die Nachbarn konnten sich vor Ort umsehen, was sie noch gebrauchen konnten

Die Menschen jüdischen Glaubens mussten eine detaillierte Aufstellung ihres Vermögens und ihrer Habseligkeiten machen.
Bis hin zur Zahl der Büstenhalter mussten die Opfer ihre Habe bei den Behörden melden.

Bei den anschließenden öffentlichen Versteigerungen wurde sogar protokolliert, wer für welchen Preis die Unterbekleidung, die Bettwäsche oder das Bett gekauft hat.

Das Grausame war damit Normalität und Alltag. Die Finanzämter kamen nach Flucht und Deportation bei den anschließenden Verkäufen zum Einsatz – also bei der Vollstreckung, als die Menschen weg waren. 

„Mitunter wurde direkt verkauft, auch in den Dörfern – da haben die Nachbarn in den Wohnungen geschaut, was sie gebrauchen konnten. Oder Gerichtsvollzieher wurden beauftragt, alles von Wert zu versteigern“, erklärt Hermann Klein. „Das wurde öffentlich ausgeschrieben. Jeder konnte hingehen, das war normal.“

Sowohl die normale Bevölkerung als auch der Staat haben sich am Leid und der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung bereichert – alles legal und „rechtsstaatlich“ geordnet.

Die deutsche Bürokratie – insbesondere die Finanzverwaltungen – trugen dafür eine gehörige Mitschuld. „Das war Unrecht per Gesetz mit Amt und Siegel“, betont Helmut Manz.

Vorwurf: Große Teile der Bevölkerung waren Komplizen eines Völkermords

Akribisch hielten die Finanzämter bzw. Vollstreckungsbeamten die Verkäufe und die Käufer fest.
Akribisch hielten die Finanzämter bzw. Vollstreckungsbeamten Verkäufe und Käufer fest.

„Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Das beantwortet die Frage, warum die Unterstützung für das NS-Regime so lange gehalten hat, auch als längst klar war, dass der Endsieg nicht zu erringen war“, verdeutlicht Manz.

„Aktion 3 zeigt, dass sich große Teile der Bevölkerung zu Komplizen eines Völkermords gemacht haben. Jeder, der Stücke verwertet habe, habe nach einer Niederlage mit Konsequenzen rechnen müssen. „Wenn der Krieg verloren geht, könnte es sein, dass die Besiegten auch so behandelt werden“, so Manz.

Ohne Prof. Wolfgang Dreßen – er hatte die ersten Recherchen betrieben und auch die Ausstellung konzipiert – hätte niemand von der „Aktion 3“ erfahren. Alle Finanzämter waren damals eingebunden – vom Finanzministerium angewiesen. „Es gibt noch überall die Listen. Das macht die Breite deutlich, wie das gewirkt hat“, berichtet Dagmar Stüber-Najib. 

Zugleich macht es die Breite des gesellschaftlichen Tabus deutlich. Darüber hinaus – Finanzämter haben es eingezogen und wieder zu Geld gemacht. Parteigrößen und andere wurden vorab bedient. Diese ganzen Vorgänge sind minutiös mit deutscher Gründlichkeit dokumentiert, verweist Stefan Nölleke.

Begleitprogramm: Zwei Filmemacher zu Gast – darunter auch Regisseur Michael Verhoeven 

Zur Vorführung des Films „Menschliches Versagen“ wird Regisseur Michael Verhoeven zu Gast in Dortmund sein.
Zur Vorführung des Films „Menschliches Versagen“ wird Regisseur Michael Verhoeven zu Gast in Dortmund sein.

Die Ausstellung basiert vor allem auf Informationen aus Köln. Doch die das Stadtarchiv Dortmund die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache wollen sie mit lokalen Informationen und Dokumenten anreichern.

Die Ausstellungseröffnung ist am 6. November um 19 Uhr in der Steinwache (Steinstraße 50) in Dortmund. Zur Einführung spricht Prof. Dr. Wolfgang Dreßen. Tirzah Haase wird Texte rezitieren.

Im Begleitprogramm zur Ausstellung gibt es zwei Filme. Zur Vorführung des Films „Menschliches Versagen“ wird Regisseur Michael Verhoeven zu Gast in Dortmund sein. Seine Filmdokumentation thematisiert die Arisierung und die Rolle der Finanzämter. Der Film mit der anschließenden Diskussion wird  am 16. November um 20.30 Uhr im Filmtheater Schauburg, Brückstraße 66 in Dortmund, stattfinden.

„Mariannes Heimkehr – Die Jüdin, der Beamte und das Dorf“ ist ein Dokumentarfilm über die Shoah, die Arisierung und die deutsche Wiedergutmachungspolitik am Beispiel der Jüdin Marianne Winter in Hemmerden. Filmemacher Gert Monheim wird dafür am 3. Dezember um 19 Uhr persönlich in der Steinwache, Steinstraße sein.

Weitere Informationen:

  • Die Ausstellung ist während der Öffnungszeiten der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache kostenlos zu besichtigen. Sie hat dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet.
  • Führungen durch die Ausstellung sind nach Anfrage möglich: dortmundgegenrechts@gmx.net 
  • Die Ausstellung ist eine Veranstaltung des Bündnis Dortmund gegen Rechts und der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache mit freundlicher Unterstützung der Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie der Stadt Dortmund, der VVN/BdA sowie des Fördervereins Gedenkstätte Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee e.V..
  •  Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die rechtsextremen Parteien oder Organisationen angehören, der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zutritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.
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Reaktionen

  1. Steinwache Dortmund (Pressemitteilung)

    Widerstand und Verfolgung in Dortmund:
    Kostenlose Führung durch die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache

    Sie wurde auch die „Hölle von Westdeutschland“ genannt: Die Steinwache in der Steinstraße am Dortmunder Bahnhof. Heute ist das Gebäude eine Mahn- und Gedenkstätte, in der die Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Dortmund 1933-1945“ zu sehen ist. Eine kostenlose 90-minütige Führung durch die Dauerausstellung gibt es am Sonntag, 3. November, 11 Uhr (Steinstr. 50). Der Schwerpunkt der Führung liegt bei der NS-Geschichte des Gebäudes, gleichzeitig werden Menschen vorgestellt, die Opfer des NS-Regimes wurden und oder am Widerstand beteiligt waren.

    http://www.steinwache.dortmund.de

    http://www.facebook.com/Steinwache

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