
Von Rainer Roeser
Monatelang wurde auf den Termin gewartet. Am Samstagvormittag (5. Juli 2025) ist es soweit. In der Düsseldorfer Geschäftsstelle der nordrhein-westfälischen AfD verhandelt eine Kammer ihres Landesschiedsgerichts über den Rauswurf des Dortmunder Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich aus der Partei. Es dürfte nur eine Zwischenstation sein bei dem Versuch von AfD-Landeschef Martin Vincentz, Helferich final loszuwerden. So wahrscheinlich es ist, dass diese erste Instanz Vincentz‘ Ansinnen folgt, so sicher ist es, dass Helferich im Anschluss das Bundesschiedsgericht bemühen wird. Dort sind seine Chancen größer. Aber selbst wenn auch die Bundesrichter:innen gegen ihn urteilen würden, bliebe ihm noch die Hoffnung auf die ordentliche Gerichtsbarkeit.
Machtkampf – beinhart und intrigant
Auch zwölf Jahre nach seiner Gründung durchzieht eine klare Frontlinie den rund 11.000 Mitglieder zählenden AfD-Landesverband: hier jene, die doch so gerne seriös erscheinen würden; dort die, die rechtsradikalen Klartext vorziehen. Die Protagonisten beider Lager wechselten im Laufe der Jahre, doch an der Situation an sich hat sich nichts geändert.
Dabei ist Vincentz beileibe nicht der über allen Strömungen schwebende Moderator gelegentlicher Streitereien, als der er sich gerne sähe. Vielmehr agiert er als Partei, gar als eine der treibenden Kräfte in einem beinhart und intrigant ausgetragenen, hassgesättigten Machtkampf. Rechtsradikalismus auf leisen Sohlen ist sein Konzept. Das amtliche Siegel des „gesichert Rechtsextremistischen“ muss für ihn folglich wie der größte anzunehmende Unfall erscheinen. ___STEADY_PAYWALL___

Dass die AfD nun mit diesem Label leben muss, hat er auch Leuten wie Matthias Helferich zu verdanken. Die vorige Wahlperiode hatte er noch als Fraktionsloser in der letzten Reihe des Parlaments verbringen müssen, mit dem Rücken zur Wand quasi. In diesem Frühjahr schaffte er es jedoch in die AfD-Bundestagsfraktion.
Nach ihrer konstituierenden Sitzung war zu hören, kein einziger Abgeordneter habe eine Diskussion über die Personalie verlangt. Die erste Sitzung der AfD-Fraktion war ein Lehrbeispiel für den geschrumpften Einfluss der NRW-Parteispitze in Berlin. Wer dort lautstark gegen Helferich aufbegehrt hätte, hätte sich als Streithahn und Dauernörgler unmöglich gemacht.
Die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der AfD-Abgeordneten, in der großen Mehrheit auf Vincentz-Linie, hatte am Tag vor der konstituierenden Fraktionssitzung zwar die Backen noch ein wenig aufgeblasen und den Mund gespitzt – die Bedenken am Ende aber nur schriftlich hinterlassen, sozusagen zum Abheften fürs Protokoll. Sie warnte in ihrer Notiz vor den Folgen, die Helferichs Aufnahme in die Fraktion haben werde. Alice Weidel und Tino Chrupalla hätten „alle Informationen und Warnungen erhalten“, hieß es in der Stellungnahme, über die „Zeit online“ berichtete. Nach der Aufnahme hätten die beiden „alle evtl. Folgen und Skandale zu verantworten“. Konsequenzen hatte die Warnung nicht.
Rechte Plattitüden-Produktion
Tatsächlich ist Helferich ja auch Fleisch vom Fleische der stetig radikalisierten Bundes-AfD – nicht ihr Mainstream, aber zumindest in Berlin vollauf akzeptierter Teil der Partei – geeignet, das radikalere Lager der Rechtsaußenfraktion zu stärken. Vor allem in der Kulturpolitik will er im Bundestag aktiv werden. Er halte am „Konzept der Remigration“ fest, sagte er. „Ich glaube an Grenzschließungen und massenhafte Abschiebungen.“

Aber es brauche mehr – nämlich „die Stärkung unseres kulturellen, unseres identitären Bewusstseins“. Dafür sei „eine rechte, eine patriotische, eine identitäre Kultur-, Medien- und Identitätspolitik der richtige Ansatzpunkt“. Er wolle „mit rechter Kulturpolitik dem linken Kulturkampf entgegenwirken“.
„In einem gesunden Verhältnis zu Deutschland“ stehen muss die Kultur, die Helferich vorschwebt, und „eben nicht links, morbide und falsch“ sein. Kurz und knapp: „Die Parole muss lauten: Nibelungensage und deutsche Helden statt postmodernem Fäkaltheater.“
Seine Entscheidung für den Arbeitsschwerpunkt Kultur bietet ihm den Vorteil, sich noch stärker als in der Vergangenheit als Vertreter des „Vorfelds“ gerieren zu können, jenes Konglomerats aus Ideologieproduktion, Buch- und Zeitschriftenverlagen, rechten Influencer:innen, Autor:innen und angeblichen „Bürgerbewegungen“ etc..
„Der Kulturkampf von rechts muss vornehmlich von Akteuren unseres Vorfeldes geführt werden“, sagt Helferich. „Wir als Parlamentarier und Kulturpolitiker können dabei mit bestimmten Maßnahmen Schützenhilfe leisten.“ Er wolle „dabei nach Mitstreitern aus Kunst, Literatur und Architektur suchen, die mit schöpferischem Drang nach vorne gehen, um das Ewige, Gute und Schöne in neuer Form wiederzubeleben“. Es gibt wohl kein besseres Feld für rechte Plattitüdenproduktion als die Kulturpolitik.

Erste „Duftmarken“ hinterließ er bereits. Zum Beispiel bei einem Gespräch mit Verantwortlichen des „JungEuropa-Verlags“, denen er attestierte, ein „Leuchtturmprojekt“ aufgebaut zu haben: „Deutsche Antworten für eine deutsche Zukunft.“
Zum Beispiel mit der Einladung des neurechten „Vordenkers“ Götz Kubitschek in sein Dorstfelder Wahlkreisbüro Ende März. Auch solche Auftritte sind es, die sein Parteieiordnungsverfahren immer wieder neu befeuert haben. Der AfD-Landesvorstand schob im Frühjahr weiteres Material in dem Verfahren nach, darunter den Hinweis auf die Kubitschek-Veranstaltung. Helferichs Kommentar: „Der NRW-Vorstand macht damit die Arbeit des VS.“
Burschenschafts-„Humor“
Dass das Schiedsgericht auf Landesebene gegen ihn entscheidet, wurde noch wahrscheinlicher, nachdem der „Spiegel“ Ende Mai aus Mails zitierte, die Helferich vor rund zehn Jahren geschrieben haben soll, als er in der Bonner Burschenschaft „Frankonia“ aktiv war. In einer dieser Mails empfiehlt der Autor einem „Bundesbruder“ ein Buch zur Psychologie der Massen, „welches schon Goebbels anleitete“.
In einer Mail, die mit „Heilchen“ beginnt und mit „Matthias“ unterzeichnet ist, wird dem „Spiegel“ zufolge ein Verbindungsmitglied gerüffelt: „Du hast noch meine gesamte Rassenkunde-Literatur, du jüdischer Langfinger.“ Eine weitere Mail endet demnach mit einem PS: Er bevorzuge die Anrede „Holocaustleugner_In“. Der Autor dichtet auch. Das klingt dann so: „Advent, Advent, ein Asylantenheim brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht der Helferich vor der Reichstagstür. Und wenn das Fünfte brennt, hast du die Revolution verpennt!“

Helferich bestreitet, all das geschrieben zu haben. Er „schließe nicht aus“, sagte er, dass Hacker die Mailkorrespondenzen manipuliert hätten. Nachfragende „ARD-Hauptstadtjournalisten“ beschied er per Video mit den Worten: „Ich erkläre mich nicht, aber Ihr könnt mich gerne am Arsch lecken!“
Dem „Spiegel“ gegenüber erklärte er sich immerhin aber doch ein wenig: Der Stil der ihm zugeschriebenen Mails ähnele nicht dem von ihm verwendeten Sprachduktus. Wer ihn halbwegs kennt, ahnt freilich, wie absurd das klingen muss, kommt doch sein „Humor“ – wie er das wohl nennen würde – nie hinaus über ein Niveau, das beim Kommers der Burschenschaft üblich ist und bei AfD-Stammtischen im Hinterzimmer bejubelt wird.
Seine Gegner in NRW haben diese Erklärungsversuche jedenfalls nicht überzeugt. Zumal Helferich es vermied, juristisch gegen den „Spiegel“ vorzugehen. Mit einer Abmahnung und einem Unterlassungsbegehren zu reagieren, hatte Vincentz von ihm verlangt. Doch der einmal mehr unter Druck geratene Helferich mochte nur eine Strafanzeige „gegen Unbekannt“ erstatten – gegen die Person, die die Mails in Umlauf gebracht hat. Helferich: „Ich muss meine öffentliche Reputation nicht gegen Medien verteidigen, deren Meinung mir gleichgültig ist. Ich muss aber strafrechtlich-relevante Attacken auf mich abwehren.“
Vincentz sah das Sündenregister seines Dauerkontrahenten weiter wachsen: „Wir werden die aktuellen Anwürfe dem laufenden, bereits umfangreichen Verfahren beifügen.“ Und auch in der Bundesspitze bröckelte die Unterstützung für den Dortmunder. „Die Welt“ zitierte eine „Sprachregelung der Bundesgeschäftsstelle“: „Sollte sich infolge der Sachverhaltsklärung ergeben, dass der Landesvorstand die Notwendigkeit einer Parteiordnungsmaßnahme gegen Herrn Helferich sieht, würde der Bundesvorstand diese ebenfalls unterstützen.“
Der Kampf um die Schiedsgerichte
Apropos Schiedsgerichte. Gekämpft wird um deren Zusammensetzung mit Haken und Ösen. Schon die Zusammensetzung jener dreiköpfigen Gerichtskammer in NRW, die im Fall Helferich entscheidet, ist ein Beispiel dafür. Das Onlinemedium „The Pioneer“ berichtete Mitte März gestützt auf das Protokoll der konstituierenden Schiedsgerichtssitzung, ein Helferich-Gegner habe sich mit zwei Richterkollegen abgesprochen, um genau diese Kammer zu übernehmen. Obwohl das intern kritisiert worden sei und ein Teilnehmer den Vorgang als „Verstoß gegen das Grundgesetz“ bezeichnet habe, setzte sich der Gegner Helferichs demnach in der Abstimmung durch.
Zu diesen Vorgängen, die eigentlich nur jene überraschen können, die naiverweise an eine Unparteilichkeit von Parteigerichten glauben, zitierte „The Pioneer“ den renommierten Düsseldorfer Parteienrechtler Martin Morlok. Der befand, das AfD-Schiedsgericht in NRW missachte rechtsstaatliche Prinzipien. „Die Zuordnung der Richter zu den einzelnen Fällen darf nicht von den Richtern gesteuert werden können.“

Das Verfahren des Schiedsgerichts sei somit „natürlich rechtsstaatlich unhaltbar“. Helferich könnte wegen der fragwürdigen Zusammensetzung des Schiedsgerichts vor einem staatlichen Gericht Recht bekommen, so Morlok. Ein Telegram-Kanal von Helferich-Anhängern kommentierte: „Das Vincentz-Lager weiß sich nicht mehr anders zu helfen und bildet ,Sondergericht‘, um Helferich durch willfährige Richter ausschließen zu lassen.“
War es so wie von „The Pioneer“ geschildert, wäre es nicht der erste Versuch aus Vincentz‘ Lager gewesen, eigenes Personal in Parteigerichte zu schleusen, um Helferich loszuwerden. Nicht zu übersehen waren beispielsweise solche Versuche im Sommer letzten Jahres beim AfD-Bundesparteitag in Essen. Seinerzeit wurden angebliche Inhalte eines Chats bekannt, an dem laut einem rechten Szenemagazin „hochrangige Funktionäre der AfD NRW“ beteiligt waren. Der österreichische „Heimatkurier“ zitierte aus dem Chatverlauf einen Beisitzer im NRW-Landesvorstand: „Wir brauchen Richter, die uns die Rasur von MH nicht versauen…“
Vincentz‘ Ansehen bei eigenen Anhängern beschädigt
Verständlich, dass Vincentz derlei Abläufe nicht öffentlich auf Parteitagen diskutiert sehen möchte. Erklärbar aber auch, dass sein eigenes Ansehen selbst bei manchen von denen, die eigentlich seiner Linie folgen, beschädigt ist. Erst recht gibt es in der Landes-AfD das Bedürfnis nach Ruhe im Verband, insbesondere wegen der Kommunalwahlen Mitte September. Was das konkret bedeutet, war wenige Tage nach der „Pioneer“-Meldung zu besichtigen, als sich die NRW-AfD zum Landesparteitag in Marl traf.

Das Antragsbuch versprach einige Spannung. Ein Mitglied aus dem Rhein-Sieg-Kreis verlangte, Vincentz einen oder zwei Ko-Sprecher zur Seite zu stellen. „Dr.für den Landesvorstand“ hingegen beantragte, das Amt eines Generalsekretärs in der NRW-AfD neu einzuführen. Er solle „jederzeit vom Sprecher des Landesvorstandes berufen“ werden können und sich zur Wahl als Vorstandsmitglied erst beim folgenden Landesparteitag stellen müssen.
Auch eine Stellenbeschreibung wurde in dem Antrag mitgeliefert: „Der Generalsekretär koordiniert und organisiert die Parteiarbeit auf Landesebene. (…) Zur Vorbereitung und Durchführung von Landtags- und Kommunalwahlkämpfen sind die nachgeordneten Gliederungen der Partei an die Weisungen des Generalsekretärs gebunden.“
Parteiintern kursierten bereits Namen für das neue Amt. Genannt wurde etwa der Bochumer Landtagsabgeordnete Christian Loose, Parlamentarischer Geschäftsführer der von Vincentz geführten Fraktion und AfD-Vorsitzender in seiner Heimatstadt. Im Gespräch war aber auch Kris Schnappertz, einst in der Berliner AfD tätig, nun Pressesprecher der Landtagsfraktion in NRW und in der Düsseldorfer AfD aktiv. Politisch-strategisch unterscheiden sich beide kaum. Gemeinsam ist ihnen die unbedingte Treue zum Landesvorsitzenden.
Vorsitzender auf Bewährung
Machtverlust oder mehr Macht für den Landeschef? Öffentlich ausgetragen werden sollten die Konflikte in Marl dann doch nicht. Ein halbes Jahr vor den Kommunalwahlen umschiffte der Parteitag die internen Konflikte großräumig. Der Antrag für Ko-Landessprecher? Kam gar nicht erst auf die Tagesordnung. Man habe in NRW „furchtbare Erfahrungen“ mit Sprecher-Duos gemacht, rief Thomas Röckemann den Delegierten zu.

Eineinhalb Jahre lang war er selbst Teil einer nicht funktionierenden Doppelspitze. Der Rechtsanwalt, der einst dem „Flügel“ zugerechnet wurde, gehört inzwischen Vincentz‘ Lager an.
Immer schon dazu gehörte der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk: Dies sei ein „Albtraum in der Außendarstellung“, warnte er vor einer Mehrfachspitze. Und der Generalsekretärs-Antrag? Wurde von Vincentz zurückgezogen. Er hätte auch eine kaum erreichbare Zweidrittel-Mehrheit benötigt. In Marl sei oft zu hören gewesen, dass man kurz vor der Kommunalwahl kein Misstrauensvotum gegen den eigenen Landeschef brauche, berichtete der WDR.
Bis zur Wahl im September soll eigentlich erst einmal Ruhe herrschen. Auch wenn sich zuletzt aus mehreren Kreisverbänden die für Vincentz schlecht klingenden Nachrichten häuften, will er bis dahin Zuversicht verbreiten. Nach der Kommunalwahl führe „kein Weg an uns vorbei“, tönt er – und: „In den kommunalen Parlamenten wird dann die Brandmauer eingerissen.“ Ganz persönlich dürfte ihn im Herbst und Winter aber erst einmal eine andere Frage quälen: ob er sich im Amt halten kann, wenn Anfang des nächsten Jahres ein neuer Landesvorstand gewählt wird.
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