
Islam und Homosexualität – für einige Menschen vereinbar, für andere ein absolutes Ausschlusskriterium. Wie sich das jedoch tatsächlich miteinander verträgt, präsentierte Dozentin Emine Elemeler in einem Workshop beim Verein Train of Hope Dortmund. Dabei traten sowohl muslimische Personen als auch Menschen, die mit der Religion nicht vertraut sind, in den direkten Austausch.
Vorurteile und Angst bei der Verbindung von Islam und Homosexualität
Kaum eine Religion ist so vielen Vorurteilen ausgesetzt wie der Islam. Besonders wenn sich die Themen Islam und Homosexualität überschneiden, gehen die Meinungen im Umgang damit stark auseinander. Während in einigen Religionsgemeinschaften Homosexualität durch Zwangsehen mit dem gegengeschlechtlichen Partner „beendet“ werden soll, greifen andere zu sogenannten „Austreibungszeremonien“, bei denen die Sexualität als etwas Böses vertrieben werden soll.

In manchen Gesellschaften droht Homosexuellen sogar die Todesstrafe. Dass muslimische Menschen aufgrund ihrer Sexualität zum Teil selbst Angst vor ihrer Religion haben, bestätigt Fatma Karacakurtoglu, Vorsitzende vvom „Train of Hope e.V.“, beim Workshop.
„Ich bekomme mit, dass homosexuelle Personen aus muslimischen Kreisen teilweise eine Identitätskrise durchleben, gefolgt von Selbstmordgedanken und der Frage, ob ihr Gott sie nun hasst.“
Für viele steht damit fest: Islam und Homosexualität sind unvereinbar – oder etwa doch nicht? Ist Homosexualität im Islam tatsächlich ein absolutes Tabu, oder liegt das Problem vielmehr in der Auslegung religiöser Inhalte?
Die 99 Namen als Grundsätze des Korans
Um der Frage, ob sich Islam und Homosexualität miteinander vereinbaren lassen, bestmöglich näher zu kommen, ist es Emine Elemeler zunächst im Workshop wichtig zu erklären, worauf die Grundsätze des Korans beruhen. Im Zentrum stehen die sogenannten 99 Namen Allahs (Wort für Gott in der arabischen Sprache). Dabei handelt es sich um Eigenschaften, mit denen Gott im Islam beschrieben wird, etwa Barmherzigkeit, Liebe und Fürsorge. Zugleich wird erwähnt, dass er alles liebt, was er erschaffen hat.

Ein zentraler Aspekt sei, dass allein Allah das endgültige Urteil fällt und dass dieses Urteil stets gerecht und fair ist, erklärt Elemeler. Daraus folge für sie, dass kein Mensch das Recht habe, im Namen Gottes zu urteilen oder zu verurteilen.
Dennoch beobachtet sie, dass viele genau das tun: „Es gibt sehr viele Menschen, die mit diesen Aspekten spielen, die 99 Namen beiseitelegen und dann behaupten, ein Vers müsse genau so verstanden werden, wie es ihnen am liebsten ist.“
Auch die Übersetzungen des Korans sieht sie kritisch. Während die arabische Originalfassung aus ihrer Sicht sich mit dem Inhalt des Korans deckt, komme es bei Übersetzungen häufig zu bewussten Verzerrungen: „Man muss den Koran so lesen, wie der Schöpfer es gemeint hat, und nicht so, wie man es selbst gerne hätte. Wenn man sich heutige Übersetzungen anschaut, muss man leider immer wieder feststellen, dass Übersetzer sich oft die Freiheit nehmen, bestimmte Stellen bewusst falsch darzustellen.“
Fatwas als Orientierung für heutige Lebenssituationen
Doch damit religiöse Aussagen im Islam nicht willkürlich ausgelegt werden, gibt es bestimmte Vorgehensweisen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannte Fatwa, ein religiöses Gutachten, das von einem islamischen Gelehrten erstellt wird.

Fatwas sollen helfen, die Grundsätze des Korans auf aktuelle Lebenssituationen anzuwenden. Je nach religiöser Strömung im Islam kann es dabei unterschiedlich sein, wer eine solche Fatwa ausspricht.
Elemeler erklärt, dass es bei der Erstellung einer Fatwa wichtig sei, die jeweilige Lebenssituation und Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Zudem arbeite der Koran mit Analogien und fordere die Menschen dazu auf, ihre Vernunft zu nutzen.
Wer eine Regel nicht verstehe oder nicht erkenne, gelte als schuldfrei. Somit gebe es keine Strafe, wenn für eine Handlung keine klare Rechtsfolge im Koran genannt werde. Klar sei dabei laut Elemeler: „Ich darf nicht auf den Thron von Allah sitzen“, weshalb sich niemand anmaßen dürfe, in seinem Namen zu urteilen oder zu verurteilen.
Lot in Sodom und Gomorrha und das Missverständnis um Homosexualität
Als häufiges Argument gegen die Vereinbarkeit von Islam und Homosexualität wird die Geschichte des Propheten Lot angeführt, die mehrfach im Koran erzählt wird. So wird in der Geschichte Lot, der Neffe von Abraham, von Gott nach Sodom und Gomorrha geschickt, um mit den Menschen in Kontakt zu treten.

Die Menschen dort glaubten nicht an den einen Gott, sondern hielten am Götzendienst fest, was mit dem islamischen Glauben nicht vereinbar war. Als Lot Besuch von Engeln bekam, wollten Männer der Stadt seine Gäste sexuell angreifen.
Diese Szene werde laut Elemeler oft fälschlich als Ausdruck gleichgeschlechtlicher Liebe verstanden. Tatsächlich gehe es dabei um Gewalt, Machtmissbrauch und die Missachtung des Gastrechts.
Im arabischen Originaltext wird dabei das Wort „Shahwa“ verwendet, das oft mit Begierde übersetzt wird. Laut Elemeler beschreibt es keine Liebe, sondern eine triebhafte Lust, die auch mit sexueller Nötigung und Unterdrückung verbunden sei. Gleichzeitig hätten die Männer in diesem Kontext den Glauben an Gott verweigert.
Homosexualität zur Zeit des Propheten kein Ausschlussgrund
Rückblickend gäbe es zur Zeit des Propheten keinen Ausschluss von homosexuellen Menschen, wie Elemeler berichtet. Viele der Hadithe, also vermeintliche Aussagen des Propheten, die behaupten, ein Mann solle getötet werden, wenn er mit einem anderen Mann verkehre, seien erst Jahrhunderte nach Mohammed entstanden.
Häufig seien diese jedoch nicht korrekt, wie Elemeler erklärt. Um sicherzugehen, dass eine solche Hadithe der Richtigkeit entspreche, müsse die Botschaft sich mit dem Koran decken. Dadurch beriefen sich heutzutage viele Menschen auf den irreführenden Hadith, dass Gewalt gegen homosexuelle Menschen gerechtfertigt sei. Eine solche Anordnung sei jedoch im Koran nicht wiederzufinden, erläutert Elemeler.
Partnerschaft im Islam erfordert Ernsthaftigkeit und rechtliche Absicherung
Die Annahme, dass Homosexualität willkürlich entstehe, sei aus Elemelers Sicht absurd. „Allah weiß, was er erschaffen hat, und nichts entsteht außerhalb seiner Kenntnis.“

Abseits von der Sexualität sei sexueller Kontakt außerhalb der Ehe verboten. Zudem müssten in einer Partnerschaft ernsthafte Absichten vorliegen, weshalb unverbindliche sexuelle Aktivitäten nicht erlaubt seien.
Dabei müsse die Beziehung auch rechtlich verbindlich sein. Eine einfache mündliche „islamische Hochzeit“ reiche nicht aus. Vielmehr müsse die Partnerschaft rechtlich abgesichert sein.
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