„Klimanotstand“ – BV Innenstadt-West stellt nicht nur fest: Es ist fünf vor zwölf! – Ab jetzt soll gehandelt werden, konkret

Die Fraktionen der Grünen, Linken und Piraten hatten beantragt in Dortmund den Klimanotstand auszurufen. Die Mehrheit des Rates lehnt dies aufgrund der Begrifflichkeit ab, ist sich jedoch der Klimaproblematik durchaus bewusst. Foto: Alex Völkel
Die Fraktionen von Grünen und Linke/Piraten hatten 2019 im Dortmunder Stadtrat beantragt, den Klimanotstand auszurufen. Der lehnte ab – jetzt fand die Forderung eine Mehrheit in der BV-Innenstadt-West. Foto (3): Alex Völkel

Ein kommentierender Bericht von Thomas Engel

„Klimanotstand“, und das inmitten von Pandemiewellen? War da was? Wo Seuchenbekämpfung zur Verhinderung des Schlimmsten um Legitimität ringt, weil sie begleitet wird von einer invasiven Gesundheitsideologie, die Misstrauen weckt, indem sie sich ebenfalls – weitgehend erfolgreich – auf einen „Notstand“ beruft? – Und noch etwas war – Mitte letzten Jahres im Rat. Ein Antrag von Grünen, Piraten und Linken zu den Dortmunder Konsequenzen umweltpolitischen Umdenkens scheitert – kein Klimanotstand in der Stadt, entschieden die Vertreter*innen der Bürgerschaft. – Doch dann kamen die Kommunalwahlen, und mit ihnen neue Mehrheiten wie politische Opportunitäten. – Viel davon war spürbar in der Bezirksvertretung (BV) Innenstadt-West, vergangene Woche, im FZW.

Globale Handlungsfolgen sollten kompatibel sein mit Fortbestand echten menschlichen Lebens

Am Ende wurden in dem kommunalen Selbstverwaltungsorgan, das unter anderem das Dortmunder Kreuz- und Saarlandstraßenviertel vertritt, Nägel mit Köpfen gemacht, soweit möglich: auf Initiative der Koalition zwischen Grünen und SPD konstatiert das Gremium mehrheitlich, dass in Sachen Klima definitiv die Zeit davonläuft.

Und, dass was passieren muss. Jetzt. Konkret. Nach kurzer Diskussion und gegen die Stimmen von CDU, FDP und AfD. Die von den Gegnern betonte Sorge um das Wohlergehen der heimischen Wirtschaft konnte eine Pro-Umwelt-Allianz nicht überzeugen.

Der Antrag auf Ausrufung des Notstands firmierte auf der BV-Tagesordnung unter dem Punkt für besondere Bedeutung, Top 3.2. Immerhin wird ein exzeptioneller Zustand nicht jeden Tag proklamiert, klar. Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß (Bündnis 90/Die Grünen) zitiert aus einem sinnschweren Klassiker des deutschen Philosophen Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Ein eindringlicher Appell, die Konsequenzen unseres Handelns – ohne utilitaristische Verkürzungen oder metaphysischen Ballast – zu reflektieren. Erstmalig vor nunmehr über 40 Jahren, 1979. Als die für diesen Planeten desaströsen Folgen menschlichen Schaffens  langsam dem „kollektiven“ Bewusstsein gewahr wurden. ___STEADY_PAYWALL___

Als Technik Schiffbruch erlitt: Ihre Folgen konnten mit ihren Mitteln nicht mehr beseitigt werden. Bei Jonas hieße es: Handle so, dass Deine Handlungen ein echtes gedeihliches Weiterleben aller Menschen möglich machen, so der BV-Chef. Und positioniert sich gleich unumwunden: Den Klimanotstand auszurufen, das sei seiner Meinung nach wichtig. Denn es geht für die Grünen um mehr als nur Symbolik.

„Klimanotstand“ ist in der Welt – nur in der Anerkennung dessen liegt die Möglichkeit zur Veränderung

Was sie (unter anderem) motiviert hat, die Vorlage zum Hilfeschrei des Klimas nun in die BV zu bringen, erläutert Grünen-Fraktionssprecherin Astrid Cramer während der Sitzung im Freizeitzentrum West (FZW): Nach der vergangenen Sommer mehrheitlich ablehnenden Haltung im Stadtrat habe am Ende lediglich eine blasse „Dortmunder Initiative gegen die Klimakrise“ gestanden. Das klingt für die Grünen-Politikerin zu weich, jedenfalls nicht danach, dass die Stadt wirklich Verantwortung übernehme.

Das aber ist für die Initiator*innen das Gebot der Stunde: Die Zeit drängt, es muss etwas getan werden, auch wenn gegenwärtig nur Corona in aller Munde ist. Insofern geht es um weit mehr als Metaphorik, wenn von einem „Notstand“ die Rede ist. Das Wort sei nicht symbolisch zu verstehen, sondern schlichte Realität (die sich darin ausdrückt), so Cramer nachdrücklich.

Zehn Jahre gäben Wissenschaftler*innen uns noch, bis irreversible Klima-Kipppunkte erreicht seien. Die Prä-Agonie, sie ist – danach – in der Welt. Was aber in der Welt sei, könne diskutiert werden, bekäme Aufmerksamkeit, hofft die Frau von den Grünen. Gibt sich kämpferisch, sicher, sonst säße sie nicht hier am Rande der kalten Tanzfläche im FZW. – Freilich, als politische Repräsentanz eines Stadtbezirks entscheiden sie nicht über die großen klimasensitiven Vorhaben, bei denen es vielleicht eher drauf ankommt. „Wir drehen nicht die großen Räder“. Aber, erklärt sie, denn nichts, keine gute Anstrengung  ist umsonst: „Klimaschutz beginnt im Kleinen, bei mir, bei Euch, in unserer Straße, in unserem Viertel und in unserem Stadtbezirk.“

Selbstverpflichtung, künftig alle Entscheidungen auch auf Auswirkungen aufs Klima hin zu überprüfen

Und, einmal auf die lebensweltliche Realität runtergebrochen, kommt die Fruchtbarkeit von Erklärungen in den Blick, die sie in dem Gremium nun anstreben: Denn damit gäben sie sich als Repräsentanz in dem Stadtbezirk, wie sie sagt, die „Selbstverpflichtung, künftige Entscheidungen auch auf Auswirkungen auf das Klima hin zu überprüfen, soweit das möglich ist.“

Das andere Extrem: Wenn es regnet, kommt es häufiger zu Starkregen-Ereignissen. Foto: Alex Völkel
Starkregen: Gefahr und Folge des Klimawandels

Und sieht darin eine gemeinsame Aufgabe, trotz Corona. Klimaschutz dürfe nicht zulasten von politischem Dünkel gehen. Meint damit offenbar, dass sich angesichts der globalen Bedrohung parteipolitische Grenzen relativieren, ideologische aufweichen (müssen). – 53 Städte und Gemeinden haben bis dato – parteiübergreifend – in der Bundesrepublik den Klimanotstand ausgerufen.

Ihr Stellvertreter in der BV, Benjamin Hartmann, lässt später über einen grünen Pressekanal noch einmal verlautbaren, dass in dem proklamierten Notstand durchaus Handfestes liegt – Nöte, auch Schutzbedürftigkeit, vor den nicht zu verleugnenden Folgen der Menschen Hand: „Klimaschutz bedeutet auch, die Bewohner*innen unserer Stadt vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen. Die vergangenen Hitzesommer zeigen uns deutlich, welche Herausforderungen in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen und dass wir bereits jetzt Maßnahmen treffen müssen, um die Auswirkungen von Hitze und mangelndem Regen entgegenzuwirken.“

Grüne Politikinhalte sind vor dem Hintergrund drohender globaler Katastrophe(n) im Aufwind

Klimaschutz, Achtsamkeit für Umweltthemen im eigenen Handlungshorizont – die letzten Wahlergebnisse, veränderte Einstellungen, Haltungen, Erwartungen und vor allem Forderungen insbesondere bei der jüngeren Generationen – es ist in der Kommunalpolitik angekommen, dass hier neue Brücken zu einem ansonsten zunehmend politikverdrossenen Publikum geschlagen werden können und müssen.

Profilierungschancen brachliegen, wo es an innovativen Konturen fehlt, die mehr versprechen, als erneut in den Instrumentalismus der Verwertungslogik zurückzufallen, die am Ende nur wenige reich macht, den Rest mit Kitsch abspeist. Moderat-grünes Denken demgegenüber, sanft, global, aufmerksam – es liegt im Trend, gehört mindestens zum guten Ton, verspricht gewiss Stimmen.

Wo eine im rohen Industrialismus unter konsumptiven Verheißungen bei gleichzeitigen Teilvergütungen groß gewordene Nachkriegsgeneration nun nach und nach den ewigen Weg des Fleisches antreten muss. – Auch der Dortmunder CDU ist dies alles freilich nicht verborgen geblieben. Doch mondän-konservativer Nachwuchs, berechenbar-gediegener Mittelstand reichen langfristig nicht, geht es um den Nerv der Zeit, dessen Nachhaltigkeit vorprogrammiert ist. Beleg: Das christdemokratische Kommunalwahlprogramm in Dortmund zeigte sich gegenüber zuvor grünen Themen überraschend aufgeschlossen, ja zugewandt.

Mensch zwischen den Welten: hier das (Über-)Leben – dort ecce homo: die Folgen des Raubbaus bedenken

CDU-Sprecher in der Innenstadt-West-BV, Jörg Tigges, möchte die vorgelegte grün-rote Erklärung daher auch durchaus unterstützen – aber nur mit einem Zusatz: Es geht um die Gleichwertigkeit des Wirtschaftens zum Klimaschutz, bedeutet der Christdemokrat. Die wolle er darin dann doch verankert sehen.

Extinction Rebellion, 2020 in Dortmund: die Argumente sind bekannt. Foto: Janina Meier

Klima, das sei zwar eine sehr wichtige Sache: „Man muss nur mit dem Thema auch ehrlich umgehen.“ Es ginge darum: „Wofür wollen wir das eigentlich machen?“, fragt er. Was häufig zu hören sei, „Erhalt des Planeten“ – das sei „Quatsch“. „Der Planet Erde würde wunderbar ohne uns zurechtkommen“, diagnostiziert er. Es ginge vielmehr um das Leben auf der Erde, darum, dass künftige Generationen einen vernünftigen, lebensfähigen Raum hätten. „Dafür ist es sinnvoll, das Klima zu unterstützen.“

Was in seinen Augen aber nicht ausreiche: einseitig den Fokus auf das Klima zu legen. „Die Menschen leben nicht nur vom Klima allein.“ Neben einer „gesunden, guten Umgebung“ bräuchten sie eben noch etwas zu essen. Das eigene Leben bestreiten, dafür arbeiten, Geld verdienen, zweifelsohne. Der Mensch mag zwar nicht vom Brot allein leben, so könnte der CDU-Politiker verstanden werden, aber ohne dem geht’s eben auch nicht. Was ja nicht gleich bedeuten muss, um bei Brecht zu bleiben, dass „erst das Fressen“, „dann die Moral“ kommt.

Präfiguriert ein definierter „Notstand“ Entscheidungen in Situationen potentieller Zielkonflikte?

Dessen unbenommen, bleibt es beim Schweiße, angesichts dessen das Brot verdient sein will. Ein im „Natürlichen“ nicht spurloser Vorgang. Summa summarum und die Konsequenz für Jörg Tigges: Es bedürfe deshalb eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Klimaschutz auf der einen, „dem Rest, der für die Menschen notwendig ist“ auf der anderen Seite. Und daher hätte er gerne, nicht in dem Antrag selbst (der ist für ihn ok), sondern in dessen Begründung, „dass hier soziale Belange wie der Erhalt von Arbeitsplätzen mit berücksichtigt“ würden.

In dieselbe Kerbe schlägt der Kollege von den Freien Demokraten, Levin Rybak. Seine Befürchtung ist die, dass über den Begriff des Notstands, der über dem rot-grünen Antrag droht, sich eine einseitige Gewichtung einschleicht und schließlich die Oberhand gewinnt: „Im Zweifelsfall stets für den Klimaschutz!“, hieße es dann vielleicht.

Was ihm durch Prävalenz eines solchen Paradigmas Sorgenfalten auf die Stirn treibt, ist, so der FDP-Mann, dass dann Infrastruktur, die örtliche Wirtschaft mit ihrer Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Zielkonflikten nicht mehr ausreichend berücksichtigt würden. Die über Umweltschutzverbände lauter werdende Forderung nach autofreien Innenstädten beispielsweise ist aus dieser liberalen Sicht durchaus beängstigend – eine Bedrohung „vieler kleiner mittelständischer Betriebe“ wie die von Arbeitsplätzen.

Wo die Aufenthaltsqualität in den Städten steigt, kann auch der Einzelhandel eher florieren

Olaf Meyer von der SPD – wenig verdächtig, dass ihm Arbeitsplätze wurscht sind – sieht das freilich etwas anders: Was es in der Dortmunder Innenstadt augenblicklich gäbe, das sei nun mal „klimatechnisch eine Wüste“, konstatiert er. Doch, stiege dort die Aufenthaltsqualität, so der Sozialdemokrat und Fraktionssprecher mit Blick auf die Befürchtungen seines FDP-Kollegen, dann sei das auch besser für die Wirtschaft. Attraktive Räume ziehen Menschen an – und die in die Geschäfte, lautet mithin die Gegenposition. Auch wenn es nicht möglich ist, mit dem SUV gleich vorzufahren.

Pläne in Dortmund, die nicht ein jedes Herz begeistern: es wird eng fürs Auto. Schema: Stadt Do

Doch der FDP-Vertreter hat ein weiteres Problem: Wer zuvor den Klimanotstand befürwortet und damit dem Klimaschutz absoluten Vorrang eingeräumt habe, der stecke dann, entschiede er im Ernstfall anders, in einer „Glaubwürdigkeitsfalle“. Seine Vermutung könnte mithin wie folgt verstanden werden: Um eine solche Falle (gegenüber grün-motivierter Klientel) zu vermeiden, landen die Befürworter*innen des Notstands in einer Art self-fulfilling-prophecy. Sie werden die Geister, die sie riefen, schlicht nicht mehr los, jagen im Zweifelsfalle stets dem Klimaschutz hinterher und vergessen das Wohl der Wirtschaft.

Und warnt zudem vor mangelnder Konsequenz, mit der in weiten Teilen der Gesellschaft umweltpolitische Ideale verfolgt werden: Die Begeisterung innerhalb von Teilen der „Bevölkerung“ sei schnell gefährdet, „sobald die Bürgerinnen und Bürger selbst von den Folgen betroffen sind“. So nach dem Motto, hätte der Freidemokrat für den Personenkreis sagen können: Vom Windrad bis zur Forensik – alles herzallerliebst, weil gesellschaftlich unabdingbar – aber bitte nicht vor der eigenen Haustür!

Gemeint ist: ergebnisoffenes Innehalten und Reflektieren, statt – wie gewohnt – durchzuwinken

Der langjährige Sozialdemokrat Olaf Meyer kennt diese Argumente natürlich. Die Übergänge zu Positionen in der eigenen Partei sind teils fließend. Und bei den vorgebrachten Einwänden, da sieht er deshalb wohl eher offene Türen, die eingerannt werden: die stünden gar nicht zur Diskussion. Bedeutet: sind nicht nichtig, aber letztendlich gegenstandslos, weil auch zukünftig weiter mitbedacht.

Natürlich würde das berücksichtigt, sagt er, zumal es jedes Mal lediglich um eine Prüfung auf Klimaverträglichkeit ginge. Darum, zu schauen: „Was tun wir denn da?“.- Also: ein ergebnisoffenes Innehalten und Reflektieren scheint gemeint, statt unbesehen zum vermeintlichen Wohl von Wirtschaft und Handel vorbehaltlos und schlichten Gemüts einfach drauflos zu klotzen.

Bewusstseinswandel, geht es auch darum? – Die Koalitionärin von der grünen Seite fügt hinzu: „Wir wollen alles dafür tun, dass nachhaltige und ökologisch sinnvolle Maßnahmen gefördert, beschlossen, empfohlen und auch umgesetzt werden. Und auch wenn ein von uns gepflanzter Baum im Stadtbezirk das Klima allein nicht retten wird, so ist er ein Symbol dafür, dass wir diese Krise sehr ernst nehmen“, so die Sprecherin der Grünen BV-Fraktion. – Auch Anne Eberle von den Linken signalisiert Zustimmung: Soziales müsse allerdings stärker mitberücksichtigt werden, wenn von Klimaveränderung gesprochen würde. – Am Ende wird der eingebrachte Antrag gegen die fünf Stimmen von CDU, FDP und AfD angenommen.

Weitere Informationen:

  • Antrag von Grünen und SPD und Beschluss der BV im Wortlaut; hier:
  • Wörtlich hieß es bei Hans Jonas an Ort und Stelle (im Gewande des sog. Kategorischen Imperativs, aber Deontologie zum Konsequentialismus drehend): „,Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden‘; oder negativ ausgedrückt: ‚Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftige Möglichkeit solchen Lebens‘; oder einfach: ‚Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten Fortbestand der Menschheit auf Erden‘; oder wieder positiv gewendet: ‚Schließe in deine gegenwärtige Wahl die zukünftige Integrität des Menschen als Mit-Gegenstand deines Wollens ein.‘“ (Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt a.M. 1979, S. 36.)

 

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