Weil hinter dem Namen ein Sklavenhändler steckt:

Die Nordstadt-Grünen wollen die Umbenennung der Nettelbeckstraße im Hafenquartier

Die Nettelbeckstraße ist wegen ihres Namenspatrons erneut in der Diskussion. Foto: Alex Völkel
Die Nettelbeckstraße ist wegen ihres Namenspatrons erneut in der Diskussion. Foto: Alex Völkel

Sie waren zu ihrer Zeit zumeist berühmt. Zumindest anerkannt von jenen, die damals die weltlichen Fäden zogen. Aber nach unseren heutigen Vorstellungen und Einstellungssystemen – eher Verbrecher. Mindestens aber in der Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung ihrer Zeit äußerst fragwürdige Gestalten. Sie waren Militaristen, legitimierten Unterdrückung, Unmenschlichkeit, Versklavung, waren vielleicht direkt daran beteiligt. Doch bis heute sind – auch in Dortmund – Straßen nach ihnen benannt. Ein Beispiel: die Nettelbeckstraße in der Nordstadt. Die Grünen werden auf der morgigen Sitzung der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord aus diesem Grund eine Umbenennung beantragen.

Debatte um Straßennamen war bereits vor einigen Jahren Thema in der BV-Innenstadt-Nord

Für die Speestraße gäbe es sogar einen alternativen Namenspatron. Sie müsste nicht umbenannt werden.
Die Speestraße im Hafenquartier: auch dieser Name ist umstritten.

Die Debatte ist nicht neu. Vor sechs Jahren hatte der Leiter des Dortmunder Stadtarchivs, Dr. Stefan Mühlhofer, nach einem Bürgerantrag unter anderem die beiden Namen Nettelbeck und Spee unter die Lupe genommen, nach denen im Hafenquartier zwei Straßen benannt sind. Und war, was die beiden Herren betrifft, zu einer eindeutigen Empfehlung gelangt: die Bezeichnungen der Straßen sollten verändert werden. ___STEADY_PAYWALL___

Das ließ sich seinerzeit in und mit der Nordstadt-BV allerdings nicht durchsetzen. Nun wird die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf der morgigen Sitzung (Mittwoch, 9. Dezember) einen erneuten Anlauf unternehmen und die Umbenennung einer Straße beantragen. Und zwar wegen Joachim Christian Nettelbeck (1738-1824).

Der Mann war Seefahrer, Kapitän eines Sklavenschiffs und hatte durch den Handel mit Sklav*innen zwischen Westafrika und Amerika ordentlich verdient. Außerdem habe er sehr offensiv den deutschen Kolonialismus propagiert, verdeutlichte Mühlhofer seinerzeit vor der Bezirksvertretung der Innenstadt-Nord.

Name Nettelbeck eine Unzumutbarkeit für Bewohner*innen der Nordstadt mit afrikanischen Wurzeln

Hannah Rosenbaum (Grüne)
Hannah Rosenbaum, neue Bürgermeisterin der BV-Innenstadt-Nord

Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum sieht gerade wegen der speziellen und heterogenen Struktur kultureller Hintergründe der Nordstadt und ihrer Bewohner*innen gute Gründe für die von ihrer Partei ergriffene Initiative.

„Der Bewohnerschaft der Nordstadt mit weit über 50 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, darunter zunehmend mehr Afrikanisch-Stämmige, ist es nicht zumutbar, dass sie mit einer unkommentierten Würdigung einer fragwürdigen Person der deutschen Geschichte konfrontiert wird“, lässt die neue BV-Chefin mitteilen.

Der Streit um Bezeichnungen, wie von Straßen und Plätzen, um Architektur, Skulpturen, Plastiken in der Öffentlichkeit – er ist immer auch einer um die eigene Geschichte, um Weisen der Vergegenwärtigung, um Interpretations- und Definitionsmacht. Er geht damit auch darum, wie wir miteinander leben und umgehen wollen.

Statt Sprachlosigkeit: ehrlicher Umgang mit Schattenseiten der Geschichte

Denn so, wie wir zurückschauen, verstehen wir uns, gestalten wir Gegenwart und Zukunft. Marko Unterauer, grüner Fraktionssprecher, lässt denn auch keine Zweifel:

„Wir wollen mit der Umbenennung nicht die Spuren unserer kolonialen Vergangenheit tilgen. Deshalb möchten wir zusätzlich zum Verfahren zur Findung eines geeigneten Straßennamens mit einem Schild an den alten Straßennamen erinnern und auf den Grund der Umbenennung hinweisen. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber sehr wohl einen ehrlichen Umgang mit den Schattenseiten unserer Geschichte dokumentieren.“

Zur Findung eines geeigneten neuen Straßennamens möchten die Grünen ein Beteiligungsverfahren durchführen, bei dem alle Bewohner*innen des Stadtbezirks Innenstadt-Nord die Möglichkeit zur Mitwirkung haben.

Umstrittene Straßenbezeichnungen nicht nur im Dortmunder Hafenquartier

An Gustav Noske erinnert die gleichnamige Straße in Dortmund-Scharnhorst. Sie soll nach Willen der VVN umbenannt werden.
An Gustav Noske erinnert die gleichnamige Straße in Dortmund-Scharnhorst.

Nicht nur der Name Nettelbeck ist als Straßenbezeichnung umstritten. Die Speestraße wurde nach Admiral Maximilian von Spee (1861-1914) benannt, der wegen seiner militaristischen Vergangenheit kritisiert wird. Die Nazis hatten in Dortmund 1939 eine Grundschule nach ihm benannt, die bereits 1945 wieder umbenannt wurde.

Und in Scharnhorst etwa fordert die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA) seit längerem eine Umbenennung der Gustav-Noske-Straße. Reichswehrminister Noske (SPD) spielte eine verhängnisvolle Rolle als einer der Führer der Freikorps, die im Januar 1919 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Berlin verschleppten und ermordeten.

Leichter ließe sich übrigens das Problem um die Speestraße lösen: Es gab nämlich einen katholischen Barockdichter mit dem Namen Spee, der als erster massiv die Hexenverfolgung angeprangert hat. Die Straße bräuchte also lediglich auf den gleichnamigen Patron umgewidmet werden.

 

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Reaktionen

  1. Fabian

    Frauennamen sind in der Straßennamengebung in Dortmund ja immer noch weit unterrepresentiert. Vielleicht lässt sich ja gucken, welche Vornamen unter den in der Straße lebenden Menschen häufiger vorkommen. Wäre doch ein Beitrag zur Abbildung der Diversität, wenn das auch in den Straßennamen sich widerspiegelt.

  2. Martin

    „Der Bewohnerschaft der Nordstadt mit weit über 50 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, darunter zunehmend mehr Afrikanisch-Stämmige, ist es nicht zumutbar, dass sie mit einer unkommentierten Würdigung einer fragwürdigen Person der deutschen Geschichte konfrontiert wird“

    Bei allem Verständnis und aller Sympathie für das Umbenennen von Straßen, Plätzen usw. finde ich das aus mindestens zwei Gründen eine ziemlich problematische Aussage.

    1) Das unterstellte Befinden von (allen) Migrationsanderen (insbesondere (allen) Schwarzen mit familiären Wurzeln auf dem afrikanischen Kontinent) wird hier zur Hauptmotivation erhoben. Damit wird das Problem aber zu einem Problem von Anderen gemacht. Das Ergebnis einer eigenen historischen Auseinandersetzung aber als die Erkenntnis, Würdigungen menschenverachtenden Verhaltens seien rigoros abzulehnen, wird damit zur Nebensache.

    2) Mit der Aussage, bestimmte Würdigungen seien für Migrationsandere nicht zumutbar, geht eine Fremdbestimmung einher; und damit genau das, wogegen sich die angestrebte Rücknahme der Würdigung richtet. Es ist nicht die Aufgabe von Weißen PoC zu sagen, was für sie zumutbar ist und was nicht.

    Die Aussage müsste also vielmehr in etwa lauten: „In der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und in Anerkennung unserer Grundwerte sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass bestimmten Personen unter keinen Umständen eine (weitere) Würdigung ihrer (angenommenen) Gesamtleistung zuteil werden darf.“

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