Landgericht verhandelt die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“

Volksverhetzung: Nach sechs Monaten geht der Prozess im FZW auf die Zielgerade

Volles Haus – zumindest auf der Anklagebank: Zehn Angeklagte und zehn Verteidiger:innen nahmen im FZW Platz. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Neonazi-Demos im Herbst 2018 in den Stadtteilen Dorstfeld und Marten sorgten über Deutschland hinaus für Schlagzeilen. In den Abendstunden des 21. September zogen die Rechten mit Pyrotechnik durch die westlichen Vororte. Dabei skandierten sie die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“. Dreieinhalb Jahre nach dem Vorfall und mehr als sechs Monate nach Verhandlungsbeginn ist der Prozess auf der Zielgeraden.

Geringes Interesse an der zähen sechsmonatigen Beweisaufnahme

Den zehn Angeklagten wird Volksverhetzung zur Last gelegt. Allerdings greift die Dortmunder Neonaziszene immer wieder auf antisemitische Parolen oder Wahlplakate zurück, überschreitet dabei aber selten die tatsächliche Grenze zur Strafbarkeit. Ob das bei der besagten Parole auch so ist, soll der Prozess zeigen. ___STEADY_PAYWALL___

Die meisten Plätze für Zuschauer:innen blieben leer. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Das Gericht musste bei diesem Prozess aufgrund der hohen Anzahl der Angeklagten und Verteidiger:innen – es gibt zehn Angeklagte und jeder hat einen eigenen Rechtsbeistand – auf das Freizeitzentrum West (FZW) ausweichen. Gerade in Corona-Zeiten hätte dafür auch der größte Saal im Dortmunder Landgericht nicht ausgereicht. 

Daher die Verhandlung in einer Konzert-Location. Das Interesse von Besucher:innen und Medien (außer zum Auftakt) hielt sich allerdings in Grenzen. Das liegt auch daran, dass die Angeklagten selbst keine führenden Figuren der Dortmunder Neonaziszene sind. Nur Einzelne waren häufiger auf rechten Demonstrationen anzutreffen. Entsprechend gering ist auch das Interesse ihrer „Kameraden“ an dem Prozess. 

Zwei Verhandlungstage für Plädoyers von Staatanwältin und zehn Verteidiger:innen

Szene der Demonstration der Neonazis gegen Polizeiwillkür.
So spektakulär wie die Inszenierung auf der Demo war der sechsmonatige Prozess im FZW nicht. Bild: Marcus Arndt für Nordstadtblogger.de

Allerdings waren die zahlreichen Verhandlungstage ungewöhnlich zäh und zermürbend. Verfahrenstaktische Spielchen der Verteidiger:innen, teils zweieinhalbstündige Befragungen einzelner Zeugen, mitunter fragwürdige Entscheidungen auch gegenüber Medien sowie technisches Unvermögen des Vorsitzenden Richters sorgten dafür, dass der Prozess immer wieder vertagt wurde und sich schier endlos hinzog.

Nun gab es „endlich“ die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und den zehn Verteidiger:innen. Allein dafür wurden zwei Verhandlungstage benötigt. Die Rechtsbeistände forderten – wenig überraschend – Freisprüche für ihre Mandanten. Zum einen, weil sie weder anwesend und schon gar nicht skandierend dabei gewesen sein wollten. Oder eben deshalb, weil die angeklagte Parole gar nicht strafbar sei.

Außerdem wurde wiederholt beschworen, dass es sich um ein medial befeuertes und politisch motiviertes Verfahren seitens der Staatsanwaltschaft handele. Dabei waren es auch einzelne Verteidiger, die durch ihre Äußerungen im Gericht wie auch über soziale Netzwerke für eine politische Aufladung abseits der rund sechsmonatigen Beweisaufnahme sorgten.

Gutachten im Widerspruch zu szenekundigen Beamten

Die Staatsanwaltschaft gab sich daher größte Mühe, ihre politische Neutralität und ihr objektives Vorgehen zu beteuern. „Wir sind eine objektive Behörde, die das Verfahren objektiv begleitet hat. Wir sind uns unserer Rolle bewusst“, so Sonja Frodermann. Daher würden Beweise nicht nur be-, sondern auch entlastend gewürdigt. Auch habe es keine Vorverurteilung gegeben.

Die Beweisaufnahme gestaltete sich schwierig. Vor allem die Aussage des bestellten Gutachters zur Identifizierung der Angeklagten auf den Beweisfotos machte es der Staatsanwaltschaft schwer. Denn dieser widersprach mehrfach den szenekundigen Beamten und ihrer eigenen Einschätzung. 

„Für mich hat sich das Gutachten als bedingt aussagekräftig erwiesen“, so Frodermann. Es mache vielleicht dann Sinn, wenn man keine anderen Zeug:innen habe. Aber hier sei es so gewesen, dass die Angeklagten durch szenenkundige Beamte identifiziert worden seien, die sie auch aus früheren Einsätzen gekannt hätten. „Ich kann das Gutachten des Sachverständigen nicht so nachvollziehen. Ich habe da gewisse Schwierigkeiten“, machte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft klar. 

Drei der zehn Angeklagten waren nicht zweifelsfrei zu identifizieren

Dennoch könne man das Gutachten nicht ausblenden. Es gebe „gewisse Restzweifel“ an der Identifizierung von drei Angeklagten. „Ich persönlich würde das anders sehen, bin aber gehalten, es objektiv zu sehen“, so Frodermann. Daher nahm sie bei drei Angeklagten von der Forderung nach Verurteilung Abstand, weil man deren Identität nicht mit vollständiger Sicherheit nachweisen könne. Doch sieben Angeklagte seien zweifelsfrei identifiziert. 

Rassisten haben im FZW normalerweise keinen Zutritt – außer beim Prozess als Angeklagter oder Zuschauer. Fotos (2): Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Entscheidend für eine Bestrafung sei die rechtliche Würdigung der Parole im Gesamtzusammenhang mit allen Rahmenbedingungen, in diesem Zusammenhang vor allem der Vorwurf der Volksverhetzung – dass die Parole zum Aufstacheln des Hasses gegen eine religiöse Gruppe geeignet sei, um eine feindselige Haltung zu erreichen. Die Parole richte sich nicht nur gegen Staat oder Israelis, sondern auch gegen inländische Juden. 

Die einschüchternde Wirkung begründete sie zudem mit dem aggressiv-kämpferischen Charakter der Parolen, dem Einsatz von Fahnen des deutschen Reiches, der dunklen Kleidung, dem Einsatz von Pyrotechnik und dem Verwenden von Parolen, die für sich genommen vielleicht nicht strafbar seien, aber in der Gesamtwirkung einschüchternd und bedrohlich wirkten. 

„Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!“, das war nur eine der Parolen. „Ruhm und Ehre der deutschen Nation“, „Nationaler Sozialismus – jetzt jetzt jetzt!“, „Hoch die Nationale Solidarität“ und „Das System ist am Ende, wir sind die Wende“, waren mehrfach zu hören. Wahlweise je nach Ort mit „Dortmund Dorstfeld unser Kiez“ oder „Dortmund-Marten unser Kiez“ ergänzt.

Staatsanwaltschaft fordert Geldstrafen zwischen 100 und 150 Tagessätzen

Könnte die Polizei diese Provokationen durch mehr Beamte vorn vornherein verhindern? Sicher nicht.
Ein Polizist drückte es plakativ aus: Die Anwohner:innen seien „saumäßig verängstigt“ gewesen. Bild: Marcus Arndt für Nordstadtblogger.de

„Es gab eine erheblich einschüchternde Wirkung“, so Frodermann. Ein Zeuge – ein eingesetzter Polizist – drückte das plakativ aus: Die Anwohner:innen seien „saumäßig verängstigt“ gewesen. Zudem sei der erstmalige Einsatz der Antisemit-Parole und der Pyrotechnik in unmittelbarer Nähe des jüdischen Mahnmals erfolgt, welches an die von Nazis geschändete Dorstfelder Synagoge erinnert. Damit wurde deutlich, dass zum Hass auch gegen die in Deutschland lebenden Juden aufgestachelt wurde. 

Von einem Verbotsirrtum könne und müsse man nicht ausgehen. Dafür gebe es keine Anhaltspunkte und auch keiner der zehn Verteidiger:innen habe darauf plädiert. „Alle Angeklagten sind oder waren Angehörige der rechten Szene. Es wäre recht lebensfremd, wenn sie nicht damit gerechnet haben, gegen Regeln zu verstoßen. Jedem musste klar sein, dass die Parole gegen die Rechtsordnung verstößt“, so Frodermann.

Teilnehmer der Nazidemo durch Marten müssen sich aktuell vor Gericht verantworten, weil sie die Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ skandiert haben.
Nicht alle Angeklagten waren zweifelsfrei als Teilnehmer der Demo zu identifizieren. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Dennoch blieb die Staatsanwaltschaft deutlich im unteren Bereich der Strafen. Bei Volksverhetzung sieht der Strafrahmen drei Monate bis fünf Jahre bzw. Geldstrafen von mind. 90 Tagessätzen vor, wenn eine Freiheitsstrafe nicht in Frage kommt. Frodermann forderte – je nach Vorstrafen und Lebensumständen – „nur“ Geldstrafen zwischen 100 und 150 Tagessätzen; die Höhe variierte zwischen 40 und 60 Euro pro Tagessatz. 

Bei einigen der Angeklagten würde dies neue Gesamtstrafen nach sich ziehen, weil sie noch weitere Urteile zu Geldstrafen vor anderen Gerichten kassiert haben. Wie das Gericht dies nun sieht, wird sich zeigen. Das Urteil soll Ende des Monats erfolgen.

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