Stilles Gedenken an Mehmet Kubaşik – NSU-Opferanwalt: „Der Verfassungsschutz hat ohne Ende gemauert“

Gedenken am 12. Todestag von Mehmet Kubasik
Gedenken am 12. Todestag von Mehmet Kubaşik. Gamze und Mutter Elif und Familie am Abend während der Demonstration zum 6. Tag der Solidarität.

Nicht nur der Familie von Mehmet Kubaşik, auch der Stadt Dortmund ist das Gedenken an die Ermordung des Kioskbesitzers durch den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in der Nordstadt wichtig. So sahen es auch viele Menschen, die in Dortmund leben: Rund 400 von ihnen nahmen am zwölften Jahrestag der Bluttat (4. April 2006) an einer Demonstration vom Tatort in der Mallinckrodtstraße zum NSU-Mahnmal an der Auslandsgesellschaft teil. Der sogenannte „Tag der Solidarität“ fand bereits zum sechsten Mal statt und gedachte allen Opfern des NSU.

Stilles Gedenken der Stadt mit dem engsten Familienkreis am Tatort

Gedenken am 12. Todestag von Mehmet Kubasik
An der Steinwache hat jemand eine Rose auf den Stein des NSU-Mahnmals gelegt.

Bereits drei Stunden früher haben VertreterInnen der Stadt, des Rates, des Integrationsrates, der Bezirksvertretung Nordstadt und des türkischen Konsulats mit dem engsten Familienkreis von Mehmet Kubaşik ein stilles Gedenken ohne Reden am Tatort abgehalten.

„Wir möchten der Bevölkerung das Gefühl geben, dass wir solche einschneidenden Erlebnisse nicht vergessen haben“, betonte Bürgermeisterin Birgit Jörder, nachdem sie gemeinsam Blumen an der Gedenktafel in der Mallinckrodtstraße niedergelegt hatten. Schließlich habe die Tat die Stadtgesellschaft bewegt – damals wie heute.

Auch Dr. Ludwig Jörder – Bezirksbürgermeister der Nordstadt – nahm am stillen Gedenken teil. Diese Anteilnahme am ehemaligen Tatort ebenso wie am NSU-Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft ist für ihn auch 12 Jahre nach der Tat wichtig. Nicht zuletzt, weil Rechtsextremismus und Rechtspopulismus wieder aufkeimen. Aber vor allem deshalb, weil die juristische Aufarbeitung der NSU-Morde nicht abgeschlossen ist.

Der NSU-Prozess in München geht zu Ende, aber die meisten Fragen bleiben offen

Gedenken am 12. Todestag von Mehmet Kubasik
Drei Stunden zuvor gab es ein Stilles Gedenken von städtischen VertreterInnen und Familienmitgliedern.

Der NSU-Prozess in München neigt sich dem Ende zu. Doch um die vollständige Aufklärung der Tathintergründe sehe es schlecht aus, machte Rechtsanwalt Carsten Ilius – er vertritt die Familie Kubasik beim NSU-Prozess in München als Nebenklagevertreter – am Rande des Gedenkens deutlich.

Aber es sehe gut aus bei den Schuld-Nachweisen gegen das NSU-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. „Wir gehen davon aus, dass Frau Zschäpe entsprechend verurteilt wird.“ Schlechter sieht es bei allem aus, was die Familie Kubaşik sonst noch interessiert hätte: „Gab es Helfer in Dortmund, was wusste der Verfassungsschutz? Warum hat der Verfassungsschutz das Wissen nicht weiter gegeben? Und wie waren die genauen Verbindungen des NSU nach Dortmund?“

Diese und weitere Fragen treiben die Familie und ihren Anwalt auch nach fast fünf Jahren Verhandlung um. „Es gab viele Indizien, die wir verdichten konnten und es gab viel, dem man hätte nachgehen können. Aber es fehlt großräumig an Aufklärung“, kritisiert Ilius.

Opferanwalt: Verfassungsschützer haben sich der Vertuschung schuldig gemacht

Gedenken am 12. Todestag von Mehmet Kubasik
Der Tag der Solidarität gedenkt aller Mordopfer des NSU – er fand zum sechsten Mal statt.

„Der Verfassungsschutz hat auf Landes- und Bundesebene ohne Ende gemauert“, legt der Opferanwalt nach. So seien zahlreiche Akten vernichtet worden, ohne dass klar wurde, warum dies zum jeweiligen Zeitpunkt geschehen sei. Positiv: Ein von ihm und der Familie angestrengtes Verfahren gegen einen Verfassungsschutz-Mitarbeiter in Köln sei vor zwei Wochen mit dem Urteil zu Ende gegangen, dass sich der Verfassungsschützer der Vertuschung schuldig gemacht habe.

Was müsste sich ändern? „Ich bin der Auffassung, dass im Gericht viel mehr hätte geleistet werden können. Doch das hing nicht nur am Verfassungsschutz, sondern auch am Verhalten der Nazi-Zeugen“, so Ilius. Auch die Kontrolle der Dienste und die Mitarbeit aus der rechten Szene darin müsse sich ändern.

„Aber es sieht nicht so aus, als bestünde viel Hoffnung. Die Regelungen sind eher gelockert worden“, bedauert der Nebenklagevertreter des Dortmunder Mordopfers. „Daher ist eher unsere Hoffnung, dass der ein oder andere Whistleblower auftaucht, der mit seinem Wissen nicht in Rente oder in den Tod gehen will.“

Dann gäbe es vielleicht auch endlich Klarheit über die Verbindungen des NSU nach Dortmund, hofft Ilius, und fügt hinzu: „Es gibt keine handfesten Beweise, aber verdichtete Indizien, dass es Verbindungen zwischen dem NSU und der Dortmunder Szene gegeben hat.“ Vielleicht gibt es ja dazu bei künftigen Gedenkveranstaltungen mehr Informationen.

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