NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) plant ab Sommer 2018 die vollständige Streichung von Mitteln für Produktionsschulen, damit quasi deren Abschaffung sowie die Wiedereinführung des Werkstattjahres in Nordrhein-Westfalen. Dortmunder Landtagsabgeordnete der SPD besuchten in Lindenhorst das Bildungszentrum der AWO-Tochter dobeq, um sich vor Ort einen Überblick über die Situation zu verschaffen.
Gute Gründe für den Erhalt von Produktionsschulen – auch im Land Nordrhein-Westfalen
„Produktionsschule.NRW“, so heißt das Förderangebot, das mit der Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen „Kein Abschluss ohne Anschluss“ Jugendliche ohne ausreichende Ausbildungsreife oder von Ausgrenzung bedrohte SchülerInnen, auch „Schulverweigerer“ genannt, dort abholen möchte, wo sie sind. Produktionsschulen bieten seit Anfang der 90er Jahre überall in Deutschland einen Platz für genau diese Jugendliche an.
Die jungen Menschen zwischen 14 und 27 Jahren lernen das Arbeiten in Betrieben, nutzen (Aus-)Bildungs- und Qualifizierungsangebote und können so leichter in den Arbeitsmarkt integriert werden. An Produktionsschulen bilden Lern- und Arbeitsort eine Einheit, die betriebsmäßig organisiert ist. Die Jugendlichen gehen also ausdrücklich nicht zur Schule, sondern befinden sich auf direktem Weg zum Arbeitsmarkt.
159 Jugendliche nahmen allein 2016 bis 2017 an der Produktionsschule in Dortmund teil, so der Projektleiter für Produktionsschulen, Lothar Ridder, von der dobeq. 85 TeilnehmerInnen, also 54 Prozent, konnten bislang erfolgreich in eine Beschäftigung oder Ausbildung, an eine weiterführende Schule oder andere Bildungsorte weitervermittelt werden.
NRW-Landesregierung: vollständige Streichung der Fördermittel für Produktionsschulen 2018/19
Hierbei handele es sich um eine extrem große Zahl. Daher seien Schließungen beziehungsweise Kürzungen bei den Produktionsschulen verantwortungslos, denn so blieben genau diese Jugendliche auf der Strecke, so dobeq-Geschäftsführer Joachim Thiele. „Diese Jugendlichen brauchen kleinschrittige Hilfe, sonst würden die Produktionsschulen ja nicht so gut funktionieren,“ ergänzt die SPD-Landtagsabgeordnete Nadja Lüders.
Fakt ist, wie aus einem Bericht des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales NRW über das Programm „Produktionsschule.NRW“ von Januar 2017 hervorgeht: Im Programmjahr 2015/16 betrug der Finanzierungsanteil des Ministeriums an den Produktionsschulen knapp 12,5 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds für Deutschland (ESF) und 4,2 Millionen aus Landesmitteln – bei einer Gesamtfördersumme von 22,3 Millionen Euro, welche Drittmittel beinhaltet.
Im Förderzeitraum 2016/17 erhöhten sich die entsprechenden Anteile auf 14,4 Millionen Euro ESF bzw. 4,7 Millionen Euro (landeseigen) bei einer Gesamtfördersumme von knapp 25,7 Millionen Euro. Für das laufende Programmjahr 2017/18 liegen noch keine genauen Zahlen vor und für das kommende sollen die Mittel vollständig gestrichen werden. Für das Werkstattjahr, das die Landesregierung stattdessen einführen will, stehen lediglich 14 Millionen Euro zur Verfügung.
Butschkau: „Der Staat gibt die Fürsorgepflicht auf. Die Jugendlichen sind die Leidtragenden.“
Arbeitsminister Laumann versuche, sein Vorhaben damit zu begründen, dass es landesweit eine Abbrecherquote von 60 Prozent gäbe. Allerdings ignoriere er hier, dass auch die positiven Abbrüche, wie beispielsweise das Vermitteln in eine Ausbildung oder Ähnliches, ebenfalls in die 60 Prozent fielen, so die SPD-Landtagsabgeordneten.
Das Werkstattjahr wurde bereits 2005 erprobt und soll die Jugendlichen möglichst schnell in ein bis zu sechs Monate dauerndes Praktikum vermitteln. Leider ohne großen Erfolg, denn viele von ihnen kommen aus schwierigen Verhältnissen, hatten oft mit Gewalt oder Sucht zu tun und müssen erst einmal lernen, einen strukturierten Alltag zu leben. Hier sei der Staat in der Fürsorgepflicht, betont Anja Butschkau, SPD-Landtagsabgeordnete.
In einer Produktionsschule ist ein langsames Eingewöhnen möglich. In einem Werkstattjahr soll die Eingliederung in die Betriebe aber sehr viel schneller erfolgen, so dass dort damals eine höhere Abbrecherquote zu verzeichnen war. Und die wird von den Landtagsabgeordneten der SPD und Joachim Thiele für diese Sonderqualifizierungsform auch weiterhin prognostiziert.
Denn das Klientel der Produktionsschulen seien ganz bestimmte Jugendliche. Junge Menschen, die weder in einer Maßnahme der Agentur für Arbeit, noch in einem Werkstattjahr aufgefangen werden könnten, so Thiele. Nicht nur durch die Entlohnung seien die Jugendlichen in einer Produktionsschule motivierter, sondern hier fühlten sie sich gebraucht und nützlich, könnten in ihrem eigenen Tempo lernen.
Lüders: „Schulversagen, Sucht, Gewalt und familiäre Probleme hören nicht mit 19 auf.“
Ein weiteres Problem bei der Wiedereinführung des Werkstattjahres ist, dass die Jugendlichen maximal 19 Jahre alt sein dürfen. Gerade in der Zielgruppe der Produktionsschulen sind die wenigsten so jung.
Das bedeutet, dass eine Förderlücke entsteht, nämlich für die Jugendlichen, die über 19 Jahre alt sind und eine niederschwelligere Hilfe brauchen. Auch junge Flüchtlinge, die häufig an einer Produktionsschule teilnehmen, können dann nicht mehr aufgefangen werden, so Thiele.
„So als ob die besonderen Problemlagen der Jugendlichen mit 19 Jahren auf einmal verschwunden wären“, kritisiert Nadja Lüders und prognostiziert ein erhöhtes Frustrationspotenzial bei jenen jungen Menschen, die dann ohne Produktionsschulen an Maßnahmen teilnehmen müssen und dort scheitern.
„Wenn das passiert, dauert es noch länger, die jungen Leute wieder zurückzuholen“, so Lüders. Und Anja Butschkau sekundiert, als Opposition sei es die Pflicht der SPD, den Finger in die Wunde zu legen und auf solche Probleme aufmerksam zu machen.
Baran: „Den Cent, den ich jetzt nicht in Förderung investiere, zahle ich später in Euro drauf!“
Ein gravierendes Problem ist ebenfalls, dass aufgrund der Kürzungen und Einsparungen von Geldern wahrscheinlich auch die MitarbeiterInnen der Produktionsschulen entlassen werden müssen.
Darüber hinaus wird es schwierig, die jungen Menschen jemals in den Arbeitsalltag zu integrieren. Daraus resultiert, dass Sozialabgaben nicht geleistet werden können und langfristig gesehen auch aufgrund des demographischen Wandels die Rentensicherung problematischer wird. Lüders sagt dazu: „Das, was nicht akut ist, das verdrängt man ein Stück weit, das ist ein Kürzungspotenzial ohne Sinn und Verstand.“
Zudem könnten die geplanten Maßnahmen mittel- bis langfristig Folgekosten verursachen, die etwaige Einsparungen in der Gegenwart um ein Vielfaches übertreffen, ergänzt der SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran.
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