Neues im Alltäglichen entdecken und bei mythischem Grill entspannen: ungeahnte Erlebnisse bei der Museumsnacht

Das ist schon Tradition bei der DEW21-Museumsnacht: Krönender Abschluss des Programms auf dem Friedensplatz ist ein fulminantes Feuerwerk. Beim Kunstspaziergang ging es um Kunst im öffentlichen Raum. Foto: Stadt Dortmund

Eigentlich hätte es am Samstagabend „Nordstadt überrascht Dich“ heißen müssen. Entlang der Hauptpost am Nordausgang des Hauptbahnhofs oder am Arbeitsamt ist jede/r schon einmal gegangen. Und auch das dortige Umfeld ist alles andere als ein Schmuckstück. Und doch gibt es hier Schönes und spannendes beim Kunstspaziergang zu entdecken. Kunsthistorikerin Ines Furniss-Schudak freute sich über die rege Beteiligung. Man sei auch schon mal mit nur fünf BesucherInnen unterwegs gewesen.

Kunstwerke in der Nordstadt: Neues im Alltäglichen entdecken beim Kunstspaziergang

Übergroße Hände, die auf Beinen stehen, diese Metallskulptur fällt sofort ins Auge, wenn man auf die Hauptpost zuläuft. Manche/r mag nur den Kopf schütteln, doch beim Kunstspaziergang im öffentlichen Raum anlässlich der Museumsnacht der Stadt Dortmund zeigte Kunsthistorikerin Ines Furniss-Schudak, was hinter den Kunstwerken, die man täglich im Alltag sehen kann, steckt.

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Ein Werk des „Lebensrhythmus“ von Michael Schwarze an der Hauptpost Dortmund.

„Der Künstler Michael Schwarze nennt sein 1988 entstandenes Werk „Lebensrhythmus“, also von der Kindheit eines Menschen bis zum Erwachsensein. Das Werk ist dreiteilig, zuerst zwei Kinder bis zur dritten Skulptur, wie sich der Körper einer Frau herausbildet, „herausschält“.

Was vielen BesucherInnen gern verborgen bleibt: bei den beiden kleineren Figuren handelt es sich tatsächlich um ein Mädchen und einen Jungen, die miteinander spielen; man muss nur genau hinsehen. Auch das wenig beliebte Arbeitsamt gegenüber der Hauptpost hat im Innenraum Kunst zu bieten, die aber an einem Samstagabend nicht zugänglich ist, weil die Behörde geschlossen hat.

Der Hagener Maler Emil Schumacher hat mehrere Keramikplatten mit „gestisch-intuitiver Pinselführung“, wie die Kunsthistorikerin Ines Furniss-Schudak bei der Führung sagt, bearbeitet.

Die großflächigen Formen und großen Bögen erinnern an die Mal-Methode des Action-Paintings. Malerei entsteht für Schumacher aus einer Kraftbewegung heraus, seine Werke zielen auf Außenwirkung. Anderenfalls würden seine Bilder auch kaum wahrgenommen werden, sind sie von außen doch nur durch eine Fensterfront zu sehen.

Kunst als Mahnmal und Anklage gegen rechten Terror im NSU-Skandal

Am NSU-Mahnmal unweit der NS-Mahn- und Gedenkstätte Steinwache versammelten sich AntifaschistInnen.
Das NSU-Mahnmal war Teil des Kunstspaziergangs zur Museumsnacht 2019. Foto: Alex Völkel

Kunst ist nicht nur schön, sie kann auch die Aufgabe einer Mahnung oder Anklage übernehmen. An der „Steinwache“ nahe des Nordausgangs des Hauptbahnhofs erinnert ein 10 m langer Steinblock an die Ermordung von zehn MitbürgerInnen, zum großen Teil MigrantInnen, durch den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“, kurz NSU.

Eine Teilnehmerin der Führung empfindet nach eigener Äußerung dieses Werk von Gesa Köster als „hässlich“ und versteht nicht, warum es Teil der Museumsnacht ist. Doch Kunst hat nicht die Aufgabe, immer zu gefallen.

Nur wenige hundert Meter entfernt wurde der Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık ermordet. Das Mahnmal ist in dieser Form auch in weiteren sieben Städten zu finden.

Der Traum vom Fliegen mit einem silbernen Flügel: beklemmend und Sehnsuchtsmotiv zugleich

Kunstwerk "Hoch fliegen" von Dr. Elsie Yu Chen. Foto: A. Steger
Kunstwerk „Hoch fliegen“ von Dr. Elsie Yu Chen. Foto: A. Steger

Ein paar Meter weiter in Richtung Hauptbahnhof findet sich ein silberner, überdimensionaler Flügel. „Hoch fliegen“ von Dr. Elsie Yu Chen entstand anlässlich des 20jährigen Bestehens der deutsch-chinesischen Gesellschaft vor dem Haus der Auslandsgesellschaft.

Die aerodynamische Edelstahlskulptur scheint fast vom Boden abzuheben. Aufgrund der Nähe zum Mahnmal für die Opfer des NSU-Terrors wirkt dieser Flügel aber auch beklemmend: wie ein Zeichen für die Sehnsucht nach Freiheit und einem Leben in Frieden, das nur im Himmel, in den sich der Flügel zu erheben scheint, zu finden ist.

Witz und Einfallsreichtum muss auch der Kinetik-Künstler George Rickey gehabt haben, als er seine „broken column“ entwarf. Fast könnte man Angst bekommen, dass die schmalen, silberfarbenen Blöcke, die aufeinander stehen, gleich ineinander zusammenfallen. Doch niemand wird von herabfallenden Teilen erschlagen, mit einem Augenzwinkern bleiben die Blöcke aufeinander, nur bewegt von der Natur, in diesem Falle vom Wind, wie es die kinetische Kunst will.

Windspiele in der Kunst: Kinetik-Künstler George Rickey: Natur als aktive Gestalterin

„Stählerner Baum“ als kibernetische Kunst von George Rickey. Foto: A. Steger
„Stählerner Baum“ als kibernetische Kunst von George Rickey. Foto: A. Steger

Das Geheimnis des „Stählernen Baums“ im Park hinter dem Arbeitsamt und im Umkreis des DKH ist am Kunstwerk versteckt.

Ein paar hundert Meter weiter findet sich ein weiteres Kunstwerk von George Rickey, der „Stählerne Baum“  von sieben Metern Höhe; ein Gerüst, auf dem Würfel gebaut sind, die auf einer ihrer Spitzen stehen und als Rauten sich ebenfalls im Wind bewegen; von vorne erinnern die eckigen Formen an Verkehrsschilder für die Binnenschifffahrt am Kanal.

Leider war es an diesem Abend windstill; doch, weil es sich um öffentlich zugängliche Kunst handelt, die dem einzelnen immer wieder im Alltag begegnet, lohnt es sich, wieder vorbei zu schauen. Die kleineren Veranstaltungen der Museumsnacht haben oft genug ihren besonderen Reiz. In der Marienkirche gab es mehrere Konzerte von kleinen Ensembles, darunter die A-Capella-Gruppe Opella Nova mit ihren Lieblingsstücken, die gleichzeitig einen Einblick in ihr Programm gaben. Gute Textverständlichkeit, sauber getroffene Töne und eine große Freude am Singen machten dieses Konzert zu einem wunderbaren Erlebnis für die BesucherInnen der Museumsnacht.

Chormusik nicht nur zum Vergnügen und Entspannen: das Ensemble Opella Nova in der Marienkirche

Das Ensemble Opella Nova beim Konzert in der Marienkirche zur Museumsnacht. Foto: A. Steger
Das Ensemble Opella Nova beim Konzert in der Marienkirche zur Museumsnacht. Foto: A. Steger

Nur bei „Verleih uns Frieden“ von Heinrich Schütz hätte man sich mehr Elan gewünscht. Zwar ist der Schwerpunkt der fünf SängerInnen die Werke des Frühbarocks und der Renaissance (in der Museumsnacht waren Hans Leo Hasslers „Tanzen und Springen“ sowie Madrigale von Monteverdi zu hören), aber auch ein zeitgenössisches Lied war zu hören: Paul Heller mit „wir glauben all an einen Gott.“

Dissonanzen und große Intervalle mögen manche ZuhörerIn verwirrt haben; bei aller Freude an der Musik früherer Jahrhunderte darf aber die zeitgenössische Musik nicht zu kurz kommen. Komponisten früherer Jahrhunderte waren mit ihrer Kunst auch nicht unbedingt beim Publikum beliebt. Es ist positiv, dass die fünf SängerInnen auch dieses Werk an diesem Abend präsentiert haben.

Opella Nova, das sind fünf professionelle MusikerInnen, die den Beruf des Kirchenmusikers, von MusiklehrerInnen oder InstrumentalistInnen in verschiedenen Ensembles ausüben. 2011 musizierten sie zum ersten Mal als Ensemble, durch die Arbeit der Frauen wurde die gemeinsame Arbeit gefestigt und so besteht Opella Nova bis heute.

Are the kids alt-right? – Der Alt-Right-Komplex auf künstlerische Art dargestellt

Nicht erst seit Donald Trumps Antritt als US-Präsident ist Rechtspopulismus im Alltag präsent. Wie stark jedoch diese politische und gesellschaftliche Strömung das Internet beeinflusst, zeigte die Ausstellung „Der Alt-Right-Komplex“ des „Hartware Medien-Kunstvereins“ im Dortmunder U.

Führung zur Ausstellung „Der Alt-Right-Komplex“ im HMKV im Dortmunder U. Foto: A. Steger

Fast wird es der/dem BesucherIn schlecht, angesichts dieser Lügen und der Überdramatisierung von scheinbaren oder tatsächlichen Katastrophen. Steve Bannon, zuerst Wahlkampfmanager von Trump und Mitarbeiter von Breitbart-News, hatte in der Vergangenheit auch Filme gedreht. Die meisten Szenen stammen aber nicht von seiner eigenen filmischen Arbeit, sondern sind von Stock-Fotos entlehnt. Auf mehreren Bildschirmen, die nebeneinander aufgereiht sind, werden Katastrophen gezeigt: Raubtiere, die das Maul aufreißen, einstürzende Hochhäuser, brennende Städte.

Der Künstler Jonas Staal hat in Bannons Arbeit wiederkehrende Motive entdeckt und in seinem Werk ausgestellt. Selbst nur mit den gezeigten Ausschnitten hat man das Gefühl, von Bildern erschlagen zu werden. Typisches Motiv der Rechtspopulisten, der Alt-Right-Bewegung: sich selbst als Opfer darzustellen, weil man von den etablierten Medien nicht verstanden würde. Bannon zeigt in einem Film ein Löwenrudel, das ein Tier umzingelt. Liberale Bewegungen seien es, die die Alt-Right-Bewegung umzingelten, weil sie immer falsch dargestellt werden würde. „Nur wir sagen, was endlich gesagt werden muss“, ist eine zentrale Überzeugung dieser rechtspopulistischen Gruppierung.

Imageboard zeigt, wie groß der Einfluss von rechtem Gedankengut ist

Darstellung der Internet-Seite „FourChan“, die auch RechtspopulistInnen stark nutzen. Foto: A. Steger
Darstellung der Internet-Seite „FourChan“, die auch RechtspopulistInnen stark nutzen. Foto: A. Steger

Wie stark der Einfluss von rechtem Gedankengut ist, zeigt eine große Tafel, das Imageboard, das „Fourchan“ symbolisiert. Auf Fourchan tauchen Memes auf, so z.B. Putin als schwuler Clown als Reaktion auf die staatliche Verfolgung von homo- und transsexuellen Menschen in Russland.

Diese Seite im Internet ist attraktiv für Alt-Right, da keine Registrierung notwendig ist. Alt Right vereinnahmt Memes, die eigentlich mal harmlos gewesen waren: so wurde Pepe der Frosch als Comic über einen Boys Club, einer Jungen-Clique, der PC-Spiele zockt und ein Teenager-Leben führt, zu einem Symbol im Trump-Wahlkampf mit Nazi-Kontext.

Auch Männerrechtsgruppen nutzen Fourchan. Sie sind überzeugt, dass die Natur des Mannes durch den Feminismus verweichlicht werde und Männer zum Beispiel beim Sorgerecht benachteiligt würden. Männerrechtsorganisationen sind überzeugt, dass es von der Natur festgelegte Rollenbilder gibt, an die sich alle zu halten haben. Beim Blick auf diese Riesentafel sind die BesucherInnen überfordert: ist das noch ein Witz oder schon rechte Propaganda, was hier als Bild gezeichnet ist?

Magazin zur Ausstellung „Der Alt-Right-Komplex“ ist weiterhin erhältlich 

Die „Hate Libary“ von Nick Thurston. Foto: A. Steger
Die „Hate Libary“ von Nick Thurston. Foto: A. Steger

Die Alt-Right-Bewegung ist überzeugt von der „white supremacy“, der Überlegenheit weißhäutiger Menschen. Sie ist nicht zwangsläufig nationalistisch, hat aber ein ähnlich gerichtetes Weltbild. Und: wer gegen das Establishment sein will, der muss Alt-Right sein, denn: Alt-Right ist der neue Punk.

Ein paar Notenständer im Kreis, darauf Bücher, aufgeschlagen. Nick Thurstons „Hate Libary“ zeigt für verschiedene europäische Länder – jedes Land ein Buch- auf, welche Medien rechte Gruppen im Netz nutzen. Die Anordnung im Kreis soll symbolisieren, dass jederzeit eine Hassrede stattfinden kann, so wie es derzeit in Europa an vielen Ecken rechtspopulistische Kräfte und Regierungen gibt.

Mit dem Wochenende der Museumsnacht endete die Ausstellung „Der Alt-Right-Komplex“ im HMKV. Das Magazin dazu ist aber online und in Printform erhältlich.

Der Mythos-Grill: das besondere (griechische) Restaurant im Foyer des U

Der „Mythos-Grill“: Die Pommesgabel-Sortieraktion des Künstlers Matthias Schamp. Foto: A. Steger

Eine besondere Aktion hatte sich der Künstler Matthias Schamp ausgedacht: die Pommesgabel-Sortier-Aktion. Gerade weil dieses Ding so profan ist, verdient es, beachtet zu werden.

BesucherInnen waren eingeladen, auf einer großen Fläche die kleinen Pommesgabeln nach Farben zu sortieren, die „Kontemplation sei inbegriffen“, wie es in der Begleitbroschüre heißt.

Der Ort des Geschehens ist der „Mythos-Grill“, die Pommesbude und alltagsarchäologische Spielstätte zugleich. Nach erfolgter Sortier-Arbeit bekamen die TeilnehmerInnen einen Ouzo zur Stärkung gereicht.

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Weitere Informationen:

Museumsnacht in Dortmund, 2019 Impressionen:

 

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