Das „Favoriten-Festival“ – ein Theater-, Tanz- und Performance-Festival der freien Szene Nordrhein-Westfalen – findet seit 1985 alle zwei Jahre in Dortmund statt. Ausgerichtet wird es für Bewohner:innen von Stadt und Region. Es richtet sich aber auch an ein bundesweites und internationales (Fach-) Publikum. Dieses Jahr wird durch das künstlerische Dreierteam Anne Mahlow, Margo Zālīte und Sina-Marie Schnelle geleitet. Es steht unter dem Motto „(Un)Learning for possible futures“. Mit andren Worten – ein Apell daran, sich alles schlechte, traditionsgebundene abzugewöhnen und neues, produktives beizubringen. Es will sich auf künstlerischer und diskursiver Ebene mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft auseinandersetzen. Ziel der Veranstaltung ist es, diesen Lernprozess in den Vordergrund zu rücken und ihn der Stadtgesellschaft näherzubringen. Abgesehen davor steht die Anforderung an sich selbst im Raum von und mit internationalen Partner:innen zu lernen.
Privilegien hinterfragen und Herausforderungen unserer Gegenwart und Zukunft gemeinsam diskutieren
Das „Favoriten-Festival“ versteht sich als eine Diskursveranstaltung, die unter dem Thema „(Un)Learn to Learn“ präsentiert wird. Der Fokus liegt hier auf dem Verlernen negativer und Lernen positiver Eigenschaften.
Es geht darum welche Rolle dies im Hinblick auf hegemoniale Bildungsstrukturen und dem vermittelten Inhalt spielen kann, welche Stimmen darin Gehör finden und wie eigene Privilegien hinterfragt werden können.
Damit sich die Foren des „Favoriten-Festivals“ 2022 vor Ort mit dem (Ver)Lernen auseinander setzen können, wurden im Vorfeld verschiedene Expert:innen aus unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbereichen aus Dortmund und Umgebung zu ihren Erfahrungen mit „(Ver)Lernens“ befragt.
Im Rahmen des Festivals wird eingeladen, sich auch als Besucher:in aktiv und gemeinsam mit den Herausforderungen unserer Gegenwart und Zukunft auseinander zusetzen. In der Diskursreihe „Normal was the problem in the first place“ wird gemeinsam mit den Besucher:innen die Schwerpunkte Wissenstransfer und Bildung, Kunst im digitalen Raum und Hacking, sowie strukturelle rassistische Gewalt und Widerstand diskutiert.
Der Klimawandel lässt die Kunst nicht unberührt
Der Klimawandel bedroht unseren Planeten bereits seit Jahrzehnten, dennoch sei das Thema noch nicht genug in der Gesellschaft angekommen. Das meint zumindest Manfred Kerklau, der Dramaturg und Stückentwickler von „Denkraum der Utopien“.
Aber zumindest Fridays for Future beweis, dass ein solches Thema zumindest bei einer Vielzahl von vor allem jungen Menschen Anklang finden kann. Genau um so eine Zukunftsgestaltung dreht sich das Stück.
„Denkraum der Utopien“ ist eine Veranstaltung, welche in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen entstanden ist. Laut Kerklau gibt es noch zu wenig Zusammenarbeit von Kultur und Wissenschaft. Das Programm, welches bereits 2020 geschrieben wurde, ist aktuell wie noch nie, was er unglaublich traurig findet. Auch Immanuel Bartz, aus der Gruppe „kainkollektiv“ stimmt Kerklau dort zu. Die Wissenschaft sei sehr eindeutig – deshalb müsse sich etwas drastisch ändern.
Am Anfang der Corona-Pandemie hatte Bartz gehofft, die Krise würde die Menschen zusammenschweißen und dafür sorgen, dass sich alle mehr um den Planeten kümmern würden.
Doch stattdessen habe sie nur offengelegt, wie kaputt unsere Gesellschaft sei. Bartz meint, es gäbe kein zurück mehr zu einem Leben vor der Pandemie.
Das gelte auch für die jetzige Energiepolitik – sie sei sinnlos: „Wir verbrauchen viel zu viel Energie – und die Frage ist: Wie kommen wir da raus.“ Denn das Überleben des Planeten sei wichtiger als das Bewahren des westlichen Lebensstandards.
Künstler:innen sind häufig auch zugleich Aktivist:innen
Nicht nur um die Klimafrage sorgen sich die Künstler:innen. Denn Kunst ist grundsätzlich in gewissem Maße immer politisch, betonen Anne Mahlow und Sina-Marie Schnelle. Die beiden künstlerischen Leiterinnen sprechen von dem Wunsch der Künstler:innen, sich mit der aktuellen Lage auseinanderzusetzen. Das führe auch gleichzeitig zu einem gewissen Aktivismus: „Wie sehr ist man Aktivist:in, wie sehr ist man Künstler:in?“
Die Frage danach, was man wieso macht, wird wieder drängender. Und das kommt vor allem davon, dass die Problemlagen auf der Welt immer drängender werden, verdeutlicht das Duo. Deshalb müsse man sich bewusst machen, was man selbst zu allem beitrage und versuchen, die Gesellschaft zu stärken.
„Ich hab die letzten Monate das Festival in ziemlicher Panik organisiert. Es ist eben nicht so einfach, Kunst zu machen und sich gleichzeitig um Politik zu kümmern“, erzählt die künstlerische Vermittlerin, Leonie Adam. Trotzdem sei es wichtig.
Vor allem fehlt es allen in der Runde der Festival-Beteiligten an Zusammenhalt. Sie wünschen sich mehr Zusammenarbeit innerhalb der freien Kunstszene und darüber hinaus. Nur zusammen könnt man etwas bewirken. „Wir sind nicht Greta, aber wir können trotzdem was tun“, meint Schnelle. „Wir haben ein privilegiertes Leben, was schnell zu Egoismus führen könnte. Davon dürfen wir uns aber nicht blenden lassen.“ Diese Aussage stößt bei allen Mitwirkenden auf Zustimmung.
Einige Veranstaltungen und ihre Bedeutung
„Zwischen einem Konzert und einer Performance“, so beschreiben „The Hax Pistols“ ihren Festivalbeitrag. Durch eine Zeitreise und viel Musik zeigen die drei Schauspielerinnen die Geschichte der Hexen.
Dabei spielen sie selbst eine Hexen-WG. Die teils reale und teils fiktive Geschichte des Trios handelt vor allem vom Vertrauen in sich selbst und einander. Die Veranstaltung finden Sie am Samstag (17. September) von 19 bis 20 Uhr im Depot.
Die Französin Céline Bellut beschäftigt sich in ihrem Stück, mit der Frage danach welche Körper als schön und tatkräftig angesehen werden und welche nicht. Die Natur ihres gymnastischen Auftritts bezeichnet sie als „Audio-Visuelle-Kunst“ und spielt damit wie ein Bild mit und ohne Musik eine andere Wirkung haben kann. Zwei visuelle Künstler:innen und zwei Tänzer:innen treten zusammen bei „A performance is a long quiet river“ auf. Das Stück findet am Sonntag (18. September) von 20 bis 21.30 Uhr im Depot statt.
„Anna Kpok“ (übersetzt „Frei, im Sinne noch nicht gefangen“) nennt sich ein Kollektiv, welches versucht, unterschiedliche Leute, auch außerhalb der freien Künstler-Szene zu erreichen. Das wollen sie vor allem durch die Übermittlung digitaler Inhalte in die reale Welt.
Dafür haben sie eine digitale Meeting-Plattform geschaffen, auf der sich die Teilnehmer:innen mit einem Avatar durch verschiedene Welten bewegen, erklärt Klaas Werner. „Der erste Kontakt“ findet am Sonntag (25. September) von 18 bis 19:30 Uhr digital auf der Homepage des Festivals statt.
Mehr Informationen:
- Das Favoriten-Festival findet vom 15. bis zum 25. September 2022 an sieben Standorten – über ganz Dortmund verteilt – sowie auch digital statt.
- Die meisten Veranstaltungen davon finden im Kulturort Depot, Immermannstraße 29, in der Dortmunder Nordstadt statt.
- Es gibt unterschiedliche Preise – von einem bis 25 Euro. Wie viel man bezahlen will, ist jedem selbst überlassen.
- Mehr Infos unter: favoriten-festival.de
Reaktionen
Erfolgreiches Fazit des erstmals hybrid stattfindenden Festivals der Freien Darstellenden Künste Nordrhein-Westfalens (PM)
Am Sonntag, den 25. September 2022 ist das traditionsreiche FAVORITEN Festival erfolgreich zu Ende gegangen. Zuschauer*innen aus ganz NRW sowie internationale Gäst*innen haben vor Ort in Dortmund und digital die insgesamt 27 künstlerischen Arbeiten sowie die 5 Präsentationen des internationalen Residenzprogramms besucht und an zahlreichen Diskursveranstaltungen und Stadtspaziergängen zu aktuellen politischen und gesellschaftsrelevanten Themen teilgenommen.
Digital haben sich Menschen aus Deutschland, Norwegen, der Türkei, Indien, Finnland, Südafrika, Nigeria und den USA zugeschaltet. Die durchweg positive Resonanz auf das Festivalprogramm spiegelt sich – neben der guten Auslastung der Live-Veranstaltungen – auch in den hohen Abrufzahlen über die Festivalmediathek wider, die noch bis Samstag, den 1.10. digitalen Zugang zu ausgewählten Produktionen des Festivals bot.
Vielseitiges und international besetztes Programm auf hohem künstlerischen Niveau
An 10 Festivaltagen gab es 17 analoge Produktionen auf den Bühnen im DEPOT Dortmund und im öffentlichen Stadtraum, 10 Diskurs- und Netzwerkveranstaltungen, 5 geführte Stadtspaziergänge und 2 Ausstellungen zu sehen. Über die Festival-Website konnte das Publikum an 4 Liveperformances teilnehmen und über die Mediathek eine Vielzahl von Videos, Höressays und digital betretbaren Räumen entdecken.
„Glossar des (Ver)Lernens“: Ausstellung mit Stimmen der Stadt noch bis zum 30. Oktober im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) Dortmund
Im Zentrum des FAVORITEN Festivals stand in diesem Jahr der gemeinsame, kontinuierliche Prozess des (Ver)Lernens und Miteinanderwachsens zwischen den Geschlechtern, Generationen, Klassen und Grenzen. Um besser zu verstehen, was (Ver)Lernen in Dortmund heißen kann, sind die Kuratorin Eva Busch und der Fotograf Sören Meffert in die Nachbarschaften der Festival-Spielorte ausgeschwärmt und haben mit Expert*innen verschiedener Arbeits- und Lebensbereiche Gespräche über ihre Erfahrungen des (Ver)Lernens geführt. Die dabei entstandenen ca. 10-minütigen Videobeiträge versammeln sich in einem stetig wachsenden „Glossar des (Ver)Lernens“.
Noch bis zum 30. Oktober zu sehen im Museum für Kunst und Kulturgeschichte (MKK) und dauerhaft online abrufbar unter: https://favoriten-festival.de/fav-digital/glossar-des-verlernens/
Internationales, digitales Residenzprogramm
Nach 4 Monaten des gemeinsamen Arbeitens im digitalen Raum haben die 5 Teams der digitalen, internationalen Residenzen ihre künstlerischen Arbeiten vor Ort im Dortmunder DEPOT gezeigt. Enstanden sind feinsinnige Arbeiten unterschiedlicher Formate, darunter ein Virtual Space, eine Performance, zwei Installationen und ein deutsch-rumänisches Zine mit queeren und feministischen Beiträgen.
Auf der Festivalwebsite finden Sie weiterhin die Künstler*innen-Einführungen zu den entstandenen Arbeiten, das zweisprachige Zine sowie den Virtual Space THE (UN)LEARNING JOURNEY IN A VIRTUAL BODY.
Diskursveranstaltungen zu aktuellen gesellschaftlichen Themen
Flankiert wurde das Festivalprogramm von einem umfangreichen Diskursangebot, das auf hohe Resonanz in der Stadtgesellschaft und im Festivalpublikum traf und sehr gute Teilnehmer*innenzahlen verzeichnen konnte. Dabei wurden Themen wie struktureller Rassismus, der Krieg in der Ukraine, Gendergerechtigkeit, aber auch der persönliche Umgang mit Traumata und Depressionen diskutiert. Aus aktuellem Anlass wurde darüber hinaus am Sonntag, den 25.09.2022 eine Podiumsdiskussion zur Situation im Iran abgehalten, die sich mit dem gewaltsamen Tod von Zhina Amini am 16.09.2022 zugespitzt hatte.
(UN)LEARNING TICKETING & SOLIDARISCHES PREISSYSTEM
Im Sinne des Festival-Mottos (UN)LEARNING FOR POSSIBLE FUTURES beschäftigte sich das FAVORITEN Festival zudem mit solidarischer Ökonomie und führte in diesem Jahr das neue Preissystem Pay What You Want ein, wobei das Publikum aus verschiedenen Preisstufen zwischen 1€ und 25€ auswählen konnte. Auch hier kann das Festival eine positive Bilanz ziehen, da alle Preisstufen genutzt und durchweg positive Rückmeldungen der Besucher*innen auf diese Form des Ticketings verzeichnet werden konnten.
(UN)LEARNING FOR POSSIBLE FUTURES
There can be no return to normal because normal was the problem in the first place
Unter dem Motto (Un)Learning for possible futures setzten sich Anne Mahlow, Margo Zālīte und Sina-Marie Schneller – die Künstlerischen Leiterinnen des FAVORITEN Festivals 2022 – auf künstlerischer und diskursiver Ebene mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft auseinander. Aus mehr als 500 künstlerischen Arbeiten, die im letzten Jahr gesehen wurden, konnten 27 zum FAVORITEN Festival 2022 eingeladen werden. Mit dabei im Programm waren 19 Produktionen aus NRW und 8 über den bundesweiten Festivalverbund FESTIVALFRIENDS – insgesamt waren 17 analoge und 10 digitale Arbeiten sowie 4 Live-Streams zu sehen.