In der Nordstadt gibt es 70 Prozent weniger Problemimmobilien

KOMMENTAR: Sanierung ja bitte – aber bitte vergesst die bisherigen Mieter:innen nicht!

Die Wohnungen werden grundsaniert. Doch dazu müssen die Bewohner*innen vorübergehend ausziehen.
https://www.nordstadtblogger.de/kommentar-sanierung-ja-bitte-aber-bitte-vergesst-die-bisherigen-mieterinnen-nicht/Nach der Sanierung der Problemimmobilie durch das Viertelwerk gibt es hier eine FABIDO-Kita sowie zahlreiche bezahlbare Wohnungen – viele der früheren Bewohner:innen haben auch nach der Sanierung hier ein Zuhause. Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Nordstadtblogger gibt es seit fast elf Jahren. Fast genauso lange beschäftigen wir uns mit dem Thema der Problemimmobilien. Als Redaktion werden wir häufig von auswärtigen Journalist:innen kontaktiert. Aus Berlin, Hamburg oder München kommend, erhoffen sie sich Hilfestellungen und Kontakte, um in ihren jeweiligen Medien Berichte über den Dortmunder Norden platzieren zu können.

Das Thema „Problemimmobilien“ ist dabei eines der Lieblinge. „Ihr habt 80 Problemimmobilien und wir wollen das Thema skandalisieren“, bekam ich einmal bei einer Anfrage zu hören. „Wollt ihr das skandalisieren oder thematisieren?“, lautete meine Rückfrage. Das wurde erst garnicht verstanden. „Es ist kein Skandal, sondern eine Erfolgsgeschichte“, gab ich dem Reporter zu verstehen. „Es sind nur noch 80. Denn vor zehn Jahren waren es stadtweit noch 180.“

Die Elektroinstallationen müssen größtenteils komplett erneuert werden.
Zumeist funktioniert in den Problemhäusern nichts mehr – aber dennoch wohnen hier Menschen, weil sie sonst keine Chance haben. Archivbild: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Das ist eine unsere Herangehensweisen: Nicht kurzfristig zu skandalisieren, sondern Entwicklungen zu begleiten und zu thematisieren. Konstruktiven Journalismus finden wir sehr wichtig. Das ist bei diesem Thema besonders der Fall. Denn die Entwicklungen sind gut und richtig für die Stadt und den Stadtteil.

Der Umgang damit ist in Dortmund viel besser als in den meisten Ruhrgebietsstädten – von Gelsenkirchen und Duisburg will ich garnicht erst anfangen. Denn eine Bestrebung muss sein, die Nordstadt  – auf jeden Fall ein Stadtteil des Ankommens – auch (noch) stärker zu einem Stadtteil des Bleibens zu machen.

Allerdings müssen wir auch Wasser in den Wein gießen – manche mögen ja Schorle. Denn es ist zumeist nicht so, dass niemand vor einer Sanierung dort gewohnt hat. Die Stadt betont, dass durch die Kernsanierung von 66 Objekten knapp 400 Wohneinheiten als Wohnraum zurückgewonnen werden.

Ja, es sind Problemimmobilien. Dennoch – oder gerade deswegen – wohnen da aber auch Menschen. Oft sind es sogar sehr viele. Das wird spätestens dann deutlich, wenn die Entrümpler die „Matratzenburgen“ ausräumen.

In manchen Häusern wurden bis zu 200 Matratzen entdeckt, die für 150 bis 250 Euro im Monat vermietet wurden. Abgezockt wurden zumeist Menschen, die sonst kaum eine Chance auf dem regulären Wohnungsmarkt haben. In reißerischen Publikationen wird dann schnell auf „die Zigeuner“ verwiesen. 

Die Elektroinstallationen müssen größtenteils komplett erneuert werden.
Auch wenn sie regulär nicht mehr zu vermieten waren – ungewohnt waren die Gebäude zumeist nicht. Archivbild: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Darum merke: Zumeist sind es keine Problemhäuser, weil dort Roma wohnen. Sie wohnen in der Regel dort, weil es ein Problemhaus ist. Für diese prekären Immobilien – oft ohne Strom und Wasser, dafür mit Schimmel und Dreck – zahlen sie horrende Mieten.

Es sind klassische Ausbeuterstrukturen, die die Not der Menschen ausnutzen, weil diese auf dem regulären Wohnungsmarkt kaum eine Chance haben. Wohnungen, die auf dem normalen Markt nicht mehr vermietbar waren und nur noch Obdachlose und Junkies beherbergten, wurden nach der Erweiterung der EU nach Südosteuropa als Geldquelle entdeckt.

Warum erwähne ich das jetzt? So sehr ich Sanierungen von Problemhäusern begrüße, blicke ich mit Sorgen auf die früheren Bewohner:innen. Ich will das nicht mit „Gentrifizierung“ etikettieren. Aber es ist ein Fakt, dass die Menschen, die dort wegen der Sanierung ausziehen müssen, anschließend dort zumeist nicht wieder einziehen.

Umso wichtiger sind Initiativen wie die des „Viertelwerks“, die diese Problematik im Blick haben und versuchen, auch den früheren Mieter:innen nach der Sanierung menschenwürdigen Wohnraum zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Davon braucht es aber mehr. Mein Appell: „Bitte vergesst die bisherigen Mieter:innen nicht!“

Alexander Völkel

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