Klimaaktivistinnen der ehemaligen „Letzten Generation“ standen vor dem Landgericht

Nach einer Straßenblockade vor dem Dortmunder Hauptbahnhof:

Hand, die auf die Straße geklebt wurde.
Das Bekleben von Straßen war ein Akt des Protests der „Letzten Generation“. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Drei Klimaaktivistinnen der ehemaligen „Letzten Generation“ mussten sich am Freitag (7. November 2025) vor dem Landgericht Dortmund verantworten. Grund dafür war eine Straßenblockade, die am 2. März 2023 auf dem Königswall in Höhe des Dortmunder Hauptbahnhofs stattfand und den Verkehr zeitweise lahmlegte. Zuvor war der Fall bereits am Amtsgericht verhandelt worden, das ihn als „Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ einstufte. Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein, da sie ein höheres Strafmaß für gerechtfertigt hielt. Die Aktivistinnen wollten ihrerseits mit einer Berufung einen Freispruch erzielen.

Protest auf der Straße führte zu einem Stau von rund 200 Metern

Kaum eine Klimaschutzgruppe hat nach Fridays for Future in den vergangenen vier Jahren in Deutschland so viele kontroverse Debatten ausgelöst wie die „Letzte Generation. Weniger aufgrund ihrer Forderungen an die Politik, sondern vor allem wegen ihrer Aktionen des zivilen Ungehorsams, etwa dem Festkleben auf Straßen, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. So auch am 2. März 2023 in Dortmund. Nach Angaben des Amtsgerichts begaben sich Mitglieder der „Letzten Generation“ an diesem Tag gegen 16 Uhr auf den Königswall in Höhe des Hauptbahnhofs.

Speiseöl wird über die Hand gekippt.
Mithilfe von Speiseöl mussten die Hände von der Straße gelöst werden. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Unter ihnen waren Gudula F., Dorle M. und Sylwe J. Zu dieser Zeit herrschte auf der dreispurigen Straße dichter Verkehr. Die Aktivistinnen betraten dennoch die Fahrbahn, um diese zu blockieren.

Anschließend sollen sich die Angeklagten so auf die Straße gesetzt haben, dass kein Fahrzeug zwischen oder neben ihnen vorbeifahren konnte. Nach ihren eigenen Angaben sei es im Notfall jedoch möglich gewesen, Platz für Rettungsfahrzeuge zu schaffen. Sylwe J. klebte eine Hand mit Sekundenkleber auf die Fahrbahn, während Gudula F. sich ebenfalls festklebte. Dorle M. verzichtete aus Angst und Nervosität darauf, sich festzukleben, wie sie im Verlauf des Prozesses vor dem Landgericht erneut betonte.

Durch die Blockade entstand ein etwa 200 Meter langer Stau. Die Polizei konnte die festgeklebten Aktivistinnen schließlich mithilfe von Speiseöl lösen und trug sie vom Asphalt auf den Gehweg, um die Fahrbahn zu räumen. Dabei versuchte F. erneut, auf die Straße zu gelangen, was ihr kurzzeitig gelang. Kurz vor 17 Uhr löste sich der Stau nach und nach auf. Laut Polizei dauerte die Blockade mindestens eine Stunde, während die Aktivistinnen von etwa 30 Minuten sprachen.

Amtsgericht sprach Urteil aus – gefolgt von Berufungen

Ein Jahr später, im August 2024, kam es zu zwei Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Dortmund. Am 23. August 2024 folgte schließlich das Urteil: Das Gericht sprach die drei Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 240 und §113 StGB schuldig.

Banner mit der Aufschrift „Unsere Solidarität gegen ihre Repression“.
Vor dem Landgericht zeigten Menschen mit Bannern ihre Solidarität Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Nach § 240 StGB bedeutet Nötigung, jemanden rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer bestimmten Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen.

§ 113 StGB hingegen stellt unter Strafe, wenn jemand sich mit Gewalt oder Drohung gegen eine rechtmäßige Amtshandlung eines Vollstreckungsbeamten wehrt. Sylwe J. und Dorle M. erhielten jeweils eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro.

Gudula F. wurde zu 30 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt.  Daraufhin legten die Angeklagten Gudula F. und Sylwe J. Berufung ein. Auch die Staatsanwaltschaft Dortmund ging gegen das Urteil in Berufung. Sie begründete das Rechtsmittel damit, dass aus ihrer Sicht ein höheres Strafmaß angemessen sei.

„Es ging ja nicht darum zu sagen, ich gehe jetzt unbedingt eine Straftat ein“

Was die Motivation der drei Angeklagten für ihre Form des Aktivismus jedoch sei, führten sie im Rahmen der Verhandlung genauer aus. Dorle M. erklärte, wie bereits in ihrer protokollierten Aussage vor dem Amtsgericht, dass sie ihre Tat nicht bereue, auch wenn sie betonte, dass sie es aus heutiger Sicht nicht noch einmal tun würde.

Blick in den Sitzungssaal.
Die Angeklagten mussten sich nun vor dem Landgericht verantworten. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Sie berichtete, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Dringlichkeit der Lage gespürt habe, auf die man bislang mit verdrängtem Blick zugesteuert habe.

„Es war etwas, was mit ganz viel Angst um die Zukunft meiner Kinder verbunden war. Ich habe ein gutes Leben gehabt, aber was ist mit den jungen Menschen?“ führte sie mit zittriger Stimme fort, den Tränen nahe.

Sylwe J. berichtete, dass sie bereits seit ihrer Jugend eine kritische Haltung zum Weltgeschehen habe. Sie erklärte, dass ihr Engagement vor allem von ihrem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit motiviert sei und dass sie das Thema Klimaschutz als zunehmend bedrohlich für die Lebensgrundlage wahrnehme. In ihren Worten habe es dabei nicht darum gegangen, unbedingt eine Straftat zu begehen: „Es ging ja nicht darum zu sagen, ich gehe jetzt unbedingt eine Straftat ein.“ Vielmehr habe sie darin eine Möglichkeit gesehen, aktiv zu werden und auf Missstände aufmerksam zu machen.

Straße vorm Hauptbahnhof.
Der Verkehr vor dem Hauptbahnhof kam während des Protests zum Stillstand. Leopold Achilles | Nordstadtblogger

Gudula F. machte deutlich, dass Ort und Uhrzeit des Protests bewusst gewählt worden seien, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Sie betonte, dass ihr Engagement auch aus ihrer religiösen Überzeugung heraus motiviert sei und dass sie sich als Christin verpflichtet fühle, angesichts der drohenden Folgen der Klimakrise aktiv zu werden.

Zur Verdeutlichung der Dringlichkeit des Klimaaktivismus hielt sie im Sitzungssaal eine Abbildung hoch, die den Anstieg der CO₂-Emissionen veranschaulichte. Zugleich äußerte sie Kritik an dem Urteil wegen Nötigung: „Wir haben ja niemanden festgehalten, wir haben nur 31 Minuten lang einen Straßenprotest durchgeführt“, führte sie aus und zog dabei einen Vergleich zu den alltäglichen Verspätungen im Bahnverkehr: „Wo kann ich da Menschen wegen Nötigung zur Rechenschaft ziehen?“

Alleinige Rücknahme der Berufung kam für die Staatsanwaltschaft nicht in Frage

Das Anliegen der Berufung der beiden Angeklagten war, dass das Landgericht im Verfahren einen möglichen Freispruch ausspreche, erläuterte Gudula F. im Nachhinein. Dafür müsste die Staatsanwaltschaft die Berufung zurückziehen. Dies lehnte sie jedoch ab, wie sie zu Beginn der Verhandlung deutlich machte.

Staatsanwältin Sonja Frodermann.
Staatsanwältin Sonja Frodermann. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Da das Strafmaß in erster Instanz bereits gering ausgefallen sei, handele es sich „um eine der geringsten Strafen, die man im Strafrecht verhängen kann. 30 Tagessätze liegen schon im ganz unteren Rahmen“, erklärte Staatsanwältin Sonja Frodermann.

Dementsprechend habe die Staatsanwaltschaft zunächst Berufung eingelegt, da das Urteil aus ihrer Sicht zu niedrig ausgefallen sei. Eine Einstellung des Verfahrens würde den Angeklagten zwar entgegenkommen, „ich sehe jedoch auch, dass sie seitdem keine weiteren Straftaten begangen haben“ fügte Frodermann hinzu.

Zudem sei die Tat mittlerweile über zwei Jahre her, und die Angeklagten hätten im ersten Verfahren nicht gezögert, Auskünfte zu erteilen, ergänzte die Staatsanwältin. Eine gegenseitige Zurücknahme der Berufungen sei für die Staatsanwaltschaft denkbar, vorausgesetzt, die Angeklagten stimmen dem zu. In diesem Fall würde das Strafmaß der ersten Instanz, also des Amtsgerichts, wieder in Kraft treten.

Eine mögliche „Gesamtgeldstrafe“ könnte Sylwe J. entlasten

Während Dorle M. und Gudula F. sich bereit zeigten, die wechselseitige Berufung zurückzuziehen, zeigte sich Sylwe J. zunächst zögerlich. Nach ihren Angaben habe sie in der Vergangenheit häufig Geldstrafen begleichen müssen, die aus ihrer Sicht nicht immer gerechtfertigt und oft mit hohen Summen verbunden gewesen seien.

„Klimaschutz braucht Klassenkampf“ mit Kreide geschrieben.
Mit Kreide wurden Botschaften vor dem Gebäude auf den Boden geschrieben. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Auch wenn die Staatsanwaltschaft das Strafmaß von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro als gering bezeichnete, sei dies aus ihrer Sicht relativ, wie sie erläuterte.

Zudem führte sie aus, dass parallel ein weiteres Verfahren in Wuppertal laufe, das ebenfalls mit einer Geldstrafe verbunden sei. Hierbei sei die Kombination mehrerer Geldstrafen zu einer einzigen „Gesamtgeldstrafe“ möglich (§ 53 StGB).

Dieses Verfahren soll sicherstellen, dass die strafrechtliche Sanktion in ihrer Gesamtheit angemessen und verhältnismäßig bleibt, wodurch eine geringere Geldstrafe entstehen könnte, als wenn beide Strafen separat festgesetzt würden. Ob dies im Fall von Sylwe J. zutrifft, müsse jedoch noch geprüft werden. Letztlich reichte dies jedoch aus, um eine einheitliche Zustimmung der Angeklagten zu erreichen, die beidseitige Berufung zurückzuziehen und die Urteilsverkündung des Amtsgerichts in Kraft treten zu lassen.

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