Karfreitag und Ostern: Gedenken der Opfer, Solidarität den Verfolgten – in der Hoffnung auf eine bessere Welt

mehr als eine Million Menschen wurden von den nazis allein in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Die politische Dimension des traditionellen evangelischen Karfreitags: Erinnerung an die Opfer, Solidarität mit den Lebenden, Hoffnung. Foto (3): Alex Völkel

Ein Gastbeitrag von Hartmut Anders-Hoepgen

In diesen Tagen der weltweiten Krise wegen der Corona-Infektion versammeln sich jeden Abend um 19.30 Uhr an vielen Orten in den Wohngebieten, von Balkons oder Fenstern der Wohnungen – natürlich mit dem gebotenen Sicherheitsabstand – real oder auch virtuell – Menschen aus den verschiedenen Religionen zum Gebet, zu einem gemeinsam gesungenen Liedvers oder auch zum stillen Innehalten und Gedenken. Die Glocken aller Kirchen läuten dazu. Allerdings vom heutigen Karfreitag bis zur Osternacht wird das allabendliche Gebet ohne das Läuten der Glocken stattfinden, denn diese sind dann vorübergehend verstummt: Stille Tage.

Karfreitag in der Evangelischen Kirche: traditionell waren es dunkle Tages des Eingedenkens

Hartmut Anders-Hoepgen im Redaktionsgespräch mit Nordstadtblogger. Foto: Karsten Wickern
Hartmut Anders-Hoepgen vor seiner – nun endgültigen – Pensionierung im Redaktionsgespräch bei Nordstadtblogger. Archivfoto: Karsten Wickern

In meiner Kindheit vor über 60 Jahren in einer stark evangelisch geprägten Familie wurde dieser Charakter des Karfreitags als stillem Feiertag besonders intensiv betont und gelebt. Der Karfreitag galt in der Evangelischen Kirche als der allerhöchste Feiertag im Kirchenjahr.

Man kleidete sich dunkel bis schwarz. Man gedachte wie schon in der siebenwöchigen vorangehenden Passionszeit des Leidens und Sterbens Jesu Christi. Manche gingen vielleicht nur an diesem Tag im Kirchenjahr zum Abendmahl.

Und dieses erhielt dadurch eine besonders schwere und tiefe, manchmal auch dadurch bedrückende Bedeutung. Das war sehr streng und Sündenbewusstsein und Schuldgefühle waren bei vielen Menschen sehr ausgeprägt.

Heutzutage: Karfreitag wird stärker als Vorschein des Osterfestes gedacht

Es gab aber in meiner Familie neben dem evangelischen auch einen großen katholischen Teil – dort war nach meiner Erinnerung der Karfreitag auch sehr wichtig, er wurde aber in Zusammengehörigkeit mit dem Osterfest doch auch mehr unter diesem Vorzeichen der Auferstehung Jesu Christi und des starken Lebenssymbols gesehen und gefühlt.

Diese Sicht hat sich auch in der evangelischen Kirche längst wieder durchgesetzt und verstärkt: Ostern als das zentrale und wichtigste Fest der Christenheit.

Politische Dimension des Glaubens: Nähe zu leidenden Menschen der Gegenwart

Demonstration am 26. September: Solidarität mit ALLEN Geflüchteten, Refugees Welcome Dortmund
Solidarität mit Geflüchteten, September 2015 in Dortmund. Foto: Klaus Hartmann

Allerdings wurde und wird bis heute in der Christenheit beim Meditieren und Nachdenken über das Leiden Jesu Christi in der Passionszeit und am Karfreitag auch die politische Glaubensdimension mit bedacht:

Jesus Christus als Mitleidender mit allen leidenden, kranken und sterbenden, armen und benachteiligten, mit allen verfolgten und flüchtenden Menschen auf dieser Welt. Und das hat natürlich starken und bestimmenden Einfluss auf unser christliches Handeln und unsere christliche Ethik.

So hat die Tatsache, dass der Karfreitag, dessen Schutz als stiller Feiertag sogar bis in unsere Gesetzgebung hinein verankert ist, auch bis heute eine über die Religionen und Glaubensrichtungen hinausgehende wichtige Bedeutung.

Solidarität mit Schwachen, Leidenden, Unterdrückten, Flüchtenden als Gebot

Auch wenn viele Menschen heute dafür keine Sicht mehr – oder auch aus unterschiedlichen Religionen und Glaubensrichtungen kommend, andere Tage der Einkehr und Umkehr – haben: Verständnis und Solidarität mit den Schwachen und Leidenden mit den Unterdrückten und den Flüchtenden gehört zum existentiell Menschlichen.

Diese ethischen Grundsätze aus der jüdisch-christlichen Tradition verbinden sich mit den Traditionen auch der anderen Religionen und Philosophien und sind in die allgemeinen und weltweit geltenden Menschenrechte eingeflossen, die im Dezember 1948 von den Vereinten Nationen proklamiert wurden.

Gedenkstätten und Mahnmale erinnern an die Opfer der NS-Terrorherschaft

Yad Vashem

Der Nationalsozialismus hat in der zwölfjährigen Zeit seiner Herrschaft Menschenrechte missachtet, verhöhnt und mit Füßen getreten – durch schwersten und für undenkbar gehaltenen Rassismus, Antisemitismus, grausamer Unterdrückung und der Schaffung von unermesslichem Leid: mit dem furchtbaren Holocaust und mit weiteren vielen Millionen von Toten in dem schrecklichen 2.Weltkrieg.

Ich habe in all den zurückliegenden Jahren einige der vielen Gedenkstätten, Mahnmale und Erinnerungsorte für diese Zeit besucht: Yad Vashem in Jerusalem, KZ Neuengamme bei Hamburg, das ehemalige Frauen-KZ in Ravensbrück, die Gedenkstätte Chatyn in Weißrussland.

So war ich auch im Januar 2011 auf einer Gedenkfahrt des Dortmunder Jugendrings mit OB Ulli Sierau und vielen jungen Menschen sowie Mitarbeiter*innen in Auschwitz-Birkenau. Und jedes Mal haben die Besuche an diesen Gedenk-Orten mich nachhaltig erschüttert und tief traurig gemacht.

Verbrechen des Nationalsozialismus: unsere Sprache versagt, um sie zu fassen

Mehr als eine Million Menschen wurden von den nazis allein in Auschwitz-Birkenau ermordet. Foto: Alex Völkel
Jugendliche aus Dortmund in der Auschwitz-Gedenkstätte: Mehr als eine Million Menschen wurden von den Nazis allein in Auschwitz-Birkenau ermordet.

Unsere Sprache kennt keine Worte und Ausdrücke, um das große Entsetzen und auch die Scham über diese Verbrechen, diese unfassbare Grausamkeit und dieses kalte mörderische, durch von Menschen zu verantwortende Geschehen auch nur ansatzweise zu beschreiben und auszudrücken.

Auf der Auschwitz-Fahrt haben die mitgereisten Jugendlichen damals am 27. Januar 2011, dem „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“, vor dem symbolisch dort an der Rampe stehenden Güterwaggon eine sehr einfühlsame Gedenkfeier gestaltet. Später zurück in Dortmund sind viele von Ihnen durch Oberbürgermeister Ulli Sierau zu sog. ‚Botschafter*innen der Erinnerung‘ ernannt worden.

Ihnen sind bis heute viele junge Menschen in diesem Ehrenamt gefolgt. Sie alle wollen die Erinnerung an die geschilderten unfassbaren Verbrechen des Nationalsozialismus und an jedes einzelne der Millionen Opfer wachhalten. Sie gestalten darum seit Jahren an verschiedenen Mahnmalen in Dortmund immer wieder die dortigen Gedenkfeiern mit.

Wegen Corona: keine offizielle Gedenkveranstaltung in der Dortmunder Bittermark

So auch jedes Jahr am Karfreitag in der Bittermark. Hier verbindet sich die Erinnerung an das grausige Verbrechen 1945 an diesem Ort mit dem stillen und auch dunklen Charakter dieses Tages.

Leider kann die offizielle Gedenkfeier wegen der verordneten Einschränkungen im Blick auf die Corona-Pandemie nicht real an dem Mahnmal in der Bittermark stattfinden. Aber „Nordstadtblogger“ haben ja schon darüber berichtet, dass die Botschafter*innen der Erinnerung in diesem Jahr ein virtuelles Gedenken gestalten werden.

Schreckliche Ereignisse am Ende des Krieges dürfen niemals in Vergessenheit geraten

Gedenkfeier an der Bittermark, Dortmund, 30. März 2018
Gedenkfeier an der Bittermark 2018

Niemals darf auch dieses schreckliche Geschehen in Vergessen geraten, als in den Tagen bevor kurz vor Kriegsende am 13. April 1945 die amerikanischen Soldaten in die Stadt Dortmund einmarschiert sind, die Gestapo mit ihren Schergen schnell noch bis einen Tag vorher an die 300 Zwangsarbeiter*innen und Widerstandskämpfer*innen verschiedener Nationalitäten dort in diesem Waldgebiet in der Bittermark und im Rombergpark ermordet und in Massengräbern verscharrt hat.

Wie ungeheuer verblendet und zerstört: noch im klaren Vorhersehen des eigenen direkt bevorstehenden Untergangs noch schnell in dieser mörderischen und verbrecherischen Verblendung und in klarem Bewusstsein weitere Mordtaten an unschuldigen Menschen zu begehen.

Seit 1958 kommen nun an dem zentralen Mahn- und Gedenkmal Hunderte manchmal auch über 1.000 Menschen am Karfreitag zum Gedenken dort zusammen. Niemals vergessen! Immer wachsam gegenüber Faschismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Rechtspopulismus und Neonazis: eine reale Gefahr

Wir dachten, solches Gedankenübel sei längst Vergangenheit, aber Nein, es feiert heute wieder böse Urständ. In unsrer ganzen Gesellschaft breitet es sich erschreckend wieder aus. Wir wissen in Dortmund ein Lied davon zu singen.

Ich will hier nicht die widerlichen Bezeichnungen aus der AFD hier wiederholen, die zB. für ein Mahnmal in Berlin oder auch für die gesamte Nationalsozialistische Horrorzeit gewählt wurden, aber dies kennzeichnet, wie wachsam und couragiert wir solchen Entwicklungen entgegentreten müssen, um Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen und zu stärken.

Ein Licht der Hoffnung über alle Grenzen von Religionen und des Glaubens hinweg

Am Phönixen hat die jüdische Gemeinde mit Mitgliedern und Gästen Chanukka gefeiert.

Als gläubiger Christ fühle ich mich glaubend und handelnd mit allen Menschen und über alle Religions- und Glaubens- oder Nicht-Glaubensgrenzen hinweg verbunden, die auf dem Weg zu Frieden, Gerechtigkeit und der Verwirklichung der Menschenrechte sind und auf dem Weg gegen Rassismus und gegen Antisemitismus.

Und auch allen, die in diesen Tagen abends ein Licht der Hoffnung anzünden, auch mit Blick auf die Corona-Krise und alle persönlichen damit einhergehenden Leidenswege.

Ich möchte glaubend in der Nachfolge Jesu Christi Karfreitag und Ostern miteinander verknüpft erleben und die Hoffnung des Lebendigen und des Lebens mit Gottes Hilfe stärken. Und das wünsche ich auch allen Leserinnen und Lesern jetzt zu den Festtagen von Herzen.

Weitere Informationen:

  • Zwölf Jahre lange war Hartmut Anders-Hoepgen als ehrenamtlicher Sonderbeauftragter der Stadt Dortmund für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus tätig und ist kürzlich endgültig in den Ruhestand getreten. Sein Nachfolger ist Manfred Kossack.

Mehr zu dem Thema bei nordstadtblogger.de:

Dortmund ist jetzt Mitglied der Europäischen Städte-Koalition gegen Rassismus – 105 Städte aus 22 Staaten sind dabei

Interview mit Hartmut Anders-Hoepgen: „Dortmund ist Frontstadt“ im Kampf gegen den Rechtsextremismus

Nachfolge im Kampf für Demokratie und Vielfalt: Manfred Kossack übernimmt für Hartmut Anders-Hoepgen

 

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Reaktionen

  1. Carsten Klink

    Seit Jahrzehnten wird am Karfreitag nicht nur in der Dortmunder Bittermark, sondern auch auf dem Internationalen Friedhof in Dortmund-Brackel am Rennweg an die Weltkriegsopfer erinnert. Insbesondere an die noch in den letzten Kriegstagen ermordeten Zwangsarbeiter*innen und Widerstandskämpfer*innen.

    Auf dem Internationalen Friedhof nehmen sonst bis zu einhundert Menschen am Gedenken an den polnischen, serbischen und sowjetischen Ehrenmalen sowie an den Erinnerungsorten für die jüdischen Opfer teil, legen Kränze und Blumen nieder, zünden Kerzen an. Wegen der Sondersituation aufgrund der Corona-Epidemie fand dieses Jahr kein Mahngang unter Beteiligung der Bevölkerung statt.

    Dennoch sind die Weltkriegsopfer auf dem Internationalen Friedhof auch im 75. Jahr nach Kriegsende in Dortmund nicht vergessen. Der historische Verein Ar.kod.M., der Nachforschungen nach sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter*innen anstellt, die im 2. Weltkrieg verstorben sind oder als vermisst gelten, hatte bereits am Gründonnerstag einen Kranz am sowjetischen Ehrenmal niedergelegt. Für die Bezirksgruppe-Ost der Partei DIE LINKE entzündete ein Mitglied mehrere Gedenkkerzen und schmückte das Ehrenmal mit roten und weißen Rosen in den Farben der Stadt Dortmund als Symbol für die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ um Sophie und Hans Scholl sowie für den sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Widerstand gegen die Nazi-Barbarei.

    „Mein Großvater ruht in russischer Erde. Er fiel 1942 während des von Nazi-Deutschland begonnenen 2. Weltkrieg bei den schweren Kämpfen um Rshew rund 200 Kilometer vor Moskau. Sein Grab wird auf dem Soldatenfriedhof in Rshew am Oberlauf der Wolga von russischen Menschen gepflegt. Daher ist es für mich als Kriegsenkel eine Selbstverständlichkeit der russischen Weltkriegsopfer in meiner Heimatstadt zu gedenken.“ erklärte ein Dortmunder seine Beweggründe beim Verlassen des Internationalen Friedhofs durch das große, schwarze, schmiedeeiserne Tor.

    Der Förderverein Gedenkstätte Steinwache / Internationales Rombergpark-Komitee e.V. hat auf die besondere Situation mit einem virtuellen Mahngang des Gedenkens auf dem Internationalen Friedhof im Internet reagiert. Neben zahlreichen Fotos aus dem vergangenen Jahren, findet sich dort auch ein Beitrag des Friedensaktivisten Willi Hoffmeister, dem Urgestein der Ostermärsche, die sonst jedes Jahr in Dortmund am Karfreitag mit der Teilnahme an den Mahn- und Gedenkveranstaltungen auf dem Internationalen Friedhof und nachmittags in der Bittermark begonnen haben.

    „Alle Jahre gedenken wir der Menschen verschiedenster Nationen, die hier fern ihrer Heimat ihre letzte Ruhestätte fanden. Ob als Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter oder sonst wie Verschleppte. Sie alle sind Opfer des faschistischen Deutschen Reiches. Viele wurden noch in den letzten Stunden des Bestehens der Nazi-Diktatur bestialisch ermordet.“, erinnert Willi Hoffmeister an seine Rede, die er 2019 am serbischen Ehrenmal gehalten hatte.

    Mit Blick auf das US-dominierte NATO-Manöver Defender 2020 an der russischen Grenze erklärt Hoffmeister weiter: „Unter den hier Bestatteten befinden sich neben den Zwangsarbeitern tausende sowjetische Kriegsgefangene. Sie opferten ihr meist sehr junges Leben dafür, dass der Hitler Faschismus besiegt und unser Land vom Faschismus befreit wurde. Die Sowjetunion hatte die größte Last des zweiten Weltkrieges zu tragen mit der höchsten Opferzahl. Was würden diese Opfer sagen, wenn sie jetzt sehen müssten, dass Deutsche Panzer wieder an ihrer Westgrenze stehen und die Kanonenrohre auf ihre Heimat gerichtet sind?“

    Frieden mit Russland
    „Von deutschen Boden soll Frieden ausgehen“, so steht es im Grundgesetz! Will Deutschland seiner geschichtlichen Verantwortung gerecht werden, heißt das an erster Stelle: Frieden mit Russland! Auch ohne Ostermärsche 2020 wird die Friedensbewegung das Grundgesetz ernst nehmen.“, erklärt Willi Hoffmeister abschließend.

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