Europa verliert, was es für seine „Seele“ hält – Dortmunder Initiativen fordern Aufnahme Geflüchteter aus Griechenland

Der Rat der Stadt Dortmund hat beschlossen, die Stadt zum „Sicheren Hafen“ für Geflüchtete zu erklären.
Der Stadtrat hatte 2019 Dortmund zum „Sicheren Hafen“ für Geflüchtete erklärt – durch die Verweigerungshaltung der EU sitzen dennoch weiterhin Zehntausende in der Ägäis unter unmenschlichen Bedingungen fest. Mit dem Coronavirus verschärft sich deren Lage noch einmal dramatisch. Foto (2): Alex Völkel

„Wascht Euch die Hände, aber brecht das Schweigen“, appelliert ein Zusammenschluss von zwölf Initiativen und Organisationen aus Dortmund. Das lokale Bündnis hat sich – trotz oder gerade wegen der Corona-Pandemie – dazu entschlossen, für die in Griechenland (ankommenden bzw. dort festsitzenden) Geflüchteten in die Offensive zu gehen. In einem Offenen Brief an die Bundeskanzlerin fordern sie: „Sofort und unverzüglich mit der Aufnahme von geflüchteten Menschen aus Griechenland zu beginnen!“

Zehntausende Geflüchtete unter menschenunwürdigen Bedingungen auf griechischen Inseln

Denn die Flüchtlingssituation habe sich in den letzten Wochen, insbesondere in der Türkei und in Griechenland, dramatisch zugespitzt und damit das schon lange bekannte, unbeschreibliche Elend und Leiden der davon betroffenen Menschen erheblich verstärkt, heißt es in dem Brief.

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Foto (3): Dortmunder Bündnis

Zehntausende Geflüchtete harren zum Teil seit Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen auf griechischen Inseln der Ägäis aus, so die Aktivist*innen. Hierzulande würden Menschen dazu angehalten, sich von anderen fern zu halten, sich die Hände zu waschen und rücksichtsvoll miteinander umzugehen.

„Auf Lesbos im Geflüchtetenlager von Moria ist dies schlicht unmöglich“, stellen die Initiator*innen fest. In dem für etwa 3.000 Personen ausgelegten Lager leben aktuell ungefähr 20.000 Menschen – wie sollte es anders sein: unter menschenunwürdigen Bedingungen, die angesichts der grassierenden Corona-Pandemie sicher nicht besser werden. Im Gegenteil: Infektionsketten könnten in der dortigen Enge kaum unterbrochen werden.

Und dann kommt Europa ins Spiel: indem es gleichsam seine „Seele“ verkauft

Der alte Kontinent verkauft über seine notorische Haltung der Abschirmung gerade quasi seine Seele – oder das, was er dafür hält: Offenheit, Toleranz, Solidarität, das Recht auf Asyl, kurz: den Schutz von Menschenrechten, die Pflicht, für sie einzutreten. Für Rechte, die allen Menschen zukommen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer kulturellen Identität, usf.

Propagierte Rechte, die an den Außengrenzen Europas mit Füßen getreten werden. Durch nackte Ignoranz. Und dadurch käme Europa seinen Pflichten gemäß der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte in beschämender Weise nicht nach, stellt das Dortmunder Bündnis weiterhin fest. Demgegenüber verlangt es eine „solidarische Lösung in der Krise der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und weltweit“.

Doch erst am 4. März dieses Jahres wurde im Deutschen Bundestag der Antrag auf Übernahme von besonders schutzwürdigen Geflüchteten von einer großen Mehrheit abgelehnt. Stattdessen hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, Griechenlands Rolle als europäisches „Schutzschild“ hochgelobt.

Kapazitäten zur Aufnahme von weiteren Geflüchteten in kommunalen Einrichtungen vorhanden

Obwohl es, dem Zusammenschluss der Initiator*innen zufolge, hinreichend Kapazitäten in der Stadt gäbe – zur Aufnahme weiterer Geflüchteter. In Einrichtungen, die auch während der letzten großen Fluchtbewegung aus Syrien 2015 entstanden. „Wir haben Platz“, das hätten schon fast 140 Kommunen bekundet.

„Dabei geht es nicht nur um die Aufnahme von schutzbedürftigen Kindern und Jugendlichen, Schwangeren, allein reisenden Frauen und schwer traumatisierten Menschen, sondern um alle Menschen, die z.B. auf der Insel Lesbos unter unsagbaren Zuständen leiden. Eine Begrenzung der Aufnahme auf 1.000 -1.500 Menschen, wie es in der Presse berichtet wird, ist nicht hinzunehmen. Der Schutz ist all denen zu gewähren, die schutzbedürftig sind“, so die Autor*innen des Offenen Briefes unmissverständlich.

Und: Die Hilfe könne nicht von der Mitwirkung anderer europäischer Länder abhängig gemacht werden; dies sei scheinheilig und aus humanitären Gründen untragbar. Wie es sich bei der geforderten Aufnahme der Geflüchteten um eine Notfallmaßnahme handelt, ist analog der Brief an die Bundeskanzlerin überschrieben, nämlich mit: „Handeln, jetzt!“

Das Virus unterscheidet nicht nach Hautfarbe, Religion oder Geschlecht: Corona betrifft alle

Zumindest an anderer Stelle tut sich schon etwas: Die internationale Petition #LeaveNoOneBehind, in der vor dem Hintergrund der Coronakrise die Evakuierung der überfüllten und eine interne Quarantäne ausschließenden griechischen Flüchtlingslager gefordert wird, wurde bereits von annähernd 200.000 Menschen unterzeichnet. Dort heißt es:

„Besonders hart wird das Corona-Virus diejenigen treffen, die es ohnehin schon schwer haben. Dazu zählen auch die Geflüchteten an unserer Außengrenze und Obdachlose, Alte, Kranke. Die Corona-Krise lässt das Leid von Schutzsuchenden, die Gewalt und die humanitäre Katastrophe in den Hintergrund treten. Dabei ist es gerade jetzt wichtig, zusammen zu halten.“

Im Weiteren fordert die Petition: Unterbringung der Geflüchteten an Orten, wo sie vor dem Virus geschützt sind; notwendige Quarantäne- und Schutzmaßnahmen vor Corona überall, um eine exponentielle Ausbreitung des Virus zu verhindern; Zugang zu medizinischer Versorgung für Obdachlose, Geflüchtete und alle anderen, so gut es geht; humanitäre und finanzielle Unterstützung der besonders betroffenen Gebiete, insbesondere Griechenland, durch eine europäische Kraftanstrengung; Zugang zu Asylverfahren und Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit – besonders in Krisenzeiten
.

Weitere Informationen:

  • Folgende Initiativen und Organisationen haben den Aufruf erstunterzeichnet: 1. Seebrücke Dortmund 2. Offenes Zentrum 3. Grenzenlose Wärme – Refugee Relief Work e.V. 4. Rekorder 5. Stallgasse 6. Flüchtlingspaten Dortmund e.V. 7. Bündnis Dortmund gegen Rechts 8. Train of Hope Dortmund e.V. 9. SJD – Die Falken Unterbezirk Dortmund 10. Tanz auf Ruinen 11. IZ3W e.V. 12. Nordpol
  • Offener Brief an die Bundeskanzlerin; hier:
  • Petition: #LeaveNoOneBehind: Jetzt die Corona-Katastrophe verhindern – auch an den Außengrenzen!

 

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Reaktionen

  1. Seebrücke Dortmund (Pressemitteilung)

    Seebrücke Dortmund beteiligt sich am bundesweiten Aktionstag „Wir hinterlassen Fußspuren“

    Forderung: sofortige Evakuierung der griechischen Lager!

    Angesichts der dramatischen und menschenunwürdigen Situation zehntausender Geflüchteter an den europäischen Außengrenzen, auf den griechischen Inseln und entlang der Balkanroute ruft das Bündnis Seebrücke bundesweit zu einem Aktionstag am Sonntag, 5 April im Rahmen der #LeaveNoOneBehind – Kampagne auf. In Dortmund wird dazu eine Aktion auf dem Friedensplatz angeboten. Aktionszeit ist 13-16 Uhr. Hier haben Dortmunder Bürger die Gelegenheit, ihren Protest individuell, unter Einhaltung der Abstandsregel, zum Ausdruck zu bringen. Dazu können sie Plakate mitbringen oder ihre Fußspuren hinterlassen.

    „Wir fordern die Auflösung der griechischen Lager und die sofortige Aufnahme der Menschen in Deutschland. 142 Städte und Kommunen haben sich deutschlandweit wiederholt für eine Aufnahme bereit erklärt. Sollte es in einem der Lager zu einem Ausbruch von COVID 19 kommen, bedeutet dies dort den sicheren Tod für viele Menschen – eine humanitäre Katastrophe. Angesichts der desaströsen hygienischen Bedingungen ist Prävention kaum möglich“, so die Seebrücke.

    Die Stadt Dortmund hat hat am 13. Februar in der Ratsversammlung den Beschluss zum sicheren Hafen erweitert und ist bereit, 20-30 Kinder aus den griechischen Hotspots aufzunehmen. Bis heute ist aber nichts passiert, weil die Bundesregierung nicht handelt.

    Dazu Anja Sportelli von der Seebrücke Dortmund: „ Es ist toll, dass es der Regierung gelingt, 200.000 deutsche Urlauber*innen zurückzufliegen und trotz Corona 40.000 Erntehelfer*innen einzufliegen. Es ist absolut unverständlich, dass es nicht möglich ist, schnell 1500 Kinder und ca. 2000 alte und kranke Menschen auszufliegen. Wir müssen jetzt handeln und die Lager evakuieren.“

    „Wenn wir schon nicht gemeinsam demonstrieren können, so möchten wir trotzdem auf die unmenschliche Situation in Griechenland und anderswo aufmerksam machen“ so Anja Sportelli weiter.

    „Wir planen keine Demonstration oder öffentliche Versammlung, sondern schlagen vor, sich individuell und mit einem Abstand von mindestens 2 Metern an der Seebrücke-Aktion zu beteiligen. Selbstverständlich sind dabei alle Schutzbestimmungen zu berücksichtigen“, so Joachim Spehl, ebenfalls aktiv bei der Seebrücke Dortmund.

    Mit dieser kreativen Protestaktion soll keineswegs die Beschränkung sozialer Kontakte (seit 20.03.2020 in Kraft) unterlaufen werden. Vielmehr soll so ermöglicht werden individuell – mit der Einhaltung aller Abstands- und Sicherheitsvorschriften – politische Forderungen öffentlich zu artikulieren. Das muss in einer Demokratie, auch zu Zeiten von Corona, uneingeschränkt möglich sein.

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