Ein 500-Seiten-Gutachten liefert ernüchternde Ergebnisse

„Ende Gelände“: In Dortmund gibt es keine Freifraumflächen für die Wirtschaft mehr

Auf der Westfalenhütte hat Amazon das dritte NRW-Logistikzentrum eröffnet. Foto: Marcus Arndt
Auf der Westfalenhütte hatte Amazon das dritte NRW-Logistikzentrum eröffnet – eine von vielen Logistikansiedlungen. Solche „flächenfressenden Logistikflächen“ soll und kann es künftig in Dortmund (im Freiraum) nicht mehr geben. Foto: Marcus Arndt

Rund drei Jahre lang wurde u.a. von der Dortmunder CDU kritisiert, dass die „Eignungsuntersuchung neuer Wirtschaftsflächen im Freiraum“ im „Giftschrank“ des Rathauses schlummert – bereits vor der Kommunalwahl sollte das 500 Seiten starke Gutachten vorliegen. Doch erst jetzt wird es in der Politik diskutiert. Das Ergebnis ist ernüchternd: „Wir haben nichts gefunden, was man in Angriff nehmen könnte. Es gibt keine restriktionsfreien oder -armen Flächen mehr. Irgendwas steht einer Nutzung immer entgegen“, machte Stefan Thabe, Fachbereichsleiter im Stadtplanungs- und Bauordnungsamt, deutlich.

Verlust wesentlicher ökologischer und klimatischer Funktionen droht

Bereits bei der Wirtschaftsflächenkonferenz der Stadt im Juni 2022 wurden die Kernergebnisse vorgestellt. Jetzt findet die eigentliche Diskussion statt. Die Botschaft des Gutachtens ist klar: Die Entwicklung neuer Flächen im Freiraum wird nicht empfohlen, weil keine (neuen) restriktionsfreien bzw. -armen Flächen zur Ansiedlung größerer Gewerbe- und Industriebetriebe im Freiraum identifiziert werden konnten.

Dortmunder Denkmalhefte: Im Brunnen der Familie Heuner. Stefan Thabe, Bereichsleiter Stadtentwicklung des Bauplanungs- und Bauordnungsamtes
Stefan Thabe, Bereichsleiter Stadtentwicklung des Bauplanungs- und Bauordnungsamtes Klaus Hartmann | Nordstadtblogger

„Weitere Flächeninanspruchnahme im Freiraum geht unweigerlich mit dem Verlust wesentlicher ökologischer und klimatischer Funktionen einher“, machte Stefan Thabe im Ausschuss für Klimaschutz, Umwelt, Stadtgestaltung und Wohnen (AKUSW) deutlich. Flächen im Freiraum seien „nur nach harten Abwägungsprozessen entwickelbar“ und als  „Ultima Ratio“ zu verstehen.

Die Ergebnisse sind so eindeutig, dass sie explizit den Verzicht von Machbarkeitsstudien vorschlagen. Die gute Nachricht: Den bisher schon planerisch gesicherten Potenzialflächen – diese wurden ebenfalls mituntersucht – wird eine vergleichsweise hohe Eignung attestiert. Die am besten geeigneten Flächen für Neuansiedlungen liegen am Sorbenweg, an der Brennaborstraße / Im Weißen Feld und am Werner Hellweg.

Gesellschaftlicher Diskurs zwischen Politik, Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft

Die Botschaft ist klar: Es brauche einen „gesellschaftlichen Diskurs zwischen Politik, Gesellschaft, Verwaltung und Wirtschaft“, um den „vielfältigen Ansprüchen an die begrenzte Ressource Raum“ gerecht zu werden. Zudem brauche es qualitatives Wachstum und Flächeneffizienz. Außerdem müsse die „Konflikthaftigkeit zwischen Ökonomie und Ökologie (…) überwunden werden“, erklärte Thabe. Das Ganze soll die nun folgende Diskussion zur „Wirtschaftsflächenstrategie“ der Stadt Dortmund leisten. 

Als mögliche Bausteine zukünftiger Wirtschaftsflächenentwicklung hat die Stadt u.a. die Sicherung der gewerblichen Flächenkulisse identifiziert. Sie müsse gegen das „Einsickern“ oder Heranrücken anderer Nutzungen geschützt werden, um nicht noch weitere Wirtschaftsflächen zu verlieren.

Untersuchung der Verfügbarkeit Dortmunder Nettoreserveflächen ≥ 1 ha im Rahmen der Restriktionsanalyse (Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage ruhrFIS 2020)
Untersuchung der Verfügbarkeit Dortmunder Nettoreserveflächen ≥ 1 ha im Rahmen der Restriktionsanalyse (Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage ruhrFIS 2020)

Die Flächenaktivierung von Baulücken, Altlastensanierungen, Neunutzung von Brachen sowie die  Neuordnung von Grundstücken, eine aktive Liegenschaftspolitik und Eigentümeransprachen seien (weiterhin) nötig. Zudem müsse viel stärker auf Flächeneffizienz geachtet werden. Dabei ist sowohl die Nachverdichtung als auch die Prüfung auf „stapelbares Gewerbe“ gemeint. Im Klartext: Die jahrelang forcierte Entwicklung von Logistikstandorten ist in Dortmund Geschichte – u.a. weil hier das Verhältnis von benötigter Fläche, Ertrag und der Dichte von Arbeitsplätzen zu gering ist.

Zukünftig müsse zudem stärker auf die Ausweisung von neuen Mischgebieten – zum Beispiel von Standorten für Wohnen und Arbeiten – zurückgegriffen und die Re-Integration von Produktion in den städtischen Raum angegangen werden. Das wird bereits jetzt unter den Schlagworten „Urbane Produktion“ und „Urbanes Handwerk“ diskutiert und hat vor allem „stadtaffines“ Gewerbe sowie die Kunst- und Kreativwirtschaft im Blick. Zudem brauche es (noch) mehr interkommunale bzw. regionale Kooperationen.

„Restriktionsfreie Flächen haben wir in Dortmund nicht mehr“

Das Gutachten löst – wenig überraschend – keine Begeisterungsstürme aus, wenngleich sich nicht wenige Fraktionen in ihren Annahmen und ihrer Kritik bestätigt sehen. Als „Fleißarbeit und Basis für die Ausrichtung der Politik“ bezeichnete die SPD-Fraktionschefin Carla Neumann-Lieven das Gutachten. „Wir sprechen international vom Zurückholen von Wirtschaftszweigen. Doch denen, die zurückkommen wollen, können wir nichts mehr anbieten. Das wird noch spannend“, sagte die SPD-Politikerin und hofft auf interkommunale und regionale Lösungen, wenn Dortmund seine letzten Potenzialflächen verbraucht hat. 

Matthias Dudde (Grüne) verwies „auf das ein oder andere Versäumnis und die fehlende Flächeneffizienz in der Vergangenheit“:  „Wir teilen die Einschätzungen und sehen auch, dass die begrenzt zur Verfügung stehende Fläche aufgebraucht ist.“ Die Konkurrenz zwischen den Städten müsse enden – eine Lösung sei nur regional oder interkommunal zu finden. 

„Eine restriktionsfreie Fläche haben wir in Dortmund nicht mehr. Wir haben sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass ohne massive Eingriffe in die Ökologie in Dortmund nichts mehr möglich ist.“ Er warb dafür, auch die Flächen, die schon bewirtschaftet werden, effizienter zu nutzen und bei Eigentümer:innen und Nutzer:innen dafür zu werben. „Das sollten wir nicht nur einzelnen Unternehmern überlassen, sondern Hilfestellungen geben und auch politisch Druck machen“, so Dudde.

„Wir müssen überdenken, wie wir bisher Flächen vergeben haben“

In dieselbe Kerbe schlägt Sonja Lemke (Linke+): „Wir müssen überdenken, wie wir bisher Flächen vergeben haben – auch mit Blick auf die Arbeitsplatzdichte.“ Sie appellierte, verstärkt auf andere Städte zu schauen, die das Themen Wohnen und Arbeiten anders entwickeln und verwies auf das Konzept der „15-Minuten-Städte“. 

Das Konzept der 15-Minuten-Stadt kommt aus dem stadtplanerischen Kontext und beschreibt eine Stadt, in der alle Wege des Alltags in weniger als 15 Minuten bestritten werden können. Dabei sollen nachhaltige Verkehrsmittel genutzt werden: Die Strecken werden zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV zurückgelegt. Hierfür braucht es eine gleichmäßige Verteilung der Stationen des Alltags über die gesamte Stadt. 

So tief wollte Friedrich-Wilhelm Weber (CDU) im AKUSW aber nicht einsteigen. „Die Ausführungen von Thabe seien ein guter Einstieg. „Als CDU wollen wir wegen der großen Komplexität die Beratung in den nächsten Ausschuss verschieben.

Eine Vorbereitung in der notwendigen Tiefe ist nicht möglich gewesen“, merkte Weber an und sorgte damit für ein mehr oder weniger abruptes Ende der Befassung. Stefan Thabe bot an, dass das Stadtplanungs- und Bauordnungsamt auch gerne bei Fraktionssitzungen beratend zur Seite stehen könne.

Wilde verweist auf jahrzehntelange Erfolge bei der Neunutzung von Brachflächen

Harry Jääskeläinen von „Die Fraktion – Die Partei“ sah sich bestätigt: „Der Bericht macht deutlich, dass nichts geht und die Erkenntnis macht sich breit, dass man Grün und die Natur nicht mehr der Wirtschaft opfert.“ Daher sei es wichtig, die Altflächensanierung auch aus Gründen der Generationengerechtigkeit stärker zu forcieren.

Planungsdezernent Ludger Wilde beim Interview in der Nordstadtblogger-Redaktion.
Planungsdezernent Ludger Wilde verweist auf die vielen Erfolge bei der Reaktivierung von Brachflächen. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Das wollte Planungsdezernent Ludger Wilde dann aber doch nicht unkommentiert stehen lassen: „Es gibt keine zweite Stadt, die in den letzten Jahrzehnten so damit umgegangen ist. Wir haben nur ganz wenige Flächen im Freiraum genutzt“, sagte er mit Verweis auf die Neugründung der Technologieparks im Umfeld der Universität. 

„Das war eine Zeit, als wir noch kaum Brachflächen hatten. Schon da haben wir auf Forschung und Entwicklung gesetzt und nicht auf Schwerindustrie. Die Entwicklung hat bis auf ganz wenige Ausnahmen auf Brachen stattgefunden“, verweist er auf die vergangenen Jahrzehnte. „Kaum eine Stadt hat das so intensiv gemacht, um Brachflächen für die unterschiedlichsten Nutzungen wieder in Wert zu setzen.“

Das höre auch nicht auf, sagte er mit Blick auf aktuell laufende Flächen wie die Westfalenhütte oder das Hoeschspundwand-Gelände. „Weitere Flächen werden in den nächsten Jahrzehnten brach fallen. Und wir werden sehen, welche Entwicklungen wir dann machen. Zurückblickend sind wir immer gut unterwegs gewesen“, betont Wilde.

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Reaktionen

  1. CDU-Fraktion: CDU will Perspektiven für Unternehmen und deren Arbeitnehmer – Flächengutachten beschreibt zugespitzte Lage (PM)

    Die Diskussion um die zukünftige Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Dortmund läuft seit mehreren Jahren, ohne dass die Verwaltung wegweisende Vorschläge unterbreitet hat. Erst jetzt, drei Jahre nach Beauftragung durch den Rat, legt die Verwaltung ein externes Gutachten vor, das die Misere bezüglich der Flächenreserven beschreibt. Lösungsvorschläge hat die Verwaltung jedoch nach wie vor nicht unterbreitet.

    Die CDU-Fraktion hat nun in der Sitzung des Planungsausschusses einen Antrag eingebracht, der die Verwaltung auffordert, im Interesse der Unternehmen und Arbeitnehmer konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

    „Es ist Aufgabe der Verwaltung und des Rates der Stadt, Schaden von der Stadt abzuwenden. Wer der Wirtschaft in Dortmund keine Perspektiven aufzeigt, handelt sicherlich nicht im Interesse der Stadt“, sagt Uwe Waßmann, stellv. Fraktionsvorsitzender und planungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.

    Die CDU-Fraktion sieht im Gutachten insbesondere den Mangel, dass lediglich Probleme beschrieben werden, die überhöht dargestellt werden und der Wirtschaft keine Perspektiven geben. „Insbesondere die Hinweise, dass eine Entwicklung von Flächenpotenzialen, die durchaus vorhanden sind, aus ökologischen Gründen verhindert werden sollten, missachtet den Beschluss des Rates, dass die zukünftige Entwicklung der Stadt immer unter einer Abwägung von Ökologie, Ökonomie und Sozialem betrachtet werden muss. Diese eindimensionale ökologische Bewertung der Gutachter entspricht diesem Beschluss nicht! Es ist unsere Aufgabe bei diesem Thema der Wirtschaft am Standort Dortmund und interessierten ansiedlungswilligen Unternehmen und deren Arbeitnehmern Perspektiven möglichst für die nächsten 20 – 25 Jahre zu geben“, so Waßmann weiter.

    Neben der Aufforderung an die Verwaltung, konkrete Flächen zur Entwicklung vorzuschlagen, die sich auch in dem Gutachten befinden, legt die CDU-Fraktion den Fokus auch auf Flächen, die ungenutzt in der Hand Dritter liegen. „Wenn es Verkäufe von Wirtschaftsflächen an Dritte gibt, sollten wir als Stadt Dortmund dazu übergehen, dass dies bei Vertragsabschluss mit einem Baugebot/Nutzungsgebot einhergeht, damit die Potenziale nicht ungenutzt bleiben. Darüber hinaus fordern wir als CDU-Fraktion, dass die Verwaltung eine Strategie entwickelt, die darauf abzielt, dass es auch interkommunale/regionale Flächenentwicklungen geben muss, wenn der Strukturwandel auch in der Region geschafft werden soll. Das Vorhaben, das Projekt „newPark“ bei Datteln zum Erfolg zu führen, wird aus Sicht der CDU-Fraktion nicht nachdrücklich genug verfolgt.

    „Die Stadt Dortmund ist wesentlicher Anteilseigner an der newPark GmbH und sollte diesen Gesellschafterstatus nachdrücklich nutzen. Hier gibt es allein ca. 200 ha Flächenpotential, das seit Jahren brach liegt. Dieses Beispiel zeigt deutlich die mangelnde Dynamik der Verwaltung, wenn es um die Entwicklung von Wirtschaftsflächen geht. Sich auf Erfolgen in der Nutzung von ehemaligen Industriebrachen auszuruhen, ist kein zukunftsfähiges Verwaltungshandeln!“, so Waßmann abschließend.

    Der Antrag der CDU-Fraktion ist jetzt in die Beratungen eingebracht und wird als Nächstes in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftsförderung beraten. Die abschließende Beratung wird dann der Rat in einer seiner nächsten Sitzungen vornehmen.

  2. profrawido

    Die Flächenverknappung ist auch hausgemacht durch sorglosen Umgang mit Grund und Boden, der durch tausende ebenerdiger Parkplätze bis in die jüngste Vergangenheit weiter verschwendet wird. Wer Gewerbe- und Industriegrundstücke unterhalb der Gestehungskosten einkaufen kann, der wird auch gerne eine paar Tausend qm mehr nehmen als sille Reserve. Und wenn das durch den Rat der Stadt geschaffene Baurecht nicht zwingend Mehrgeschossigkeit vorschreibt, braucht man sich über flache, flächenverbrauchnde Schuhkartonbebauung nicht zu wundern.

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