Anlässlich des Jahrestages vom Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939

Antikriegstag: Gedenken aller Kriegsopfer und Forderungen nach militärischer Abrüstung

Neben der Bühne hing das große Abbild eines Panzers, den ein riesiges Peace-Zeichen zierte und aus dessen abgebrochenem Rohr Blumen herauskamen.
Neben der Bühne hing das große Abbild eines Panzers, den ein riesiges Peace-Zeichen zierte und aus dessen abgebrochenem Rohr ein Peace-Schriftzug in Regenbogenfarben hervor kam. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Am 1. September 1939 überfiel die Deutsche Wehrmacht Polen. Der Angriff des Nachbarlandes sollte nur der Anfang eines grausamen Weltkrieges sein, der schätzungsweise mehr als 60 Millionen Menschen das Leben kostete. Um den Opfern aller Kriege zu Gedenken fand am diesjährigen Jahrestag eine Kundgebung an der Dortmunder Steinwache statt.

Die „Hölle von Westdeutschland“ – Symbolbild für Verbrechen in Kriegszeiten

Das 1906 erbaute Gebäude diente zunächst als Polizeiwache für die nördliche Innenstadt in der Dortmunder Steinstraße. Mitte der 1920er Jahre wurde der ursprüngliche Bau durch ein Verwaltungsgebäude und eine Haftanstalt ergänzt. Das Gefängnis, die heutige Mahn- und Gedenkstätte „Steinwache“ war 1928 bezugsfrei und gehörte zu den modernsten Gefängnissen seiner Zeit.

Das Dortmunder Polizeigefängnis „Steinwache“ - „die Hölle von Westdeutschland“
Das Dortmunder Polizeigefängnis „Steinwache“ – „die Hölle von Westdeutschland“ Repro: Thomas Engel

Ab 1933 nutzte die Geheime Staatspolizei (Gestapo) die Räumlichkeiten der „Steinwache“ zur Verfolgung politischer Gegner:innen, die sie brutal verhörten und folterten. Spätestens nach der Reichsprogromnacht 1938 wurde die „Hölle von Westdeutschland“ auch als Zwischenstation für Jüd:innen auf dem Weg ins Konzentrationslager genutzt.

Die nach Kriegsbeginn als  Zwangsarbeiter:innen genutzten Kriegsgefangenen wurden schnell die neue Zielgruppe der Gestapo. Für „kleinere Vergehen“ wurden auch sie in die Steinwache verschleppt und von dort aus in Konzentrationslager deportiert.

Insgesamt waren zwischen 1933 und 1945 über 66.000 Menschen in der Dortmunder „Steinwache“ inhaftiert. Gegen Kriegsende wurden die verbliebenen Inhaftierten gemeinsam mit Gefangenen aus umliegenden Gestapo-Haftanstalten auf einem „Todesmarsch“ durch den Rombergpark in die Bittermark getrieben. Etwa 300 Zwangsarbeiter:innen und Widerstandskämpfer:innen wurden ermordet.

Gedenkveranstaltung mit etwa als 100 Teilnehmer:innen

Vor dem geschichtsträchtigen Gebäude der Steinwache am Dortmunder Hauptbahnhof versammelten sich am 1. September 2022 um 17 Uhr mehr als 100 Menschen, um den Opfern aller Kriege zu gedenken.

An der Gedenkveranstaltung für die Opfer aller Kriege nahmen mehr als 100 Menschen teil.
An der Gedenkveranstaltung für die Opfer aller Kriege nahmen circa 100 Menschen teil. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

In Kooperation mit der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, der Auslandsgesellschaft, dem „Förderverein Gedenkstätte Steinwache – Internationales Rombergpark-Komitee e.V.“, dem Jugendring Dortmund, „SLADO e.V.“, unterstützt durch den „Arbeitskreis Dortmund gegen Rechtsextremismus“ veranstaltete auch dieses Jahr der DGB-Stadtverband Dortmund die Kundgebung.

Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB Dortmund, eröffnete die Gedenkveranstaltung mit dem Grundsatz des DGB – „Nie wieder Krieg“. Besonders betroffen sei sie darüber, dass der Krieg in Europa zurückgekehrt ist: „Die Ukraine hat ein Recht auf Selbstbestimmung.“ Das Ziel der NATO zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben lehne sie ab und auch die Notwendigkeit einer Investition von 100 Milliarden Euro in die militärische Aufrüstung zweifele sie stark an, vor allem wo man das Geld doch gerade an anderen Stellen dringend benötige.

Freude hingegen äußerte Jutta Ritter über den Besuch des Oberbürgermeisters Thomas Westphal, den sie in ihrer Eröffnungsrede bereits ankündigte. Sie beendete ihre Rede mit einem  Zitat von Michail Gorbatschow: „Sieger ist nicht, wer Schlachten in einem Krieg gewinnt, sondern wer Frieden stiftet.“

OB Westphal als Teil von „Mayors for Peace und der Cities for a Nuclear Free Europe“

Oberbürgermeister Thomas Westphal
Oberbürgermeister Thomas Westphal beim Antikriegstag als „Mayor of Peace“. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Schon vor längerer Zeit ist Oberbürgermeister Thomas Westphal dem Netzwerk der Bürgermeister:innen und Oberbürgermeister:innen, die sich international für Frieden und Abrüstung einsetzen, beigetreten. Mehr als 7000 Städte und Gemeinden in über 160 Ländern sind Teil dieses „Mayors for Peace“- Netzwerks.

Thomas Westphal betonte in seiner Rede, dass ihm Kommunikation, gerade in Krisenzeiten sehr wichtig sei, so auch der Austausch mit der russischen Partnerstadt Rostow am Don. Für Westphal steht fest: „Der Krieg, der im Februar begonnen wurde, ist ein Krieg des russischen Präsidenten, der die Nachkriegszeit zurückdrehen will – aber nicht das russische Volk hat der Ukraine den Krieg erklärt.“

Unüberlegte, schnelle Forderungen nach Waffenlieferung seien völlig inakzeptabel, findet der OB. „Wir haben die Verantwortung alles zutun, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern (…) Wie haben es mit einem Krieg zu tun, der, wenn wir nicht aufpassen sich schnell erweitert und vergrößert.“, mahnt er und verweist an einen verstorbenen Freund, Egon Bahr, der „für Wandel durch Annäherung“ stand, „für Gespräche mit der anderen Seite, in Zeiten, in der niemand mit der anderen Seite reden wollte“.

Verfolgung von queeren Menschen im Russland-Ukraine-Krieg

Paul Klammer vom SLADO e.V., der sich seit 1998 für die Rechte von Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidenten in Dortmund einsetzt, hielt die letzte Rede im Rahmen der Gedenkveranstaltung. „Im Krieg sind die Menschenrechte von Minderheiten besonders bedroht. Queere Menschen sind sowohl in der Ukraine als auch in Russland in besonders großer Gefahr.“, begann Klammer seine Rede vor der Steinwache, in der auch schwulen und bisexuellen zur NS-Zeit großes Unrecht widerfahren sei.

In seiner Rede machte er auf die anti-queere Propaganda-Welle aufmerksam, die in den letzten Wochen in Russland wieder begonnen habe. Seit zehn Jahren dürfe man in Russland nicht ungestraft aussprechen, dass es queere Menschen gibt, berichtet er und befürchtet daher, dass die staatlich geduldete Gewalt gegen queere Menschen und ein Vebot von gleichgeschlechtlichen Beziehungen unter Minderjährigen nur der Anfang einer neuen Verfolgungswelle ist.

Nach der Rede von Paul Klammer wurde ein Kranz in Gedenken an die verfolgten queeren Menschen vor der „Steinwache“ niedergelegt.
Nach der Rede von Paul Klammer wurde ein Kranz in Gedenken an die verfolgten queeren Menschen vor der „Steinwache“ niedergelegt. Foto: Paulina Bermúdez für Nordstadtblogger

Auch in der Ukraine sei die Situation schwierig. „Zu Beginn des Krieges erfuhren wir, dass fliehende Trans-Frauen das Land nicht verlassen durften, solange in ihrem Pass noch ein männlicher Geschlechtseintrag vermerkt war.“, äußert Klammer.

Vor der Kranzniederlegung macht Klammer auf den verbalen und körperlichen Angriff an der Reinoldikirche in der Nacht von Samstag auf Sonntag aufmerksam. Fünf Gäste der CSD Vorparty verließen die Berswordthalle und trafen nahe der Reinoldikirche auf eine Gruppe von vier Männern, die sich durch die Regenbogenflaggen provoziert fühlten und sich entschieden die Partygäste mit Pfefferspray anzugreifen. „Dieser Weg (zur individuellen Freiheit) ist auch in Deutschland, auch in Dortmund nicht zu Ende“, so Klammer.

SLADO e.V. fordert die unbedingte Einhaltung der Menschenrechte für alle Menschen weltweit, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Am Samstag, den 3. September , findetum 14 Uhr in Dortmund der Christopher-Street-Day unter dem Motto „Gemeinsam mit viel Liebe – Hand in Hand für Menschenrechte“ statt.

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Reaktionen

  1. Wolfgang Richter

    Und so spricht die deutsche Aussenministerin am Antikriegstag

    „No matter what my German voters think“

    Annalena Baerbock wollte Kanzlerin und muss nun Außenpolitik – auf beides hatte sie sich lange in den USA vorbereitet. Deren Strategien zur unipolaren Weltherrschaft sollten mit Hilfe von NATO, EU und Deutschland in imperialistischer Führungsrolle durchgesetzt werden. Sie sieht sich auf den Schultern der US-Kriegerin Madeleine Albright. Und so versteht sie ihren Job.

    Die Ukraine bot sich als „wahrlich transatlantisches Schlüsselmoment“ an und wurde seit 2014 in westlichen Werten, Waffen und Kriegs- und Todessehnsucht aufgerüstet und auf den alten neuen Feind losgelassen: “Wir werden Russland ruinieren”.

    Es ist nicht so, dass die Außenministerin und abgebrochene Völkerrechtlerin in jedes Fettnäpfchen tritt, das ihr hingestellt wird. Vielmehr umgibt sie sich selbst mit Fettnäpfen jeder Größenordnung – bourgeoise Überheblichkeit und mangelnde Sachkenntnis pflastern ihren Weg.

    Was stört Frau Baerbock das Wählen von gestern: Friedenspolitik und Diplomatie ade, Klimapolitik und Ökologie ade, Demokratie und feministische Politik sowieso. Nie war Wahlbetrug so unverfroren. Mit ‘grüner’ Perspektive an die Macht gelangt – mit Großmachtphantasien in ‘braun-kolonialer’ Perspektive gelandet.

    Annalenas Opas gucken verstohlen um die Ecke.

  2. Ulrich Sander (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-BdA)

    Wir versammeln uns am Antikriegstag vor der Steinwache. Es sei daran erinnert, was – noch – innerhalb der Steinwache zu Krieg und Frieden ausgesagt wird. In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache wird zum Motiv der Industrie, Hitler zum Führer ganz Deutschlands zu machen, ausgeführt: „Insbesondere versprach sich die einflussreiche Schwerindustrie von einer Aufrüstung Deutschlands Gewinne.“ Nicht ausgeblendet wird die historische „Industrielleneingabe“ an Hindenburg in der Gedenkstätte ‚Widerstand und Verfolgung 1933-1945‘ in der Dortmunder Steinwache. Noch gibt es den Raum 7 „Die Schwerindustrie setzt auf Hitler“. Ein Raum wie dieser ist in der heutigen BRD wohl einmalig. Und wie man hört, soll es ihn künftig nach einem Umbau der Steinwache nicht mehr geben. Die VVN-BdA in Dortmund setzt sich seit Jahren beharrlich für eine korrekte Darstellung der Geschichte ein. Ihre Ehrenvorsitzende Agnes Vedder, die kürzlich im Alter von 95 Jahren starb, hat bis zuletzt gehofft, dass die Stadt Dortmund den Skandal der Ehrentafel für den Hitler-Finanzier Emil Kirdorf im Stadtteil Eving beendet. An anderer Stelle soll, so schrieb sie unter Bezug auf die Lehren der Geschichte, eine Mahntafel entstehen, dort, wo die Hitler-Finanziers aus der „Ruhrlade“ 1933 tagten. Sie schlug vor, „an der Grünanlage Hainallee (Tagungsort der Ruhrlade Anfang 1933) eine Mahntafel anzubringen“. Begrüßt wurde die Schaffung des Mahnmals auf der Kulturinsel im Phönixsee, das die Verbrechen der Stahlkonzerne an den Zwangsarbeiter/innen aufzeigt . – Die Rolle der ökonomischen Eliten in den Schicksalsjahren 1932/33 aufzuzeigen, bedeutet, die Frage zu beantworten: Wie konnte es dazu kommen? Der Kapitalismus muss nicht zum Faschismus führen, aber – um ein Wort von Primo Levi zum Holocaust leicht abzuwandeln – bei uns ist es geschehen, und es kann wieder geschehen. Heute geht es nicht um die Feststellung: Die Schwerindustrie setzt auf die Nazis. Es geht um dies: Die Rüstungsindustrie setzt auf die Ampel-Koalition und ihre gigantischen Rüstungsausgaben. Die Regierung vertritt die Interessen der Rüstungskonzerne, und zwar auch jene wie Rheinmetall. Wir erfuhren dies: Rheinmetallchef Armin Papperger freut sich, dass die Zeiten vorbei seien, da man hier in Deutschland „in fast zwei Generationen verlernt habe, wehrhaft zu sein“. Das zitierte die Süddeutsche Zeitung am 28. April 2022 und fuhr fort: „Es mögen jetzt ziemlich furchtbare Zeiten sein, aber für einen Hersteller von Kriegsgeräten und seine Aktionäre sind sie lukrativ. Der Kurs der Rheinmetall-Aktie lag am Vorabend des Überfalls auf die Ukraine zwischen 94 und 98 Euro. Heute kostet ein Papier 215 Euro.“ Die dpa meldete am 11. Mai 22 ergänzend: „Der Panzer- und Artillerie-Hersteller Rheinmetall geht davon aus, dass er sein Geschäft mit der Bundeswehr künftig verdoppelt.“ Künftig würden es „mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr werden,“ sagte der Rheinmetall-Chef.

  3. Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag am 1. September um 16 Uhr an der Steinwache in Dortmund (PM)

    Wir möchten zu unserer Gedenkveranstaltung zum Antikriegstag am 1. September um 16 Uhr an der Steinwache in Dortmund einladen:

    „Nie wieder Krieg“ – das ist die Mahnung der Gewerkschaften am Antikriegstag, die in dieser Zeit ganz besondere Bedeutung hat. Schon eineinhalb Jahre dauert der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Wir fordern die russische Regierung auf, ihn durch den Rückzug ihrer Truppen zu beenden und die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen.

    Bei unserer Veranstaltung werden wir in diesem Jahr neben den Focus auf das Schicksal von Kriegsflüchtlingen legen. In einer gemeinsame Arbeit der DGB-Jugend und den Falken wurden Videoclips erstellt, in denen sie geflüchtete junge Menschen zu ihren Erlebnissen rund um Krieg, Flucht und dem Leben in Deutschland interviewt haben. Neben dem Grußwort des Dortmunder Oberbürgermeisters und Beiträgen des Dortmunder Jugendringes sowie einer Kranzniederlegung von SLADO e.V. ist der Bezirksleiter der IG Metall NRW, Knut Giesler als Hauptredner eingeladen.

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