Wohnen in Dorstfeld-West: Nach einer Mieterbeschwerde gegen Gewerbelärm sollen die MieterInnen wegziehen

Die Straßen „Iggelhorst“ und „Auf dem Brümmer“ im Gewerbegebiet sind betroffen. Karte: www.mapz.com
Die Straßen „Iggelhorst“ und „Auf dem Brümmer“ im Gewerbegebiet sind betroffen. Karte: www.mapz.com

So hatte sich das ein Anwohner im Gewerbegebiet Dorstfeld-West sicher nicht vorgestellt, als er sich im vergangenen Herbst wegen der Lärmemissionen eines neu eröffneten Gewerbebetriebs in seiner Nachbarschaft beschwert hat. Statt beim Betrieb flatterten anschließend bei ihm und 17 weiteren MieterInnen Ordnungsverfügungen der Stadt Dortmund ins Haus: Sie wohnten dort illegal und müssten ihre Wohnungen verlassen. Sollten sie der Aufforderung nicht binnen drei Monaten nachkommen, drohe eine Strafzahlung von 2000 Euro.

Wohnnutzung in den Straßen „Iggelhorst“ und „Auf dem Brümmer“ betroffen

Ein Schock für die Mietparteien, die dort teils seit Jahrzehnten wohnen. Ihre Wohnungen sollen illegal sein. Den meisten MieterInnen dürfte das nicht völlig neu sein – davon geht auch die Stadt aus.

Planungsdezernent Ludger Wilde ist ein gefragter Mann - er muss Rede und Antwort stehen. Fotos: Alex Völkel
Planungsdezernent Ludger Wilde ist ein gefragter Mann – er muss Rede und Antwort stehen. Fotos: Alex Völkel

Um was genau geht es? Der Bebauungsplan weist für den Bereich im Westen von Dorstfeld ein Gewerbegebiet aus, zu dem auch die Straßen „Iggelhorst“ und „Auf dem Brümmer“ gehören. Wohnen ist hier in der Regel ausgeschlossen. Nur für Betriebsangehörige, die in einer genehmigten Betriebswohnung leben, gibt es Ausnahmen. 

Im Herbst 2018 hat sich offenbart, dass hier schon seit einiger Zeit Menschen wohnen, für die diese Ausnahmeregelung nicht gilt. Aufgefallen ist das aus städtischer Sicht „illegale Wohnen“ im Oktober, als sich einer der Anwohner über den Lärm aus einem neu angesiedelten Betrieb beklagte. In einem Gewerbegebiet gelten jedoch andere Lärm-Vorschriften als in einem Wohngebiet.

„Genau deshalb gibt es die Trennung der Gebiete. Die Stadt hat daraufhin sehr schnell mit den Eigentümern, die illegal ihre als Gewerbeanlagen genehmigten Immobilien zu Wohnzwecken nutzen oder nutzen lassen, Kontakt aufgenommen und Gespräche geführt. Diese führten jedoch zu keinem Ergebnis. Weder konnten Genehmigungslagen nachgewiesen werden, noch wurden Entmietungskonzepte vorgelegt“, teilt die Stadt als Reaktion auf einen Bericht der Ruhr Nachrichten mit. 

Behörden-Logik: „Wir müssen gegen den Mieter vorgehen, weil der stört“

Die bundesweit gültige Baunutzungsverordnung zwinge die Stadt dazu, in solchen Fällen nach deren Bekanntwerden ordnungsrechtlich einzuschreiten. Dies verdeutlichte auch der zuständige Planungsdezernent Ludger Wilde: Schutzwürdig seien hier nicht die Wohnmietparteien, sondern die Gewerbebetriebe. 

Die Zeche gehört zu den markantesten Gebäuden in Dorstfeld. Das Begegnungszentrum wird auf der Rückseite entstehen.
Der Bebauungsplan ist seit 15. März 1968 rechtsgültig. Aber schon ab 1849 standen auf dem Gelände u.a. eine Kokerei und die Zeche Dorstfeld 1/4.

Das Pikante: Die Ordnungsverfügungen richten sich gegen die MieterInnen, nicht gegen die VermieterInnen bzw. EigentümerInnen: „Wir müssen gegen den Mieter vorgehen, weil der stört. Der Empfänger müsste eigentlich der Eigentümer sein“, räumt auch Wilde ein. Die betroffenen MieterInnen könnten allerdings zivilrechtlich gegen den Vermieter vorgehen – wohl kaum mehr als ein kleiner Trost.

An einem Auszug gehe allerdings kein Weg vorbei, verdeutlicht Wilde. Zumindest dann nicht, wenn kein Bestandsschutz für die jeweilige Wohnung gewährt werden könne. Dies werde in den 18 Fällen geprüft – ebenso wie bei möglichen weiteren zu Wohnzwecken genutzten Immobilien in dem Areal. Weitere Mietparteien könnten also betroffen sein. 

Bestandsschutz könnte für Wohnhäuser gelten, die vor der Ausweisung als Gewerbegebiet gebaut wurden. Der aktuelle Bebauungsplan ist seit dem 15. März 1968 rechtsgültig. Bei den Häusern, die nachher errichtet wurden, ist eine reguläre Nutzung nur mit einer Betriebszugehörigkeit möglich. 

Denn Hausmeisterwohnungen, eine Wohnnutzung durch die jeweiligen Eigentümer oder auch andere Beschäftigte des örtlichen Unternehmens sei möglich. Aber auch nur so lange sie noch in dem jeweiligen Betrieb beschäftigt sind. Rentner müssten nach dieser Logik auch ihre Betriebswohnungen verlassen. 

„Die Stadt muss in einem Gewerbegebiet das Gewerbe schützen, nicht das Wohnen“

Eine sofortige Räumung wie seinerzeit im Hannibal 2 ist den BewohnerInnen jetzt erspart geblieben.

Der Grund für die restriktive Haltung: Die Stadt sieht sich verpflichtet, in einem Gewerbegebiet das Gewerbe zu schützen, nicht das Wohnen. Daher weist Wilde auch Vorschläge wie den des Dorstfelder SPD-Ratsvertreters Hans-Peter Balzer zurück. Dieser hatte gefordert, das Areal in ein Mischgebiet umzuwandeln, wo Wohnen und Gewerbe möglich seien. 

„Wir haben einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan. Er erlaubt gewisse Emissionen. Im Mischgebiet bringe ich Wohnen dazu und verschärfe die Situation für die Betriebe. Das möchte ich nicht erleben, weil Betriebe sich dann dagegen wehren werden“, macht Wilde deutlich. Dann drohten Schadensersatzklagen, weil Betriebe durch die Veränderungen eingeschränkt würden. 

„Härtefälle wird es immer geben und da werden wir versuchen, Lösungen zu finden“, verspricht der Planungsdezernent. Nur in den Fällen, in denen „keine Signale auf eine Auszugsbereitschaft erkennbar waren“, seien Ordnungsverfügungen gegen BewohnerInnen erlassen worden – verbunden mit der Aufforderung, sich innerhalb von drei Monaten eine neue Wohnung zu suchen. Eine sofortige Räumung wie seinerzeit beim Hannibal 2 sei nicht notwendig, aber auch durch die Feuerwehr geprüft worden, bestätigt Wilde.

„Die Stadt Dortmund bedauert diesen Schritt, sieht aber keine Handlungsspielräume. In wieweit für einzelne Fälle überhaupt andere Aspekte, die hier aber nicht bekannt sind, zum Tragen kommen können, kann gegenwärtig nicht beurteilt werden“, heißt es in der von der Stadt im Anschluss verbreiteten Stellungnahme. 

Mietwohnungen sind von Ordnungsverfügungen betroffen, die Asylunterkunft nicht

„Eine Wohnung in Dorstfeld und Umgebung zu finden, ist derzeit nicht leicht. Das Amt für Wohnen steht den Menschen auf ihrer Suche nach neuen Wohnungen beratend zur Seite und kann prüfen, ob geförderte Wohnungen angeboten werden können“, teilt die Stadt mit. 

Wie viele Menschen tatsächlich betroffen sind, kann noch nicht abschließend gesagt werden. Nach gegenwärtigem Ermittlungsstand ist der Erlass weiterer Ordnungsverfügungen nicht angezeigt. Genauso ist aus Sicht der Stadt zurzeit nicht erkennbar, dass hier rechtswidrige Ordnungsverfügungen erlassen wurden. 

Deren auch (öffentlicher) Protest scheint sicher, ebenso wie die Reaktionen vom ganz rechten Rand. Denn die Asylunterkunft in dem Gebiet scheint ausgenommen, weil eine solche Unterkunft nicht als „allgemeines Wohnen“ gewertet wird. Doch auch das sei Gegenstand weiterer Prüfungen, so Wilde. „Wir wollen das so moderieren, dass die Lage nicht zu disruptiv, aber für die BewohnerInnen verständlich wird“, versucht OB Ullrich Sierau die drohenden Wogen zu glätten.

Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Dorstfelder

    Es gab schon 2015 eine Bewertung über das Gewerbegebiet Dorstfeld-West.

    Zu lesen in:

    Endbericht
    Integriertes Klimaschutzkonzept für das Gewerbegebiet Dorstfeld -West

    Da wurden alle Gebäude aufgenommen und bewertet. Und man beachte die „projektierte“ Halle für den Hamburger Transportunternehmer Kühne auf dem Gelände des ehemaligen Berufsförderungswerk. Da stören halt Anwohner.

    Und die Beschwerde, die angeblich den Ausschlag gab, Anwohner zu listen, war wegen Lärmbelästigung.

    Hier dürfen in einer Halle Veranstaltungen abgehalten werden, die bis in die frühen Morgenstunden gehen. Der Lärm geht auch in die Wohnbereiche.
    Nachweislich gibt es bis heute keinen anderen Betrieb, der nach 20.00 Uhr nennenswerten Lärm macht. Die fahren alle nach Hause. (siehe Endbericht 2015)

    Es fehlt nur die Vettern(Wirtschaft) in Punkto Investoren. Daran wird gearbeitet.

    • Witsche

      Am Besten ist das im WDR Interview 21.05.19 vom Planlosdezernenten: „Wir waren in der Annahme, die wohnen erst ein paar Monate dort“.

      Hallooooooo………………..

  2. D.Paluch

    Das Gewerbegebiet hat laut Seite 99 Endbericht für den Innovationspark Dorstfeld West 310 Bewohner,bei 19 Wohnungseigentümern.Autraggeber die Stadt Dortmund 2013
    Angeschrieben wurden aber nur 4 Eigentümer von Wohnungen.Die Stadt ,auch Herr Sierau und Herr Wilde wurden seit Monaten vom Anwalt schriftlich um ein Gespräch gebeten,Rückantworten gab es nicht.Beschwerden gab es schon 1991,die sogar in Arnsberg beim Regierungspräsidium angekommen sind.Spätestens seit 1991 ist der Stadt bekannt das dort Wohnungen sind.
    Es liegt sogar ein Schreiben des Bauamtes vor,in dem bescheinigt wird,das es keinerlei Beschränkungen zur Nutzung gibt.Sehr seltsam ist aber das ein altes Kokerei Gelände im Herbst 2019 mit Hallen eines Investors(Arountown) bebaut werden soll.(Schacht 1/4 Kokerei Dorstfeld,Dorstfelder Hellweg 120/Stilllegung ohne Dekontamition 1927) Hier steht halt viel Geld gegen ein paar Mieter

  3. Unternehmer

    Und letztendlich ist es ein Gewerbegebiet. Dass auch nach 20 Uhr laut sein darf. Unverständlich dass es dann noch Beschwerden wegen Lärmbelästigung gibt.

    Natürlich weiß die Stadt dass dort gewohnt wird, wohnen ist ja auch nicht gänzlich ausgenommen. Steht ja da. Firmenangehörige, Inhaber, Hausmeister etc. dürfen dort wohnen.

    Alles andere sind nunmal Gesetze, die nicht die Stadt erlässt, sondern der Gesetzgeber.

  4. Dorstfelder Bürger

    Natürlich stören Anwohner in einem Gewerbegebiet. Deswegen ist es ja auch ein Gewerbegebiet und kein Wohngebiet.

    Allerdings verstehe ich auch das Problem nicht, dass sich dort Logistik Firmen oder eine Eventhalle ansiedeln. Es ist ein Gewerbegebiet und darf es laut werden.

    Die ganzen empörten, besorgten Bürger, die jetzt wieder aufschreien, haben von der Rechtslage mal wieder keine Ahnung.

  5. Paluch

    Lärmschutzwerte gibt es auch in einem Gewerbegebiet,Tag/Nacht,daran müssen sch die Betreiber der Eventhalle halten,tun sie aber nicht.Es gibt auch Beschwerden aus dem Wohngebiet über diese Eventhalle und ihren Gästen,bei denen Autocorsos und abfeuern von Faustwaffen dazugehören
    Keiner der Bewohner des Gewerbegebietes hat sich je über zulässigen Lärm beschwert.
    Das Gebiet hat laut Stadt 310 Bewohner,in ganz Dortmund gibt es ca.,noch 25 weitere Gewerbegebiete die nun auch noch Zwangsgeräumt werden müssten,viel zu tun also für die Stadtverwaltung.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert