Einschätzungen von Prof. Dr. Claus Greiber von der FH Dortmund

Wirtschaftsfolgen des Ukraine-Kriegs: „Neuer Eiserner Vorhang“ als realistisches Szenario

Droht ein neuer „Eiserner Vorhang“? Die alten Überbleibsel dienen - an der East Side Gallery in Berlin - nur noch als Kunstwerk und Mahnmal.
Droht ein neuer „Eiserner Vorhang“? Die alten Überbleibsel dienen – an der East Side Gallery Berlin – als Kunstwerk und Mahnmal. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Welche möglichen Auswirkungen hat der Krieg gegen die Ukraine auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung? Prof. Dr. Claus Greiber, Volkswirt mit Schwerpunkt Monetäre Ökonomik an der Fachhochschule Dortmund, hat dazu die ersten Ergebnisse vorliegender makroökonomischer Studien ausgewertet. In einem öffentlichen Vortrag präsentierte Claus Greiber jüngst unter anderem, welche Effekte die Sanktionen gegen Russland haben und wie die Reaktionen der Finanzmärkte ausfallen. Im Kurzinterview beantwortet er dazu aktuelle Fragen.

Herr Greiber, führt die jetzige Situation erneut zu einem „Eisernen Vorhang“, wie wir ihn schon aus der Zeit des „Kalten Krieges“ kennen?

Claus Greiber ist Volkswirt mit Schwerpunkt Monetäre Ökonomik an der FH Dortmund.
Claus Greiber ist Volkswirt mit Schwerpunkt Monetäre Ökonomik an der FH Dortmund. Foto: privat/ FH Dortmund

Politisch gesehen scheint das aktuell ein realistisches Szenario zu sein für das „neue“ Verhältnis des Westens und Russland. Aber auch ökonomisch könnte das eine passende Metapher werden.

Die Handelsströme zwischen den beiden Wirtschaftsräumen wären weitgehend abgeschnitten; es stellt sich nur die Frage, ob wir, wie in den 70er-Jahren, Rohstoffe, insbesondere Gas, aus Russland importieren – so sieht es aktuell aus – oder ob wir, wie in den 60ern, weitgehend darauf verzichten (müssen).

Welche weiteren Folgen sind für Inflation, Konjunktur und Wachstum in Europa absehbar?

Wenn Europa, wie es Stand heute die Bundesregierung möchte, weiterhin vor allem Gas und auch Öl aus Russland bezieht, dürften die kurzfristigen konjunkturellen Folgen überschaubar sein. Das sich immer noch infolge der Corona-Krise erholende Wachstum würde etwas gedämpft.

Droht ein neuer „Eiserner Vorhang“? Die alten Überbleibsel dienen - an der East Side Gallery in Berlin - nur noch als Kunstwerk und Mahnmal.
Seit 1990 steht diese zeitlose Botschaft an den Überresten der früheren Berliner Mauer. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Der zusätzliche Inflationsschub, getrieben von den Preisanstiegen an den internationalen Rohstoffmärkten, würde vermutlich im Bereich von ein bis zwei Prozent liegen. Allerdings gehen wir auch ohne diesen Zusatzeffekt bereits von einer Inflationsrate von etwa vier Prozent im Jahr 2022 aus.

Die Inflation läge mit fünf bis sechs Prozent also noch einmal spürbar über der des letzten Jahres. Das wäre also der Preis für den „Neuen Eisernen Vorhang“ ohne Energieembargo.

Wie sehr könnte ein Boykott russischer Exporte auch speziell Deutschland schaden?

Längerfristig, auf fünf bis zehn Jahre betrachtet, wären die ökonomischen Kosten eines solchen Boykotts für Deutschland beziehungsweise die meisten Länder in Europa gut zu kompensieren. Kürzerfristig wäre aber vor allem ein Boykott der Gaslieferungen volkswirtschaftlich sehr teuer, da es hier keine Ausweichmöglichkeiten für Industrie und Verbraucher gibt. Erste makroökonomische Prognosen sprechen in einem solchen Energie-Embargo-Fall von einem konjunkturellen Dämpfer im Bereich von minus drei, vielleicht minus fünf Prozent für unser Bruttoinlandsprodukt.

Droht ein neuer „Eiserner Vorhang“? Die alten Überbleibsel dienen - an der East Side Gallery in Berlin - nur noch als Kunstwerk und Mahnmal.
Derzeit erleben wir die gegenteilige Entwicklung. Mauern und Wirtschaftsschranken werden errichtet. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Die Politik ist hier momentan allerdings wesentlich vorsichtiger beziehungsweise risikoscheuer. Denn das Risiko in einem solchen Boykott-Szenario besteht nicht nur in möglichen Versorgungsengpässen, sondern vor allem in weiteren Preis-Eskapaden an den Rohstoffmärkten. Hier hatten die Preise vor allem für Gas kürzlich neue historische Höhen erreicht.

Würden sich diese Entwicklungen fortsetzen, könnte es zu noch deutlich ausgeprägteren Inflationsschüben und Konjunktureinbrüchen kommen. Dieses Szenario eines abrupten Embargos und die weiteren Risiken ist die deutsche Regierung offenbar aber nicht gewillt zu tragen.

Ein solches Boykott-Szenario ist momentan an den Finanzmärkten nicht eingepreist. Auch die in den letzten Tagen wieder sinkenden Energiepreise spiegeln eher einen „Eisernen Vorhang“ der 70er-Jahre mit Energiehandel wider.

 

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Reaktionen

  1. NRW-Wirtschaft sieht sichere Energieversorgung in Nordrhein-Westfalen gefährdet (PM)

    Der Krieg in der Ukraine ist nicht nur eine außerordentliche menschliche Tragödie, sondern zeigt auf, wie problematisch die energiewirtschaftliche Abhängigkeit Deutschlands von Russland ist. Aus Sicht der Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen wird es kein „weiter so“ bei der bisherigen Versorgungsstrategie geben. Dies gilt auch für Verfahren, mit denen in Deutschland die Planung und Genehmigung von Energieanlagen und -infrastrukturen in nicht mehr hinnehmbarer Weise verzögert werden.

    „Die Abhängigkeit Deutschlands von der Energie aus Russland wird aktuell und mittelfristig zu Versorgungsengpässen und drastischen Preiserhöhungen führen“, betont Heinz-Herbert Dustmann, Vize-Präsident von IHK NRW und Präsident der IHK zu Dortmund. Daher müsse die deutsche Energiepolitik alle bisherigen Entscheidungen zu Ausstiegs- und Einstiegspfaden sowie Energie-Bezugsquellen auf den Prüfstand stellen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien müsse weiter mit höchster Priorität beschleunigt werden.

    Aus nordrhein-westfälischer Sicht muss aber auch die Frage ehrlich beantwortet werden: Kann der bisher eingeschlagene Pfad eine ausreichende Energieversorgung sicherstellen? Jetzt ist der Zeitpunkt für einen umfassenden Sicherheitscheck gekommen, wie im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen.

    „Unabhängig von den Energieträgern müssen wir sicherstellen, dass wir in Deutschland die Energieversorgung rund um die Uhr zu wettbewerbsfähigen Preisen gewährleisten“, so Dustmann. „Gleichzeitig muss der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze beschleunigt und alle Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.“

    Wenn Gas kurzfristig nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht, wird eine gesicherte Leistung aus anderen Energieträgern benötigt. Jetzt müssen alle Optionen geprüft werden: Hierzu zählt auch eine etwaige Laufzeitverlängerung bestehender Kraftwerke, die nun technisch und vorbehaltslos von den Regulierungsbehörden vorgenommen werden sollte. Bestehende Ausstiegsgesetze sind neu zu bewerten. Auch die Brennstoffversorgung der Kraftwerke muss sichergestellt werden.

    Damit die Laufzeitverlängerung als Option bestehen bleiben kann, sollte die Bundesregierung einen Weiterbetrieb nun unverzüglich vorbereiten. Ein Abschalten von weiterer Leistung würde zum jetzigen Zeitpunkt die Versorgungssicherheit gefährden und die Preisentwicklung für Strom weiter anheizen. Bevor es zu einer Priorisierung bei der Gasversorgung kommt, sollten die Auswirkungen einer Verknappung auf die NRW-Wirtschaft und auf die Versorgung von kritischen Produktionsbereichen etwa in der Lebensmittelindustrie geprüft werden. Das knappe Gas sollte schnellstmöglich aus der Stromproduktion herausgenommen werden.

    Der Wertverlust des Euros befeuert den Preisanstieg der Energieträger. Das schränkt die internationale Wettbewerbsfähigkeit ein und heizt die Inflation an. Schon heute stellen die explosionsartig gestiegenen Energiepreise eine so große Belastung dar, dass Unternehmen in Teilen bereits jetzt die Produktion einstellen. Dustmann: „Wir fordern daher die Bundesregierung auf, die Steuern und Abgaben auf Energie in dieser besonderen Marktlage auf das gesetzliche Mindestmaß zurückzunehmen, um die Wirtschaftlichkeit der heimischen Produktion zu sichern.“

  2. Online-Veranstaltung von DGB Dortmund und Attac Dortmund zum Ukraine – Russland – NATO – Konflikt (PM)

    In der derzeitigen dramatischen Situation eines durch die russische Regierung zu verantwortenden völkerrechtswidrigen Krieges ist es besonders wichtig inne zu halten und zu versuchen, sich Klarheit über die Zusammenhänge und Hintergründe zu ver­schaffen Wir brauchen einen Weg, auch bei Widersprüchen gemein­sam für den Frieden aktiv zu werden.

    Wir wollen mit Dr. Alexander S. Neu, ehem. Obmann im Verteidigungs-Ausschuss (Die Linke) und ehemaliger Wahlbeobachter der OSZE in Jugoslawien, über die lange Vorgeschichte des Konflikts reden und welche Möglichkeiten bestanden und auch jetzt noch bestehen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen.

    Deshalb unsere herzliche Einladung zur Online-Veranstaltung von DGB Dortmund und Attac Dortmund am Montag, 21.3., 19 Uhr:

    Ukraine – Russland – NATO – Konflikt
    Referent: Dr. Alexander S. Neu
    Montag, 21. März 2022, 19 Uhr

    Anmeldung bitte mit Vor- und Zuname und Anschrift an Strucksberg[ät]posteo.de (Die Daten benötigt das DGB-Bildungswerk für die Förderung der Veranstaltung. Sie werden nicht für Werbezwecke weiter gegeben.)

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