,,Thermo-Elektronischer Kaugummi“ im Museum Ostwall: Forschung zur Nutzung und Erhaltung des Kunstwerks

Regina Selter, stellvertretende Direktorin des Museums Ostwall im Dortmunder U, testet die Installation ,,Thermo-Elektronischer Kaugummi“ von Künstler Wolf Vostell. Fotos (4): Jil Bastian

Von Jil Bastian

Im Museum Ostwall kann man die begehbare Raum-Installation von dem Künstler Wolf Vostell besichtigen. Sie setzt sich aus Tausenden Löffeln und Gabeln zusammen, die zwischen Stacheldraht-Zäunen auf dem Boden liegen. Besucher*innen können im Dortmunder U auf der vierten Etage mit einem Töne erzeugenden Koffer in der Hand über den Besteck-Teppich schreiten. Viele Kunstwerke, wie das von Wolf Vostell, stellen Museen vor enorme Herausforderungen, da sie einerseits von den Besucher*innen genutzt werden sollen, jedoch ebenfalls für die Nachwelt in einem möglichst guten Zustand erhalten bleiben müssen. Um diese beiden Aspekte zu berücksichtigen, forschen das Museum Ostwall im Dortmunder U sowie Prof. Gunnar Heydenreich und Julia Giebeler vom Cologne Institute of Conservation Sciences der Technischen Hochschule Köln. Beteiligt sind Restaurator*innen, Kurator*innen, Techniker*innen sowie der Sohn des Künstlers, Rafael Vostell.

Wolf Vostell wollte mit ,,Thermo-Elektronischer Kaugummi“ das Leben in Konzentrationslagern widerspiegeln

Im Jahre 1970 entstand die Installation ,,Thermo-Elektronischer Kaugummi“ (T.E.K)“ von Künstler Wolf Vostell. Ein Jahr später kam das Kunstwerk in das Museum Ostwall, wo es bis heute seinen Platz hat. Heutzutage ist es eines der wichtigsten Kunstwerke in der Sammlung. ___STEADY_PAYWALL___

Prof. Dr. Gunnar Heydenreich und Julia Giebeler erläutern die Vorgehensweise, um den gewünschten Effekt mit dem T.E.K. zu erzeugen.

Es soll den Besucher*innen das Gefühl von dem menschlichen Leid aufgrund von Flucht und Verfolgung näher bringen. Assoziationen an Konzentrationslager werden durch Elemente des Kunstwerks wie beispielsweise den Stacheldrahtzaun hervorgerufen. Die Enge und der Lärm sowie der Stacheldrahtpfeiler sorgen für ein beklemmendes Gefühl, was Stress auslöst.

Die entstehenden Geräusche verursacht man selbstständig, da man auf das Essbesteck tritt. Zu Beginn benötigt man ein Kaugummi im Mund und einen Koffer in der Hand, um den gewünschten Effekt auf dem Weg zu erzielen. ,,Der Besucher ist aufgefordert sich das Mikrofon an die Wange zu kleben und mit einem Koffer durch dieses Werk zu schreiten“, betont  Prof. Dr. Gunnar Heydenreich mit Blick auf die Abnutzung der einzelnen Bestandteile des Kunstwerks.

,,Wir haben überlegt in Zukunft die Koffer durch Ausstellungskopien zu ersetzen, die technisch neu konfiguriert werden, aber die gleichen Parameter leisten wie die ursprünglichen Originalkoffer. Die Originalkoffer werden wahrscheinlich partiell trotzdem am Rand der Ausstellung zu sehen bleiben und um herauszufinden, wie das geht, haben wir die Musterung der Koffer scannen lassen.“, so Julia Giebeler. Aus dem Innenraum des Koffers sind wiederkehrende Radiogeräusche sowie ein unangenehmer Sinuston zu hören. Zusätzlich überlagern die elektronisch verstärkten Kaugeräusche die chaotische Geräuschkulisse.

Zwei Restaurator*innen der TH Köln forschen zusammen mit Museum Ostwall an T.E.K.

Julia Giebeler, Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft, TH Köln.

Der Wunsch des Künstlers war es, das Kunstwerk auf eine aktive Weise zu nutzen. Zudem verfolgte er das Ziel, dass die Besucher*innen das Experiment körperlich erfahren sollten, ohne dass sein Meisterstück dabei Schaden nehme.

,,Man benötigt aufwendige Recherchen, Dokumentationen und kuratorische und auch restauratorische Entscheidungen, um so ein interaktives Kunstwerk so zu präsentieren, dass es den Sicherheitsstandards genügt, die Dauer der Nutzung der Besucher*innen das Kunstwerk nicht gefährdet, veraltete Techniken durch neue ersetzen werden und dass es im Sinne des Künstlers funktioniert“, betonte Dr. Nicole Grothe, Leiterin der Sammlung des Museums Ostwall im Dortmunder U mit Blick auf die Vereinbarung aller Faktoren, die das Kunstwerk bietet.

Das Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaft der Technischen Hochschule Köln beschäftigte sich zwei Jahre lang unter der Leitung von Prof. Dr. Gunnar Heydenreich und Julia Giebeler mit der Vereinbarkeit der künstlerischen Idee mit den konservatorischen Vorgaben. ,,Wir haben zwei konkrete Zielstellungen verfolgt, zum einen dieses Werk wieder für die Besucher möglichst authentisch erfahrbar werden zu lassen und zum anderen ein Modell weiterzuentwickeln, welches Restauratoren und Kuratoren dabei behilflich ist, solchen komplexen Werke wie dieses möglichst angemessen zu erhalten“, erklärte Prof. Dr. Gunnar Heydenreich.

Restauratorin des Museums Ostwall machte den entscheidenden Schritt – Erhaltungsstrategie ist entscheidend

Der Plan ist es, ein neues Entscheidungsmodell für die Konservierung von interaktiven Kunstwerken praktisch zu überprüfen und anzupassen. Das Projekt entstand durch das Museum Ostwall, welches 2019 Kontakt zu der Technischen Hochschule Köln aufnahm, um dieses als Projekt mit in die Forschung aufzunehmen. Entscheidend ist zudem, dass durch die Benutzung über viele Jahre, die originalen technischen Geräte gepflegt und instandgehalten werden müssen, da sie sonst nicht mehr funktionieren würden.

,,Für mich als Kuratorin ist es natürlich total wichtig, auch zu überlegen, diese Anpassung an die Gegenwart, die ist ganz zentral für das Werk. Vostell hat damals eine Lagersituation geschaffen in den 70-er Jahren, die aber sozusagen durch das Radio, was aus dem Koffer kam, eine ganz starke Verknüpfung zum Alltag der Besucherinnen und Besucher hatte. Jetzt fragen wir uns als Kuratorinnen: Wie bekommen wir genau diesen Alltagsbezug wieder her?“, erklärte Dr. Nicole Grothe mit Hinblick auf die Modernisierung des Kunstwerks.

Das Forschungsprojekt untersuchte das T.E.K sowie die dazugehörige Geschichte im Detail, um ein Fundament für die Entwicklung einer Präsentations- und Erhaltungsstrategie zu errichten. Die Wüstenrot Stiftung, welche seit über 30 Jahren die Umsetzung besonderer Projekte und Ideen anderer Institutionen durch finanzielle Zuwendungen unterstützt, fördert aktuell das geförderte Projekt des ,,Thermo-Elektronischen Kaugummis“. Ein Probeaufbau ermöglicht es, zu schauen, ob das daraus entstandene Konzept einwandfrei ist oder ob noch Verbesserungen im technischen, raumgebenden oder gestalterischen Bereich vorgenommen werden müssen.

Darauf folgt die Formulierung, Planung sowie Umsetzung der geplanten Maßnahmen sowie Parameter für die künftigen Präsentations- und Erhaltungsstrategien. Im Zuge einer Probeinstallation diskutieren Prof. Dr. Gunar Heydenreich und Julia Giebeler ihre Resultate mit der Restauratorin des Museums Ostwall Lisa Schiller, der Leiterin der Sammlung des MO Nicole Grothe, dem Tontechniker Robin Lockhardt sowie dem Sohn des Künstlers Rafael Vostell.

 

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Weitere Informationen:
  • Homepage Museum Ostwall: hier.
  • Weitere Informationen über den Künstler Wolf Vostell: www.vostell.de

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Reaktionen

  1. Ula Richter

    Ula Richter
    im Bündnis Dortmund gegen Rechts

    Danke für den Bericht über die Arbeiten zum Erhalt des bedeutenden politischen Kunstwerks im Museum unter dem Dortmunder U. Das gibt Gelegenheit, an eine Veranstaltung im Januar 2018 zu erinnern (mit Hilfe von Ausschnitten aus dem seinerzeitigen Artikel im Nordstadtblogger: „Niemals vergessen!“ – Zum Gedenken an Auschwitz, seine Befreiung und die Verantwortung zum Widerstand gegen Nazis)

    … „Das Museum Ostwall, mittlerweile beheimatet im Dortmunder U, ist diesmal Ort der alljährlich vom „Bündnis Dortmund gegen Rechts“ (BDgR) organisierten Gedenk- und Kulturveranstaltung zur Erinnerung an all jene Menschen, die in Auschwitz und anderswo von Nazi-Schergen inhaftiert, gefoltert und ermordet wurden.

    Anlass der Veranstaltung ist stets ein bestimmter Jahrestag – jener der Befreiung des Konzentrationslagers von Auschwitz durch die nach Westen vorrückende Rote Armee am 27. Januar 1945. Dieses geschichtsträchtige Datum ist auch zu einem Symbol für das Gedenken an alle Opfer des NS-Regimes geworden.

    Und es ist zugleich eine Gelegenheit, Zeichen zu setzen: Für den Widerstand gegen menschenverachtende Einstellungen, Haltungen und Ideologien, gegen ihr intolerantes, alles Fremde ausgrenzende Schmalspurdenken. Damit sich das Unbegreifliche, was in Deutschland geschah, nie wiederholen kann.

    Das im Mai 2000 gegründete Bündnis ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher Parteien, Gewerkschaften, Vereine, Gemeinden, (Jugend-)Organisationen, Schulen wie Hochschulen und anderer Organisationen sowie antifaschistischer AktivistInnen.

    Die Vereinigung versteht sich nicht nur als ein Bündnis aller demokratischen Kräfte in Dortmund und Umgebung gegen jedwede Form des Neofaschismus, sondern im Laufe der Zeit haben sich zwei weitere wichtige Handlungsfelder herausgebildet: Konsequenter Antimilitarismus, das „Nein!“ zum Krieg, und die uneingeschränkte Solidarität mit Geflüchteten, die in der Stadt ein neues Zuhause gefunden haben, berichtet Bündnissprecherin Ula Richter.

    Damit ist der weitere Rahmen der Gedenkveranstaltung am Samstag unter dem untrennbar mit Esther Bejarano verbundenen und nach dem Titel eines bekannten jüdischen Partisanenliedes gewählten Mottos: „Sag mir nie, Du gehst den letzten Weg“ – inhaltlich abgesteckt. Ihren Kern bildet – dem Anlass gemäß – selbstverständlich das Innehalten für, die Erinnerung an die unzähligen Opfer der Nazis. Dies soll hauptsächlich geschehen vor der Installation „TEK – Thermoelektronischer Kaugummi“.

    So nannte der 1998 verstorbene Künstler Wolf Vostell sein begehbares Stacheldrahtgehege, das im Museum Ostwall in der fünften Etage des Dortmunder U seit einiger Zeit aufgestellt und dort nicht nur einfach zu sehen, sondern auch zu hören, zu fühlen ist.

    Auschwitz ist in seiner verbrecherischen Dimension historisch einmalig und es verbieten sich luftige Vergleiche. Doch für Wolf Vostell, dem politischen Künstler aus der sogenannten Fluxus-Bewegung, ist Auschwitz, ist die Shoa auch ein mittelbares, entferntes Symbol, dem er sich künstlerisch nähert: ein Symbol für Haft, Elend und Leid, für Gewalt, für Tod. Und so konnte er den gewichtigen Satz formulieren: „Der Mensch wird freier, wenn seine Erniedrigung dokumentiert, anstatt verschwiegen wird.“

    Diesen Anspruch versucht Vostell unter anderem mit der Installation „TEK“ umzusetzen. Die BesucherInnen werden nach Auschwitz oder an andere dunkle Orte der Unmenschlichkeit geführt und sind gleichzeitig mittendrin. Vostell zeigt ihnen den Weg dorthin und in eins einen Teil der grausamen Wirklichkeit an Ort und Stelle.

    Wer das Kunstwerk begeht, trägt einen schäbigen Koffer mit den letzten Habseligkeiten, hört monotone Ansagen aus den Lautsprechern des Bahnhofs, geht über unzählige, schrecklich gegeneinander knackende Löffel zwischen Stacheldrahtreihen. Irgendwo spielt Musik. Zeitgenössische.

    Es mögen sich Bilder von Viehwagons aufdrängen, in welche die entsetzten Menschen später gepfercht wurden. Männer, Frauen, Kinder an den Händen. Ängstlich, ungläubig, unbegreiflich, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Plötzlich ausgestoßen zu sein, alles verloren zu haben, von jetzt auf gleich – außer diesen einen Koffer, die schmutzigen Kleider am Leib und das letzte bisschen Leben. Und gnadenlos angetrieben von jenen, die bis dahin Nachbarn waren. Fast surreal. Und doch war es so.

    Vor allem ältere Menschen assoziierten beim Eintreten in Vostells Installation die Vernichtungslager während der Nazi-Zeit, sagt Dr. Nicole Grothe, Leiterin der Sammlung des Museums Ostwall im Dortmunder U. Teenager dagegen verbänden damit eher die Flüchtlingslager von heute. Was sie eint: der Gang hindurch berührt, verunsichert – und regt zur Debatte unter denen an, die ihn gewagt haben.

    Daran dürfte der alles andere als zweckfrei agierende Künstler seine helle Freude gehabt haben, wäre das Motiv nicht so bedrückend. Denn Vergangenheit und Gegenwart können, ja müssen von den BesucherInnen der Installation bewusst miteinander verknüpft werden, auf dass die Zukunft sich freundlicher gibt.

    Im Rahmen der Ausstellung des Museums Ostwall „Fast wie im echten Leben“ steht Vostells „TEK“ im Kontext des Teilthemas „Freund oder Feind? ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘“. Es geht also im weiteren Sinne um die Abgrenzung sozialer Gruppen voneinander, die Definitionsmacht von Zugehörigkeiten und die Ausgrenzung von Individuen, die nicht zu den Gruppennormen passen.

    Um Feindbilder, Vor-Urteile und Stereotype. Und um die Gefahren, die in ihrem unreflektierten Gebrauch liegen. Wo im Extremfall Grausamkeiten, Leid und Tod lauern. – Ein Blick auf die beschämenden Taten von Neonazis und ihrer Geistesverwandten überall in der Bundesrepublik genügt.

    „Sag mir nie, Du gehst den letzten Weg“ – das Veranstaltungsprogramm

    Die außergewöhnliche Gedenkveranstaltung soll am Samstag um 12 Uhr im Erdgeschoss des Dortmunder U‘s beginnen. Vorgesehen ist nach kurzer Begrüßung von Edwin Jacobs, Direktor des Dortmunder U, eine Rede von Ursula Richter für das BDgR und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen. Der musikalische Auftakt und Abschluss des Programms wird von der Rap-Formation aus Duisburg, der „inclusion4real“ gebildet.

    Die Band besteht aus Angehörigen der Roma. Sie repräsentieren einerseits eine Opfergruppe der nationalsozialistischen Verbrechen, andererseits seien Bandmitglieder heute von Abschiebung bedroht, erklärt Ula Richter. Zwei weitere Musikbeiträge stehen ebenfalls für die Opfer: Peter Sturm (Klezmer) sowie David Oriewski und Bernd Rosenberg (russische Partisanenlieder).

    Der Schauspieler Claus Dieter Clausnitzer wird Gedichte von Ernst Jandl und die „Todesfuge“ von Paul Celan vortragen. Zwischen Musikdarbietung und Vortrag gibt es eine Schweigeminute für die Opfer des Nationalsozialismus. Das Ende der Veranstaltung ist gegen 13.30 Uhr geplant.“

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