In Körne gibt es eine von nur vier Abtreibungspraxen im Raum Dortmund

SERIE Weltfrauentag: Ärztin Gabie Raven über Abtreibungen und Gehsteigbelästigung

Ein Schild mit der Aufschrift „Abortion is healthcare!“ bei einer Protestveranstaltung in Dortmund. Paulina Bermúdez | Nordstadtblogger

Die Nordstadtblogger haben sich entschieden, in diesem Jahr anlässlich des Weltfrauentags am 8. März eine Themenwoche zu gestalten, mit interessanten Beiträgen rund um feministische Themen. Jeden Abend erscheint ein neuer Artikel.

Gabie Raven leitet eine Abtreibungsklinik in Dortmund-Körne, obwohl sie aus den Niederlanden stammt und dort ebenfalls zwei Abtreibungskliniken führt. In einem Gespräch erklärt sie, warum sie sich dafür entschieden hat, eine weitere Praxis in Dortmund zu eröffnen und welche Problematiken in der Gesellschaft zum Thema Abtreibungen und der sogenannten „Gehsteigbelästigung“ immer noch vorherrschen.

Zwei Kliniken in den Niederlanden – Warum Raven nach Dortmund expandierte

Gabie Raven führt seit 32 Jahren Schwangerschaftsabbrüche durch. Die gebürtige Niederländerin leitet bereits jeweils eine Abtreibungsklinik in Roermond und Rotterdam. Doch im November 2022 eröffnete sie eine weitere Klinik in Dortmund Körne (Gynaikon). Der Grund: 14 Prozent der deutschen Betroffenen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollen, würden in die Klinik nach Roermond kommen. Dabei müssen diese, da sie aus dem Ausland kommen, aber viel Geld für solch einen Abbruch bezahlen.

Foto: Lina Khyat für Nordstadtblogger.de

Dieser Umstand kriminalisiere die Betroffenen: „Es tut mir auch leid, dass Frauen so viel bezahlen müssen und dafür auch noch ins Ausland gehen sollen. Sie fühlen sich doch ein bisschen wie Kriminelle – das höre ich von den Frauen“, so Raven.

Gerade während der Corona-Pandemie soll sich das Gefühl der Illegalität weiter verschlimmert haben, da die Betroffenen dann auch an den Grenzen ihren äußerst  intimen Einreisegrund angeben mussten.

Die medizinische Versorgung im Raum Dortmund war ein weiteres Argument für den neuen Standort:  Neben ihr führen nur noch drei weitere Ärzt:innen in Dortmund Schwangerschaftsabbrüche durch –  im Umkreis gibt es gar keine Praxen mehr. Mit ihrer Klinik in Dortmund möchte Raven somit einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für Betroffene aus Deutschland ermöglichen und die gravierend schlechte Versorgungslage verbessern.

Der hohe und komplizierte Aufwand eines Schwangerschaftsabbruches

Denn solch eine Prozedur offenbart sich in Deutschland als äußerst kompliziert und aufwendig. Liegt ein positiver Schwangerschaftstest vor, muss zunächst ein:e Gynäkolog:in für einen Ultraschall aufgesucht werden. Schon dies sei die erste Hürde, da viele Ärzt:innen keine Zeit dafür hätten oder schlichtweg nichts mit Schwangerschaftsabbrüchen zu tun wollen haben möchten, so Raven. Darüber hinaus brauchen die Frauen einen Blutgruppennachweis, zudem müssen sie in Deutschland vor einem Abbruch verpflichtend eine anerkannte Beratungsstelle aufsuchen.

Der Gegenprotest war bereit - doch die Kundgebung der Abtreibungsgegner:innen fiel ins Wasser.
Der Gegenprotest war bereit – doch die Kundgebung der Abtreibungsgegner:innen fiel ins Wasser. Foto: Lina Khyat für Nordstadtblogger.de

Erst nach Erhalt des Beratungsscheines kann eine Kostenübernahme bei der jeweiligen Krankenversicherung angefragt werden. Erst nach diesen Schritten können sie einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch bekommenn.

Dabei dürfen die Gynäkolog:innen, die die Schwangerschaft festgestellt haben, den Abbruch nicht selbst vornehmen. Zudem müssen zwischen dem Beratungstermin und der Abtreibung mindestens drei Tage vergangen sein.

Doch der Mangel an Gynäkolog:innen in Deutschland, die überhaupt Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, führt zu Überlastungen sowie langen Wartezeiten.

Wie es dazu kommt, dass Betroffene einen Spätabbruch durchführen lassen

In Deutschland gibt es zwei Arten, wie Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden: Der medikamentöse sowie der operative Abbruch. Die medikamentöse Möglichkeit darf bis zur neunten Schwangerschaftswoche gewählt werden. Dabei wird mit Hilfe von Tabletten abgetrieben. Der operative Abbruch kann bis zur zwölften Woche erfolgen, indem eine Absaugung oder Ausschabung durchgeführt wird. Allerdings bieten die meisten Ärzt:innen in Deutschland lediglich eine medikamentöse Abtreibung an, für die es in den meisten Fällen zu spät sei, so Raven.

Aktuell gibt es nur drei Gynäkologe:innen in Dortmund, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen. Foto: Depositphotos.com

In Deutschland darf maximal bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abgetrieben werden. Doch aufgrund der prekären Lage reicht dies für viele Betroffene oft nicht aus, weil das System in Deutschland so kompliziert .

„Wenn sie in sechs Wochen einen Schwangerschaftstest machen, der positiv ist, dann brauchen sie manchmal noch zehn Wochen, um einen Arzt zu suchen. Aber den gibt es nicht, weil so spät Abbrüche nicht gemacht werden dürfen in Deutschland“, kritisiert Raven. „Dann enden sie bei mir in Roermond – und ich habe wieder einen Spätabbruch, den ich machen soll.“

„Das ist der Grund, weshalb ich nach Deutschland gekommen bin“, so die Ärztin. In den Niederlanden hingegen sind Abtreibungen bis zur 24. Woche legal. Die betroffene Person ist dann bereits im sechsten Monat schwanger und ein Babybauch ist in der Regel dann auch schon erkennbar.

Bei solch einem Spätabbruch wird das Kind im Mutterleib zunächst durch ein Medikament, welches mit einem Stich ins Herz injiziert wird, getötet. Daraufhin muss die Betroffene das tote Baby durch eine medikamentös eingeleitete Geburt gebären. Solch ein Spätabbruch ist für die Betroffenen oftmals mit starken psychischen Belastungen verbunden.

Gabie Raven über die sogenannte Gehsteigbelästigung in Dortmund Körne

Ravens Praxis liegt im Dortmunder Vorort Körne, direkt am Körner Hellweg. Das Gebäude umfasst weitere Praxen, einen Kaufland sowie eine Apotheke. Direkt gegenüber befindet sich zudem eine Polizeiwache. Gabi Ravens Klinik erhält im Vergleich zu anderen Praxen abtreibender Ärzt:innen wenig Protest. Wenn, dann handelt es sich um angemeldete Demonstrierende und nicht um Einzelpersonen. Trotzdem empfindet sie die Gehsteigbelästigung als negativ. In Rotterdam, so betont sie, gab es vor ihrer Klinik teils vier verschiedene Demonstrationen pro Woche.

Foto: Lina Khyat für Nordstadtblogger.de

Doch im Gespräch erinnert sich Gabi Raven an den Herbst 2022, als sie ihre Praxis in Dortmund eröffnete. Religiöse Abtreibungsgegner:innen  – teils extra aus den Niederlanden angereist – hatten vor ihrer Praxis demonstriert und sich menschenverachtender Vergleiche bedient.

Zwei Niederländer erklärten, dass Abtreibungen dem Holocaust gleichkämen. Die Polizei beschlagnahmte ihr Transparent und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Darüber hinaus erhielt sie sowohl in der Praxis als auch bei ihr zu Hause Briefe und Drohungen. Einige Gegner:innen gingen sogar soweit und veröffentlichten die persönlichen Daten der Ärztin auf einschlägigen Seiten im Internet.

Gegen diese sogenannte „Gehsteigbelästigung“ hat das Kabinett aber nun ein Gesetz beschlossen. In der Vergangenheit wurden die Demonstrationen von Abtreibungsgegner:innen mit dem Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gegenüber den Recht der Betroffenen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen möchten, vorgezogen. Dies soll sich nun allerdings mit einem Gesetzentwurf von der Familienministerin Lisa Paus (Grüne) ändern.

Demnach dürfen Schwangere auf dem Weg zu einer Beratungsstelle oder Abtreibungsklinik nicht mehr in Hör- und Sichtweite gegen ihren Willen angesprochen werden. Bei Widersetzung handelt es sich in Zukunft dann um eine Ordnungswidrigkeit, die mit bis zu 5.000 Euro bestraft werden könnte. Paus hofft, dass dieses neue Gesetz noch im Sommer diesen Jahres durch den Bundestag geht.

Raven: „Das Gesetz, das kann man ändern, aber nicht das Herz und den Kopf der Leute.“

Raven findet es wichtig, dass Menschen ein Recht auf Abtreibungen haben. Für eine Weile arbeitete sie in Afrika und habe dort gesehen, dass Schwangere trotz eines Verbots Abtreibungen durchführen ließen und somit das Risiko eingingen, dabei zu sterben.

Der Drahtkleiderbügel mit den Worten “Never again”.
„Never again”: Früher wurden Abtreibungen mit solchen Drahtkleiderbügeln gemacht, weil es keine legalen Möglichkeiten gab. Dies hatte oft verheerende gesundheitliche Konsequenzen für die ungewollt Schwangeren. Foto: Lina Khyat für Nordstadtblogger.de

Dass Schwangere sterben sollen, weil sie abtreiben wollen, kann die Ärztin nicht nachvollziehen, denn jede Person sollte das Recht haben selbst zu entscheiden, ob sie ein Kind haben möchte oder nicht.

Im Jahr 2022 wurde Paragraph 219a, also das Werbeverbot von Abtreibungen, im Bundestag gestrichen. Dies begrüßt Raven, doch dieser Beschluss ist nun schon anderthalb Jahre her und sie findet, dass sich seitdem nichts verändert habe.

Ärzt:innen, die Abtreibungen durchführen, würden dies nicht auf ihrer Website angeben – aus Angst, dass die anderen Patient:innen nicht mehr zu ihnen kämen. „Das Gesetz, das kann man ändern, aber nicht das Herz und den Kopf der Leute.“, so Raven.

Darüber hinaus ist die Ärztin der Ansicht, dass über das Thema Abtreibungen in der Gesellschaft noch viel offener gesprochen werden muss. „Es soll nicht nur offen drüber gesprochen werden, es soll auch ermöglicht werden. Das ist das Problem in Deutschland. Viel Reden, da hat man ja nichts von.“


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Reaktionen

  1. Einsatz für Frauen in schwierigen Situationen: Gabie Raven erhielt den Dr. Edith Peritz-Preis Ärztin wurde mit dem Gleichstellungspreis ausgezeichnet (PM)

    Die Dortmunder Gynäkologin Gabie Raven hat am Freitag (8. März) den nach Dr. Edith Peritz benannten Gleichstellungspreis erhalten. Sie setzt sich für den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch ein.

    Der Dr. Edith Peritz-Preis wurde am Internationalen Frauentag im Dortmunder U vom Soroptimist Club Dortmund RuhrRegion in Kooperation mit dem Gleichstellungsbüro der Stadt Dortmund verliehen. „My body – my choice“ (deutsch: Mein Körper – meine Entscheidung) – dafür steht auch der DGB Dortmund, der die Nominierung für die diesjährige Preisträgerin Gabie Raven eingebracht hatte. Der mit 1.500 Euro dotierte Preis wurde von Oberbürgermeister Thomas Westphal übergeben.

    Besonderes Augenmerk für Frauen in schwierigen Lebenssituationen

    Die gebürtige Niederländerin Gabie Raven ist seit 1992 im medizinischen Bereich von Verhütung, Schwangerschaftsabbrüchen und Menopause tätig. 2016 gründete sie erst in Roermond, später auch in Rotterdam, die Gynaiken Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche, Verhütung und Menopause. Ihre Praxen sind besonders dem Wohlergehen von Frauen in angespannten und schwierigen Lebenssituation verpflichtet. Durch die Praxis im grenznahen Roermond zeigte sich, dass sehr viele deutsche Frauen die Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs in den Niederlanden in Anspruch nahmen – obwohl ihnen auch legal in Deutschland hätte geholfen werden können, wenn ausreichend Kapazitäten vorhanden gewesen wären.

    2022 eröffnete sie eine Praxis in Dortmund Körne. Seitdem formieren sich vor ihrer Praxis immer wieder Abtreibungsgegner*innen. Diese sogenannten Gehsteigbelästigungen beeinflussen und verstören die Besucherinnen der Praxis, die sich sowieso schon in einer sehr belastenden Situation befinden. Raven verteidigt die Notwendigkeit ihrer Arbeit öffentlich und setzte sich so für die Frauen in einer hohen Belastungssituation ein. In Dortmund hat sich ein breites Bündnis aus Frauenverbänden, Politik und Gewerkschaften für das Recht auf körperliche Selbstbestimmung gebildet. In Gegendemonstrationen stellen sie sich den Abtreibungsgegner*innen entgegen.

    Hohe Auflagen und Stigmatisierung für Ärzt*innen

    „Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland weiterhin illegal und nur unter bestimmten Regeln wie beispielsweise einer zeitlichen Frist straffrei – für Ärzt*innen eine schwierige Situation“, erläuterte Maresa Feldmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund. Auch die Stigmatisierung und der Protest von Abtreibungsgegner*innen erzeugen ein Klima der Angst. Zusätzlich gehen die Ärzt*innen aus der 68er-Generation, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzten, nach und nach in Rente und hinterlassen eine immer größer werdende Lücke, denn viele nachrückende Ärzt*innen scheuen sich, den Eingriff anzubieten. Nicht nur aufgrund hoher Auflagen, der Stigmatisierung und der strafrechtlichen Voraussetzungen, sondern auch, weil an Universitäten Schwangerschaftsabbrüche kaum gelehrt werden.

    Der Oberbürgermeister der Stadt Dortmund würdigte in seiner Laudatio ihren Einsatz und dankte ihr für ihre Standhaftigkeit.

    Der Dr. Edith Peritz-Preis wird jährlich am Internationalen Frauentag verliehen. Der vom Soroptimist Dortmund RuhrRegion und dem Gleichstellungsbüro ausgeschriebene Preis würdigt das Engagement und die Verdienste zur Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft. Namensgeberin ist die Chirurgin Dr. Edith Peritz (1897 – 1985).

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