Eine afro-deutsche Aktivistin spricht über ihre Erfahrungen in Deutschland

SERIE Schwarze Ästhetik: „Mir glaubt keiner. Eine Schwarze Frau kann das nicht geschrieben haben.“

Jumai Spieker ist 27 Jahre alt, gebürtige Dortmunderin und Aktivistin. Momentan studiert sie Psychologie im Master. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

In dieser Serie begibt sich Chimène Goudjinou auf die Suche nach einer Schwarzen Ästhetik. Sie lässt Schwarze Kulturschaffende aus Deutschland zu Wort kommen, ihre Arbeit vorstellen und darüber berichten, inwiefern das „Schwarz sein“ diese beeinflusst.

Jumai, was stellst du dir unter Schwarzer Ästhetik vor?

Schwarze Ästhetik? Ja, uns stelle ich mir vor. Wir müssen immer bei uns anfangen. Dann auf jeden Fall einerseits Perspektive und andererseits Repräsentation. Und dann alles was zu unserem Leben dazugehört. Unsere Worte, unsere Bilder, alles was kolonialisiert und geraubt wurde. ___STEADY_PAYWALL___

Jumai Spieker ist auch Schreib-Coachin. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Schwarze Ästhetik und Kultur von Menschen wie uns findet überall statt. Und das seitdem Schwarze Menschen in Deutschland leben. Die meisten Schwarzen Menschen die ich kenne, integrieren den Aspekt des Erschaffens oder Wiederauflebens in ihr Leben indem sie auf Schwarze Dichter:innen oder andere Künstler:innen rückblicken.

Was wir nur nicht machen, ist ein Netzwerk zu schaffen. Wir können nicht so gut netzwerken. Daran müssen wir arbeiten. Denn da ist sehr viel Großartigkeit in unserer Community.

Gibt es in Deutschland eine Schwarze Ästhetik?

Ja, wir sind alle schon da – krasse Empowerment-Werkzeuge, Konzepte, die man kaufen kann und im Internet findet, Menschen die Sportvereine und Kulturzentren gründen. Ich fasse den Begriff gerade sehr weit. Das ist nur nicht alles auf einer Plattform.

Spieker schreibt seit 2021 an ihrem Buch „Gemeinsame Freunde“. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Es gibt eine App, myAfroCity, wo Menschen versuchen, mehr Sichtbarkeit für afrikanische Unternehmen und Initiativen weltweit zu schaffen. Beispiele für eine Kraft, die Schwarze Identitäten beziehungsweise Schwarze Ästhetik bündelt ist: Power me. Sie fördern Schwarze Ästhetik unter anderem auch mit Kreativ Angeboten.

Es gibt ganze Verlage, die veröffentlichen. Ein Beispiel dafür ist, stolzeaugen.books. Zudem gibt es das Schwarze Literaturfestival von Sharon Otoo, einer deutschsprachigen Literatin, die sich auch Schwarz positioniert.

Oh mein Gott, wenn wir bis 1990 und vielleicht noch tiefer graben würden, wie viel wäre da. Das heißt die Aussage „Schwarze Ästhetik muss neu gedacht werden“ ist falsch. Ich finde diese Aussage stellt alles in den Schatten was war. Wenn wir eins nicht gebrauchen können, ist es in den Schatten gestellt zu werden. Wir müssen auch nicht neu erfinden. Wir müssen uns nur zusammen tun.

Was kann jede Schwarze Person zur Schwarzen Ästhetik beitragen?

Jede:r kann nur durch sein Dasein und durch Kommunikation vieles beisteuern.

Braucht es in Deutschland Räume für Schwarze Menschen?

Ja überall. Schutzräume, wenn du mich fragst, ob es Räume braucht. Voll schade eigentlich, dass es so viel Schutzraum braucht. Aber da bin ich vielleicht eine von vielen die sagt, wir bekämpfen Rassismus schon so lange wahrscheinlich werden wir ihn nicht auflösen können. Aber wir können daran arbeiten.

„Es braucht mehr Raum für diskriminierte Menschengruppen“, betont Jumai Spieker. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Schwarze Menschen sind nicht irgendwann aufgestanden und haben gesagt „Oh, wir brauchen Ausstellungen für uns.“ Nein, das waren weiße Menschen. Und wir haben dann irgendwann gesagt, ja ok, also brauchen wir um uns zu stärken Empowerment-Räume. Das ist eine Antwort.

Es braucht mehr Raum für diskriminierte Menschengruppen. Als Schutzraum vor der Gesellschaft. Als Antwort auf Rassismus und Vorbereitung gegen Rassismus. Was aber traurig ist, weil es fit machen für ein krankes System bedeutet. Andererseits sind wir ja stark, sonst hätte uns der Rassismus dieser Welt schon einmal dem Erdboden gleichgemacht.

Wurde dir schon einmal gesagt, dass du deine Arbeit anpassen musst?

Ja. In der Vergangenheit war ich mit einem Verlag im Gespräch. Ich habe einer Lektorin eine Leseprobe aus meinem Roman zugesendet. Die hat mir rückgemeldet, dass die Roman-Idee gut ist, doch hat sie impliziert, dass die Sprache, die ich verwende, mehr Kafkas Sprache ist und ich besser in meinen eigenen Worten schreiben soll. Diese Rückmeldung war sehr irritierend.

Sie erlebt Skepsis an ihrer Arbeit: „Das kannst du nicht geschrieben haben.“ – quasi als Äquivalent zu „Du sprichst aber gut deutsch“. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Das habe ich in der Schule auch schon oft erlebt. Ich lese was vor und Leute sagen: „Das kannst du nicht geschrieben haben.“ – quasi als Äquivalent zu „Du sprichst aber gut deutsch“.

Meine Deutschlehrerin hat damals gesagt: „Wie willst du das denn geschrieben haben.“ Das sind die Sachverhalte mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Das ist auch einer der Gründe, dass mein Buch noch nicht fertig ist.

Meine Worte werden mir abgesprochen, sowie meine Themenwelten, sofern sie nicht Schwarz sind. Meine Metaphern. Dabei gehören meine Metaphern zu mir. Und das passiert, obwohl ich noch keine echte Autorin bin. Vielleicht habe ich im Verlagswesen einen Fuß in der Tür aber sie steht mir nicht offen. Ich kämpfe und der Wiederstand den ich jetzt schon erlebe macht mir Angst.

Die Gesellschaft begegnet Schwarzen Menschen beziehungsweise Schwarzen Frauen mit vielen Stereotypen und Vorurteilen. Wenn ich Menschen erzähle, dass ich einen Roman schreibe, erwarten sie gewisse Dinge. Zum Beispiel wird antizipiert, dass die Protagonist:innen Schwarz sind und Rassismus erleben. Verstehe mich nicht falsch.

Jumai Spieker schreibt auf Deutsch. Doch die Sprache wird ihr von manchen für ihre Literatur nicht zugestanden. Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Das bewerte ich nicht als schlimm. Vielmehr möchte ich ein Buch schreiben in dem diskriminierte Menschengruppen einen Platz haben. Aber ich werde bestimmt nicht nur über Rassismus schreiben, weil ich Schwarz bin und ich möchte auch nicht darauf begrenzt werden.

Denn Schwarz sein ist mehr als das. Ebenso wie Weiblichkeit mehr als Sexismus ist. Unsere Texte und die Produkte unserer Arbeit werden ebenso rassifiziert wie wir als Mensch. Als Schwarze Frau werde ich als kompliziert, laut, temperamentvoll und hysterisch gelesen. Ich bin gespannt was für Worte man für mein Buch finden wird.

Was würdest du afro-deutschen Menschen sagen, die in den Bereichen in denen sie arbeiten Schwierigkeiten haben?

Eine Freundin von mir, Ellen Wagner, Expertin im Bereich von Diversity, Empowerment und Anti-Rassismus sagt immer „Denk groß!“. Eine andere Freundin von mir, Shirin Diop, Psychologin und Expertin für psychologische Familienarbeit sagt immer: „Wende dich dem zu was dir Spaß macht und was dir leicht von der Hand geht!“ Meine Mutter, Isabelle Spieker, Lehrerin und Abteilungsleiterin sagt immer, das man strebsam sein soll.

Das man sich immer wieder fragen sollte: Wie will ich leben? Sie meinte gestern noch, dass ich nicht aufhören soll an meine Definition von Glück zu glauben. Und sie hat Recht. Wir sollten alle nicht damit aufhören. Das ist was ich afro-deutschen Menschen weiter geben möchte, die vor großen Herausforderungen stehen oder von außen begrenzt werden. Die Erkenntnisse von anderen afro-deutschen Menschen.

Ich habe zu Rassismus induziertem Stress, Trauma und Copingstrategien im Rahmen meiner Bachelorarbeit geforscht. Rassismus hat sowohl eine negative physische als auch eine psychische Komponente. Außerdem hat Rassismus einen massiven Einfluss auf unsere Persönlichkeitsentwicklung. Ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Jumai Spieker: „Wenn man immer nur kämpft, geht es auf lebenswichtige Sachen.“ Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Stell dir die Frage wer wäre ich ohne Rassismus. Rassismus hat eine Funktion. Er hält dich klein, hindert dich am wachsen und begrenzt den Zugriff auf unterschiedliche Arten von Ressourcen. Es ist schmerzlich sich all dem bewusst zu werden aber es hilft auch. Wir sind alle unterschiedlich betroffen. Man muss sich individuell damit auseinander setzen um fest zu stellen wo man mit Selbsthilfe oder vielleicht sogar mit therapeutischen Maßnahmen ansetzen muss.

Du machst dich durch die Internalisierung von Diskriminierung unter Umständen kleiner. Wann fühlst du dich groß und stark? Community-Erfahrung hilft. Repräsentation hilft. Vorbilder helfen. Ich habe einen Teil meiner großen Vorbilder aus meinem Privatleben gerade zitiert. Es hilft auch welche in der Öffentlichkeit zu finden. Liebe, Freundschaft und Familie helfen allgemein.

Hier empfehle ich an der Implementierung der ganz persönlichen Utopie zu arbeiten. Das heißt darüber zu sprechen was einem gut tut und nicht gut tut und einen Schutzraum zu erschaffen. Wer sucht findet bestimmt entsprechende Empowerment-Angebote in großen Städten. Aber es geht nicht nur darum Safe spaces zu besuchen, sondern auch darum einen in sich selbst zu kreieren.

Finde einen Sinn. Im Erschaffen, im Sein und im Nichts. Gärtnere, koche, male, schreibe! Mach etwas wofür du sonst niemanden brauchst. Lese dich ein und bau dich von innen auf! Mir persönlich hilft das Schreiben. Ich liebe es Welten zu erfinden. Menschen,  Beziehungsgeflechte, Charakterentwicklung, Psychologische und Sachverhalte. Da können sie 100 mal behaupten meine Worte passen nicht zu meiner Hautfarbe oder meiner Weiblichkeit. Ich werde nicht aufhören zu schreiben.

Zur Person:

  • Jumai Spieker ist Psychologin (B.Sc.) und Masterstudentin
  • Sie positioniert sich als afro-deutsch
  • Sie leistet seit mehreren Jahren Arbeit für verschiedene marginalisierte Communities:
  • Unter anderem leitet sie einen Workshop für adoptierte afro-deutsche Kinder  
  • Desweiteren gibt sie Empowerment-Workshops für Mädchen im schulischen Rahmen
  • In den letzten Jahren hat sie ehrenamtlich bei der Organisation und Durchführung des Youngtalks im Dietrich-Keuning-Haus ausgeholfen und im Awareness-Team gearbeitet 
  • Sie schreibt für ihr Leben gern Geschichten und plant die Veröffentlichung ihres ersten Romans
  • In diesem Jahr hat sie, inspiriert von ihren großen Interessen, dem kreativen Schreiben und der Psychologie einen Biographie-Arbeitsworkshop konzipiert, den sie für Gruppen anbietet
  • Sonst gibt sie Elternworkshops „Starke Eltern, Starke Kinder – ein Kurs vom deutschen Kinderschutzbund“ und arbeitet im Jobcoaching
  • Sie arbeitet als Schreibcoachin im Projekt Être Mouhamed im FHH Dortmund und moderiert feministische Panels wie auch Begegnungsveranstaltungen

Schwarze Einrichtungen/ Konzepte:

  • myAfroCity ist eine mobile App, mit der man in jeder Stadt der Welt Unternehmen und Initiativen afrikanischer Herkunft findet
  • Tebalou ist ein Onlinehop, der mit seinen Spielzeugen mehr Vielfalt ins Kinderzimmer bringt und eine Vielzahl von Kindern repräsentiert, die sich in ihrer Spielewelt fast oder gar nicht sehen
  • POWER ME ist ein Empowerment Projekt für von Rassismus betroffene Kinder in Berlin
  • Die Theodor Wonja Michael Bibliothek ist die erste Schwarze Bibliothek in Köln, die sich zum Ziel gesetzt hat, ein vorurteilsfreies und dekoloniales Bild von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft zu vermitteln

Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Hat es Spaß gemacht oder war es Arbeit? Oder beides? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung! 

Unterstütze uns auf Steady
Print Friendly, PDF & Email

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert