Von Klaus Winter
Die Burgtor-Kreuzung, die von vielen als solche nicht mehr wahrgenommen wird, weil die Brückstraße seit geraumer Zeit Fußgängerzone ist, ist ihres hohen Verkehrsaufkommens wegen nicht nur den vielen Autofahrern bekannt, die sie tagtäglich befahren. Auch in früheren Zeiten gab es hier bedeutenden Verkehr, denn sonst hätte man hier kaum ein mächtiges Stadttor errichtet und über Jahrhunderte in Stand gehalten.
Großes Stadttor stand schon im 13. Jahrhundert
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Das Stadttor, das der heutigen Kreuzung ihren Namen gab, bestand schon in der Mitte des 13. Jahrhunderts und wurde damals „porta urbis“, einige Jahrzehnte später „porta castri“ genannt. Über seine Baugeschichte fehlen fast alle Informationen. Einige bildliche Darstellungen auf alten Stadtansichten überliefern ein mehrteiliges Bauwerk: das eigentliche Stadttor in Form eines mehrstöckigen Turms mit etwa quadratischem Grundriss und hohem Turmhelm, ein nördlich vorgebauter Zwinger und ein in den Wassergraben reichendes einstöckiges Torhaus mit Giebeldach.
Obwohl 1780 der baufällige Turmhelm noch einmal durch einen neuen, jedoch niedrigeren ersetzt wurde, verlor die alte Stadtbefestigung im 18. Jahrhundert an Bedeutung, und im frühen 19. Jahrhundert wurden die Tore und Türme der Stadtmauer weitestgehend beseitigt. 1833 war das Burgtor abgebrochen.
Für Kaiserbesuch wurde das alte Stadttor nochmals aufgebaut
1899, als die Zahl derer, die das alte Stadttor noch aus eigenem Augenschein gekannt hatten, schon stark geschrumpft war, errichtete man aus Latten und Pappmaché einen Nachbau in Originalgröße. Anlass hierfür war ein mehrstündiger Aufenthalt Kaiser Wilhelms II., der wegen der Hafeneinweihung in der Stadt weilte und u. a. vom Hafen über Mallinkrodt- und Münsterstraße mit einer Kutsche zum alten Rathaus gefahren wurde. Nach der Abreise des Kaisers wurde der Nachbau wieder niedergerissen.
1847 wurde der Cöln-Mindener Bahnhof in Betrieb genommen, der etwas nordöstlich versetzt zum heutigen Hauptbahnhof lag. Zu erreichen war dieser erste Bahnhof Dortmunds nur über eine wenige hundert Meter lange Stichstraße, die es mittlerweile seit über 100 Jahren nicht mehr gibt. Jeder ankommende Reisende musste die parallel zu den Schienensträngen verlaufende Bahnhofstraße zunächst in östliche Richtung gehen, bis er am Burgtor auf die Münsterstraße stieß.
Von dort gelangte er über die Brückstraße in die Altstadt. Dabei sah der Ankömmling bis zu Beginn der 1860er Jahre noch die Stadtmauer rechts und links vom Standort des alten Burgtores.
Eine erste Bahnschranke gab es schon in den 1850er Jahren
Wandte der Reisende sich aber nicht in Richtung Altstadt sondern nach Norden, musste er an der Münsterstraße die Eisenbahngleise überqueren. In den ersten Jahren des Bahnhofsbetriebes gab es dort, wo die Eisenbahn die Münsterstraße kreuzte schon eine einfache Schrankenanlage, die den Verkehr auf der Straße aber nur in geringem Maße beeinträchtigte. Denn einerseits fuhren zu Beginn des Dortmunder Eisenbahnzeitalters täglich nur wenige Personen- und Güterzüge, andererseits störte die Bahnlinie noch keinen innerstädtischen Verkehr, da der nördliche Stadtteil gerade erst entstand.
Rund zwanzig Jahre später wohnten aber schon mehr als 10.000 Einwohner nördlich der Bahnlinie der Cöln-Mindener und Bergisch-Märkischen Eisenbahn, und der Zugverkehr hatte erheblich zugenommen. Die Verkehrsbehinderungen durch die häufig geschlossenen Bahnschranken am Burgtor und den benachbarten Übergängen hatten sich zu einem tagtäglichen Ärgernis entwickelt und zwar nicht nur wegen des fahrplanmäßigen Eisenbahnbetriebes sondern vor allem auch wegen zahlreicher Rangierfahrten.
Kutschen, Pferde und Fußgänger wurden gezählt um Verkehrsstörungen zu messen
Um den damals noch privaten Eisenbahngesellschaften Argumente präsentieren zu können, die die Missstände verdeutlichen und die Eisenbahnen bei der Suche nach Abhilfe in die Pflicht nehmen sollten, ließ die Stadtspitze schon in den frühen 1870er Jahren – und auch später noch – durch Polizeibeamte feststellen, wie häufig und wie lange die Schranken u. a. am Burgtor an mehreren aufeinander folgenden Tagen geschlossen waren.
Man zählte diese Vorgänge und notierte die Zeitdauer der „Verkehrsstörungen“. Festgehalten wurde aber auch die Zahl derjenigen, die vor den geschlossenen Schranken warten mussten – unterteilt nach Kutschen, Pferdefuhrwerken, Esel-und Hundekarren sowie Fußgängern. Bei letzteren lag die Zahl regelmäßig im oberen Tausender-Bereich pro Tag.
Das „Dortmunder Eisenbahnelend“, wie die schwierige Verkehrssituation an den Eisenbahnschranken gemeinhin genannt wurde, beschrieb der „Dortmunder Agent“ Karl(chen) Richter 1917 rückblickend und mit spitzer Feder folgendermaßen:
„Die Stammgäste in der Vogellschen Wirtschaft [direkt nördlich der Burgtor-Schranke] kannten diese Zeitmaße ganz genau. Wenn die Barriere [= Schranke] einmal gefallen war, konnte man bis zur Wiedereröffnung drei Tulpen Bier und eine ganze Portion Eisbein mit Sauerkraut zu sich nehmen. Wenigstens mittags in der schlimmsten Verkehrszeit; am stilleren Abend langte es nur zu zwei Tulpen und einer halben Portion.“
Fußgängertunnel sollte den Verkehr in Fluss halten
Die möglichen Maßnahmen zur Beseitigung der Verkehrsstörungen waren sehr begrenzt. Die Zahl der fahrplanmäßigen und der Rangierfahrten konnten nicht reduziert werden; sie nahm im Laufe der Zeit vielmehr zu. Ebenso verhielt es sich mit dem Fuhrwerks- und Fußgängerverkehr zwischen der alten Stadt und dem immer weiter wachsenden nördlichen Stadtteil. Eine Verlegung des Übergangs machte keinen Sinn, weil die Situation an den benachbarten Schranken (Bornstraße, Schützenstraße u. a.) ähnlich der am Burgtor war. So blieb nur die Möglichkeit, den Straßenverkehr über oder unter die Eisenbahnschienen zu verlegen.
Tatsächlich entschied man sich nach langer Diskussion für eine kleine Lösung, nämlich die Anlage einer Unterführung für Fußgänger. Tatsächlich wurde 1892 die Fußgängerunterführung an der östlichen Seite des Bahnübergangs mit einer Breite von 4 Metern erbaut und hatte eine Beleuchtung. Abends wurden die Zugänge verschlossen und morgens wieder geöffnet.
Über die Nutzung des Tunnels liegen nur wenige Informationen vor. Erhalten haben sich Berichte, aus denen hervorgeht, dass Personen auf den Treppen der Unterführung ausrutschten oder aus anderen Gründen zu Fall kamen. Die Staus an den Schranken verhinderte der Fußgängertunnel jedoch nicht.
Bahnhofsneubau hatte Brückenbau zur Folge
Die Missstände zogen sich weiter hin, bis endlich die große Lösung in Angriff genommen wurde: Nach jahrzehntelange Diskussion war endlich der Neubau des Dortmunder Bahnhofs beschlossen worden. Das bedeutete nicht allein die Höherlegung des Empfangsgebäudes (fertig gestellt 1910), sondern auch die entsprechende Angleichung des Umfelds, bei der die alte Bahnhofstraße aus dem Stadtbild verschwand.
Alle sieben Schrankenanlagen zwischen Unionstraße im Westen und Weißenburger Straße /Oesterholzstraße im Osten wurden beseitigt, indem die Schienen auf neu aufgeworfene Dämme gelegt und an den Schrankenanlagen Brücken – die Tore zum Norden! – gebaut wurden. Um die Höherlegung der Schienenstrecken in Grenzen zu halten, wurden an den vormaligen Schrankenanlagen gleichzeitig die Straßen tiefer gelegt.
Verkehrssituation verschärfte sich während der Baumaßnahmen
Die umfangreichen Arbeiten erfolgten bei laufendem Eisenbahnbetrieb und betrafen alle kritischen Verkehrspunkte gleichzeitig. Das bedeutete, dass die Eisenbahn, die für die Bauausführung an den Brückenbaustellen verantwortlich war, sieben neuralgische Verkehrsknotenpunkte auf einen Schlag ab 1907 für etwa zwei Jahre sperren wollte. Das hätte für den innerstädtischen Verkehr eine in Dortmund beispiellose Blockade zur Folge gehabt, die nur durch weiträumiges Umfahren der Hindernisse hätte umgangen werden können.
Aber durch Verhandlungen mit der Eisenbahn erreichte die Stadt eine Notlösung: An allen in Brückenbauwerke umzubauenden Schrankenanlagen wurden für die gesamte Dauer der Baumaßnahmen Wege offen gelassen, die groß genug waren, um Fußgänger und gewöhnliche Fuhrwerke durchzulassen. So wurde der ganz große Verkehrskollaps vermieden. Die Straßenbahn konnte die Burgtor-Baustelle allerdings nicht passieren; die Linie zum Fredenbaum blieb hier lange Zeit unterbrochen.
Heutige Straßensituation stammt aus dem Jahr 1909
Mit dem Bau der Burgtor-Brücke von 1907 bis 1909 schuf man die Ausgangssituation für die aktuelle Straßensituation. Das Umfeld des Burgtores wurde im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen, so dass heute an vielen Stellen die Vorkriegssituation kaum noch nachvollziehbar ist. Auch fährt heute keine Straßenbahn unter der Brücke und die Zahl der Autospuren hat sich vermehrt. Die Eisenbahnbrücke selber blieb aber von größeren Schäden verschont. Das stählerne Bogenfachwerk, das die Schienen stützt, und auch das Brückengeländer scheinen aber noch die von 1909 zu sein.
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Reaktionen
hubert
super gründlich recherchierter Artikel – unbedingt mehr davon !