SERIE (7): Es begann die Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg – Von Pferden und Kartoffelschalen

Wilhelm Brülling arbeitete bei der Kronen-Brauerei, bevor er entlassen wurde.
Die mächtigen Brauereipferde waren die Aushängeschilder der Brauereien. Foto: NGG-Archiv

Anlässlich des 150. Jahrestages der Gründung der ersten deutschlandweiten Gewerkschaft  – dem Allgemeinen Deutschen Zigarrenarbeiterverein – wird Nordstadtbogger.de in den nächsten Wochen aus der 165-jährigen Geschichte der Dortmunder Sektion berichten, aus der später die NGG entstanden ist.

Nach dem Ende der zwölfjährigen Naziherrschaft lagen die Städte in Schutt und Asche. Die Dortmunder Innenstadt war fast vollständig zerstört. Für die Bevölkerung begannen die „Hungerjahre“. Dass nicht nur die Menschen Not litten, zeigt folgender Aufruf des Betriebsrats der Stifts-Brauerei.

„Hungerjahre“ für die Bevölkerung und die Brauereipferde

Früher war es der Stolz des Stallmeisters, die Gespanne der Brauerei mit den wohlgenährten Pferden, deren Fell wie Seide glänzte, auf den Weg zu schicken. Heute ist es seine große Sorge, die uns noch verbliebenen Pferde überhaupt satt zu bekommen, geschweige denn in vorbildlicher Verfassung ihre Arbeit tun zu lassen.

Pferdefutter ist von dem Versorgungszettel der Behörden gestrichen und da heißt es, alles nur Mögliche tun und alle Beziehungen auszunutzen, die uns irgendwie zur Verfügung stehen, um die Tiere vor dem Hungertode zu bewahren. Hier kann ein Jeder etwas beisteuern:

Alle unsere Belegschaftsmitglieder haben jetzt Kartoffeln im Keller! Es ergeht daher an jeden Einzelnen die dringende Bitte, sich der kleinen Mühe zu unterziehen, die Kartoffelschalen, die in jedem Haushalt abfallen, zu sammeln und mitzubringen.

Einige unserer Arbeitskollegen kommen diesem schon seit langem nach – und es hilft immer etwas weiter. Wir sind aber eine stattliche Anzahl von Belegschaftsmitgliedern und wenn da ein Jeder das Seine tut, werden wir unsere Pferde – der Mensch kann sagen, dass er Hunger hat, das Tier aber nicht, dieses tut unverdrossen seine Arbeit, bis es eines Tages ganz mit ihm aus ist – über die größte Notzeit hinüberzuretten.

Diese Bitte um Beisteuerung zur Füllung der Futterkrippe wird wohl jeder menschlich denkende Arbeitskollege verstehen und uns seine Mithilfe nicht versagen. Wer jedoch selber Kleinvieh hat, hat natürlich in erster Linie für dieses zu sorgen. Doch es ist doch noch mancher unter uns, in dessen Haushalt die Kartoffelschalen und andere Küchenabfälle, wie Kohlblätter, Obstschalen usw. in die Mülltonne wandern. Da wäre hier einem besseren Zweck gedient.

Gleichzeitig wird gebeten, die Kartoffelschalen etc. in gewaschenen sauberen Zustand – faule Kartoffeln kommen ebenfalls nicht in Frage – im Pferdestall abzugeben.

Dortmund-Hörde, den 5. Oktober 1946

i.A. Meininghaus – Betriebsvertretung“

Die früheren Teile der Serie auf nordstadtblogger.de:

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