„Horror repräsentiert immer den Entwurf einer Gesellschaft in Unordnung.“

schauraum comic+cartoon präsentiert Ausstellung zu 70 Jahren Grusel und Schrecken

links: Superman, Nr. 44, Februar 1980, Cover: José Luis Garcia-Lopez / Mitte: Vault of Horror, Nr. 35, 1954, Cover: Johnny Craig / rechts: The Tomb of Dracula, Nr. 1, April 1972, Cover: Neal Adams
links: Superman, Nr. 344, Februar 1980, Cover: José Luis Garcia-Lopez / Mitte: Vault of Horror, Nr. 35, 1954, Cover: Johnny Craig / rechts: The Tomb of Dracula, Nr. 1, April 1972, Cover: Neal Adams Fotos: links DC Comics / Mitte William M. Gaines Agent, Inc. / rechts Marvel Comics

Die Ausstellung „Horror im Comic“, kuratiert von Dr. Alexander Braun, präsentiert bis zum 14. August 2022 anhand von Originalzeichnungen 70 Jahre Comic-Horror: von Dracula und Frankenstein über Geister und Dämonen bis zur Zombie-Invasion der Walking Dead-Reihe und japanischem Manga-Gore. Herausragende Originale aus dem EC-Verlag der 1950er-Jahre treffen auf Meisterwerke von Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago und vielen anderen.

Der „Comics Code“: Eine Branche übt Selbst-Zensur

Kurator Dr. Alexander Braun. Foto: Katrin Pinetzki für die Stadt Dortmund

Horror-Comics gibt es seit den frühen 1950er-Jahren. Sofort wurden sie von den konservativen Kräften der amerikanischen Gesellschaft während der McCarthy-Jahre angefeindet:

Eltern, Lehrer, Kirchen, konservative Politiker wünschten solche Lektüre für die amerikanische Jugend nicht, und der deutschsprachige Psychiater Dr. Fredric Wertham bestätigte: „Wenn Kinder das lesen, werden sie kriminell“.

Im Zentrum der jahrelangen Auseinandersetzungen stand der EC-Verlag, Marktführer und Primus in Sachen Qualität. Kein anderer Verlag hatte so brillante Autoren und Zeichner zu bieten, niemand sonst setzte sich – neben den Unterhaltungsaspekten von Spannung und Grusel – so vehement für die Werte der Verfassung ein: gegen Rassismus, Antisemitismus, Bigotterie und Militarismus.

Es half alles nichts. Von einem Untersuchungsausschuss des Senats in die Enge getrieben, verabschiedete die Comic-Industrie 1954 einen Selbstzensur-Code, der quasi alle „erwachsenen“ Themen bannte: nicht nur Horror und Crime, sondern auch jegliche politischen, religiösen oder gesellschaftskritischen Themen.

Grusel, Erotik und klassische literarische Figuren

Bernie Wrightson, Frankenstein, 1983
Tusche auf Karton, Privatbesitz USA. Foto: The Estate of Bernie Wrightson

Viele talentierte Zeichner:innen suchten sich nun andere Jobs und kehrten dem Medium für immer den Rücken.

Solch eine Zensur ist eigentlich ein No-Go für westliche Demokratien – doch Horror-Comics waren während der 1950er-Jahre zu subversiv, zu gesellschaftskritisch und zu autonom. Jahre vor dem Siegeszug des Rock ’n’ Roll bildeten sie eine eigene, unerwünschte Jugendkultur.

Ab den späten 1960er-Jahren setzte langsam eine Liberalisierung ein. 1964, der Zensur-Code war noch in Kraft, gab Verleger James Warren die Magazine „Creepy“ und „Eerie“ heraus – in größerem Magazin-Format und in Schwarz-Weiß, um nicht als Comic-Heft zu gelten.

Als sein Verlag später ins Schlingern geriet, rettete sich Warren erfolgreich mit der Idee, Grusel und Erotik zu kombinieren: Sein neuer Star mit eigenem Magazin war ab 1969 Vampirella, weiblicher Vampir und Pin-Up-Heroine in Personalunion.

Horror vs. Perfektion und Makellosigkeit

Tales from the Crypt, Nr. 39, Cover: Jack Davis Foto: William M. Gaines Agent, Inc.

Horror wurde zu einer festen Größe der Pop- und Comic-Kultur: Klassische literarische Figuren wie Vampire, Werwölfe, das Monster von Frankenstein, auch Autoren wie Edgar Allan Poe und H.P. Lovecraft, alle waren sie jetzt auch im Comic präsent.

Dazu Geister, Dämonen, Hölle und Okkultismus, sowie harter Manga-Gore aus Japan, entstanden unter dem Eindruck der Atombomben-Gräuel von 1945. Anfang der 2000er-Jahre verließen dank „The Walking Dead“ (der Comic ab 2003, die TV-Serie ab 2010) sogar die Zombies endgültig die Schmuddeligkeit von Bahnhofskinos und wanderten geradewegs in die Mitte der Gesellschaft.

Warum überhaupt Horror? Warum soll man sich Bilder antun von abgetrennten Armen und Beinen oder zu Brei geschlagenen Köpfen? „Horror repräsentiert immer den Entwurf einer Gesellschaft in Unordnung. So werden die Bilder im Horror immer dann besonders drastisch und grausam, wenn eine Gesellschaft ihre Perfektion und Makellosigkeit behauptet, oder ihre realen Grausamkeiten zu kaschieren versucht“, sagt Dr. Alexander Braun.

Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke besucht den Schauraum am 31. März

Jack Davis: Comes the Dawn, Seite 5, 1954
Tusche auf Karton, Privatbesitz Foto: William M. Gaines Agent, Inc.

„Wenn der Zeitgeist nach konformer Schönheit strebt, dann dreht Horror den menschlichen Körper einfach auf links und beweist, dass dieser nach wie vor aus Knochen, Fleisch, Blut und Innereien besteht.“

Die Ausstellung präsentiert anhand von 72 Originalwerken und vielen seltenen Archivalien 70 Jahre Comic-Horror. Sie erzählt unter anderem von den italienischen „Fumetti Neri“ (Schwarze Comics), die im Nachkriegs-Italien von Millionen Italienern gelesen wurden und den Boden für die ebenso erfolgreiche wie ambitionierte Reihe „Dylan Dog“ bereiteten.

Sie stellt ebenso japanischen Horror als Kapitalismuskritik vor, wie Horror in Science-Fiction und in der Tiefsee. Zur Ausstellung wird ein 456 Seiten starker Katalog (avant-verlag, Berlin) zum in der Ausstellung ermäßigten Preis von 39 Euro erscheinen.

Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet. So wird am 31. März Dr. Mark Benecke, Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe, zu Besuch sein, um das Genre auf den Prüfstand der Wissenschaft zu stellen. Am 7. April steht der beliebte „Comic-Streit“ im Zeichen des Horrors.

Eine Online-Einführung in die Ausstellung gibt es hier: Sollte an dieser Stelle das Videofenster nicht erscheinen, bitte einmal den Browser aktualisieren.

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Reaktionen

  1. Virtueller Horror: Comic-Schauraum bietet nun auch VR-Rundgang durch die Sonderausstellung (PM)

    Der schauraum: comic + cartoon und seine aktuelle Ausstellung „Horror im Comic“ kann nun auch virtuell besucht werden: Ein VR-Rundgang durch die Ausstellung ist ab sofort kostenlos online zugänglich. Ermöglicht hat dieses Angebot 21, der Sponsor des Schauraums.

    Mit dem Smartphone, Tablet oder Computer können Interessierte nun auch von zu Hause aus einen Rundgang durch den Raum unternehmen und die Exponate sowie Wandtexte in aller Ruhe anschauen.

    Der Link: https://bit.ly/3qgn2Wt
    dortmund.de/comic

  2. Comic-Zeichner Ralf König liest aus „Frankenstein“ (PM)

    Ralf König kommt nach Dortmund: Anlässlich der Ausstellung „Horror im Comic“ im schauraum: comic + cartoon liest der erfolgreiche Zeichner am Donnerstag, 23. Juni, 18 Uhr im Studio B der Stadt- und Landesbibliothek erstmals aus seiner 2020 erschienenen Comic-Adaption von „Frankenstein“ (Carlsen-Verlag). Im Anschluss signiert er das Buch. Der Eintritt ist frei.
    Mehr Infos: dortmund.de/comic

  3. Gruseliger Feierabend: Afterwork-Führung durch die Horror-Ausstellung im Comic-Schauraum (PM)

    Die Ausstellung „Horror im Comic“ präsentiert noch bis zum 9. Oktober anhand von Originalzeichnungen 70 Jahre Comic-Horror: von Dracula und Frankenstein über Geister und Dämonen bis zur Zombie-Invasion der Walking Dead und japanischem Manga-Gore. Herausragende Originale aus dem EC-Verlag der 1950er-Jahre treffen auf Meisterwerke von Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago und vielen anderen. Eine einstündige Feierabend-Führung durch die Ausstellung gibt es am Donnerstag, 7. Juli, 18 Uhr (Max-von-der-Grün-Platz 7). Die Führung kostet 3 Euro, der Eintritt ist frei. dortmund.de/schauraum

  4. Der Horror und die Zensur: Vortrag im Comic-Schauraum (PM)

    Zensur in Comics und Filmen hat eine lange Geschichte – besonders betroffen ist das Horror-Genre. Die Bemühungen, den fiktionalen Horror zu regulieren oder komplett zu verbieten, sind dabei eine hilflose Reaktion auf Überforderungen im realen Leben wie Krieg, Seuchen, Hunger oder Umweltzerstörung – so die These von Dr. Roland Seim.

    In seinem Vortrag am Mittwoch, 27. Juli, 18 Uhr spricht er im schauraum: comic + cartoon über Zensur im Horror-Genre – umgeben von schaurigen Gestalten aus der aktuellen Ausstellung „Horror im Comic“. Der Eintritt ist frei.

    Dr. Roland Seim (*1965 in Münster) studierte Kunstgeschichte, Soziologie und Philosophie in Münster und Berlin. Seine soziologischen Forschungsschwerpunkte sind Zensur in den Medien, Populär- und Alltagskultur, Musik, Film und Comics.

  5. Gruseliger Feierabend: Afterwork-Führung durch die Horror-Ausstellung im Comic-Schauraum (PM)

    Die Ausstellung „Horror im Comic“ präsentiert noch bis zum 9. Oktober anhand von Originalzeichnungen 70 Jahre Comic-Horror: von Dracula und Frankenstein über Geister und Dämonen bis zur Zombie-Invasion der Walking Dead und japanischem Manga-Gore. Herausragende Originale aus dem EC-Verlag der 1950er-Jahre treffen auf Meisterwerke von Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago und vielen anderen. Eine einstündige Feierabend-Führung durch die Ausstellung gibt es am Donnerstag, 4. August, 18 Uhr (Max-von-der-Grün-Platz 7). Die Führung kostet 3 Euro, der Eintritt ist frei. dortmund.de/schauraum

  6. Horror im Gaming: Vortrag im Studio B (PM)

    Horror und digitale Spiele – darum geht es in einem Vortrag, den Dr. Arno Görgen am Donnerstag, 6. Oktober, 18 Uhr im Studio B der Stadt- und Landesbibliothek hält. Der Vortrag gehört zum Begleitprogramm der Ausstellung „Horror im Comic“, die noch bis zum 9. Oktober im schauraum: comic + cartoons zu sehen ist. Der Eintritt zum Vortrag und in die Ausstellung ist frei.

    Horror hat die Popkultur erobert und macht auch vor Computerspielen nicht Halt. Auch wenn sich Horrorspiele umfangreich aus der Wunderkammer des filmischen und literarischen Horrors bedienen, ermöglicht die Interaktivität einen neuen Zugang des Erzählens und Erlebens. Der mediale Rahmen formt den Inhalt mit. Entlang grundsätzlicher Tangenten der Erfahrung von Horror – Heteronomie als Angst der Spieler*in vor dem Kontrollverlust und Entgrenzung als Motor dieser Angst vor dem Kontrollverlust – werden die Besonderheiten des ludifizierten Horrors vorgestellt und diskutiert.

    Dr. Arno Görgen (Jahrgang 1977) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im SNF-Ambizione Forschungsprojekt „Horror – Game – Politics“ der Hochschule der Künste Bern und zweitpromoviert dort zum Thema „Medikalisierung in digitalen Horrorspielen“. Als Kulturhistoriker promovierte er bereits zum Thema der medialen Repräsentation von Gewalt an Kindern in bundesdeutschen Printmedien. Aktuell forscht er zum Thema „Horror – Game – Politics: Die visuelle Rhetorik politischer Mythen in digitalen Horrorspielen“.

  7. Zum letzten Mal: Gruselige Feierabend-Führung durch die Horror-Ausstellung im Comic-Schauraum (PM)

    Die Ausstellung „Horror im Comic“ präsentiert nur noch bis zum 9. Oktober anhand von Originalzeichnungen 70 Jahre Comic-Horror: von Dracula und Frankenstein über Geister und Dämonen bis zur Zombie-Invasion der Walking Dead und japanischem Manga-Gore. Herausragende Originale aus dem EC-Verlag der 1950er-Jahre treffen auf Meisterwerke von Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago und vielen anderen. Eine letzte Feierabend-Führung durch die Ausstellung gibt es am Donnerstag, 6. Oktober, 18 Uhr (Max-von-der-Grün-Platz 7). Die Führung kostet 3 Euro, der Eintritt ist frei. dortmund.de/schauraum.

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