
Die Debatte um den Drogenkonsumraum am Grafenhof und die künftige Ausrichtung der Dortmunder Drogenpolitik hat den Rat der Stadt Dortmund in zwei aufeinanderfolgenden Tagesordnungspunkten intensiv beschäftigt. Inhaltlich kreisten beide Diskussionen um dieselbe Kernfrage: Soll der Schwerpunkt weiterhin auf sozial- und gesundheitspolitischen Hilfen liegen – oder stärker auf ordnungspolitischer Repression, verbunden mit einem Standortwechsel des Drogenkonsumraums?
Weiterführung des Vertrags für die Aidshilfe war Ausgangspunkt der Diskussion
Ausgangspunkt der ersten Debatte war die Weiterführung des Vertrages zwischen der Stadt Dortmund und der Aidshilfe Dortmund e. V. für den Betrieb des Drogenkonsumraums am Grafenhof. Die Verwaltung hatte ursprünglich eine Verlängerung um fünf Jahre vorgesehen, Oberbürgermeister Kalouti brachte jedoch kurzfristig einen Änderungsantrag ein, der die Laufzeit auf ein Jahr begrenzen sollte. Ziel sei es, den Druck auf die Suche nach einem alternativen Standort zu erhöhen. ___STEADY_PAYWALL___

Daniela Worth von der SPD-Fraktion kritisierte dieses Vorgehen scharf. Die Aidshilfe sei seit mehr als 20 Jahren ein verlässlicher Partner der Stadt, sagte sie, und warf dem Oberbürgermeister einen Vertrauensbruch vor.
„Das ist ein Schlag ins Gesicht der Aidshilfe“, erklärte Daniela Worth (SPD) und warnte vor massiven Folgen für die Beschäftigten. Eine einjährige Vertragslaufzeit sei wirtschaftlich nicht tragfähig, da viele Mitarbeitende langfristige Arbeitsverträge hätten. Die Unsicherheit könne dazu führen, dass Fachkräfte der Drogenhilfe die Stadt verlassen.
Zugleich wies Worth darauf hin, dass der bestehende Vertrag bereits eine jährliche Kündigungsmöglichkeit enthalte. Die vorgeschlagene Verkürzung sei deshalb „gänzlich unnötig“. Die SPD-Fraktion stimme daher der ursprünglichen Fassung mit einer Laufzeit von fünf Jahren zu, um Planungssicherheit zu gewährleisten.
Suche nach weiteren Konsumräumen geht weiter – Grafenhof hat Priorität

Unterstützung erhielt diese Position von Bündnis 90/Die Grünen & Volt. Anna Laura Flacke erinnerte an einen bestehenden Ratsbeschluss, wonach zusätzliche Drogenkonsumräume geprüft werden sollen, der Standort Grafenhof jedoch prioritär berücksichtigt werde.
„Drogenkonsumräume in Innenstadtnähe sind Teil der Lösung und nicht das Problem“, sagte Anna Laura Flacke. Sie betonte, dass Konsumräume dazu beitrügen, den Konsum aus dem öffentlichen Raum zu verlagern und den Zugang zu Beratung und Hilfe zu erleichtern.
Grafenhof erhalten, Satellitenstandorte schaffen

Auch die Fraktion Die Linke & Tierschutzpartei stellte sich hinter den Fortbestand des Standorts. Fatma Karacakurtoglu hob hervor, dass die Aidshilfe am Grafenhof über Jahre gute Arbeit geleistet habe.
Die sichtbaren Probleme im Umfeld seien erst mit der Überlastung des Angebots entstanden. „Deshalb ist es auch wichtig, dass wir den Grafenhof erhalten und dann Satellitenstandorte schaffen“, sagte Fatma Karacakurtoglu.
Für die CDU ist der Drogenkonsumraum unverzichtbar, aber „am falschen Standort“

Die CDU-Fraktion hingegen lehnte eine langfristige Festschreibung des Standorts ab. Dr. Jendrik Suck machte deutlich, dass es aus Sicht seiner Fraktion nicht um Kritik an der Aidshilfe gehe, sondern um den Standort selbst. Der Grafenhof sei „ersichtlich ungeeignet“, da er die Drogensituation in der Innenstadt manifestiere.
Thomas Bahr unterstrich diese Linie und bezeichnete den Drogenkonsumraum zwar als unverzichtbare Überlebenshilfe, aber als „am falschen Standort“. Ziel der CDU sei es, den Konsumraum zu erhalten, jedoch außerhalb der City.
AfD geißelt Grafenhof als „Süchtigen-Servicepoint“
Auch die FDP/Bürgerliste äußerte sich ambivalent. Michael Kauch würdigte zwar die Arbeit der Aidshilfe und bekannte sich grundsätzlich zum Konzept von Drogenkonsumräumen, stellte jedoch infrage, ob der Standort direkt neben einem Shoppingcenter richtig sei. Zugleich relativierte er die wirtschaftlichen Argumente gegen eine kürzere Vertragslaufzeit.

Deutlich ablehnend positionierte sich die AfD. Heiner Garbe sprach von einem „Süchtigen-Servicepoint“, der Menschen aus dem gesamten Umland anziehe und die Innenstadt belaste. Seine Fraktion forderte die Abschaffung des Drogenkonsumraums zugunsten von Prävention und ordnungspolitischem Durchgreifen.
Patricia Hillemann (AfD) bezeichnete den Grafenhof als allenfalls „Übergangslösung“ und sprach sich gegen einen weiteren Ausbau aus.
In der Abstimmung folgte der Rat schließlich der ursprünglichen Verwaltungsvorlage. Der Vertrag mit der Aidshilfe wird für fünf Jahre verlängert. SPD, Grüne & Volt, Linke & Tierschutzpartei sowie Die PARTEI stimmten zu, CDU, AfD und FDP/Bürgerliste votierten dagegen, das BSW enthielt sich.
Repressionen sind nicht verboten, aber kein Selbstzweck

Unmittelbar anschließend setzte sich der Rat mit der Studie zur Drogenszene und einem Antrag zur Weiterentwicklung der Suchthilfe auseinander. Auch hier standen sich zwei politische Grundverständnisse gegenüber.
Während die antragstellenden Fraktionen eine stärkere Ausrichtung auf Sozial- und Gesundheitspolitik forderten, warf die CDU ihnen vor, sich von repressiven Maßnahmen zu verabschieden.
Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde auf Vorschlag von Fatma Karacakurtoglu (Die Linke) die Überschrift des Antrags geändert. Statt „Verzicht auf Repression“ lautet sie nun „Ausrichtung der Drogenpolitik“.
Anna Laura Flacke (Grüne) stellte klar, dass es nicht um ein Repressionsverbot gehe, sondern um eine Priorisierung. „Das Problem nachhaltig lösen können wir nur durch Sozialpolitik“, sagte sie und verwies auf das Züricher Modell, das Hilfsangebote und ordnungspolitische Maßnahmen miteinander verknüpfe.
CDU will Repression als Basis für die Akzeptanz von Hilfsangeboten
CDU-Fraktionschef Dr. Jendrik Suck widersprach entschieden. Die geänderte Überschrift ändere nichts am Inhalt des Antrags. Die SPD habe damit ihren ordnungspolitischen Kompass verloren.

Sein sozialpolitischer Sprecher Thomas Bahr warnte davor, Repression als Voraussetzung für funktionierende Hilfe zu diskreditieren. Drogenhandel und -konsum im öffentlichen Raum müssten unterbunden werden, um Akzeptanz für Hilfsangebote zu erhalten.
Ordnungsdezernent Norbert Dahmen stellte in der Debatte klar, dass repressive Maßnahmen rechtlich verpflichtend seien. Kontrollen durch Polizei und Ordnungsamt seien gesetzliche Pflichtaufgaben und könnten durch politische Willensbekundungen nicht außer Kraft gesetzt werden. Repression und Hilfe müssten zusammengedacht werden.
SPD: Erst wenn Hilfen nicht greifen, müssen ordnungspolitische Maßnahmen folgen
Daniela Worth (SPD) wies die Kritik zurück. Im Antrag werde Repression nicht ausgeschlossen, sondern nachrangig eingeordnet. Erst wenn Hilfsangebote nicht griffen, müssten ordnungspolitische Maßnahmen folgen. „Es ist eine Frage der Priorisierung“, sagte Daniela Worth (SPD). Ähnlich argumentierten Vertreterinnen und Vertreter der Grünen und der Linken, die vor den sozialen Folgen repressiver Politik warnten.

Auch in dieser Abstimmung setzte sich die Ratsmehrheit aus SPD, Grünen & Volt, Linken & Tierschutzpartei sowie Die PARTEI durch. Der Antrag zur Weiterentwicklung der Suchthilfe wurde beschlossen, CDU, AfD und FDP/Bürgerliste stimmten dagegen, das BSW enthielt sich.
Beide Entscheidungen verdeutlichen eine klare Linie der Ratsmehrheit: Der Drogenkonsumraum am Grafenhof bleibt bestehen, und die Dortmunder Drogenpolitik soll weiterhin vorrangig sozial- und gesundheitspolitisch ausgerichtet sein.
Die Auseinandersetzung um Standort, Repression und City sind damit jedoch nicht beendet – die nächste Runde kommt bestimmt.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Mehr dazu auf Nordstadtblogger:
Alleingang im Hauruck-Verfahren beschert OB Kalouti die erste politische Niederlage
Hilfsprojekte stocken: Schlafcontainer am Hauptbahnhof geplatzt, Konsumraum verzögert
Zwischen Engelsfigur und Weihnachtsfeeling setzt OB Kalouti Akzente bei Sicherheit und Ordnung
Rat will mehr Platz für Drogenhilfe: Temporärer Entlastungsstandort an der Rheinischen Straße
Wie Dortmund mit Crack, Verwahrlosung und Unsicherheit umgeht – und was sich verändert hat
Betretungsverbote für Dealer, Verbotszone für aggressives Betteln und ein weiterer Konsumort
„Reiner Stoff statt Dreck von der Straße“ – Dortmund startet erste Diamorphin-Ambulanz
Die Aidshilfe in Dortmund feiert ihr Jubiläum und ehrt besonders das ehrenamtliche Engagement
Die Suche geht weiter: Eine endgültige Lösung für den Drogenkonsumraum ist noch nicht in Sicht

