„Invisible until it's broken“ bis 19. März - Führung am 12. Februar

Neue Ausstellung im Künstlerhaus Dortmund will das Unsichtbare sichtbar machen

Die Künstler:innen der Ausstellung „Invisible until its broken“: Winnie Herbstein, Annelies Kamen, Cana Bilir-Meier, Silke Schönfeld (Kuratorin), Rajyashri Goody, Yun Choi, Pennie Key (v.l.). © Roland Baege Fotografie

Diese Ausstellung haut einen aus den Socken – nicht nur wenn es nach Pennie Key geht. Sie ist eine von acht Künstlerinnen der neuen Ausstellung im Künstlerhaus Dortmund und überraschte die Besucher:innen der Vernissage mit „Socken-Wrestling“.

Machtverhältnisse und Gendertheorie auf der Matte

Socks Off! Die Spiel-Installation von Penny Key bringt ungeahnte Kräfte ans Licht © Roland Baege Fotografie

„Socks off!“ hieß es zur Eröffnung der neuen Ausstellung im Künstlerhaus am Sunderweg. In einer Ecke der Ausstellungsräume hat die Künstlerin Penny Key schwarze Matten ausgelegt, auf denen zwei Menschen um die Wette rangeln können. Sie müssen versuchen einander die Socken auszuziehen.

An den Wänden sind die Spielregeln zu lesen: Kein Ziehen an den Haaren. Keine Haftung. Du musst deine Socken jederzeit verteidigen, usw. Letzte Regel: Bleib spielerisch. Und das ist gar nicht so einfach. Je nach Temperament entfaltet sich das Gerangel ganz unterschiedlich, geht der Kampf um den gegnerischen Socken schneller oder langsamer vorbei – hier zeigen sich verborgene Charakterzüge und Beziehungsgeflechte und damit sind wir dann auch mitten im Thema. 

Silke Schönfeld, Künstlerin und Kuratorin, hat für diese Ausstellung ganz verschiedene Arbeiten zusammengestellt, die alle eines gemeinsam haben: sie wollen Strukturen und Hintergründe aufdecken, wollen Geschichten erzählen, die Verborgenes ans Licht bringen. Sie tun dies auf ganz unterschiedliche Weise – lustig, berührend, radikal, poetisch oder alles auf einmal. 

Ein rosa Mädchenzimmer abseits der Klischees?

Selma Selman, „A Pink Room of her Own“, 2020 Daniela Berglehn | Nordstadtblogger

Selma Selman hat für ihre Mutter ein Zimmer gebaut. Ein Traum in Pink, der so manche Feministin verstören mag, weil er als Mädchenzimmer nahezu reines Klischee ist. Aber was sagt das schon? Die Künstlerin verwirklichte hier den Traum ihrer Mutter, die als geborene Romni bereits mit 13 Jahren verheiratet wurde.

„A Pink Room of her Own“ entstand in enger Kollaboration mit ihr, ist ein Reise in ihre Kindheit und zu Wünschen, die sie nie verwirklichen durfte. Die Installation besteht aus einem Film, der die Gespräche zwischen Mutter und Tochter dokumentiert, einem Modell des Zimmers als pinker 3D-Druck und einem Video, das die Mutter in ihrem wahr gewordenen Mädchenzimmer zeigt. Sie scheint glücklich zu sein. Das zählt.

Es gibt alte Strukturen, die bis heute nachwirken

Detail der Installation „Does Manu Hesitate to eat with you?“ von Rajyashri Goody. © Roland Baege Fotografie

Auch Rajyashri Goody hat einen Raum gebaut: der Boden im Künstlerhaus ist bedeckt mit Papierbrei, darin sind Keramikteile verborgen. Es sind Trinkschalen und das Papier war ursprünglich das hinduistische Gesetzbuch Manusmriti.

Es ist die wichtigste Textquelle des alten Indiens zum Kastensystem und den damit verbundenen Verhaltensregeln. Ein System das zwar alt ist, aber – mehr oder weniger verbogen – bis heute das Zusammenleben und die gesellschaftliche Hierarchie bestimmt. „Würdest du zögern mit mir zu essen?“ fragt die Künstlerin und spielt auf das Verbot an, mit Menschen zu speisen, die – wie sie selbst – der Dalit-Gemeinschaft angehören, den sogenannten Unberührbaren. Neben einem Gedicht der Künstlerin, findet man auch Bücher mit etwas anderen Rezepten, die zum Widerstand einladen.

Strukturelle Probleme, leicht verständlich und emphatisch zum Thema zu machen – das ist die Stärke der ausgewählten Künstlerinnen und ihrer Werke, findet Silke Schönfeld: „Die Inhalte sind häufig von einer Komplexität, die sich schwer vermitteln lässt. Aber die Arbeiten legen den Finger in die Wunde und es gelingt ihnen uns miteinander ins Gespräch zu bringen.“

Einblicke in die eigene Biografie mit Humor und Empathie

Annelies Kamen, Mary Jane‘s Mishap: hier 
rauchen die Schuhe der Künstlerin. © Roland Baege Fotografie

Unsichtbares sichtbar machen und Unsagbares ansprechen, das kann mit Humor funktionieren wie beim Socken-Wrestling oder beim Anblick „rauchender Doc Martens“, die uns im Keller des Kunsthauses über den Wandel vom Arbeiterschuh zum Hipster-Accessoire gruseln lassen (Annelies Kamen).

Das kann auch streng analytisch sein, wie bei der sehr reduzierten Rauminstallation von Winnie Herbstein und ihren Videoarbeiten, die zeigen wie Strategien in Architektur und Wohnungsbau unseren Raum und unsere Lebensqualität bestimmen.

Und das kann einen den Atem stocken lassen, wenn wir im Super-8-Film von Cana Bilir-Meier zwei jungen Frauen durch das Münchner Olympia-Einkaufszentrum folgen, ihren Ängsten und Träumen lauschen und dann gewahr werden, dass ja genau hier 2016 bei einem rassistischen Anschlag neun junge Menschen ermordet und viele weitere schwer verletzt wurden.

So unterschiedlich die Künstlerinnen, ihre Arbeiten und ihre Strategien sind, „sie schenken uns einen Einblick in ihr Denken, ihre Geschichten und auch in ihre Verletzlichkeit“, so Silke Schönfeld, „dafür bin ich ihnen sehr dankbar.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

  • Ausstellung bis 19. März 2023, Donnerstag bis Sonntag 16 bis 19 Uhr
  • Eintritt frei
  • Am 12. Februar und 5. März findet jeweils um 17 Uhr eine Führung mit der Kuratorin statt.
  • Führungen für Schulklassen auf Wunsch: schoenfeldsi@aol.com
  • www.kh-do.de
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