Neben dem „Horrorhaus“ geht die Sonne auf – oder wie Privatisierung dem Steuerzahler eine Riesen-Ruine hinterlässt

Ungleiche Zwillinge: Links das beliebte Hochhaus der Dogewo21 mit der Leuchtreklame „Im Norden geht die Sonne auf“ - rechts das baugleiche Gebäude, welches als „Horrorhaus“ bundesweit Schlagzeilen gemacht hat.
Ungleiche Zwillinge: Links das beliebte Hochhaus der Dogewo21 mit der Leuchtreklame „Im Norden geht die Sonne auf“ – rechts das baugleiche Gebäude, welches als „Horrorhaus“ bundesweit Schlagzeilen gemacht hat. Foto: Ole Corneliussen

Gleichzeitig wurden die beiden Zwillings-Gebäude 1969 in der Nordstadt erbaut. Während der sanierte Turm der „Dogewo21“ in der Heiligegartenstraße voll vermietet ist, stehen die 102 Wohnungen im sogenannten „Horrorhaus“ in der Kielstraße seit langem leer. Die eine Immobilie wurde gerade mit frischen Balkonblumen geschmückt – gegenüber verfällt sein Zwilling. Nach einer gescheiterten Privatisierung steht das Wohneigentum seit mehr als 15 Jahren leer und wartet fast genauso lange auf den Abriss. Nächstes Jahr – zum 50. Geburtstag – soll die Abrissbirne endlich kreisen.

Die unterschiedlichen Schicksale der Türme lassen sich schon 1992 erahnen

Hochhäuser an der Kielstraße
Die Zwillingstürme gleichen sich heute nur noch in ihrer Architektur. Foto: Klaus Hartmann

Wir skizzieren die Chronologie der beiden Verkäufe, die nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.

Beide Wohntürme wurden 1969 von der „Westfälischen Wohnstätten AG“ (später „Veba“) fertiggestellt. Im Zuge der Privatisierungswelle, die Dortmund 1992 erfasste, gerieten auch die Zwillingstürme unter den Hammer.

Das Haus in der Heiligegartenstraße 27 übernimmt die Stadt-Tochter „Dogewo21“ und beginnt mit den fälligen Sanierungsarbeiten und Modernisierungen. Auch in den Folgejahren wird investiert und das Erdgeschoss zum Empfangsbereich umgestaltet sowie die Aufzüge nachgerüstet.

Der Turm gegenüber, in der Kielstraße 26, gerät zum Spekulationsobjekt. Eine Gesellschaft aus Heilbronn, die „Burbaum, Bieg & Nikoloff GbR“, wird die Wohnungen einzeln weiterverkaufen. An insgesamt 44 EigentümerInnen, die die Wohneinheiten meist auf Kredit kaufen und als Geldanlage nutzen wollten.

Als Strom und Wasser abgestellt werden, müssen die MieterInnen ausziehen

Horrorhaus
Das „Horrorhaus“, die größte Schrottimmobilie in der Nordstadt. Foto: Alex Völkel

Doch die erhoffte und versprochene „gute Geldanlage“ mit hohen Mieteinnahmen gab es nicht. Die Käufer*innen – überwiegend türkischstämmige Mitbürger*innen aus Süddeutschland – wurden über den Zustand getäuscht. Statt mit üppigen Mieteinnahmen ihre auf Kredit gekauften Eigentumswohnungen refinanzieren zu können, wurden sie mit Sanierungsbedarf konfrontiert.

Doch dafür fehlte den meisten auswärtigen Eigentümer*innen das Geld – weitere Kredite bekamen sie zumeist nicht. Denn die Investitionen hätten nicht über eine Mieterhöhung eingeholt werden können. Viele Wohnungen waren noch in der Sozialbindung und die Mieten somit gedeckelt.

Es kam, wie es kommen musste: Die Finanzierung bricht zusammen, weil Eigentümer ihre Kredite nicht bedienen können. Als Strom und Wasser nicht mehr bezahlt werden, dreht die DEW21 im April 2002 den Hahn zu.

Die Mieter*innen waren die Leidtragenden. Sie stellten wegen der Zustände im Haus die Mietzahlungen vollständig ein und zogen nach und nach aus. Die Spekulationsblase platzte. Das bedeutete für viele der getäuschten Käufer die Privatinsolvenz.

Stattdessen bevölkerten zunehmend Obdachlose und Drogenabhängige die freigewordenen Wohnungen im Hochhaus. Mangels Strom, Heizung und Wasser wurde u.a. offenes Feuer gemacht. Mehrfach musste die Feuerwehr anrücken. Die Stadt zog daher die Reißleine und ordnete die Schließung des Hauses an. Die letzten legalen Mieter*innen mussten raus – ebenso wie die „ungebetenen Gäste“. Anschließend wurden die Eingänge und unteren Etagen zugemauert. Von da an hatte es seinen Ruf als „Geisterhaus“ und „Horrorhaus“ weg.

Nebenan gibt es einen gepflegten Blick über die Dortmunder Innenstadt

Viele ehemalige Bewohner*innen aus der Kielstraße konnten dank unbürokratischer Hilfe von „Dogewo21“ und Wohnungsamt in den sanierten Zwilling in der Heiligegartenstraße umziehen. Das mit dem Zwilling war wörtlich zu nehmen: Die Grundrisse sind identisch. Selbst Maßküchen haben sofort gepasst.

Der Ausblick aus dem Dogewo21-Hochhaus in der Heiligegartenstraße. Foto: Ole Corneliussen
Der Ausblick aus dem Dogewo21-Hochhaus in der Heiligegartenstraße. Foto: Ole Corneliussen

So können sie weiterhin fußläufig die Innenstadt erreichen und von den Südbalkonen aus die Uhrzeit an der Reinoldikirche ablesen. Im Haus der „Dogewo21“ sind alle Wohneinheiten weiterhin vermietet.

Die Wohnungszuschnitte sind selbst nach heutige Maßstäben modern und großzügig und haben auf jeder Etage einen Mix von Appartements für Alleinstehende und großen Wohnungen für Familien mit mehreren Kindern. Schulzentren, Kindergärten und Sportanlagen können von Mieter*innen in unmittelbarer Umgebung genutzt werden. Hinzu kommt eine – noch immer – recht günstige Miete.

Um den Schandfleck zu bereinigen, muss die Stadt das Gebäude kaufen

Blick auf den leerstehenden Zwilling. Im kommende Jahr soll endgültig der Abriss erfolgen. Foto: Ole Corneliussen
Blick auf den leerstehenden Zwilling. Im kommende Jahr soll endgültig der Abriss erfolgen. Foto: Ole Corneliussen

Von der Nordseite aus fällt der Blick auf den verwaisten und verwahrlosten Zwilling in der Kielstraße. Seit der Schließung im Jahr 2002 ist er ein städtebaulicher Schandfleck.

Die Zukunft des Gebäudes – insbesondere wegen der verworrenen Eigentumsverhältnisse mit einer Vielzahl von Eigentümer*innen und Gläubigerbanken – ist schwierig.

Die Stadt Dortmund möchte das Gebäude daher schon seit mehr als zehn Jahren abreißen. Doch dazu muss sie erst einmal in den Besitz des Gebäudes kommen.

Die insgesamt 102 Wohneinheiten  in der Kielstraße müssen von der Stadt Dortmund zurückgekauft werden. Seit 2013 war ein Gutachterbüro damit beauftragt, die Eigentumsverhältnisse zu klären, um Einverständniserklärungen von Banken und Eigentümer*innen zu bekommen.

Allein für die Arbeit der Gutachter musste die Stadt Dortmund bis 2016 mit rund 200.000 Euro aufkommen. Die restlichen Gespräche hat die eigens eingerichtete Regiestelle der Stadt geführt und dabei auch weite Wege in Kauf genommen.

Mahnmal der Immobilienspekulation kommt die Steuerzahler teuer zu stehen

Den „Dogewo21“-Turm ziert die Leuchtschrift „Im Norden geht die Sonne auf“. Foto: Alex Völkel

„Einige Eigentümer hätten andere Themen und Sorgen. Einer lebt in der Türkei, an der syrischen Grenze“, berichtet Susanne Linnebach, Abteilungsleiterin im Amt für Wohnen und Stadterneuerung.

Doch der lange Atem der Stadt könnte in diesem Jahr belohnt werden: Der Stadt fehlen nur noch die Einwilligungen von zwei der 44 Eigentümer*innen bzw. Gläubigerbanken. Die anderen Eigner*innen sind über Jahre mühsam und kleinteilig zusammengesucht worden.

Susanne Linnebach geht davon aus, dass die Stadt „bestenfalls im dritten Quartal 2018 im Eigentum des gesamten Gebäudes“ ist. Dann könnte auch die Abrissplanung weitergehen.

Für den Abriss des Horrorhauses sind seit Jahren knapp 1,9 Millionen im städtischen Haushalt eingestellt.Die genauen Abrisskosten müssen noch neu ermittelt und das Abrissgutachten fortgeschrieben werden. Die Ankaufkosten der Wohneinheiten belaufen sich auf voraussichtlich auf 363.000 Euro, ebenfalls finanziert aus öffentlichen Mitteln.

MieterInnen der Heiligengartenstraße können sich über Sanierungsarbeiten freuen

MieterInnen der Dogewo21 bekommen jedes Jahr frische Blumen für ihre Balkone. Foto: Ole Corneliussen
Die MieterInnen der Dogewo21 bekommen frische Balkonblumen. Foto: Ole Corneliussen

Sorgen dieser Art haben Mieter*innen der „Dogewo21“ an der Heiligengartenstraße 27 nicht. Hier wird höchstens über die Farbe oder die Anzahl der Balkonblumen diskutiert, die ihnen die Dogewo21 seit Jahren bei der ein Mal im Jahr stattfindenden Aktion an alle interessierten Mieter*innen des Hochhauses verschenkt.

Sorgen über den baulichen Zustand gibt es hier nicht. Zuletzt wurden im Jahr 2007 große Sanierungsarbeiten durchgeführt, die sich insgesamt auf 1,4 Millionen Euro beliefen. Dabei wurden auch Balkone saniert, Fenster ausgetauscht und Flure gestrichen. Außerdem wurde auch die Fassade neu gestrichen und der LED-Schriftzug „Im Norden geht die Sonne auf“ angebracht.

Auch die Außenanlage wurde neugestaltet, unter anderem durch eine Pflastererneuerung im Innenhof und eine Überarbeitung des Spielplatzes. Besonders der Eingangsbereich des Hauses wurde durch große Fenster deutlich aufgewertet und durch Videoüberwachung sicherer gemacht.

An eine Weiternutzung des Gebäudes für Sozialwohnungen ist nicht zu denken

Auf dem Grundstück des Hochhauses muss eine Gemeinschaftsfläche entstehen. Foto: Ole Corneliussen
Auf dem Grundstück könnte bald eine Kita stehen. Foto: Ole Corneliussen

Davon können die Nachbar*innen des Horrorhauses in der Kielstraße nur träumen. Sie warten seit Jahren auf den Abriss. Damit die Finanzierung für den Abriss der Schrottimmobilie gefördert wird, muss dort eine Gemeinbedarfsfläche entstehen. Eine Neu- oder Weiternutzung für Wohnzwecke würde den gesamten Plan und den Ankauf des Gebäudes gefährden.

„Die gesamten Verhandlungen mit Banken wären außerdem nicht so erfolgreich gewesen, wenn wir die Fläche wieder in Wert setzen und vermarkten würden“, versichert Linnebach. Verkauft hätten die Eigentümer*innen und Gläubiger*innen nur, weil nichts anderes als ein Abriss möglich sei.

Sie will daher den weiteren Prozess nicht mit Diskussionen über die Weiternutzung des Gebäudes für Sozialwohnraum überfrachten. „Wir sind so weit gekommen und es hat eine lange Zeit gedauert. Was der Nordstadt gut täte, wäre eine Kita“, so Linnebach weiter.

Frühestens Ende 2019 könnte mit dem Abriss begonnen werden. Die Arbeiten zur Räumung der Fläche werden in jedem Fall bis 2020 andauern, da eine Sprengung mitten im Quartier nicht in Frage kommt. So müssen die Etagen wohl einzeln abgetragen werden.

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Reaktionen

  1. Schorschi Bot

    In Ihrem Artikel ist zwar meistens von „EigentümerInnen“ die Rede, aber mindestens in einem Fall steht dort „Eigentümer“ (…einige Eigentümer hätten andere…). Wie konnten Sie das nur durchgehen lassen?! Oder halten Sie diese neue Schreibregelung auch für bescheuert?

  2. Nordstadtblogger-Redaktion

    Danke für den Hinweis. Der Artikel ist von 2018. Wir haben ihn jetzt durchgehend mit * statt mit Groß-I gegendert. In der Tat war es punktuell vergessen worden, u.a. bei Gläubiger. Auch das haben wir geändert.

    Wo „Käufer“ stand und steht, ist es innerhalb eines Zitats. Und wenn dort nicht gesagt wurde, bleibt Käufer stehen. Wir finden die neuen Regeln nicht für bescheuert, sondern für notwendig und richtig.

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