Kinderschutzbund kritisiert fehlende Chancengleichheit bei Bildung – 70 Euro für Schul-Erstausstattung reichen nicht

Kinderschutzbund Schulbedarf
Kinderschutzbund-Zusammenstellung des Schulbedarfes für Erstklässler, rechts die Second-Hand Variante.

Von Gerd Wüsthoff

Eltern mit geringem Einkommen, „Hartz IV-Empfänger“ und „Aufstocker“ stehen unter anderem bei der Einschulung ihrer Kinder vor finanziellen Problemen: Der 70-Euro-Zuschuss aus der Förderung „Bildung und Teilhabe (Schulbedarfe)“ reicht nicht aus, um die notwendigen Ausgaben der Familien zu decken. Sein Kind mit den zu beantragenden 70 Euro auszustatten, scheint selbst mit „Second Hand“-Artikeln nicht möglich zu sein. Alleine der gebrauchte Schulranzen kostet mit Glück 20 bis 40 Euro. Es kommen die Federmäppchen, Buntstifte, Ordner, Wasserfarben-Kasten und vieles mehr dazu. Obendrauf addieren sich dann noch die Elternbeiträge für Kopien, Bücher, Schulausflüge etc. „Das ist eine Verhinderung von Bildungschancengleichheit“, sagt Martina Furlan, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes in Dortmund.

Soziale Absicherung und Teilhabe ist keine „spätrömische Dekadenz“

Kinderschutzbund, (v.l.) Dörte Humbert-Schneider, Martina Furlan, Arndt van der Wurp
Kinderschutzbund, (v.l.) Humbert-Schneider, Furlan und van der Wurp. Fotos: Gerd Wüsthoff

Ein neuer Schulranzen liegt schnell mal bei über 260 Euro und mehr. Beträge, die für einkommensschwache Familien eine enorme Belastung bedeuten. Verständlich, dass Betroffene da nach Alternativen suchen und oftmals bei Second-Hand-Ware fündig werden. Doch was die Eltern erfreut, wird für die Kinder oft zum Problem, wenn sie aufgrund ihrer veralteten Ausstattung Opfer von Hänseleien und Mobbing werden.

Viele Kinder können sich dem nur mit der ihnen eigenen Fantasie entziehen, indem sie den gebrauchten Ranzen, als vom Bruder oder einem anderen Verwandten übernommen, den anderen darstellen. Eine Lüge zum Selbstschutz in einer schon bei den Kleinen beginnenden „Must-Have“-Statusgesellschaft.

„Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt ist ein Skandal“, sagt Furlan. „Der ,Bildung und Teilhabe‘-Zuschuss muss erhöht werden.“ Hier könnten nun Menschen, die die „spätrömische Dekadenz“-Aussage zur sozialen Absicherung eines gewissen liberalen Politikers im Sinn behalten haben, sagen, dass die „Empfänger-Eltern“ die etwaig bewilligten Zuschüsse für sich selbst „abzweigen“. „Das Gegenteil ist der Fall. Eltern mit geringem Einkommen legen sich für ihre Kinder eher krumm, um ihnen jede Chance auf eine vernünftige Schulbildung bieten zu können“, sagt Furlan.

„Da das Teilhabepaket mit 70 Euro schon zum Schulstart zu gering ist, müssen Eltern im Vergleich richtig zulegen und trotzdem Abstriche machen“, erklärt Dörte Humbert-Schneider vom Kinderschutzbund. Nun gibt es in den Schulen Fördervereine, die unterschiedlichste Dinge finanzieren, die nicht in den Schuletats abgedeckt sind. „Aus Spenden, zum Beispiel durch die Fördervereine, entsteht viel zu schnell das Gefühl von Almosenempfang“, fügt Arndt van der Wurp vom Kinderschutzbund hinzu.

Furlan: „Um soziale Ausgrenzungen, Minderwertigkeitsgefühle zu vermeiden, muss eine Kindergrundsicherung eingeführt werden“

Kinderschutzbund Dortmund e.V.
Kinderschutzbund Dortmund e.V.

„Um soziale Ausgrenzungen, Minderwertigkeitsgefühle zu vermeiden, muss eine Kindergrundsicherung eingeführt werden“, sagt Furlan. Im Gegensatz dazu wird „Hartz IV“-EmpfängerInnen allerdings das Kindergeld auf ihren Bezug angerechnet. Ein Umstand, der dazu führt, dass Eltern mit geringem Einkommen ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellend, ihrem Kind möglichst viel zur Verfügung stellen – Luxus- und Labelprodukte bleiben aber außen vor. „Die Kinderarmut in Deutschland steigt dramatisch an“, empört sich Furlan.

„Der Kinderschutzbund kann das nicht abfedern und es ist nicht unsere Aufgabe“, erläutert Furlan auf Nachfrage. Leider sind immer noch zu viele Vorurteile und Verunglimpfungen gegenüber einkommensschwachen Eltern an der Tagesordnung. Hierzu zählt auch der Begriff der „Bildungsferne“.

Fakt ist aber leider, dass sich die Schere nicht nur zwischen Arm und Reich in der Bundesrepublik Deutschland immer weiter öffnet, sondern auch die für die Bildungschancen. Dieser Trend setzte Mitte der 1990er Jahre ein, verschärfte sich nach 1998 (Agenda 2010) und beschleunigt sich dramatisch seit der immer noch schwelenden Finanzkrise, die 2007/08 die Welt und Deutschland, trotz allen Wirtschaftswachstums im Griff hat.

Besonders auffällig dabei ist, dass Kinder aus ärmeren, nicht-akademischen oder reichen Haushalten immer seltener einen Hochschulabschluss machen und studieren können: „Es wird immer von den Kindern als unserer Zukunft geredet, nur, es muss endlich gehandelt werden“, sagt Furlan.

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