Fotostrecke: Historische Ruhrgebietsfotografien des Dortmunders Erich Grisar im Ruhr-Museum zu sehen

Vor der Westfalenhütte, Dortmund, 1928 – 1933
Vor der Westfalenhütte, Dortmund, 1928 – 1933. Fotos: Erich Grisar / Stadtarchiv Dortmund

Der Dortmunder Erich Grisar (1898-1955), bislang vor allem als Arbeiterschriftsteller bekannt, wird derzeit als Fotograf entdeckt: Das Essener Ruhr Museum widmet ihm eine eigene Ausstellung. Die Schau „Erich Grisar. Ruhrgebietsfotografien 1928 – 1933“ ist ab Montag, 14. März in der Kohlenwäsche des Welterbes Zollverein in Essen zu sehen.

Ausstellung wird im kommenden Jahr auf der Zeche Zollern zu sehen sein

Kriegsversehrter, 1928 – 1933
Kriegsversehrter, 1928 – 1933

Bis zum 28. August 2016 sehen die Besucherinnen und Besucher 200 größtenteils noch nie veröffentlichte oder in Vergessenheit geratene Fotografien.

Sie zeichnen ein weitgehend unbekanntes Bild des Ruhrgebiets, vor allem der Stadt Dortmund, in der späten Weimarer Republik. Die Ausstellung läuft anschließend vom 24. Februar bis 8. Oktober 2017 im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund.

Erich Grisar beobachtete zwischen 1928 und 1933 mit seiner Kamera den Alltag im Ruhrgebiet. Mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern dokumentiert er im Stil der Sozialreportage und mit einem geschärften Blick Themen des Arbeits- und Alltagslebens im Ruhrgebiet, zu denen er zeitlebens auch schriftstellerisch gearbeitet hat.

Mit präziser Genauigkeit beobachtete er vor allem das Arbeitermilieu. Diese und die zahlreichen Bilder von spielenden und arbeitenden Kindern sind die größte Entdeckung der Ausstellung.

Innensichten des Reviers und sind mit einem empathischen Blick für die Menschen

Auf einem selbstgebauten Panzer, 1928 – 1933
Auf einem selbstgebauten Panzer, 1928 – 1933

Seine Fotografien zeigen eine Innensicht des Reviers und sind mit einem empathischen Blick für die Menschen ins Bild gesetzt.

Er interessierte sich für das Leben in der Stadt, für den Alltag in den Siedlungen mit den mächtigen Industrieanlagen im Hintergrund, für die harte körperliche Arbeit und die technischen Fertigkeiten der unterschiedlichen Berufsgruppen.

Er wusste, wovon er in seinen Bildern erzählt, weil er Milieus zeigt, in denen er groß geworden war und zu denen er profunde Kenntnisse besaß.

Der im Dortmunder Stadtarchiv lagernde fotografische Nachlass Grisars umfasst mehr als 4.200 Negative und Glasplatten, wovon circa 1.500 im Ruhrgebiet entstanden. Erstmalig wurde dieser Bestand ausgewertet und ist nun in einer Auswahl von knapp 200 Fotografien im Ruhr Museum zu sehen.

Die faszinierenden Beobachtungen und einfühlsamen Bilder werden in drei Kapiteln zu den Themen Kindheit, Arbeit und Alltag im industriellen Ballungsraum und Städtisches Leben auf der Galerie gezeigt.

Zur Person: Der Dortmunder Fotograf Erich Grisar (1898 – 1955)

Fotograf, 1928 – 1933
Fotograf, 1928 – 1933

Erich Grisar (1898 – 1955) stammte aus proletarischem Hause und war Sozialdemokrat. Vor seiner freien fotografischen und journalistischen Tätigkeit arbeitete er mehrere Jahre als Vorzeichner in einer Kesselschmiede.

In der Endphase der Weimarer Republik fotografierte er als Autodidakt Sozialreportagen, die in der Tagespresse oder in Zeitungen des linken Spektrums veröffentlicht wurden.

Häufig stammten Text und Fotografien von Grisar. Er nahm die Impulse der sozialkritischen Arbeiterfotografie auf und war selbst ein unabhängiger Teil von ihr. Er wollte als Schriftsteller zwischen den Klassen vermitteln, als Fotograf konnte er dieses Anliegen weiter verwirklichen.

Mit der Grisar-Ausstellung setzt das Ruhr Museum die Reihe seiner Ausstellungen der Klassiker der Ruhrgebietsfotografie fort, die mit Heinrich Hausers „Schwarzes Revier“ und „Chargesheimer. Die Entdeckung des Ruhrgebiets“ begonnen hat und 2018 mit den „Ruhrgebiets-Landschaften“ von Albert Renger-Patzsch fortgeführt wird.

Was Grisar aber vor allem von seinen fotografischen Zeitgenossen unterscheidet, ist, dass er sich nicht von außen dem Ruhrgebiet näherte. Grisar ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und hat seine Heimatstadt Dortmund nur für die Teilnahme am Ersten Weltkrieg und für kurze auswärtige Arbeitsaufenthalte und Reisen verlassen.

Das heißt nicht, dass sich Grisars Fotografien formal und inhaltlich völlig von denen der anderen Fotografen des Ruhrgebiets unterscheiden. Auch er nimmt die amorphe Struktur des Reviers zwischen Siedlung und Industriekulisse, jene von Albert Renger-Patzsch fixierte „Zwischenstadt“ wahr.

Auch er sieht den von Heinrich Hauser beschriebenen Widerspruch zwischen Industrielandschaft und moderner Großstadt und auch er zeigt wie schon Hauser, vor allem aber Chargesheimer, die von der schweren Arbeit geprägte Existenz der Menschen. Diese vielfältigen fotografischen Bezüge werden in der zweiten Station der Ausstellung auf der Zeche Zollern in Dortmund durch vergleichbare Aufnahmen der Ruhrgebietsfotografie verdeutlicht.

Kooperationsprojekt zwischen Ruhr-Museum, Dortmunder Stadtarchiv und LWL-Industriemuseum

Gänsehüten in der Siedlung Kaiserstuhl, Dortmund, 1928 – 1933
Gänsehüten in der Siedlung Kaiserstuhl, Dortmund, 1928 – 1933

Die Ausstellung ist Teil eines großen Kooperationsprojektes. Das Ruhr-Museum entdeckt Grisar zusammen mit dem Stadtarchiv Dortmund, wo der fotografische Nachlass liegt, und dem LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, wo die Ausstellung vom 24.2.2017 bis 8.10.2017 gezeigt wird, als Fotografen.

Das Fritz-Hüser-Institut, wo der schriftstellerische Nachlass aufbewahrt wird, und die LWL-Literaturkommission für Westfalen, die weitere Werke Grisars bearbeitet und herausgibt, widmen sich seinem literarischen Werk.

Deshalb zeigt die Ausstellung im Ruhr Museum nicht nur Grisars Fotografien, sondern auch ausgewählte Schriften und Dokumente aus seinem Nachlass. Und es erscheinen sowohl ein gleichnamiger Ausstellungskatalog und die Neuauflage des Reiseberichtes „Mit Kamera und Schreibmaschine durch Europa“, ebenfalls mit bisher unveröffentlichten Fotografien Grisars (Klartext Verlag, 224 Seiten, 19,95 €), als auch seine Romane „Ruhrstadt“ und „Cäsar 9“ sowie seine Autobiographie „Kindheit im Ruhrgebiet“ im Bielefelder Aisthesis Verlag.

Das Begleitprogramm

Zur Sonderausstellung findet ein vielseitiges Begleitprogramm in Kooperation mit der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets statt. Neben zahlreichen Führungen widmen sich eine dreiteilige Vortragsreihe und eine Tagung dem fotografischen und schriftstellerischen Werk Grisars. Zwei Filmabende in Kooperation mit der Kinemathek des Ruhrgebiets bieten zudem einen vertiefenden Einblick in das Arbeitermilieu der 20er und 30er Jahre, das Grisar so einfühlsam dokumentierte.

Mehr zur Ausstellung:

  • Ruhr Museum UNESCO-Welterbe Zollverein
  • Areal A [Schacht XII], Kohlenwäsche [A14]
  • Gelsenkirchener Str. 181, 45309 Essen
  • www.ruhrmuseum.de
  • Öffnungszeiten14. März bis 28. August 2016, Mo bis So 10-18 Uhr
  • Eintritt: 3 € für Erwachsene, ermäßigt 2 €, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren frei
  • Der 224 Seiten starke Katalog mit zahlreichen Abbildungen kostet 19,95 € und erscheint im Klartext Verlag Essen. ISBN: 978-3-8375-1404-9
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Reaktionen

  1. W. Linke

    Hallo liebes Redaktionsteam,

    geboren 1952 und aufgewachsen in der Dortmunder Nordstadt (Born-, Gronau- und Soesterstrasse), Schulbesuch der Paul-Gerhardt-Schule in der Kielstrasse, kann ich noch zum Teil die hier in unglaublich beeindruckenden Bildern dargestellte seinerzeitige Atmosphäre nachvollziehen. Die Grisar-Ausstellung auf Zollern werde ich auf jeden Fall besuchen. Auch wenn ich jetzt in Langendreer wohne, habe ich bei einem Besuch in der Nordstadt immer noch das Gefühl, zu Hause zu sein.

    Herzliche Grüße

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