Erneute Kundgebung im Gedenken an die Toten von Hanau in Dortmund – eine Demo durch die City war nicht möglich

Vor den Katharinentreppen fand Samstag letztendlich die Kundgebung in Dortmund statt. Fotos: David Peters

Am Samstag (22. August 2020) sollte – ein halbes Jahr nach den Morden von Hanau – dort eine große Gedenkdemonstration stattfinden, zu der bundesweit mobilisiert wurde. Auch Dortmunder*innen wollten sich auf den Weg machen. Doch die Demo wurde kurzfristig von Seiten des Hanauer Gesundheitsamtes wegen steigender Infektionszahlen untersagt. Die bundesweite Mobilisierung wurde daher abgebrochen. Stattdessen sollte es dezentrale Veranstaltungen in vielen Städten geben. Obwohl es bereits am eigentlichen Halbjahrestag in Dortmund eine Kundgebung gegeben hatte, mobilisierten antifaschistische Gruppen kurzfristig für eine Demo durch die Dortmunder City. Doch die Dortmunder Polizei ließ nur eine Standkundgebung zu. 

Bundesweite Kritik an Demo-Absage in Hanau – dezentrale Kundgebungen an vielen Orten

Am späten Freitagabend hatte die Nachricht, dass die Gedenkdemonstration in Hanau untersagt wurde, bundesweit für Empörung gesorgt. Lange nach Dienstschluss von Ämtern und Gerichten hatte das Gesundheitsamt der Stadt die Demonstration verboten, vorgeblich wegen steigender SARS-CoV-2 Infektionszahlen.  ___STEADY_PAYWALL___

Den Organisator*innen in Hanau wurde so das Beschreiten des Rechtsweges unmöglich gemacht. Um das Gedenken dennoch zu ermöglichen, fand statt der Demonstration eine kleine Kundgebung statt, die per Livestream ins ganze Land übertragen wurde.

In zahlreichen Städten gingen in Reaktion auf das Verbot Menschen auf die Straße, um den Forderungen der Betroffenen nach angemessener Erinnerung, sozialer Gerechtigkeit, lückenloser Aufklärung und politischen Konsequenzen Nachdruck zu verleihen. Auch in Dortmund wurde eine Demonstration vom Platz der Alten Synagoge zum Hauptbahnhof angemeldet, organisiert von verschiedenen antifaschistischen Gruppierungen.

Antifa und Dortmunder Polizei streiten über Rahmenbedingungen der Kundgebung

Die Demo durfte nicht vom Platz der Alten Synagoge starten - die Teilnehmenden mussten in Kleingruppen Richtung Hauptbahnhof laufen.
Vom Platz der Alten Synagoge mussten die Teilnehmenden in Kleingruppen in Richtung Hauptbahnhof laufen – eine Demo über den Wall war nicht möglich.

Allerdings konnte es kein Aufzug, sondern nur eine Standkundgebung werden. Über das warum gibt es unterschiedliche Darstellungen:  Eine halbe Stunde vor Beginn der Demonstration meldete die Polizei sich erstmals und verkündete, sie habe nicht genügend Beamt*innen vor Ort und könne den Verkehr für eine Demonstration nicht absichern“, kritisieren die Veranstalter*innen.  

Nur die Abschlusskundgebung sei „nach zähen Verhandlungen erlaubt“ worden – sie fand wie geplant am Hauptbahnhof statt. Deren Beginn sei jedoch durch die anwesenden Beamt*innen „weiter unnötig verzögert worden, da sie sich anderthalb Stunden nach dem angemeldeten Beginn noch immer nicht in der Lage sahen, Auflagen zur Versammlung zu benennen, allerdings untersagten, dass die Kundgebung ohne das Verlesen derer begonnen werde“, heißt es dazu in einer von der Autonomen Antifa 170 verbreiteten Stellungnahme.

„Es ist eine Farce, dass die Polizei mit acht Mannschaftswagen vor Ort ist und behauptet, die Demo nicht begleiten zu können. Was soll denn das heißen? Sind die Beamt*innen nicht in der Lage, den Verkehr zu regeln?“, kritisiert Hannah Straub, Pressesprecherin der Organisator*innen. „Es ist offensichtlich, dass die Polizei lügt. Dieser unwürdige Umgang mit dem Gedenken an die Opfer des Rechtsterrorismus reiht sich ein in den Umgang mit der Demonstration in Hanau.“

Polizei sieht die Schuld für die Verzögerungen im Verhalten der Demonstrant*innen

Diese Darstellung weist die Polizei entschieden zurück: Die Demonstration sei als Eilversammlung per E-Mail am Freitagabend (21.56 Uhr) an die Behörde gesandt worden. „Gemäß Versammlungsanmeldung ging die Anmelderin von mindestens 400 Teilnehmenden aus – die Begleitung eines Aufzugs in dieser Größenordnung u.a. über den Wallring konnte durch die eingesetzten Kräfte nicht gewährleistet werden – hinzu wäre hier die Überprüfung der geltenden Corona-SchutzVO nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand möglich“, teilt die Polizei auf Nachfrage mit.

Der Standort „Platz der Deutschen Einheit“ sei in einem Kooperationsgespräch mit der Anmelderin gemeinsam als alternativer Versammlungsort festgelegt worden. „Diese Entscheidung wurde durch die Anmelderin auf Grund höherer Reichweite, einer höheren Passantenfrequenz und damit mehr Öffentlichkeit sogar begrüßt“, berichtet die Polizei.

Auch die Kritik der Verzögerung in Sachen Auflagen weist die Polizei zurück: „Die längere Verweildauer am Platz der Alten Synagoge erklärt sich dadurch, dass die Anmelderin sich weigerte, die geltenden Auflagen mündlich entgegenzunehmen, sondern auf eine schriftliche Ausfertigung vor Ort bestand. Auch nach mehrmaligen Gesprächen blieb es bei der Forderung, so dass diese vor Ort durch die Beamten niedergeschrieben werden mussten“, schildert die Polizei die Darstellung aus ihrer Perspektive.

Menschen konnten ihrer Trauer und ihrer Wut an 60 Orten Ausdruck verleihen

Nachdem diese Gespräche vor Ort stattfanden, konnten sich die Versammlungsteilnehmer*innen in Kleingruppen zum neuen, gemeinsam kooperierten, Standort begeben. Wie in vielen anderen Städten wurde auf der Kundgebung der Livestream der Veranstaltung in Hanau übertragen, in dem die Angehörigen und Freunde über die Toten, die Tat und ihre Forderungen sprachen. 

„Gemeinsam mit vielen Antifaschist*innen in über 60 anderen Städten ist es uns gelungen, eine kraftvolle Antwort auf das Verbot der Demonstration in Hanau zu finden“, erklärt Hannah Straub. „Wir sind froh, dass wir den Menschen in Hanau dabei helfen konnten, ihrer Trauer und ihrer Wut Ausdruck zu verleihen und ihre Forderungen so weit zu verbreiten, wie wir können.“ 

Die Rahmenbedingungen des Protest in Dortmund sollen – zumindest nach Willen der Antifa – ein Nachspiel haben: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen von schikanösen Polizeiauflagen und zusammen mit unseren Anwält*innen die heutige Farce juristisch überprüfen lassen“, so Straub.

In Gedenken an:

    • Ferhat Ünvar
    • Gökhan Gültekin
    • Hamza Kurtović
    • Mercedes Kierpacz
    • Sedat Gürbüz
    • Kalojan Welkow
    • Fatih Saraçoğlu
    • Said Nessar El Hashemi
    • Vili Viorel Păun
    • Gabriele Rathje

 

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Reaktionen

  1. Fabian

    Was die Polizei am Samstag da veranstaltet hat, war einfach nur unwürdig. Zwei Stunde die Demo so hinzuhalten und es nicht hinzukriegen, sie endlich starten zu lassen. Dann gabs endlich die Auflagen, handschriftlich. Und anschließend wird in der PM alles beschönigt, nein es wird sogar gelogen, um nicht zugeben zu müssen, wie peinlich agiert wurde.

  2. Gerd de Vries

    Ohne jetzt eine hochpolitische Debatte oder Position zu ergreifen, muss man auch mal Kritik üben dürfen.
    Zum einen halte ich es gar nicht mal für so falsch, eine Demo abzusagen, weil es die aktuelle Pandemiezeit nicht zulässt, sie ohne Gefährdung durchzuführen. Dann sollte das aber auch übergreifend für JEDE Demo gelten. Es kann nicht sein, dass eine friedliche Gedenkdemo abgesagt wird, während Schwurbler und Rechtsextremisten in Berlin Ihre Anti-Staat-Demos durchführen dürfen.
    Zum anderen ist es zu bemängeln, mit welcher Konsequenz die Polizei die ordnungsgemäße Durchführung dieser Demo unterbunden hat, aber gleichzeitig die vorher erwähnte Demo in Berlin sogar teilweise zu unterstützen scheint.
    Liebe Freunde, da kommt einiges an Aufarbeitungs-Arbeit auf uns zu…

  3. Vanessa

    Bin aus Gründen nachträglich nochmal auf diesen Artikel hier gestoßen.
    Man kann festhalten, dass zwar mittlerweile wieder ordentlich Demos stattfinden, die Arbeit der Polizei aber je nach Anlass der Demo noch immer seeeeehr unterschiedlich ausfällt…

    Natürlich muss man wieder festhalten, dass damit nicht alle Polizisten angesprochen sind, aber einige handeln… nennen wir es mal „fragwürdig“.

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