Christoph Butterwegge zu Gast in Dortmund: Ursachen und Folgen der Armut in Deutschland

Seniorenkonferenz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)

Der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge war bei der NGG zu Gast. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Während Armut zunehmend bis in die Mitte der Gesellschaft vordringt, nimmt der Reichtum für wenige Menschen u.a. aufgrund leistungsloser Einkommen aus Vermögenserträgen stetig zu. Angesichts dessen stellt sich die Frage, was für mehr soziale Gerechtigkeit getan werden kann. Der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat zu diesem Thema bei einer Seniorenkonferenz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) referiert.

Armut ist ein gesamtgesellschaftliches Problem

Wären die Vermögen in Deutschland gleichmäßig verteilt, würde jeder hier lebende Mensch über eine Nettovermögen von mehr als 200.000 Euro verfügen. Aber so ist es nicht. Tatsächlich besitzen die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens – das reichste ein Prozent davon die Hälfte –, während die unteren 20 Prozent über kein, und neun Prozent sogar nur über negative Vermögen verfügen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge zu Gast bei einer Seniorenkonferenz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Beim Blick auf diese Fakten geht es nicht etwa um den Beginn einer Neiddebatte. Vielmehr treten bei genauerem Hinsehen die Facetten der Armut so zutage wie sie sind. Von Armut betroffene sind beispielsweise vor allem ältere Menschen, Alleinlebende und -erziehende, Menschen ohne deutschen Pass sowie chronisch Kranke.

Besonders schlimm ist, dass etwa 15 Prozent der Kinder in Deutschland in relativer Armut leben. 130.000 Kinder sind sogar wohnungslos und in kommunalen Unterkünften untergebracht. „Und leider“, so Christoph Butterwegge in seinem Vortrag, „entscheidet die soziale Herkunft nach wie vor über die Bildungschancen.“

Butterwegge beschäftigt sich als Politikwissenschaftler und Armutsforscher schon seit vielen Jahren mit dem Phänomen Armut. Er sucht nach den Ursachen, zeigt Folgen auf. Einige Bücher zu dieser Thematik sind von ihm im laufe der Zeit erschienen. Sein Engagement, mit dem er immer wieder medial präsent ist, hat ihn bekannt gemacht. So war er auf Einladung der Gewerkschaft NGG nun auch (wieder) in Dortmund.

Höhere Löhne im Hotel- und Gaststättengewerbe

Dass Butterwegge durch die NGG als Referent eingeladen wurde, hat gute Gründe. Die Gewerkschaft setzt sich – bereits seit 175 Jahren – für auskömmliche, gute Löhne und Renten ein. Das ist, das zeigen die Zahlen, im Hotel- und Gaststättengewerbe besonders notwendig und wichtig.

Großes Interesse gab es an den Ausführungen des Armutforschers. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

Insgesamt arbeiten in Deutschland etwa sieben Millionen Menschen unterhalb der Niedriglohnschwelle von 13,79 EURO je Stunde (2024). Im Gastgewerbe liegt der Anteil mit 51 Prozent der dort Beschäftigten am höchsten, gefolgt von der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (40,7 Prozent) und dem Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung (36,5 Prozent).

Dass niedrige Einkommen die Möglichkeiten der Teilhabe einschränken, ist das eine, hinzu kommt nämlich, dass sich unter solchen Vorzeichen nur geringe Rentenanwartschaften entwickeln. Die Altersarmut von morgen wird demnach heute vorprogrammiert.

Problematisch ist außerdem, dass die Finanzierung des Sozialsystems bislang noch ohne die Beteiligung der Hochvermögenden erfolgt. „Es könnten ja nicht nur Lohn und Gehalt, sondern auch andere Einkommensarten wie Miet- und Zinserträge verbeitragt werden“, sagte Butterwegge und fügte hinzu: „Wenn man das tun würde, ergäbe das ein festes Fundament für den Sozialstaat.“

„Ökonomische Krisen gefährden die Demokratie!“

Armut bedingt ein Lebensgefühl der Abgehängtseins. Es schränkt die Möglichkeiten der Teilhabe ein und isoliert. „Die von Armut Betroffenen leiden bei uns nicht nur darunter, dass sie wenig Geld im Portmonee haben, sondern vor allem darunter, dass sie von der Gesellschaft ausgegrenzt werden“, weiß Butterwegge.

Der renommierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Christoph Butterwegge hat zu diesem Thema bei einer Seniorenkonferenz der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) referiert. Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

„Sie müssen sich permanent rechtfertigen. Diejenigen, die im Bürgergeld sind, müssen sich in unserer Gesellschaft ständig rechtfertigen. Sie werden permanent als Drückeberger und Faulenzer stigmatisiert. Demgegenüber gibt es die fünf reichsten Menschen in Deutschland, die zusammen etwa 250 Milliarden Euro besitzen. Das ist mehr, als der ganzen unteren Hälfte der Gesellschaft als Vermögen zur Verfügung steht“, so der Experte.

Armut, bzw. der ihr ursächlich zugrunde liegende Mechanismus der Umverteilung, ist von hoher gesellschaftspolitischer Brisanz.

Foto: Anja Cord für Nordstadtblogger.de

„Je gleicher Gesellschaften sind, desto glücklicher und harmonischer sind sie und desto besser funktioniert das auch mit der Demokratie“, sagte jüngst der Journalist Jens Berger. „Und je ungleicher Gesellschaften werden, desto mehr nehmen die Spannungen zu, desto unglücklicher sind sie, desto gewalttätiger sind sie, desto mehr Verbrechen gibt es.“

Christoph Butterwegge kommt aufgrund seiner Forschungen zum gleichen Ergebnis: „Ökonomische Krisen gefährden die Demokratie!“, sagt er und verweist diesbezüglich unter anderem auf ein Phänomen, für das er den Begriff „Standortnationalismus“ geprägt hat. Gemeint ist damit die Ethnisierung gesellschaftlicher Konflikte, die vor allem vom rechten politischen Rand aus forciert wird. Dadurch wächst allgemein die Gefahr der Erosion demokratischer Strukturen und Gewohnheiten. Die Folgen der Armut betreffen darum nicht mehr nur allein die direkt davon betroffenen, sondern die ganze Gesellschaft.


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