Ausstellung über den Widerstand in Europa von 1922 bis 1945: Eröffnungskonzert mit Esther Bejarano in der Nordstadt

Wollen die Erinnerung wahren: Uli Sander, Andreas Weißert, Levent Arslan, Anke Georges und Carsten Bülow. Foto: Sascha Fijneman
Wollen die Erinnerung wahren: Uli Sander, Andreas Weißert, Traute Sander, Levent Arslan, Anke Georges und Carsten Bülow. Foto: Sascha Fijneman

Von Sascha Fijneman

Nachdem die Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa von 1922 bis 1945″ im Europaparlament in Brüssel und auf der documenta 14 in Kassel gastierte, macht sie nun Station in Dortmund. Vom 7. Juni bis zum 5. Juli 2018 wird sie im Dietrich-Keuning-Haus in der Dortmunder Nordstadt zu sehen sein. Die Ausstellung hält die Erinnerung an die zahllosen bekannten und unbekannten Menschen wach, die sich im Namen der Menschenwürde über ideologische Barrieren hinweg für ein Europa ohne Faschismus und Krieg erhoben haben. Die Ausstellung wird thematisch von Gesprächen mit ZeitzeugInnen, Lesungen und Vorträgen begleitet und ergänzt.

„Mit der Religion habe ich nichts zu tun“, so die heute 93-jährige Bejarano

Konzert in der Reinoldikirche mit Esther Bejarano und der Microphone-Mafia
Esther Bejarano wird gemeinsam mit der Microphone Mafia aus Köln auftreten. Foto: Alex Völkel

Einer dieser interessanten Programmpunkte ist sicherlich das Eröffnungskonzert am 7. Juni um 18 Uhr. Gemeinsam mit der Holocaust-Überlebenden Esther Bejarano und ihrem Sohn Joram werden die Kölner Rapper der Microphone Mafia die Ausstellung auf ungezwungene, moderne Art und Weise eröffnen. Esther Bejarano weiß, wovon sie redet und singt.

Die heute 93-jährige ist eine der wenigen Überlebenden der Tötungsmaschinerie von Auschwitz-Birkenau. Als deutsche Jüdin wurde sie 1943 deportiert und zunächst einem Arbeitskommando zugeteilt. Hier musste sie unter unmenschlichen Bedingungen und unter der Willkür der Lagerkommandantur des Regimes Steine schleppen.

Als das Mädchenorchester in Auschwitz entstand, meldete sie sich als Akkordeonspielerin, ohne jemals ein solches Instrument in der Hand gehabt zu haben. „Mit der Religion habe ich nichts zu tun. Aber kulturell hat mir das Aufwachsen in einem jüdischen Elternhaus viel gebracht. Die Liebe zur Musik; ich bin nicht zufällig Sängerin geworden“, so Esther Bejarano. 

Als Jüdin kritisiert Bejarano den Umgang Israels mit den Palästinensern

Esther Bejarano überlebte die Hölle von Auschwitz-Birkenau. Foto: Alex Völkel
Esther Bejarano überlebte die Hölle von Auschwitz-Birkenau. Foto: Alex Völkel

Das Orchester musste unter anderem zum täglichen Marsch der Arbeitskolonnen durch das Lagertor spielen. Später wurde Bejarano weiter ins KZ Ravensbrück im Norden Brandenburgs verschleppt. Auf einem der Todesmärsche von KZ-Häftlingen konnte sie zwischen Karow und Plau am See fliehen. Am 3. Mai 1945 erlebte sie in Lübz in Mecklenburg-Vorpommern die Befreiung durch die Rote Armee.

Ihre Eltern hingegen teilten das Schicksal Millionen anderer, die den verbrecherischen „Säuberungsaktionen“ der Nationalsozialisten zum Opfer fielen. „Wenn ich mir vor Augen führe, dass meine Eltern sich in einem Wald nackt ausziehen mussten, man sie mit anderen Opfern in einer Reihe aufgestellt, dann einfach abgeknallt hat und sie dann in einen Graben gefallen sind – das ist für mich das Schlimmste und viel grauenhafter als all das, was ich in Auschwitz erlebt habe.“

Ihr Leben ist geprägt von den Erlebnissen. So setzt sie sich auch heute noch mit voller Kraft gegen das Vergessen und für die Aufklärung der Menschen ein. Nach dem Krieg lebte sie zunächst einige Jahre in Israel. Wegen des heißen Klimas und der Unterdrückung der Palästinenser kehrte sie mit ihrem Mann und den Kindern jedoch nach Deutschland zurück. Heute lebt sie in Hamburg.

Ausstellung soll eine Hommage an die stillen Helden und Heldinnen des Widerstands sein

Esther Bejarano und die Mikrophone Mafia gemeinsam auf der Bühne. Foto: DKH
Esther Bejarano und die Mikrophone Mafia gemeinsam auf der Bühne. Foto: DKH

Gemeinsam mit Tochter Edna und Sohn Joram gründete sie Anfang der 1980er Jahre die Gruppe Coincidence mit Liedern aus dem Ghetto und jüdischen sowie antifaschistischen Stücken. Im Juni 2009 wurde das gemeinsame Album „Per La Vita“ (Für das Leben) von Esther, Edna, Joram Bejarano und der Microphone Mafia aus Köln veröffentlicht. 2013 folgte die zweite CD „La Vita Continua“. 

Am 7. Juni treten sie nun gemeinsam auf, um die Ausstellung feierlich und angemessen zu eröffnen. Das Spektrum der Exponate umfasst eindrucksvolle, ausdrucksstarke Bilder und reproduzierte Dokumente, die die knappen erläuternden Texte unterstreichen. Sie stammen größtenteils von Verbänden der WiderstandskämpferInnen und AntifaschistInnen und illustrieren das Ausmaß und die nationalen Besonderheiten und Tendenzen des Widerstandes in Europa. 

Die Ausstellung ist eine Hommage an den historischen und unvergleichbaren Altruismus einer Sophie Scholl oder eines Manolis Glezos, der die Hakenkreuzfahne von der Akropolis riss, oder von Zoia Kosmodemiamskaja, jener sowjetischen Partisanin, die mit gerade einmal 18 Jahren ihren Henkern entgegenrief: „Wir sind 170 Millionen und ihr werdet uns nie alle hängen können!“

Ausstellung liefert ein allumfassendes Bild des antifaschistischen Widerstands in Europa

Alle Facetten des Widerstands in Europa werden beleuchtet. Foto: VNN
Alle Facetten des Widerstands in Europa werden beleuchtet. Foto: VNN

„Bis heute wird die Erinnerungsarbeit an den Europäischen Widerstand in Deutschland eher vernachlässigt. Das ist unter anderem unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und mit Beginn des Kalten Krieges dadurch zu erklären, dass viele WiderständlerInnen aus dem verhassten kommunistischen Lager stammten“, so Uli Sander von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.

„Wir wollen hier aller gedenken. Namen wie die Weiße Rose sind fast jedem ein Begriff aber wer kennt zum Beispiel die Geschichte eines Helmuth Hübener aus Hamburg?“ Der junge Mormone nutzte die damalige Technik, um Widerstand zu leisten. Er hörte BBC-Radiosendungen ab und erstellte Flugblätter mit deren Inhalt. Nachdem er von seinem Vorgesetzten bei der Gestapo denunziert worden war, wurde er am 27. Oktober 1942 im Alter von 17 Jahren vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Er ist das jüngste Opfer unter den Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus. Seine MitstreiterInnen erhielten lebenslange Haftstrafen. Die Aktivitäten der Weißen Rose begannen erst im Laufe des Jahres 1942. Interessant ist auch, dass der Widerstand eines Helmuth Hübeners religiös motiviert war, während die Mitglieder der Weißen Rose eine elitäre Bildung genossen und ein liberaleres Weltbild vertraten.

Die Ausstellung liefert ein allumfassendes Bild. Besonders wichtig sei unter anderem die Rolle der Frauen im Widerstand, die gleichberechtigt kämpften und sich opferten. Des Weiteren gelte es, zwischen dem Widerstand in den besetzten Ländern und denen, die, wie beispielsweise Italien, eine faschistische Regierung konstituierten, zu unterscheiden.

Das umfangreiche Programm wird dreisprachig präsentiert

Pablo Picassos Gemälde erinnert an die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor. Foto: wikipedia
Pablo Picassos Gemälde erinnert an die Zerstörung der spanischen Stadt Guernica. Foto: Wikipedia

Darüber hinaus erinnert die Ausstellung an Kriegsverbrechen wie die Bombardierung der spanischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, den tapferen Kampf italienischer Partisanen gegen Mussolini, die grausame Hölle von Stalingrad, den Aufstand im Warschauer Ghetto, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Für Schulen und Gruppen besteht die Möglichkeit, sich durch die Ausstellung führen zu lassen. Um sich ein umfassendes Bild machen zu können, gibt es einen Ausstellungskatalog und verschiedene Unterrichtsmaterialien. Das komplette Programm wird dreisprachig, auf Deutsch, Englisch und Französisch präsentiert. Interessierte Schulen und Klassen können sich gerne unter vvndo@gmx.de für eine Führung anmelden. Es sind noch genügend Kapazitäten vorhanden.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VNN) hat die Ausstellung nach Dortmund geholt. Sie ist ein Projekt der Fédération Internationale des Résistants, der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer, kurz FIR. Die VNN wurde 1947 gegründet. In ihr vereinten sich unzählige Widerstandsgruppen und Nazi-Verfolgte aus ganz Europa. Sie verstand und versteht sich sowohl als überparteiliche Sammelorganisation von überlebenden Verfolgten und Gegnern des NS-Regimes als auch von nachgeborenen, heute engagierten Menschen gegen völkisch-nationalistische Bestrebungen.

In der Erinnerungsarbeit findet ein wichtiger Wechsel der Generationen statt

Widerstand fängt für Carsten Bülow mit dem einfachen Nein-Sagen an.
Widerstand fängt für Carsten Bülow mit dem einfachen „Nein-Sagen“ an. Foto: NSB-Archiv

„Wir sind die Erinnerer“, so Anke Georges vom VNN. „Es gibt leider aufgrund des Alters und der damit einhergehenden Gesundheitsprobleme kaum noch Zeitzeugen. Es findet ein Wechsel der Generationen statt. Es ist unsere Aufgabe, das Erbe unserer Eltern und Großeltern zu bewahren und für unsere Kinder aufzuarbeiten.“ Während der Ausstellung werden VNN-MitarbeiterInnen als Ansprechpartner für Fragen und Austausch vor Ort sein.

Am Mittwoch, dem 27. Juni 2018, wird es einen weiteren besonderen Programmpunkt geben. Die Dortmunder Schauspieler Andreas Weißert und Carsten Bülow werden während einer Abendveranstaltung verschiedene Texte zum antifaschistischen Widerstand von Bert Brecht, Anna Seghers, Hans Fallada, Walter Mehring und anderen Zeitzeugen rezitieren. Die beiden Künstler verbindet eine enge, langjährige Freundschaft. Für beide ist ihre Teilnahme an der Ausstellung ein notwendiges Anliegen unserer Zeit. Angesichts der nationalistischen Tendenzen innerhalb Europas, aber auch weltweit, beschäftigen sie sich schon lange mit dem Thema.

„Jeder in der Gesellschaft muss heute seinen Beitrag leisten. Dabei ist es schon eine Aufgabe, zu vermitteln, dass es mit dem einfachen „Nein-Sagen“ in bestimmten Situationen oder zu eindeutigen Aussagen anfängt. Ich bin froh, die Lesungen mit Andreas Weißert zu präsentieren, denn er ist jemand, der sich regelrecht in die Texte vergräbt“, so Carsten Bülow.

Auch Weißert freut sich über die Zusammenarbeit. „Carsten Bülow ist jemand, der mit dem Rezitieren oder Lesen von Texten sein Geld verdient“, lobt er den Kollegen. Beide wollen durch ihre Arbeit einen Teil ihres Lebens dem Erhalt eines dauerhaften Friedens widmen. Sie sind sich der Brisanz des Themas bewusst. So erklärt Bülow, dass die ZuschauerInnen sich oft nicht mit dem Thema konfrontieren wollen. Es ist unangenehm, unbequem und lästig, da die eigene Vergangenheit beleuchtet und in Frage gestellt wird.

Weißert: „ Die Gefahr sitzt nicht nur rechts von uns, sondern im Zentrum.“

Fest zum Tag der Befreiung vor 70 Jahren auf der Münsterstraße. Schauspieler Andreas Weißert liest Gedichte von Ernst Jandl
Andreas Weißert wird Texte des deutschen Widerstands rezitieren. Foto: Klaus Hartmann

Die Leute möchten eher amüsiert und unterhalten werden. Schon oft kamen ZuschauerInnen auf sie zu mit der Bitte, doch beim nächsten Mal wieder etwas Humorvolles zu lesen. Aber genau dagegen wehren sich die beiden zu Recht. Denn durch das Verdrängen und Wegsehen, das Augenverschließen und Ignorieren, das verständliche aber falsche Sich-Nicht-Wehren werden subkulturelle, nationalistische Gruppierungen stark.

„Am Beispiel Österreichs sehen wir, wohin so was führen kann. Eine Partei wie die FPÖ, die noch vor zehn Jahren klar als rechtsradikal eingestuft wurde, wird heute euphemistisch rechtskonservativ genannt und ist damit salonfähig und aktuell  Koalitionspartner in der Österreichischen Regierung“, erklärt Bülow.

Und Weißert ergänzt: „Aus heutiger Sicht ist es leicht, die Offensichtlichkeit des heimtückischen Betruges in der NS-Propaganda zu entlarven und zur Schau zu stellen. Aber wie war das für die Menschen damals? Schauen sie sich heute die Radikalisierung der Medien an. Es gilt, wachsam zu bleiben, das zu merken und zu spüren und auch darunter zu leiden. Denn dann fangen sie an, sich zu wehren, Widerstand zu leisten. Die Gefahr sitzt nicht nur rechts von uns, sondern im Zentrum.“ Angesichts der letzten Wahlergebnisse, mehr als wahre Worte.  „Ich hoffe nur, dass wir diese Inhalte in die heutige Zeit transportieren können“, so Weißert weiter.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen gegen die Menschheit

Neujahrsempfang des Dietrich-Keuning-Haus und Verleihung: Engel der Nordstadt. Grußworte von Bürgermeisterin Birgit Jörder
Bürgermeisterin Birgit Jörder trägt die Schirmherrschaft der Ausstellung. Foto: Klaus Hartmann

Ein drittes Programmhighlight wird die Vorführung des Films „Zündschnüre“ nach einem Roman von Franz-Josef Degenhardt sein. Der 2011 verstorbene, bekannte deutsche Liedermacher, erzählt in seinem Erstlingswerk die Geschichte einer Gruppe Arbeiterkinder, die sich auf ihre ganz eigene, oft ergötzliche Weise am Widerstandskampf gegen das faschistische Regime beteiligt. Eine vierte größere Veranstaltung ist geplant, steht aber noch nicht genau fest.

Die Ausstellung wird am 7. Juni 2018 um 18 Uhr von Bürgermeisterin Birgit Jörder, die die Schirmherrschaft für die Veranstaltung übernommen hat, eröffnet. Das anschließende Konzert mit Esther Bejarano und der Microphone Mafia soll um 19 Uhr beginnen. Bis zum 5. Juli 2018 wird die Ausstellung täglich dienstags bis samstags von 10 Uhr bis 22 Uhr in der Agora des Dietrich-Keuning-Hauses in der Leopoldstraße 50 zu sehen sein. Der Eintritt ist kostenfrei.

Levent Arslan, der Leiter des Dietrich-Keuning-Hauses, freut sich auf die kommenden vier Wochen. „Wir sind froh und stolz, hier bei uns im Haus einen so großen Beitrag im Bereich der Erinnerungsarbeit leisten zu können“, so Arslan. Alle Beteiligten erwarten viele BesucherInnen und  hoffen ihre Botschaft übermitteln zu können, die die Worte des Präsidenten des FIR, Vilmos Hanti, auf den Punkt bringen: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen gegen die Menschheit. Wir dürfen die heimtückische Ausbreitung des Faschismus in unserem Alltag nicht dulden!“

An der Realisation der Ausstellung sind neben der Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) und dem Nationalen Belgischen Institut der Veteranen und Opfer des Krieges, das Nationale Widerstandsmuseum Belgien, das Nationalarchiv des Großherzogtums Luxemburg und verschiedene Institutionen und Verbände unterschiedlicher Widerstandsgruppierungen in Europa beteiligt.

 

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