Erster Jahresbericht von RIAS NRW zu antisemitischen Vorfällen

Antisemitismus ist ein virulentes Phänomen

„Antisemitismus - Dagegen habe ich was.“ Aufkleber in der Nordstadt. Foto: Alex Völkel
„Antisemitismus – Dagegen habe ich was.“ Aufkleber in der Nordstadt. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS NRW) hat für das Jahr 2022 insgesamt 264 antisemitische Vorfälle erfasst. Das sind durchschnittlich fünf dokumentierte antisemitische Vorfälle pro Woche. Bereits im ersten Erfassungsjahr konnte RIAS NRW alle Erscheinungsformen von Antisemitismus registrieren.

Auch in NRW ist Antisemitismus eine schreckliche gesellschaftliche Normalität

Wie der in Düsseldorf gemeinsam mit Ministerin Josefine Paul (MKJFGFI NRW) vorgestellte Bericht „Antisemitische Vorfälle in Nordrhein-Westfalen 2022“ zeigt, ist Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen ein virulentes Phänomen.

Stellten den Bericht vor (v.li.): Olga Rosow (Jüdische Gemeinde Düsseldorf), Jörg Rensmann (RIAS NRW)und Ministerin Josefine Paul (MKJFGFI NRW).
Stellten den Bericht vor (v.li.): Olga Rosow (Jüdische Gemeinde Düsseldorf), Jörg Rensmann (RIAS NRW) und Ministerin Josefine Paul (MKJFGFI NRW). Foto: RIAS NRW

„Schon nach dem ersten Jahr der Erfassung antisemitischer Vorfälle durch RIAS NRW zeigt sich deutlich, dass auch in NRW Antisemitismus eine schreckliche gesellschaftliche Normalität darstellt. Antisemitismus äußert sich dabei in zahlreichen Ausdrucks- und Erscheinungsformen und geht mit einer realen Gefährdung und Bedrohung der Betroffenen einher“, so Jörg Rensmann, Leiter von RIAS NRW.

Insgesamt wurden von RIAS NRW vier Fälle von extremer Gewalt, fünf Angriffe, sechs Bedrohungen, 27 gezielte Sachbeschädigungen, neun Massenzuschriften, 60 Versammlungen sowie 153 Fälle verletzenden Verhaltens registriert. Die dokumentierten Fälle von verletzendem Verhalten zeigen, wie alltäglich herabwürdigende Äußerungen über Jüdinnen und Juden oder über das Judentum sind.

Im bundesweiten Vergleich eine hohe Anzahl von Vorfällen extremer Gewalt

Hervorzuheben ist die im bundesweiten Vergleich hohe Anzahl von Vorfällen extremer Gewalt, was die Bedrohungslage für Jüdinnen und Juden und jüdische Institutionen unterstreicht. Dazu zählen die Anschlagsserie im Ruhrgebiet im November 2022, bei der wahrscheinlich staatliche Stellen des Iran federführend involviert waren, sowie der Brandanschlag auf das Friedhofsgebäude der Synagogengemeinde Köln.

Polizeischutz vor der Synagoge - für die jüdische Gemeinde in Dortmund Alltag. Foto: Alex Völkel
Polizeischutz vor der Synagoge – für die jüdische Gemeinde in Dortmund Alltag. Foto: Alexander Völkel für die nordstadtblogger.de

Die Betroffenen eines antisemitischen Vorfalls, soweit sie ermittelt werden konnten, waren je zur Hälfte Einzelpersonen und Institutionen (jeweils 73). In zwei von drei Vorfällen waren Jüdinnen und Juden betroffen. In 85% der Vorfälle fanden antisemitische Äußerungen oder Handlungen von Angesicht zu Angesicht statt.

Dabei waren die Betroffenen meist im öffentlichen Raum oder in Bildungseinrichtungen wie Schulen mit Antisemitismus konfrontiert, was die potenziell alltagsprägende Dimension von Antisemitismus verdeutlicht. Knapp ein Drittel der Vorfälle gegen Institutionen betrafen jüdische Einrichtungen, die antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt waren.

Unterschiedliche Erscheinungsformen von Antisemitismus wurden erfasst

Die meisten Vorfälle wurden dem Post-Schoa-Antisemitismus zugeordnet (111 Vorfälle). Diese Erscheinungsform äußert sich in Form von Leugnung oder Verharmlosung der Schoa. Die Abwehr der Erinnerung an die Schoa und die nationalsozialistischen Verbrechen ist eines der wichtigsten Motive für antisemitische Äußerungen.

Mit 105 Vorfällen folgt das antisemitische Othering, bei dem Jüdinnen und Juden als der Mehrheitsgesellschaft „fremd“ oder „nicht zugehörig“ beschrieben werden. In 88 Fällen wurde israelbezogener Antisemitismus geäußert. Dieser liegt beispielsweise vor, wenn in NRW lebende Jüdinnen und Juden für die Politik des Staates Israel verantwortlich gemacht werden.

Moderner Antisemitismus wurde in 68 Fällen erfasst, er zeichnet sich insbesondere durch Verschwörungsmythen aus, etwa wenn Jüdinnen_Juden eine besondere Macht oder eine vermeintliche „Weltverschwörung“ unterstellt wird.

Dem verschwörungsideologischen Milieu konnten die meisten dokumentierten Vorfälle zugeordnet werden (14%), gefolgt vom israelfeindlichen Aktivismus (8%) und dem rechtsextremen bzw. rechtspopulistischen Milieu (7%). Mit 67 Prozent konnte der Großteil der erfassten Vorfälle keinem politisch-weltanschaulichen Hintergrund zugeordnet werden.

Die Arbeit von RIAS macht viele antisemitische Vorfälle sichtbar

Nach wie vor ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, das erst durch eine kontinuierliche Erfassung antisemitischer Vorfälle weiter erhellt werden kann.

Leonid Chraga ist Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund.
Leonid Chraga ist Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

„Die Arbeit von RIAS ist mehr als wichtig für das Verständnis des gesamten Antisemitismus-Geschehens in Deutschland. Die Schaffung von RIAS NRW war nur der logische Schritt, um in unserem, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, eine weitere zuverlässige Quelle zur Erfassung antisemitischer Vorfälle zu schaffen“, betont Leonid Chraga, Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

„Abseits der polizeilichen Kriminalstatistik bietet die Statistik von RIAS eine wichtige Perspektive, denn sie erfasst nicht nur strafrechtlich relevante Vorfälle, sondern auch die Jüdinnen und Juden alltäglich begleitenden antisemitischen Fälle. Die Arbeit von RIAS macht deutlich sichtbar, in welchen Bereichen Antisemitismus und antisemitische Vorfälle vorkommen und in der Vergangenheit vorgekommen sind. Dies ist eine wichtige und wertvolle Dokumentation“, so Chraga.

Mehr Informationen:

  • Der Bericht, der die genannten Zahlen anhand von Fallbeispielen veranschaulicht, gibt es hier als PDF: Jahresbericht_2022_RIAS_NRW
  • RIAS NRW besteht seit Oktober 2021, befindet sich in Trägerschaft des Vereins für Aufklärung und demokratische Bildung e.V. (VAdB).
  • Er wird gefördert durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen (MKJFGFI NRW).
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