Rechtsextreme Netzwerke: Neonazi-Szene lockt Jugendliche mit so genannten „Lagerverkäufen“

Eine Recherche von MDR Investigativ und Nordstadtblogger.de

Sweatshirt-Jacke: Merchandise von Kampf der Nibelungen (KdN).
Merchandise von Kampf der Nibelungen (KdN). Foto: Alexander Völkel für Nordstadtblogger.de

Von Johanna Hemkentokrax (MDR Investigativ)
und Paulina Bermúdez (Nordstadtblogger.de)

Neonazis veranstalten bundesweit so genannte „Lagerverkäufe“. Die Verkaufsveranstaltungen richten sich offenbar vor allem an junge Menschen. Zu den Organisatoren zählen militante Rechtsextremisten aus Dortmund, Eisenach, Halberstadt und Chemnitz.  

Dortmund-Dorstfeld: Alte Kader vernetzen die junge Neonaziszene

Ob Versandhandel mit „HKN KRZ“-Jutebeuteln oder das Thor-Steinar-Bekleidungsgeschäft in der Innenstadt – lange galt Dortmund als Einkaufsadresse für Neonazis aus ganz Westdeutschland. Heute ist davon kaum etwas geblieben. Die lokale Szene hat in den vergangenen Jahren deutlich an Mobilisierungskraft verloren, und mit ihr ist auch das lokale Angebot zurückgegangen.

Der selbst-erklärte „Nazi-Kiez“ in Unterdorstfeld. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Um weiterhin Merchandise, Kampfsportkleidung, Publikationen oder Musik verkaufen zu können, setzt die Szene inzwischen verstärkt auf so genannte „Lagerverkäufe“. Das Verkaufsformat findet in regelmäßigen Abständen in der Parteizentrale des Dortmunder Kreisverbands der Partei „Die Heimat“ in Dortmund-Dorstfeld statt. Zunehmend mit Eventcharakter: mit Livemusik, Essen und Getränkeausschank.

Sieben derartige Veranstaltungen mit jeweils 50 bis 100 Teilnehmenden aus dem gesamten Bundesgebiet zählte das Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren in NRW.

Ein Großteil habe in dem Altbau-Haus in der Emscher-/ Ecke Thusneldastraße stattgefunden, das als zentrale Immobilie der Dortmunder Neonaziszene gilt. Es dient nicht nur als Wohn- und Lagerraum, sondern auch als Treffpunkt und Herberge für die rechtsextreme Szene und ihre Unternehmen. ___STEADY_PAYWALL___

 Werbung auf TikTok: Szene-Kleidung für Jugendgruppen identitätsstiftend

Instagram Screenshot zeigt einen jungen Mann mit Kampf der Nibelungen T-Shirt, darunter steht „Bestes Outfit für die Schule“
Junge Neonazis profilieren sich durch das Tragen von Szene-Marken, wie dem KdN. Archivbild, Quelle: Screenshot Instagram

So sind dort unter anderem der „Sturmzeichen“-Verlag des rechtsextremen Verlegers Sascha Krolzig und das Label „Kampf der Nibelungen“ (KdN) des bundesweit umtriebigen Neonazi-Kaders und ehemaligen „Die Rechte“-Funktionärs Alexander Deptolla gemeldet. Letzterer lebt mittlerweile in Halberstadt. Beide Akteure nehmen laut Verfassungsschutz regelmäßig mit ihren Unternehmen an „Lagerverkäufen“ teil.

„Aktuell ist zu beobachten, dass die Kleidung von Szenelabels insbesondere für rechtsextremistische Jugendgruppen identitätsstiftend wirkt und daher eine wichtige Rolle spielt. Entsprechend zählen auch Jugendliche und junge Erwachsene zu den Besuchern solcher Lagerverkäufe“, so ein Sprecher des Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen.

Alexander Deptolla wirbt für seine Marke „KdN“ und die „Lagerverkäufe“ auch auf TikTok – mit schnellen Animationen und trendigen Sounds. Das Soziale Netzwerk spricht vor allem Jugendliche und junge Erwachsenen an. In Dortmund versucht die Szene nach Recherchen des Nachrichtenportals „Nordstadtblogger.de“ bereits seit einiger Zeit gezielt, junge Menschen an sich zu binden.

Eventverkäufe: Aus dem Ruhrgebiet nach Thüringen

Mitte November fand ein solcher „Lagerverkauf“ erstmals in Thüringen statt, in der Eisenacher Neonazi-Szene-Kneipe „Bulls Eye“. Laut Verfassungsschutz kamen rund 55 Personen zum Verkauf nach Eisenach, acht Szenelabels boten ihre Waren feil. Das Publikum war nach MDR-Informationen auffällig jung.

Archivfoto von Nazi-Kiez-Graffito in Dortmund.
Archivfoto: Nazi-Kiez-Graffito in Dortmund. Foto: Alexander Völkel für nordstadtblogger.de

Diesen Trend beobachtet auch Thüringens Verfassungsschutzchef Stefan Kramer. „Das ist die neue Zielgruppe, erstens weil man natürlich auch Nachwuchs gewinnen muss, den man dann über den Kampfsport allerdings relativ schnell auch in die Ideologie hineinführt, aber das Anfixen findet sozusagen über den Kampfsport, das gemeinsame, das Wir-Gefühl, auch die gemeinsamen Abwehrkämpfe statt“, so Kramer.

Organisiert hatte diese und weitere Veranstaltungen nach Informationen von MDR Investigativ und dem Dortmunder Nachrichtenportal Nordstadtblogger.de ein bundesweit agierendes Netzwerk alter und neuer Kader zum Teil aus dem Neonazi-Kampfsport aus Dortmund, Halberstadt, Eisenach und Chemnitz.

Eisenach als Rückzugsraum für militante Vernetzung

Dass die jüngste Verkaufsveranstaltung in Eisenach stattfand ist kein Zufall. Nach MDR Investigativ – Informationen handelt es sich bei dem Organisator um Eric K., einen der verurteilten Gewalttäter des militanten Neonazi-Kampfsportnetzwerks „Knockout 51“ der bereits eine mehrmonatige Haftstrafe absaß.

Das Foto zeigt Neonazis vor dem Thüringer Oberlandesgericht.
Dortmunder Neonazis beim Prozess gegen die rechtsextreme Vereinigung „Knockout 51“ in Jena. Archivbild, Quelle: Screenshot Instagram

Der Mann ist nach Informationen von MDR Investigativ und „Nordstadtblogger“ bestens vernetzt in die Dortmunder Neonaziszene. Immer wieder fanden in Eisenach konspirative Vernetzungs-Treffen unter anderem von Dortmunder und Eisenacher Kadern statt.

Zum Prozessauftakt gegen Eric K. und drei weitere „Knockout 51“-Mitglieder am Thüringer Oberlandesgericht im August 2023 reisten mehrere Neonazis aus Dortmund an.

Kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft im Frühjahr 2024 soll K. wiederum nach Dortmund gereist sein, um dort mit Gleichgesinnten zu feiern.

Landtagsabgeordnete fordert mehr Schutz für Kinder und Jugendliche 

Auch in anderen Bundesländern haben in den letzten Monaten und Jahren „Lagerverkäufe“ stattgefunden, die demselben oder einem ähnlichen Organisatoren-Umfeld zuzuordnen sind, so zum Beispiel in Anklam in Mecklenburg-Vorpommern, im sächsischen Chemnitz und im hessischen Altenstadt.

Das Foto zeigt einen Screenshot aus dem Telegram-Chat der rechtsextremen „Heimat Dortmund“. Darin werden „Lagerverkauf“ und Liederabend beworben.
Beworben werden die „Lagerverkäufe“ auch im Chat der rechtsextremen „Heimat Dortmund“. Quelle: Screenshot Telegramm

Der sächsische Verfassungsschutz teilte auf Anfrage mit, seit 2022 seien der Behörde insgesamt fünf Lagerverkäufe bekannt geworden, die alle in dem rechtsextremen Szeneladen „PC-Records“ in Chemnitz stattgefunden hätten.

Die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Die Linke) sagte dem MDR, die Netzwerke hinter den Lagerverkäufen reichten bis hin ins rechtsterroristische Milieu. Die Veranstaltungen dienten klar der Vernetzung der Szene.

„Das ist nicht nur einfach ein Verkauf wo man Prozente spart, sondern das ist ein Mix aus Vernetzung, ideologischer Verbindung und natürlich auch Aufforderung, indirekt und direkt, indirekt zumindest, solche Aktivitäten dann auch real umzusetzen.“

Sie sehe im Hinblick auf das zum Teil extrem junge Alter der Besucher unter anderem auch das Jugendamt in der Pflicht. Kinder und Jugendliche müssten vor den zum Teil offensichtlich gewalt- und NS-verherrlichenden Produkten geschützt werden. 

Thüringer Landesinnenminister: Vernetzung und Finanzierung verhindern

Fragen zu den teilnehmenden Händlern, seinen Vernetzungen und dem Zweck der Veranstaltung beantwortete der Neonazi Eric K., der den Verkauf in Eisenach organisiert hatte, auf Anfrage nicht. Er teilte lediglich mit, die Einnahmen seien versteuert worden.

Das Foto zeigt Alexander Deptolla und Steven Feldmann, die eine Dortmund-Flagge halten. Feldmann trägt Bandagen um die Hände, er kommt gerade aus einem Boxkampf, den er für den KdN angetreten hat.
Neonazi Steven Feldmann (m.) nach eignen Angaben nach seinem Kampf für den KdN. Rechts neben ihm KdN-Organisator Alexander Deptolla. Archivbild, Quelle: Screenshot Instagram

Ein Sprecher der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (Mobit) in Thüringen sagte MDR Investigativ, die Neonazi-Szene müsse sich den gegebenen Rahmenbedingungen anpassen.

„Dies kann man aus diesen Verkäufen sehr gut erkennen. So war „Kampf der Nibelungen“ ursprünglich ja ein Kampfsportformat. Durch das Verbot kann dies aber nicht mehr durchgeführt werden und übrig bleibt somit nur noch der Verkauf der Kleidungsstücke“, so der Mobit-Sprecher.

Die Zivilgesellschaft könne gegen solche Veranstaltungen wenig mehr ausrichten als durch Proteste Aufmerksamkeit auf die Aktivitäten zu lenken. Es stünden vor allem die Behörden in der Pflicht.

Thüringens Innenminister Georg Maier sagte dem MDR, man wolle nun prüfen, wie die Lagerverkäufe mit Auflagen eingeschränkt und damit unattraktiv gemacht werden könnten. „Wir werden natürlich schauen, was wir tun können, um dagegen vorzugehen, weil wir müssen verhindern, dass sich die rechtsextreme Szene über solche Veranstaltungen vernetzt und finanziert“, sagte Maier dem MDR. 


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