Die Aidshilfe begeht einen Stichtag: Zwischen Erfolgsmodell und ungelöster Standortfrage

23 Jahre Drogenkonsumraum „kick“ in Dortmund

Drogenkonsumraum in der Drogenhilfe-Einrichtung Kick der Aidshilfe im Gesundheitsamt. In diesem Raum können sich die Süchtigen unter Aufsicht eine Spritze setzen
Einer der früheren Drogenkonsumräume in der Drogenhilfe-Einrichtung „kick“ der Aidshilfe im Gesundheitsamt. In diesem Raum können sich die Süchtigen unter Aufsicht eine Spritze setzen. Archivfoto: Klaus Hartmann für nordstadtblogger.de

Seit 23 Jahren existiert der Drogenkonsumraum in Dortmund. Fast eine Million Konsumvorgänge wurden hier unter sicheren Bedingungen ermöglicht – eine Erfolgsgeschichte im Zeichen der Schadensminderung. Doch trotz aller Erfolge ist die Zukunft der Einrichtung unklar. Die Suche nach einem neuen Standort sorgt seit Monaten für Konflikte. Und die politische Lösung? Lässt weiter auf sich warten.

Ein Raum, der seit 23 Jahren Leben rettet

Seit dem 6. Mai 2002 betreibt die Aidshilfe Dortmund den Drogenkonsumraum „kick“. Mit heute rund 139.000 Konsumvorgängen jährlich zeigt sich der enorme Bedarf – insbesondere durch den Anstieg des Crack-Konsums. Dabei ist das Konzept bewährt: Rund 1.800 akute Notfälle wurden bisher versorgt, keiner davon verlief tödlich. ___STEADY_PAYWALL___

Mit der Aufschrift „Mittelkürzung – Wir müssen schließen“ verbarrikadieren die Mitwirkenden der Protestaktion die Einrichtung der Aidshilfe Dortmund. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Auch medizinische und soziale Hilfe ist integraler Bestandteil: Über 76.000 medizinische Behandlungen und rund 44.500 sozialarbeiterischen Hilfestellungen sprechen für sich.

Gleichzeitig entlastet das „kick“ die Öffentlichkeit: Fast 6,1 Millionen infektiöse Spritzenutensilien wurden eingesammelt – Konsum findet nicht in Hauseingängen, Parks oder Spielplätzen statt, sondern unter Aufsicht. Doch mit steigenden Zahlen und neu auftretenden Drogen wie Fentanyl reicht der Platz im Grafenhof nicht mehr aus.

Standortsuche weiterhin ohne Ergebnis

Deshalb sucht die Stadt einen neuen Standort – bisher vergeblich. Als Favorit galt lange eine städtische Immobilie in der Küpferstraße. SPD und Grüne verteidigten den Vorschlag mit Verweis auf zentrale Lage, ausreichende Größe und geringere Belastung der Anwohner:innen durch Abschottung.

Die Freifläche (re.) soll ab Montag den Drogenkonsumraum am Grafenhof (li., braunes Gebäude) entlasten. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Doch der Widerstand war groß. Die CDU kritisierte die Nähe zu Schulen und fürchtete eine weitere Verlagerung der Drogenszene in die Innenstadt. Eine Petition mit 2.500 Unterschriften und eine Demonstration zeigten: Die Diskussion ist hoch emotional und auf gar keinen Fall einfach.

Während SPD und Grüne betonten, dass ein Drogenkonsumraum nur dort funktionieren könne, wo sich die Szene ohnehin aufhalte, sprach die CDU von einem „Hotspot für Dealer“ und forderte die Verlagerung an die Treibstraße – ein Vorschlag, der von der Stadtspitze als unrealistisch zurückgewiesen wurde.

Debatte seit langem geführt, ohne Lösung in Sicht

Um aus der Sackgasse herauszukommen, schlugen SPD und Grüne schließlich einen Kompromiss vor: Zwei kleinere Konsumräume statt eines großen – einer davon weiterhin am Grafenhof. Diese Strategie soll die Belastung aufteilen und die Akzeptanz erhöhen.

Seit mehr als 20 Jahren existiert der Drogenkonsumraum – mit wechselnden Standorten – in der Dortmunder City.
Seit mehr als 20 Jahren existiert der Drogenkonsumraum – mit wechselnden Standorten – in der Dortmunder City. Foto: Matilda Buchmann

Auch neue sogenannte „Drogenkonsum-Orte“ in der Nordstadt, etwa an der Bornstraße, werden geprüft. Die Verwaltung wurde beauftragt, alle Optionen erneut zu sichten. Gleichzeitig hat die Stadt eine Rückzugsfläche am Grafenhof geschaffen, die seit Februar geöffnet ist – ohne Konsum, aber mit Sitzplätzen, Toiletten und Sichtschutz.

Doch auch dieser Rückzugsraum ist nur eine Übergangslösung. Die Politik ist weiterhin auf der Suche nach tragfähigen Konzepten. Die Aidshilfe warnt: Ohne neue Räume droht eine Verlagerung des Konsums auf die Straße – mit gravierenden Folgen für alle Beteiligten.

Ein altes Thema mit hochaktueller Brisanz

23 Jahre Drogenkonsumraum zeigen: Was als Pionierprojekt begann, ist heute unverzichtbarer Bestandteil der Dortmunder Sozial- und Gesundheitspolitik. Doch mit steigender Nachfrage, neuen Drogen und gesellschaftlichen Spannungen bleibt das Thema weiterhin hochaktuell.

Auf der Fläche gelten strikte Regeln, unter anderem sind Konsum und Handel untersagt. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Die Frage, wo und wie Drogenkonsumräume in Dortmund künftig organisiert werden, ist mehr als eine Standortdebatte. Sie berührt Fragen sozialer Gerechtigkeit, öffentlicher Ordnung und Menschenwürde. Eine dauerhafte Lösung gibt es noch nicht – wohl aber viele offene Baustellen.

Fest steht: Im Kommunalwahlkampf 2025 wird der Umgang mit Drogenkonsum ein zentrales Thema bleiben. Welche Konzepte die Parteien dafür vorlegen, wird zeigen, wie ernst sie es mit Gesundheitsschutz, Hilfsangeboten – und gesellschaftlichem Zusammenhalt meinen.


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