Wiedereröffnung des Dortmunder Schauspielhauses mit „Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“

Biedermann und Brandstifter. Fotos: Hupfeld.
Szene aus „Biedermann und Brandstifter“ im Schauspielhaus. Fotos: Beate Hupfeld/ Theater Dortmund

Von Gerd Wüsthoff

Es gibt Literatur, die, obgleich vor langer Zeit verfasst, einen mehr als aktuellen Bezug hat. Das Drama „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch und der dystopische Roman „Fahrenheit 451“ von Ray Bradbury sind solche zukunftsträchtigen Klassiker. Obgleich beide Veröffentlichungen aus den 1950er Jahren stammen und dabei in der Nachkriegszeit die untergegangenen Diktaturen reflektieren, zeigen sie zeitlos aktuelle gesellschaftliche Strömungen. Das Schauspielhaus Dortmund feiert jetzt seine Wiedereröffnung und nimmt sich dem Thema an: an einem Abend in einer gemeinsamen Inszenierung.

Nachkriegsliteratur von Weltruf auf der Bühne unserer Gegenwart

Fahrenheit 451
Fahrenheit 451

„Man fragt sich, was gerade ist, erinnert sich, was einst war, denkt nach, was kommen könnte, dann schimmern aus dem Kosmos der Literatur genau diesen beiden weltberühmten Stücke auf“, kommentiert die Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz

Der Titel von Max Frisch´s „Biedermann und die Brandstifter“ von 1958 ist vielen vielleicht als die Umschreibung einer Situation geläufig, wo es ziemlich heikel werden kann: Wo jemand passiv verharrt, um ja nichts falsch zu machen, damit aber genau das Fatale heraufbeschwört. Das resultierende Nichtstun hat am Ende die unabwendbaren Folgen, welche die Familie Biedermann tunlichst vermeiden wollte.

Ray Bradbury´s „Fahrenheit 451“, vielen vielleicht auch als Film von François Truffaut aus dem Jahr 1966 bekannt, ist das Gegenbild zu einer Welt, die positiv in Ordnung gekommen ist.

Der junge, talentierte Regisseur Gordon Kämmerer (36) und die Dramaturgin Anne-Kathrin Schulz stellen beide Stücke bewusst hintereinander auf, weil sich für sie „Fahrenheit 451“ wie eine Folge aus „Biedermann und die Brandstifter“ lesen und darstellen lässt. Die beiden Klassiker erscheinen in neuem Gewand als erste Inszenierung im wiedereröffneten Schauspielhaus.

Das Schweigen der Mehrheit öffnet den Weg in den Abgrund

Biedermann und Brandstifter
Biedermann und Brandstifter

Bei Frisch sind es die Biedermanns (als Sinnbild der Keimzelle der Gesellschaft: die Familie), die in einer Welt voller Brandherde auf groteske Weise darum ringen, einfach nichts falsch zu machen. Den Brandstiftern Gastfreundschaft anbieten, um sich und ihr Hab und Gut zu schützen. Der Zuschauer wird Zeuge davon, wie so der Punkt verpasst wird, an dem sich ein fataler Ausgang (eventuell) noch hätte abwenden lassen. „Wegsehen ist Mittun!“ resümiert Regisseur Kämmerer.

Während in den „Brandstiftern“ zu sehen ist, wie die Protagonisten nach dem Sankt-Florian-Prinzip in ihr eigenes Unglück schlittern, stellt „Fahrenheit 451“ die Situation in einer gleichgeschalteten Gesellschaft dar, die sich aus der Passivität von Vermeidungshaltungen ergeben hat.

Das monochrome Bühnenbild, von Matthias Koch gestaltet, zeigt zuerst die Wohnung der Familie Biedermann, um sich im zweiten Teil zu versenken und sinnbildlich für dessen zentrale Aussage zu figurieren – die Verlorenheit des Einzelnen in einer gleichgeschaltet-entfremdeten Gesellschaft.

Täter werden zu Opfern und umgekehrt: Grenzen verfließen

Fahrenheit 451
Fahrenheit 451

„Fahrenheit 451“ wird von Regisseur Kämmerer und Dramaturgin Schulz als Folge des Nichttuns gesehen und inszeniert. Die Brandstifter nisten sich in die Keimzelle der Gesellschaft ein, um eine neue Welt zu schaffen. „Die Zuschauer sollen sich in ihren eigenen Ängsten wiedererkennen“, erklärt Kämmerer.

Die bequeme Einteilung einer Gesellschaft in „Täter“ und „Opfer“, vor der Frisch in seinem 1958 uraufgeführten Stück klug und kraftvoll warnt, wird in Bradburys fünf Jahre zuvor erschienen Roman in brutaler Weise bereits als unmöglich dargestellt. Denn hier wird der „Täter“ zum „Opfer“, der Feuerwehrmann Guy Montag, indem er Bücher rettet.

Dessen Frau Mildred, ein typisches Kind ihrer Zeit, ist „Opfer“ von Unterdrückung und wird zur „Täterin“, indem ihr Verhalten verdeutlicht, wie eine totalitäre Gesellschaft sich langsam aus der alten entwickelt und funktioniert, statt von oben durch autoritäre Gewalt zu entstehen.

Weitere Informationen:

  • Uraufführung: Samstag, 16. Dezember, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Dortmund
  • Spielplan: Aufführungen bis Juni 2018. Näheres: hier.
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Reaktionen

  1. Gerd Wüsthoff

    „Biedermann und die Brandstifter / Fahrenheit 451“ ist wieder im neuen Spielplan des Schauspielhauses Dortmund – Samstag, 03. November 2018. Weitere Termine folgen! Gerd Wüsthoff

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