
Der Saal Westfalia im Dortmunder Rathaus ist gut gefüllt. Rund hundert Zuhörer:innen haben sich zur Lesung von Journalistin und Autorin Gilda Sahebi versammelt. Sie stellt ihr neues Buch „Verbinden statt spalten. Eine Antwort auf die Politik der Polarisierung“ vor.
Narrative durch positive Erzählungen ändern
Die Lesung findet im Rahmen des Projekts „Fair-stehen. Fair-ändern. Fair-bünden: Impulse für Dialog und gesellschaftliches Zusammenleben“ statt und wird vom Multikulturellem Forum organisiert. „In dem Projekt geht es uns dezidiert darum, dass wir Menschen zusammenbringen möchten um diesen polarisierten Diskurs aufzubrechen“ erklärt Zeynep Kartal vom Forum.

Sahebi erklärt gegenüber dem Nordstadtblogger, dass Fakten allein niemanden überzeugen können. Sie seien zwar wichtig, würden aber Personen, die stark polarisiert sind, nicht erreichen. „Erzählungen schlagen Fakten. Wir sind emotionale, keine rationalen Wesen“, erklärt sie. Es sei daher notwendig, positive Geschichten zu erzählen, die die Menschen miteinander verbinden.
Genau darum geht es auch den Veranstalter:innen. In ihrem Projekt soll es um einen Wandel der Narrative gehen, erklärt Jannik Willers. Dabei möchte man nicht mit erhobenem Zeigefinger auf rechte Narrative zeigen, sondern ihnen eigene und positive Weltbilder entgegensetzen.
Die Spaltung ist gewollt
Sahebi beginnt ihre Lesung mit einer Klarstellung: In der öffentlichen Wahrnehmung wirken Menschen oft tief gespalten. In der Realität treffe das aber oft nicht zu. Vielmehr erleben wir einen Effekt, den sie als affektive Polarisierung bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Polarisierung der Emotionen. Aus dieser ließen sich künstliche Gruppen konstruieren.

Menschen würden sich anhand ihrer Gruppen als „die Guten“ und andere als „die Bösen“ zu sehen. Autoritäre Kräfte nutzen diese Dynamik um Macht zu erlangen. Sie bauen Mauern in der Gesellschaft auf und spielen die Menschen gegeneinander aus.
Dabei können sie sich als Vertreter der eigenen angeblich bedrohten Gruppe inszenieren. Mit Blick auf die Wahlerfolge der europäischen Rechtspopulisten und den antidemokratischen Umbau der USA unter Trump zeigt sich, dass diese Taktik hoch effizient ist.
Der Anteil radikaler Kräfte ist jedoch verhältnismäßig klein. Der größere Schaden entstehe jedoch dadurch, dass auch demokratische Politiker, staatliche Institutionen und Medien das Spiel der Spaltung mitspielen. So sei es verlockend, Trends hinterherzulaufen. Drama und Streit würden zudem bessere Schlagzeilen ergeben und gut verkaufen.
Als Beispiel nennt Sahebi die Reaktionen einiger Politiker:innen aus dem konservativen Spektrum auf die jüngsten Proteste gegen die Gründung der neuen AfD-Jugend in Gießen. Obwohl die große Mehrheit der Demonstrierenden an friedlichen Protesten teilnahmen wurden Bilder von Chaos und Linksextremismus geschürt.
Politik muss spürbare Verbesserungen erwirken
Ihr Buch orientiert sich entlang klassischer Konfliktlinie der Gegenwart. Darunterfallen: Wokeness gegen Kulturkampf, Faule gegen Fleißige, Proteste gegen Coronamaßnahmen, Krieg und Frieden. In all diesen Feldern würden sich Menschen unversöhnlich gegenüberstehen.
Allerdings sei auch Selbstreflexion wichtig, stellt Sahebi klar. So positionierten sich viele Menschen aus progressiven Milieus fest in ihren Überzeugungen. Auch daraus entstehen eine Gruppenzugehörigkeit und ein Verteufeln jener, die als Rechts wahrgenommen werden. Deshalb müsse auch hier mehr zugehört werden. Insbesondere dann, wenn Ansichten nicht geteilt werden.

Für ihr Buch hat Sahebi unter anderem mit einem Familienvater mit Migrationsgeschichte gesprochen. Er unterstützt die rechtspopulistische AfD. Neben den typischen rechten Erzählungen hatte der Mann jedoch völlig nachvollziehbare Sorgen: steigende Lebenshaltungskosten, höhere Steuern und Beiträge setzen ihm und seiner Familie zu. Er berichtete von der Angst, dass seine Kinder es einmal schlechter haben würden als er.
Die Politik müsse die Sorgen der Menschen daher ernst nehmen und für spürbare Verbesserungen kämpfen. Stattdessen werden oft Scheindebatten, etwa über ein angebliches Migrationsproblem oder das Stadtbild geführt.
Mit Politiker:innen der AfD zu sprechen sei dagegen wenig sinnvoll. Diese wissen genau, was sie tun und verbreiten ihre rassistische und autoritäre Ideologie bewusst.
Verbundenheit ist größer als wir glauben
Da meldet sich ein Mann aus dem Publikum. Er erzählt von einem Kollegen, der AfD wählt, dass könne er nicht verstehen. Diskussionen mit ihm würden jedoch zu nichts führen. Egal was er sagt, sein Kollege fühle sich angegriffen und entgegnet „Man dürfe ja nichts mehr sagen“

„Das ist etwas sehr Wertvolles. Bewahren Sie sich das“ entgegnet Sahebi ruhig. Wichtig sei jedoch zu verstehen, warum der Kollege so denkt. Veränderung kann nur in ihm selbst ausgehen. Von außen Menschen ändern zu wollen funktioniere meist nicht.
Sie betont, dass der größte Teil der Bevölkerung nicht unversöhnlich polarisiert sei. Viele schätzten andere Menschen feindseliger ein, als sie tatsächlich sind. Sahebi führt das auf einen Negativ-Bias zurück, der in uns allen wohnt. Evolutionär war es sinnvoll, misstrauisch zu sein, sie nennt es die Angst vor dem Säbelzahntiger. In Krisen zeige sich jedoch, dass die Menschen viel verbundener zueinander sind, als sie es manchmal selber glauben.
Es melden sich immer mehr Zuhörer:innen zu Wort. Daraus entsteht eine lebhafte Diskussion. Sie erzählen von Streit am Arbeitsplatz, von hitzigen Diskussionen in Vereinen, von politischen Debatten, die Freundschaften belasten. Viele sprechen von Ohnmacht, der Austausch im Raum wirkt erleichternd.
Es zeigt sich: die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden ist nicht einfach. Am Ende äußert Sahebi noch einen ungewöhnlich erfrischenden Vorschlag. „Ab der ersten Klasse eine Stunde emotionale Bildung am Tag in der Schule“ erklärt sie. Das habe das Potenzial, Deutschland zum Besseren zu verändern.
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