Ergebnis einer Masterarbeit: Soziale Organisationen sind nicht gerechter

Studie untersucht Geschlechtergerechtigkeit

„Gerade in der Sozialen Arbeit ist dieser Zustand verheerend“, sagt Romina Maillaro über die Ungerechtigkeit in den Chef*innen-Etagen sozialer Organisationen.
„Gerade in der Sozialen Arbeit ist dieser Zustand verheerend“, sagt Romina Maillaro über die Ungerechtigkeit in den Chef*innen-Etagen sozialer Organisationen. (Foto: FH Dortmund / Tilman Abegg

„Warum ist die Leitung sozialer Organisationen männlich?“, fragt Romina Maillaro in ihrer Masterarbeit an der Fachhochschule Dortmund. Das Ergebnis ist eine ernüchternde Bestandsaufnahme mit klaren Handlungsempfehlungen, die sie zusammen mit Prof. Dr. Michael Boecker publiziert hat. Mehr als 70 Prozent der Menschen in der Sozialen Arbeit sind Frauen. Das Studium liegt laut Statistischem Bundesamt 2021 im Ranking der am stärksten von weiblichen Studierenden besetzten Fächer auf Rang 5. Doch in den Leitungsebenen ist das Verhältnis umgekehrt.

Viele weibliche Beschäftigte im Sozialbereich, aber wenig weibliche Führungskräfte

Beispielhaft nennt Romina Maillaro in ihrer Arbeit den Genderbericht des Caritasverbands mit 82,1 Prozent weiblichen Beschäftigten insgesamt, aber nur 23 Prozent weiblichen Vorständen und Geschäftsführerinnen. „AWO und Diakonie liefern ähnliche Zahlen“, schreibt sie. Zum Teil lasse sich das auf die kirchliche Geschichte der großen Wohlfahrtsverbände zurückführen: Die seien geprägt von alten Diözesanstrukturen, in denen Frauen gar nicht vorgesehen waren.

Weitere zentrale Gründe:

  • Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird von Frauen erwartet, von Männern nicht. Es fehlen Hilfestellungen der Arbeitgeber*innen wie flexible Arbeitszeiten und Homeoffice-Angebote.
  • Auch in der Sozialen Arbeit gibt es die „Gläserne Decke“, also unsichtbare Barrieren wie zum Beispiel männlich geprägte Netzwerke in den obersten Leitungsebenen.
  • Weil die Soziale Arbeit geschichtlich aus der Idee der „geistigen Mütterlichkeit“ hervorging, wird auch heute noch teils davon ausgegangen, dass Frauen von Natur aus für Care-Arbeit – und damit nicht für Führungspositionen – bestimmt seien.

„Frauen sind nicht entwicklungsbedürftig, um in Leitung zu kommen“

Darin zeichnet sich das zentrale Ergebnis der Untersuchung ab: Der Grund dafür, dass Frauen nicht führen, sind nicht die Frauen. Sozialarbeiterin Maillaro formuliert es so: „Frauen sind nicht entwicklungsbedürftig, um in Leitung zu kommen.“ Vielmehr müssen die Entscheider*innen in den Organisationen ihre Entscheidungsgrundlagen kritisch hinterfragen und strukturelle Maßnahmen einführen, die das Genderthema innerhalb der eigenen Prozesse beleuchten und voranbringen.

(Foto: FH Dortmund / Tilman Abegg

Gerade in der Sozialen Arbeit, die sich als Gerechtigkeitsprofession verstehe, sei dieser Zustand besonders verheerend, argumentiert Romina Maillaro. „Mit der Publikation wollen wir deswegen weitere Forschungen in diesem Bereich anstoßen und erreichen, dass dieses Problem in den Organisationen operationalisiert wird, das heißt, dass Konzepte und Maßnahmen verankert werden, die Geschlechtergerechtigkeit vorantreiben.“

Die Untersuchung enthält Interviews mit weiblichen und männlichen Leitungskräften aus den obersten Ebenen. Aus ihnen geht hervor, dass diese Rollenbilder so tief in der Gesellschaft sitzen, dass es selbst Frauen in Leitungspositionen schwerfällt, die Diskrepanz zwischen der Erwartung an sie, rücksichtsvoll zu sein, und der Notwendigkeit des Jobs, manchmal nicht auf alle Rücksicht nehmen zu können, auszuhalten.

Frauenquote, Diversitätsmanagement oder Gleichstellungsbeauftragte als Lösungen

Eine der interviewten Chefinnen verriet, sie „ertappe sich selbst dabei, manche Dinge eher männlich zu denken.“ Kein Wunder, sagt Romina Maillaro, bei hauptsächlich männlichen Chefs, an denen sie sich orientieren kann. Eine Maßnahme wäre eine Quote.

Romina Maillaro: „Ich sehe kein ernsthaftes Argument dagegen. Sie würde die Entwicklung zur Selbstverständlichkeit beschleunigen.“ Weitere Möglichkeiten wären ein Diversitätsmanagement oder Gleichstellungsbeauftragte. „Aber das Wichtigste“, sagt die Sozialarbeiterin, „sind Angebote, bei denen Frauen sich vernetzen können, und Mentor*innen, die gezielt Nachwuchskräfte auf dem Weg nach oben begleiten können.“ Denn der Bedarf an Nachwuchskräften in sozialen Organisationen sei hoch.

Schlussbemerkung: Wert legen Sozialarbeiterin Maillaro und Prof. Boecker in ihrer Arbeit auf den Hinweis zur Zweiteilung der Geschlechter in Frauen und Männer. Sie schreiben: „Uns ist dabei bewusst, dass eine Dichotomie der Geschlechter nur unzureichend die Heterogenität von Menschen und ihre geschlechtliche Identität abzubilden vermag und wir verstehen in diesem Sinne Geschlecht als gesellschaftliche Konstruktion.“

Mehr Informationen:

  • Das Buch ist im Lambertus-Verlag erschienen.
  • ISBN 978-3-7841-3558-8
  • ISBN E-Book 978-3-7841-3559-5
Unterstütze uns auf Steady
Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Hyk

    Ich finde es immer erstaunlich, dass bei Gleichstellungsfragen im Hinblick auf Führungspositionen gar nicht auf die Frage eingegangen wird, was zur Führungsposition überhaupt gehört. Dann käme man nämlich auf: Hart umkämpft, keine Freizeit, viel Stress. Das sind ja nun Dinge, die nur wenige Menschen wirklich selbst für sich wollen. In der Mehrheit sind das Männer. Ob das nun gesellschaftlich geprägt ist oder nicht, ist letztlich egal, denn natürlich setzen sich am Ende die Leistungsstärkeren durch. D.h. man müsste die Arbeitsbedingungen in Führungspositionen ändern, sprich sagen: Ihr seid jetzt Manager, aber dürft nur genau 40 Stunden die Woche arbeiten. Was würde dann passieren? Die besonders ehrgeizigen würden trotzdem 60 Stunden machen und mehr Leistung liefern. Wenn das nun in der Mehrzahl Männer sind, dann ist es noch immer nicht ausgeglichen. Ich verstehe diesen Kampf daher nur teilweise. Eine Quote ist falsch, da sie erstens nicht leistungsgerecht ist und man zweitens Gefahr läuft weniger Leistung auf den Führungsebenen zu erzielen. Das kann man nur gut finden, wenn man Leistung generell nicht mag. Ich erwarte das von gut bezahlten Führungskräften.

  2. Warum haben die meisten sozialen Organisationen Chefs? Vortrag und Gespräch über Karrierechancen von Frauen in der Sozialen Arbeit (PM)

    Was? Vortrag und Gespräch zur Geschlechtergerechtigkeit in sozialen Organisationen
    Wann? Donnerstag, 13. Juli 2023, 18 Uhr
    Wo? Nordstadtgalerie, Bornstraße 142
    Wie teuer? Eintritt frei

    „Warum ist die Leitung sozialer Organisationen männlich?“ lautet der Titel der Masterarbeit, die Sozialarbeiterin Romina Maillaro in der Nordstadtgalerie der FH Dortmund am Donnerstag (13.7.) um 18 Uhr an der Bornstraße 142 vorstellt. Romina Maillaro kommt darin zu dem Ergebnis, dass Frauen auch in Organisationen, in denen viel mehr Frauen als Männer arbeiten, beruflich benachteiligt werden. In ihrem Vortrag gibt die Sozialarbeiterin fundierte Einblicke in das Thema und schildert ihre Arbeit an der Publikation.

    Anschließend haben alle Besucher*innen die Möglichkeit, ihre persönlichen Erfahrungen, Wünsche und Gedanken zu teilen. Die Veranstaltung mit dem Titel „Think manager, think male?“ ist Teil der Reihe „Flügge“ der Nordstadtgalerie. Einlass ist ab 17.45 Uhr, der Eintritt ist frei.

  3. Veranstaltung „Die 4. Halbzeit“ zum Thema „Fußball & Geschlechtergerechtigkeit“ im Deutschen Fußballmuseum (PM)

    Wie können Frauen gleichwertige Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten im Arbeitsleben erreichen? Mit dieser Frage setzt sich nicht nur ein Großunternehmen wie die 21-Gruppe in Dortmund auseinander, auch im deutschen Fußball kommt es darüber zu immer mehr Debatten. In dieser Runde diskutieren Frauen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen über Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und Equal Payment.

    Seit dem Frühjahr 2022 laden das Deutsche Fußballmuseum und die 21-Unternehmensgruppe zu einem besonderen Gesprächsformat ins Museum ein: Unter dem Titel „Die 4. Halbzeit“ wenden wir uns aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu, die sich sowohl auf der Ebene des Fußballs, aber auch im Betriebsleben der 21-Gruppe widerspiegeln.

    In dieser Ausgabe beschäftigen wir uns wieder mit einem aktuellen und kontrovers diskutierten gesellschaftlichen Thema: Wie steht es mit der Geschlechtergerechtigkeit in Unternehmen und im Sport generell? Wo gibt es immer noch Defizite oder gar Diskriminierung? Werden Frauen auf ihrem Karriereweg ausgebremst, weil sie Frauen sind?

    Wir begrüßen dazu an diesem Abend auf unserem Podium:

    Josephine Henning, 42-fache deutsche Nationalspielerin, Europameisterin und Olympiasiegerin
    Heike Heim, Vorstandsvorsitzende der Dortmunder Stadtwerke AG
    Svenja Schlenker, Abteilungsleiterin Frauenfußball bei Borussia Dortmund
    Dr. Maxa Zoller, Künstlerische Leiterin des Internationalen Frauen Film Festivals Dortmund + Köln

    Außerdem ist an diesem Abend Maresa Feldmann, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Dortmund, vor Ort und steht Rede und Antwort zu diesen und weiteren Fragen. Die Moderation übernimmt Gregor Schnittker. Die Veranstaltung ist kostenlos. Wir bitten um vorherige Anmeldungen unter 4tehalbzeit@fussballmuseum.de.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert