„Wir sind hier in Sicherheit, aber die Schuldgefühle sind groß“

Stiftung help and hope berichtet von ihren ukrainischen Gästen auf Gut Königsmühle

v.l. Svitlana Khotulova (45) mit ihrer Tochter (11) und Iryna Harbar (34) mit ihren Töchtern (6 und 10 Monate). Foto: Stiftung help and hope

Svitlana Khotulova (45) und Iryna Harbar (34) kennen sich schon viele Jahre. Sie trafen sich einst zufällig in einem Buchladen in Kyjiw* (ukrainische Schreibweise der Hauptstadt; nicht erst seit dem russischen Angriff auf ihr Land, lehnen viele Ukrainer:innen die russische Schreibweise ab). Als Svitlana Iryna vor zwei Monaten warnte, ihr Heimatland werde bald von Russland angegriffen, wollte die junge Mutter zweier Mädchen ihrer Freundin nicht glauben. Wenige Wochen darauf fielen die ersten Bomben.

Iryna Harbar: „…wir sind sehr dankbar für alles“

Inzwischen sind die beiden Frauen, die vor Kurzem mit ihren Familien noch ein gutes Leben in der ukrainischen Hauptstadt führten, auf Gut Königsmühle in Dortmund-Mengede angekommen.

help and hope organisiert Transporte mit Hilfsgütern für die Ukraine.

Die Stiftung help and hope hat dort nach Kriegsausbruch in einer Hauruckaktion Unterkünfte für Geflüchtete geschaffen. 19 Frauen und Kinder, auch drei Hunde, wurden in den vergangenen Wochen aufgenommen.

„Die Geschichten, die uns unsere ukrainischen Gäste erzählen, sind oft herzzerreißend“, sagt Sandra Heller von help and hope, „wir sind froh, helfen zu können und versuchen alles möglich zu machen, damit die Familien bei uns einen schönen Aufenthalt haben.“ Zuvor hatte die Dortmunder Stiftung bereits mehrere Lkw-Lieferungen mit Hilfsgütern organisiert und nach Polen begleitet.

„Uns geht es gut, wir haben hier alles, was wir brauchen. Das Team von help and hope kümmert sich mit großem Einsatz um uns, wir sind sehr dankbar für alles“, so Iryna Harbar, die in ihrer Heimat an einer Universität Englisch lehrte. Aber es falle ihr schwer, abends in den Schlaf zu finden.

Svitlana Khotulova musste ihren Mann und den 19-jährigen Sohn zurücklassen

Für viele Menschen markiert der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 eine Zeitenwende in Europa. Foto: Depositphotos.com

„Ich fühle mich schuldig. Während ich hier mit meinen Kindern und meiner Schwiegermutter in Sicherheit bin, versuchen die, die noch in der Ukraine sind, am Leben zu bleiben.“ Ihr Mann ist in Kyjiw, verteidigt die Stadt. Auch ihre Eltern, andere Familienangehörige und viele Freunde sind noch in der Ukraine. „Ich habe große Angst um sie.“

Svitlana Khotulova musste neben ihrem Mann auch ihren 19-jährigen Sohn zurücklassen. Denn seit der Verhängung des Kriegsrechts in der Ukraine ist Männern im Alter zwischen 18 und 60 Jahren die Ausreise verboten. Die Touristenführerin ist mit ihrer Mutter, ihrer 11-jährigen Tochter und einem kleinen, schwarzen Pudel nach Dortmund gekommen.

„Wir telefonieren jeden Tag miteinander. Oft auch über Video. Dann zeigen sie, wie über ihnen die Raketen fliegen“, berichtet sie. „Wenn ich meinen Mann und Sohn dann frage, wie sie das nur jeden Tag aushalten können, antworten sie, sie hätten sich daran gewöhnt. Das ist doch verrückt.“

Iryna Harbar: „Als ich realisierte, was geschah, habe ich nur noch gezittert.“

Svitlana (.l) musste ihre Freundin Iryna zunächst zur Flucht aus der Ukraine überreden. Foto: Stiftung help and hope

Svitlana Khotulova hatte Kyjiw schon etwa einen Monat vor dem russischen Angriff auf die Ukraine verlassen. Aufgrund der Nachrichtenlage hatte ihr Mann die Bedrohung erahnt und sie zu Verwandten nach Shayan, einem kleinen Dorf in der Westukraine, gefahren. Die Versuche, ihre gute Freundin zum Mitkommen zu überreden, blieben erfolglos. Zunächst.

„In der Nacht, in der die ersten Bomben auf Kyjiw fielen, dachte ich erst an eine militärische Übung. Als ich realisierte, was geschah, habe ich nur noch gezittert“, erinnert sich Iryna Harbar. Mehrere Nächte schlief sie mit ihrem zehn Monate alten Baby und der sechsjährigen Tochter im Badezimmer, bis sie ein Zugticket kaufen und zu Svitlana Khotulova fahren konnte.

„Am Bahnhof waren Tausende Menschen, alle drängelten. Beinahe hätten wir es nicht in den Zug geschafft. Es war fruchtbar“, sagt sie und kämpft dabei mit den Tränen. Eineinhalb Tage dauerte die Fahrt in dem völlig überfüllten Abteil.

Iryna Harbar: „Und ab da hatten wir einfach nur Glück.“

Als sich die Angriffe auch auf den Westen der Ukraine verlagerten, beschlossen die beiden Frauen mit ihren Kindern und Müttern, das Land Richtung Polen zu verlassen. Lange mussten sie nach einem Fahrer suchen, der sie gegen eine hohe Bezahlung über die Grenze brachte.

„Und ab da hatten wir einfach nur Glück“, sagt Iryna Harbar. Sie stand in Kontakt mit Freunden in Amerika, die wiederum jemanden kannten, der eine Verbindung zur Stiftung help and hope hat. Mitarbeiter der Stiftung, die gerade in Polen waren, weil sie Hilfsgütertransporte für Geflüchtete begleitet hatten, nahmen die sieben Personen mit nach Dortmund.

„Sie gingen mit uns essen, bezahlten uns die Nacht im Hotel. Wir wussten, wir sind endlich in Sicherheit“, sagt Iryna Harbar. Auf Gut Königsmühle leben sie nun seit etwa drei Wochen. Während sich die beiden älteren Damen am liebsten die Zeit mit Kochen vertreiben, lernen die beiden Mütter viel mit ihren Kindern. Svitlana Khotulovas Tochter ist in der fünften Klasse.

Quälende Ungewissheit: „Keiner weiß, was die Zukunft für uns bereithält.“

„Wir stehen im Austausch mit ihrem Klassenlehrer und können uns bereitgestellte Lernmaterialien im Internet runterladen“, erklärt sie und berichtet, dass die Elfjährige am liebsten den ganzen Tag malt. Das Mädchen vermisse aber auch sehr ihre Gitarre und den Musikunterricht.

Svitlanas elfjährige Tochter vermisst vor allem ihre Gitarre und den Musikunterricht.
Svitlanas elfjährige Tochter vermisst vor allem ihre Gitarre und den Musikunterricht. Foto: Stiftung help and hope

In der Hoffnung, dass sie bald arbeiten darf und ihre Tochter in Dortmund eine Schule besuchen kann, möchte sie gerne in die Innenstadt umziehen. Auch dabei unterstützt sie die Stiftung help and hope. „Wer bleiben möchte, ist herzlich willkommen. Wir helfen aber auch bei der Wohnungssuche und bei Anträgen, wenn die Familien längerfristig eine andere Unterbringung wünschen“, erklärt Vorstandsvorsitzende Sandra Heller.

Unterdessen möchte Iryna Harbar lieber auf Gut Königsmühle bleiben. „Mit den Kindern fühle ich mich hier in besserer Obhut“, sagt sie. Ihre große Tochter ist in Kyjiw in einer Cheerleading-Gruppe, die Freunde und das Training fehlen ihr. Nun macht die Sechsjährige fleißig Vorschulübungen. Im September wäre sie eingeschult worden.

Ob sie nun in Dortmund zur Schule kommen wird? „Keiner weiß, was die Zukunft für uns bereithält. Das ist schlimm an diesem Zustand. Man weiß nicht, wie lange dieser Krieg noch dauern wird und wann wir zurück nach Hause können“, sagt Iryna Harbar.

Sie ist mit ihren Kindern auch viel draußen, genießt die Vorzüge von Gut Königsmühle. Manchmal fahren sie und die anderen Familien mit dem Bus in die Dortmunder Innenstadt. Inzwischen kennen sie sich ganz gut aus.

Svitlana Khotulova: „Es ist schön zu wissen, dass wir nicht allein sind.“

Die Ablenkung von Sorgen und Ängsten auf Gut Königsmühle tut den Geflüchteten gut.
Die Ablenkung von Sorgen und Ängsten auf Gut Königsmühle tut den Geflüchteten gut. Foto: Stiftung help and hope

Was alle ukrainischen Gäste auf Gut Königsmühle eint, ist der Stolz auf ihr Heimatland. „Die Ukrainer stehen zusammen, so einen Zusammenhalt hat es zuvor nie gegeben. Putin dachte wohl, wir freuen uns und wir würden alle Russen sein wollen. Aber nein! Wir werden uns nicht ergeben“, sagt Iryna Harbar.

Und sie sind stolz auf ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der ihnen Hoffnung und das Gefühl gibt, gegen die scheinbare Übermacht Russland gewinnen zu können. Auch die Dankbarkeit für die weltweite Anteilnahme und Hilfe ist groß. „Es ist schön zu wissen, dass wir nicht allein sind“, sagt Svitlana Khotulova.

Auf Gut Königsmühle steht nun das zweiwöchige Osterferienprogramm bevor. Auch die Kinder aus der Ukraine dürfen daran teilnehmen. „Spannende Abenteuer, Spiel und Spaß in Gemeinschaft mit Gleichaltrigen – das wird ihnen sicher gut tun und hoffentlich etwas Ablenkung von den Sorgen und Ängsten bieten“, sagt Sandra Heller. Wer die Arbeit der Stiftung help and hope unterstützen möchte, findet Infos unter: www.helpandhope-stiftung.com.

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Reaktionen

  1. Das Hoffest-Programm auf Gut Königsmühle: Zweitägige Veranstaltung der Stiftung help and hope Dortmund (PM)

    Das Team der Stiftung help and hope ist voller Vorfreude auf sein zweitägiges Hoffest auf Gut Königsmühle am kommenden Wochenende (18./19. Juni 2022). Los geht es am Samstag um 11 Uhr. Zur offiziellen Eröffnung um 11.30 Uhr haben auch Dortmunds Bürgermeisterin Barbara Brunsing und Mengedes Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann ihr Kommen zugesagt.

    „Wir freuen uns sehr auf unsere Gäste und darauf, mit den Kindern und ihren Familien zwei tolle Tage mit vielen Aktionen und guter Laune verbringen zu können“, sagt Stiftungsvorsitzende Sandra Heller.
    Neben einer großen Hüpfburg, einem Rodeo und einem Kletterturm gibt es Kinderschminken, Sackhüpfen, eine Bastelstation und eine Foto-Box. Stelzenläufer und Ballonkünstler Mr. Tom wird die Kinder begeistern, ebenso Stiftungsmaskottchen Esel Emil. Emils-Fans können sich außerdem ein Airbrush-Tattoo mit seinem Bild verpassen lassen.

    Von 12 bis 16.30 ist auch die Freiwillige Feuerwehr mit einem Infostand vor Ort und lädt zu Mitmachaktionen ein. Auf der Showbühne spielt von 12 bis 17.30 Uhr die Band „Magic Cops“. Um 14.30 Uhr gibt Clown Püppi sein lustiges Kinderprogramm zum Besten.

    Weiter geht es am Sonntag, wieder ab 11 Uhr. Um 13 und um 15 Uhr tritt Zauberin Parella mit ihrer Zaubershow auf. Die Freiwillige Feuerwehr ist an diesem Tag von 11 bis 15.30 Uhr da und auch Esel Emil und die Band „Magic Cops“ sind wieder dabei.

    Während sich die Kleinen bei Kinderprogramm vergnügen, können die Großen am Samstag und am Sonntag über den Hofmarkt bummeln. Es gibt Genähtes, Papierkreationen, Kerzen, Seife, Essig- und Öle, Tee und Zubehör, Dekoration, Süßes und vieles Schönes mehr. Zusätzlich gibt es verschiedene Essens- und Getränkestände.

    „Es ist alles da, um bei uns einen ganzen Tag mit der Familie zu verbringen“, sagt Sandra Heller. „Wir möchten vorab noch darauf hinweisen, dass an den Essens- und Getränkeständen unserer Stiftung Wertmarken benötigt werden. Diese verkaufen wir an den Eingängen. An allen anderen Ständen zahlen die Gäste bar.“ Kartenzahlung ist auf Gut Königsmühle nicht möglich.

    Die Veranstaltung endet an beiden Tagen um 18 Uhr. Parken ist ausschließlich auf dem großen IKEA-Parkplatz gestattet.

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