SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Die Siedlung Kaiserstuhl war ein Musterbeispiel für ungesundes Wohnen

Eisen- und Stahlwerk Hoesch, um 1905 (Sammlung Klaus Winter)
Eisen- und Stahlwerk Hoesch, um 1905 (Sammlung Klaus Winter)

Von Klaus Winter

Vor 150 Jahren liefen die Vorbereitungen für die Gründung eines Eisen- und Stahlwerks im Oesterholz. Am 1. September 1871 wurde der Gründungsvertrag unterschrieben. Ort des Vertragsabschlusses war Düren, und der gemeinsame Familienname aller Unterzeichner war Hoesch. Nicht ohne Geburtswehen, aber schließlich mit großem Erfolg entstand bis zur Jahrhundertwende im Nordosten der Stadt ein bedeutendes Unternehmen. Hoesch war um 1900 wirtschaftlich bereits so stark, dass es, um Schwierigkeiten bei der Brennstoffversorgung zu vermeiden, gleich die beiden nahe am Werk gelegenen Zechen Kaiserstuhl I und II kaufte.

Hoesch baute von Beginn an Werkswohnungen

In den 1870er Jahren wusste man in den Chefetagen längst, dass man Arbeiter an sein Unternehmen binden musste. Denn Arbeitermangel galt als großes Problem. So hatte auch Hoesch schon 1872 die ersten zwölf Werkswohnhäuser im Oesterholz errichtet.

1876 waren 445 Mann bei Hoesch beschäftigt, und die Zahl der Werkswohnungen war auf 60 gestiegen. Um die Jahrhundertwende gab es 134 Häuser mit 868 Wohnungen an der Oesterholz-, der Albert- und der Eberhardstraße. Das Hoesch-Viertel um den Borsigplatz entstand.

1899 wurde ein Vertrag zum Siedlungsbau geschlossen

Eingang zur Zeche Kaiserstuhl II, um 1905 (Sammlung Klaus Winter)
Eingang zur Zeche Kaiserstuhl II, um 1905 (Sammlung Klaus Winter)

Die Anlage von Kaiserstuhl II war von der Gewerkschaft Westphalia 1890/91 beschlossen worden. Zu der Zeit war aber vermutlich noch nicht daran gedacht, an der Schachtanlage eine eigene Kolonie zu bauen.

Das änderte sich 1899. Noch bevor Hoesch Kaiserstuhl I und II kaufte, schloss die Gewerkschaft Westphalia, einen Vertrag mit der Stadt betreffend den Bau einer Siedlung. Seitens der Stadt hatte u. a. Stadtbaurat Marx an den Verhandlungen teilgenommen.

Bergbau-Größen wurden Namensgeber für die Siedlungsstraßen

Siedlungsplan, 1901 (Stadtarchiv Dortmund, Bestand 3-3501)
Siedlungsplan, 1901 (Stadtarchiv, Bestand 3-3501)

Die neue Siedlung grenzte unmittelbar südlich an das Betriebsgelände der Zeche Kaiserstuhl II. Sie bestand aus drei parallel verlaufenden Straßen, die ihren Anfang an der Oesterholzstraße nahmen und bis zur gegenüberliegenden Flurstraße führten.

Die neuen Straßen wurden nach Persönlichkeiten des Bergwesens benannt: Ernst Heinrich von Dechen war ein Oberberghauptmann und bedeutender Geologe, der erst 1889 gestorben war.

August Huyssen war am Oberbergamt Dortmund tätig gewesen, bevor er in das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Berlin versetzt wurde. Leopold von Buch (1774-1853) war ein bekannter Geologe.

Hinter den Wohnhäusern standen die Ställe

Bebaut wurde die von der Oesterholz-, Dechen-, Flur- und Von-Buch-Straße begrenzte Fläche. Das heißt, dass an der Dechenstraße nur an der südlichen Straßenseite und an der Von-Buch-Straße nur an der nördlichen Seite Häuser entstanden. Oder anders beschrieben: Alle Häuser an der Dechenstraße hatten ungerade Hausnummern, die an der Von-Buch-Straße nur gerade.

In der Siedlung, Foto Erich Grisar (Stadtarchiv, Bestand 502-37)
In der Siedlung, Foto Erich Grisar (Stadtarchiv Dortmund, Bestand 502-37)

Die Huyssenstraße teilte das Neubaugebiet in zwei gleich große Hälften. An ihr entstanden beiderseits neue Wohnhäuser. Hinter den Häusern wurden zweistöckige Stallungen gebaut: Unten wurde das Vieh – Ziege oder Schwein – untergebracht, oben das Futter und Vorräte.

An den west-östlich verlaufenden Straßen standen jeweils 15-18 Häuser. Die überlieferten Fotos der Straßenzüge zeigen ein durchaus unterschiedlich wirkendes Bild der Siedlung. Während die Bebauung der Huyssenstraße gleichförmig gewesen zu sein schien, fanden sich an der Nordseite der Von-Buch-Straße abwechslungsreich gestaltete Fassaden.

Die Zahl der Mieter variierte von Haus zu Haus deutlich. So nennt das Adressbuch der Stadt Dortmund 1915 zum Beispiel für die Huyssenstr. 11 sechs, für Nr. 13 und Nr. 15 jeweils drei und für Nr. 17 fünf Mietparteien.

Das Berufsbild der Mieter der Siedlung an der Zeche Kaiserstuhl II überrascht nicht: Hier wohnten Bergmänner und Arbeiter, Schlosser und Maschinenwärter, Kranführer und Schmiede, aber auch Ehefrauen und Witwen.

Das Restaurant Kaiserstuhl war ein Prachtbau innerhalb der Siedlung

Restauration Kaiserstuhl an der Ecke Von-Buch- /Flurstraße, Ansichtskarte, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)
Restauration Kaiserstuhl an der Ecke Von-Buch- /Flurstraße, Ansichtskarte, um 1910 (Sammlung Klaus Winter)

Das wohl markanteste Gebäude der Siedlung war das Haus Von-Buch-Str. 30 /Ecke Flurstraße. Mit zwei Schaugiebeln und einer in der Form eines wuchtigen, behelmten Turms ausgebildeten Hausecke fiel es zweifellos den Passanten und Fuhrleuten, die sich über der Flurstraße der Siedlung näherten, ins Auge.

In dem Eckhaus war eine Gastronomie untergebracht, nämlich das „Restaurant Kaiserstuhl II“. Hier war erst ein Johann Ramakers, später Theodor Sailler tätig. Bekanntester Wirt aber war Fritz Düsberg, der das Restaurant die längste Zeit seines Bestehens führte.

Bewohner konnten die Siedlung schließlich nur über die Hildastraße erreichen

Die Verbindung der Siedlung Kaiserstuhl über die Oesterholzstraße gibt es nicht mehr. Stadtplan, 1915 (Sammlung Klaus Winter)
Die Verbindung der Siedlung Kaiserstuhl über die Oesterholzstraße gibt es nicht mehr. Stadtplan, 1915 (Sammlung Klaus Winter)

Die kleine Siedlung bei Kaiserstuhl II war ursprünglich über die Oesterholz- und die Flurstraße an das alte Stadtgebiet angeschlossen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde aber der nördliche Teil der Oesterholzstraße in das Betriebsgelände der Hoesch Werke einbezogen und so für den öffentlichen Verkehr gesperrt.

Weil sich Hoesch immer weiter ausdehnte, wurde später auch der nördliche Teil der Flurstraße von dem Unternehmen für Betriebszwecke vereinnahmt. Damit entfiel die letzte direkte Wegeverbindung der Kaiserstuhl-Siedlung zum Borsigplatz.

Die Siedlungs-Insel bei Kaiserstuhl konnten die Bewohner nun nur noch über einen Umweg verlassen: Sie mussten sich zunächst nordwestlich zur Hildastraße wenden, über die sie die Bornstraße erreichten. Dort konnten sie ihren Weg zur Dortmunder Altstadt oder nach Eving einschlagen.

Wohnen mit Lärm, Staub, Rauch und Gasen – zwischen den Häusern erhob sich ein Kühlturm

Siedlung mit Kühlturm, 1926 (geopartal.ruhr)
Siedlung mit Kühlturm, 1926 (geoportal.ruhr)

Die Entwicklung der Wegeverbindung war ein Problem, das erst im Laufe der Zeit entstand. Ein anderes bestand dagegen im Prinzip von Anfang an. Die Trennung der Wohnsiedlung von den sie umgebenden Industrieanlagen allein durch Straßenbreite war für die Bewohner alles andere als wohltuend.

Lärm, Staub, Rauch und Gase bildeten die ständige Kulisse des Wohnumfeldes derjenigen, die ihnen bereits beruflich ausgeliefert waren. Das waren Verhältnisse, vor denen man sich nicht verschließen konnte.

Und sie verschlimmerten sich noch! Luftbilder aus der Mitte der 1920er Jahre zeigen, dass die Industrie sogar in die Siedlung eindrang: Im Hofraum zwischen den Häusern Dechenstraße 25-31 und Huyssenstraße 26-32 erhob sich nun ein Kühlturm!

Die Siedlung an der Zeche Kaiserstuhl II wurde Mitte der 1930er Jahre beseitigt

In der Siedlung, Foto Erich Grisar (Stadtarchiv, Bestand 502-37)
In der Siedlung, Foto Erich Grisar (Stadtarchiv Dortmund, Bestand 502-37)

In den 1930er Jahren begann man, die Siedlung an Kaiserstuhl II zu beseitigen. So hieß es in der „Dortmunder Zeitung“ vom 9. Mai 1935, dass „in den letzten Monaten“ einige Häuser geräumt worden waren. In der Dechenstraße waren bereits „etwa ein Dutzend“ Häuser abgerissen worden. In einem zweiten Schritt sollten nun Häuser der Huyssenstraße niedergerissen werden.

Das Ende der Siedlung war nicht mehr aufzuhalten. Als Begründung wurde das industrielle Umfeld der Siedlung angeführt. Sicherlich spielten aber auch unternehmerische Erwägungen eine Rolle.

Die ehemalige Siedlung wurde in der Folge größtenteils von Werksanlagen überbaut. Diese sind heute selber verschwunden. Die Betrachtung aktueller Luftbilder aber zeigt, dass der Verlauf der ehemaligen Dechen- und der Huyssenstraße auch in der heutigen Brachlandschaft noch erkennbar sind.

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