Neue Straßen im Kronprinzenviertel bekommen Namen von Persönlichkeiten des jüdischen Lebens im Dritten Reich 

Insgesamt fünf neue Straßennamen für vier projektierte Straßen im Kronprinzenviertel wird es geben (Erklärung im Text). Karte: Stadt Dortmund
Fünf Straßennamen bekommen die vier projektierten Straßen im Kronprinzenviertel (Erklärung im Text). Karte: Stadt

Nun ist es amtlich und verkündet: Die vier neuen Straßen im Kronprinzenviertel bekommen Namen von Persönlichkeiten des jüdischen Lebens im Dritten Reich. Bereits in ihrer Sitzung am 8. September 2020 hatte die Bezirksvertretung Innenstadt-Ost die vier Erschließungsstraßen des neuen Wohngebiets „Kronprinzenviertel“ östlich der Straße Heiliger Weg benannt. 

Der Güterbahnhof Süd diente als Ausgangspunkt für zahlreiche Deportationen

Das letzte Lebenszeichen des jüdische Fußballspielers Julius Hirsch wurde in Dortmund gefunden.
Julius Hirsch war einer von zwei jüdischen Fußballern, die für die deutsche Nationalmannschaft gespielt haben. Foto: Mira Kossakowski / Archiv

Das neue Wohnquartier entsteht auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs-Süd. Zu Zeiten des Nationalsozialismus diente der Güterbahnhof viele Jahre als Sammelplatz und Ausgangspunkt für die Deportation Dortmunder Mitbürger*innen jüdischen Glaubens. 

Angesichts dieser geschichtlichen Bedeutung des Ortes wurde die Anregung aus der Bürgerschaft gerne aufgenommen und mit der Vergabe der Straßennamen anerkannte Persönlichkeiten des jüdischen Lebens geehrt. Den Vorschlag hatte Heike Wulf gemacht, die in Dortmund als Autorin, Lese- und Literaturpädagogin arbeitet. 

Die Straßen erinnern im Einzelnen an Hertha Hoffmann, eine Mitbegründerin vieler Dortmunder Frauenverbände, an den deutschen Fußballnationalspieler Julius Hirsch, an die Kabarettistin Charlotte Temming und an Anne Frank. 

Fünf neue Straßennamen in der östlichen Innenstadt als Beitrag zur Erinnerung

Gedenken am Wasserturm.

Straße 1251: Hertha Hoffmann gründete 1919 eine Spedition an der Märkischen Straße. Sie war Mitbegründerin verschiedener Dortmunder Frauenverbände. 1933 wurde ihr Vermögen beschlagnahmt und sie musste Deutschland mittellos verlassen.

Straße 1252: Die Stichstraße – von der Straßeneinmündung bis Haus-Nr.: 58c – wird in „Am Wasserturm“ umbenannt. Der restliche Straßenverlauf (ab Haus-Nr.: 58c) erhält den Namen „Julius-Hirsch-Straße“. Der Wasserturm des Bahnhofs diente als Sammelpunkt für die Deportation jüdischer Menschen aus Dortmund. Julius Hirsch war einer von zwei jüdischen Fußballern, die für die deutsche Nationalmannschaft gespielt haben. Er wurde nach Auschwitz-Birkenau deportiert.

Straße 1254: Charlotte Temming war eine jüdische Schriftstellerin und Kabarettistin. Nach Kriegsende war sie Mitglied des Dortmunder Stadtrates und Gründungsmitglied des Frauenausschusses.

Straße 1256: Annelies Marie „Anne“ Frank flüchtete 1934 mit ihren Eltern und ihrer Schwester Margot in die Niederlande, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Kurz vor dem Kriegsende fiel sie dort dem nationalsozialistischen Holocaust zum Opfer.

Legendenschilder werden die Straßennamen ergänzen

Um Interessierten nähere Information zu den namensgebenden Personen zu geben, werden nach Fertigstellung der Straßen zusätzlich zur Straßenbeschilderung ergänzende Legendenschilder aufgestellt. Für die Benennung von Straßen sind die Bezirksvertretungen einer Kommune zuständig. Das Tiefbauamt setzt diese Beschlüsse dann in Dortmund um. 

 

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Reaktionen

  1. Ulrich Sander

    https://de.wikipedia.org/wiki/Charlotte_Temming

    Aus „Mörderisches Finale“, neue Ausgabe, 2020. Von Ulrich Sander. Hg vom Förderverein Gedenkstätte Steinwache

    Martha Gillessen und Cahrlotte Temming
    Martha Gillessen war unser guter Engel, sagten später die Überlebenden, wenn sie sich trafen und an die Zeit im Gestapo-Keller erinnerten. Martha Gillessen entstammte einer kinderreichen Bergmannsfamilie.1944 wurde ihr 17-jähriger Sohn zur Wehrmacht eingezogen. Nur zehn Tage war er an der Front, da erhielt sie die Nachricht, dass er in Russland gefallen sei. Von da an widmete sie all ihre Kräfte der Dortmunder Widerstandsgruppe. Sie hatte eine jüdische Freundin, Charlotte Temming, die mit einem Nichtjuden verheiratet war. Ende 1944 sollte Charlotte Temming in ein Vernichtungslager deportiert werden. Martha Gillessen versteckte sie in ihrer Wohnung. Als dies zu gefährlich wurde, fuhr sie ins Sauerland, um ihr eine sichere Unterkunft zu verschaffen. Doch am 9. Februar 1945 setzte die Großaktion der Gestapo ein. Frau Gillessen und das »Judenweib« sollten verhaftet werden. Frau Schneider, so war der Tarnname der Freundin Temming, war zwar anwesend, konnte sich aber der Verhaftung entziehen.
    Martha Gillessen selbst befand sich im Sauerland. Hannelore, ihre 15-jährige Tochter, wurde von der Gestapo als Geisel verhaftet. Dieses junge Mädchen gab keinerlei Auskunft über den Aufenthalt ihrer Mutter, ja sie bemühte sich, die Fahnder auf eine falsche Fährte zu setzen. Doch Martha Gillessen wurde in Bestwig aufgespürt.
    Im Gestapo-Keller sahen sich Mutter und Tochter wieder. Bei ihrer Vernehmung schwer misshandelt, blieb Martha Gillessen ungebrochen. ….

    Martha Gillessen wurde ermordet; ihre Tochter, Hannelore Kirchhoff, sagte auf dem Evangelischen Kirchentag im Juni 1991 über die Haft:
    »Und irgendwann erschien dann die Gestapo. Und die Mutter war an diesem Tag nicht da. Ich war alleine. Ich muss noch sagen, wir waren evakuiert im Sauerland, weil wir ausgebombt waren. Wir hatten da ‘ne Zweizimmerwohnung und die Toilette befand sich draußen auf dem Flur. Frau Temming befand sich zu dem Zeitpunkt gerade draußen, als die Gestapo kam, hörte aber, was da gesprochen wurde. Die Gestapo kam und wollte meine Mutter sprechen. Ich sagte laut, es tut mir leid, meine Mutter ist nicht da. Die ist in Dortmund. Dann sind sie zuerst wieder weggefahren und auf einmal standen sie wieder vor der Tür, und ich musste mich anziehen und musste dann mitkommen. Ich war 15 Jahre alt. Und Frau Temming hatte das gehört, die war nicht warm angezogen, es war im Winter – und so wie sie war, ist sie dann aus dem Fenster raus. Und wo sie dann abgeblieben ist, das weiß ich nicht. Ich bin dann mit, und als meine Mutter dann nach Hause kam, wurde sie am Bahnhof schon abgepasst von einer Tante aus dem Sauerland, die auch evakuiert war, und die hat gesagt:“ Geh gar nicht nach Hause. Die Gestapo wartet auf dich. Die haben die Hannelore mitgenommen.“ Und meine Mutter hat sich gedacht, ich kann ja da mein Kind nicht alleine lassen und hat sich dann freiwillig gestellt und ist dann da auch nach Hörde zur Gestapo gekommen. Und dann haben wir da im Keller gesessen – ich habe ungefähr vier Wochen mit drin gesessen.
    Und meine Schwester, die hat sich das dann ‘ne ganze Zeit mit angesehen, die war Krankenschwester von Beruf, war zu der Zeit in Olpe als Rote-Kreuz-Schwester tätig, die ist dann eines guten Tages erschienen und hat dann bei der Gestapo gesagt, seit wann sie denn nun Kinder einsperren würden. Und dann ist man da auch noch frech geworden und hat ihr gesagt, sie soll ihre große Klappe halten, sonst kommt sie auch dahin, wo sie hingehört. Sie ist dann wieder gegangen. Nachmittags hat man mich dann doch entlassen.
    In den vier Wochen hatten wir da in einem großen Raum gesessen im Keller. Wir haben auf Strohsäcken geschlafen – voller Flöhe. Ich war zerstochen von oben bis unten. Und dann wurden natürlich immer die Leute raufgeholt zur Vernehmung. Und dann kamen sie runter, die Männer meistens geschlagen. (…)
    Ich bin dann auch immer rauf zur Gestapo geholt worden, auch vernommen. Und meine Mutter sagte mir, ich soll dabei bleiben, dass die Frau Temming zum Nähen und Flicken zu uns gekommen wäre und dass sie Frau Schneider hieß. Und das hab ich auch gemacht. Man hat mir das dann nicht geglaubt, hat mir immer wieder Schläge angedroht. Ich bin aber einfach dabei geblieben. Ich hab getan, als wenn ich nichts anderes gewusst hätte. Ja, und dann hat man mich nach vier Wochen wieder entlassen. Meine Mutter war noch drin.

    Charlotte Temming überlebte und berichtete später über ihre Freundin Martha Gillessen und ihre Mithäftlinge.

    Gedicht von Charlotte Temming (1945)

    Misshandelt, geschlagen, in Qual und Weh,
    Getreten, gequält und geschändet,
    So seid ihr für eure, für unsre Idee
    Durch Mörderhände geendet.

    Sie haben euch mit sadistischer Wut
    Gequält, misshandelt, geschlagen,
    Ihr habt es mit heldischem Opfermut
    für eure Idee ertragen.

    Die Kerkerzellen hallten bei Nacht
    Von euren Schmerzensschreien,
    Wir wussten, ihr wart in der Henker Macht
    Und konnten euch nicht befreien.

    Ihr habt gehungert, ihr habt gedarbt,
    Man hat euch alles geraubt.
    Ihr habt bis zuletzt noch, als ihr starbt,
    An unsere Idee geglaubt.

    Und diese Idee, das schwören wir euch,
    für die euer Herzblut geflossen,
    Wird weiter getragen, ins neue Reich,
    Von jungen und tapfern Genossen.

    Die Fackel, die ihr mit heldischem Mut
    Getragen durch Tod und Nacht,
    Durch die ihr mit eurem eigenen Blut
    Den Brand der Empörung entfacht,

    Die Fackel, die ihr mit mutiger Hand
    Durch Nacht und Tod getragen,
    Bis man euch hingemordet fand,
    zerschunden und erschlagen,

    Die Fackel, sie leuchtet durchs ganze Land.
    Ihr seid nicht vergebens gefallen!
    Die Fackel, entfallen der sterbenden Hand,
    Wird zur Verpflichtung uns allen.

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