„Haushaltsentwurf wütender Zuversicht“ – Stadt Dortmund schreibt in den nächsten zwei Jahren wieder „rote Zahlen“

Stadtkämmerer Jörg Stüdemann heute im Stadtrat bei Einbringung des Doppelhaushaltes. Foto (3): Thomas Engel

Gern hätte Stadtkämmerer Jörg Stüdemann – und vermutlich nicht nur er – anders als jetzt für die kommenden zwei Jahre geplant. An seiner Seite OB Ullrich Sierau, krankheitsbedingt per Videobotschaft, heute im Stadtrat anlässlich der Vorstellung des Entwurfs für den kommunalen Doppelhaushalt der Jahre 2020 und 2021. Doch es hilft alles nichts. Aufgrund einer Reihe von Faktoren, auf die seitens der Kommunalverwaltung nur wenig bis gar kein Einfluss genommen werden kann, scheinen Fehlbedarfe unvermeidlich. Verantwortlich wird dafür für allem die NRW-Landesregierung gemacht. – Doch bei allem Unbehagen: die Stadt sieht sich gerüstet. Es läge dennoch ein genehmigungsfähiger Haushaltsentwurf vor, so Stüdemann. Ohne Steuererhöhungen, Leistungseinbußen und Zwangsmaßnahmen zur Haushaltssanierung. Insbesondere der Oberbürgermeister betont die Errungenschaften im Dortmund der letzten Jahre.

Entwurf eines Doppelhaushalts für die Jahre 2020 und 2021 birgt größere Unsicherheiten

Gestern wurde er erstmalig der lokalen Presse vorgestellt, heute, 26. September 2019, dann schließlich seine offizielle Einbringung in den Stadtrat: die des kommunalen Haushaltsplanentwurfs für die kommenden zwei Jahre. Das Besondere: wegen der im Herbst 2020 anstehenden Wahlen und der dadurch möglicherweise entstehenden Genehmigungsverzögerungen hatte derselbe Rat im Dezember 2018 beschlossen, für 2020/2021 einen Doppelhaushalt zu verabschieden.

Stadtkämmerer Jörg Stüdemann (2. v.l.) bei Vorstellung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2020/2021
Stadtkämmerer Jörg Stüdemann (2. v.l.) bei Vorstellung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2020/2021

Damit ist eins sowieso klar: das Zahlenwerk birgt größere Unsicherheiten, als dies üblicherweise der Fall ist. Denn es muss zwangsläufig in einem höheren Maße prognostische Annahmen enthalten, insbesondere für 2021. Auf der Einnahmenseite etwa zu den Steueraufkommen, bei den Aufwendungen im Bereich der Sozialausgaben. – Faktoren, die sich weitestgehend kommunalpolitischer Instrumentarien entziehen.

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Dies ist für Stadtkämmerer Jörg Stüdemann im Weiteren der eigentliche Punkt für seine Erklärung bei der Erstvorstellung des 1.300 Seiten starken Entwurfs, weshalb es diesmal „grundsätzlich eine andere Botschaft als in den Jahren zuvor“ gäbe. Die lautet nämlich: sich vom Paradigma eines grundsätzlich ausgeglichenen Haushaltes und einem Eigenbeitrag zur städtischen Entschuldung – zumindest zunächst – verabschieden zu müssen. Das nun vorgestellte Werk sei deshalb etwas diffiziler: jedenfalls: „Es ist nicht so optimistisch“.

Anvisiertes Sollsaldo in den beiden kommenden Jahren von jeweils knapp 50 Mill. Euro

So geht es gleich zweimal um „Schuld“: um „Neuverschuldung“ (genauer: um das Antasten kommunaler Reserven) und um die Zuschreibung von Verantwortlichkeiten für diesen offenbar unabwendbar gewordenen Schritt.

Zunächst die nackten Zahlen aus dem Entwurf zum Haushalt: die geplanten Aufwendungen sollen 2020/2021 2,68 resp. 2,76 Mrd. Euro betragen – gegenüber Erträgen von 2,63 resp. 2,76 Mrd. Daraus resultiert ein errechnetes Defizit oder Sollsaldo in Höhe von knapp 48 Mill. Euro für 2020 und von 45,9 Mill. im Folgejahr.

Der Ausgleich dieser Haushaltsfehlbedarfe, d.h. der geplanten Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen, erfolgt über eine Verringerung der allgemeinen Rücklagen. Entsprechendes ist gleichermaßen für den Finanzierungszeitraum in den Jahren 2022 bis 2024 vorgesehen.

Allerdings wird für diesen Rückgriff auf den Bestand der allgemeinen Rücklage (die im Jahr 2018 einem Ist von 1,55 Mrd. Euro entsprach) die Grenze von fünf Prozent (die 2020 bei 77,2 bis ins Jahr 2024 bei kalkulierten 66,5 Mill. Euro liegen dürfte) nicht überschritten, so dass noch keine Verpflichtung besteht, ein Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. Es besteht also noch ein gewisser Handlungsspielraum.

Kommunalverwaltung sieht Verantwortung vor allem bei NRW-Landesregierung, aber auch beim Bund

Dennoch: eine zunächst ernüchternde Wende. Denn 2017 konnte der Jahresfehlbetrag im Haushalt auf einen einstelligen Millionenbetrag reduziert werden und beim Jahresabschluss 2018 schrieb die Stadt Dortmund erstmals seit dem zehn Jahre zuvor eingeführten Neuen kommunalen Finanzmanagement (NKF) „schwarze Zahlen“.

Wer trägt die Verantwortung? Abgesehen von sich ab 2020 ungünstiger darstellenden volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und entsprechenden von Bund und Land vermittelten Orientierungsdaten liegt die – nach Lesart der Dortmunder Verwaltungsspitze – bei den Anderen.

Hier ganz besonders im Visier: die NRW-Landesregierung; aber auch der Bund kommt nicht sonderlich gut weg. Und dafür haben Stadtkämmerer wie Oberbürgermeister gleich eine ganze Reihe wohlerwogener Argumente parat. Die gleichwohl in der seit Jahren geführten Debatte um eine finanzielle Entlastung der in der Republik teils hochverschuldeten Kommunen bezeichnenderweise immer wieder auftauchen.

Dennoch will niemand den Kopf in den Sand stecken. Darauf verweist die trotzige Formel, mit der der zweijährige Haushaltsentwurf jetzt präsentiert wurde: nämlich mit „wütender Zuversicht“. Bange machen, gilt also nicht. Und doch, so Stüdemann: „Auch wenn der städtische Haushaltsentwurf ein Dokument der Zuversicht bleibt, sollten wir uns die Empörung, die Wut über die nutzbringenden Manipulationen übergeordneter Instanzen nicht ausreden lassen.“

Zusicherungen von Bund und Land nicht eingehalten – Beispiel NRW und Integrationsfolgekosten

Foto (2): Alexander Völkel

Letztlich gefährde es die Demokratie, fährt er bei Vorstellung des kiloschweren, vierbändigen Werkes fort, würde die Lösung sozialer Probleme den BürgerInnen in den Kommunen selbst überantwortet.

Vor allem sieht er an so manchem Punkt, wo es in Sachen Stadtfinanzen drauf ankommt, seitens der angesprochenen Instanzen viel Rauch – den es um wenig bis nichts gibt. Dies spiegele sich zwangsläufig im vorgelegten Haushaltsentwurf wider: eine Reihe von Zusicherungen, die Bund und Land gegeben hätten, seien eben nicht eingelöst worden.

Die Verteilung besonderer Belastungen ist unter den infrage kommenden Gebietskörperschaften – Bund, Länder, Kommunen – seit langem strittig: da geht es etwa um die Ausgaben für Flüchtlinge bzw. deren Integration. So zahlten Städte und Gemeinden 30 bis 40 Prozent mehr je Flüchtling als vom Land NRW rückerstattet würde, betont Stüdemann.

Zwar hätte es auf Landesebene umfangreiche interne/externe Recherchen gegeben, um die realen Kosten zu ermitteln; weil dort bekannt sei: die Flüchtlingsfinanzierung ist unauskömmlich. Konkrete Ergebnisse hingegen lassen anscheinend auf sich warten. Dann gäbe es irgendwelche Versicherungen, „man werde sich bald dieser Aufgabe widmen“ – es würde aber lediglich vertröstet, ist er sichtlich frustriert. „Wir kriegen immer nur Rhetorik“.

Belastungen durch EU-Erweiterungspolitik und NRW-Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz

Genauso verhielte es sich mit dem Thema Süd-Ost-Europa. Da gäbe es Arbeitskreise, Treffen von Staatssekretären, Arbeitsgruppen des Städtetages. In NRW sei das Thema vom Vizeministerpräsidenten Stamp hinübergewandert zu Frau Scharrenbach, wodurch ein sozialpolitisches Thema zu einem ordnungspolitischen würde – was nicht so viel koste.

Videobotschaft von OB Ullrich Sierau im Rat der Stadt bei Einbringung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2020/2021

„Die Belastungen, die aus der EU-Erweiterungspolitik bei uns aufschlagen, werden nicht finanziert“, resümiert der Stadtdirektor trocken. Diese beiden Positionen, zusammengenommen mit dem neuen NRW-Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz, welches sich zuungunsten der Kommunen auswirke: das resultiere in einem Leistungsvolumen von 50 bis 60 Millionen, die aus dem städtischen Haushalt erbracht werden müssten.

Im Falle einer lang ersehnten Refinanzierung könnten damit die Löcher in den nun vorliegenden Entwürfen für den Dortmunder Haushaltsplan 2020/2021 gestopft werden. – Ist aber nicht so, weshalb sich Stüdemann „über die jährlich erneut vorzutragende Diagnose der strukturellen Unterfinanzierung von Städten und Gemeinden“ ärgert. Weil Land wie Bund die Folgekosten politischer Entscheidungen, die sie selbst zu verantworten hätten, auf gebeutelte Kommunen abwälzen.

Das sieht Ullrich Sierau genauso: „Das Konnexitätsprinzip wird weiterhin gebrochen“, betont der OB. „Es ist leider immer noch so, dass wir strukturell unterfinanziert sind“, macht auch er deutlich und sieht dahinter eben jene fiskalischen „Vorgänge, die nicht in Ordnung sind“.

Überschuldung der Städte: Streitpunkt in einigen Bundesländern, Lösung in NRW lässt weiter auf sich warten

Eine Marotte, vor allem in NRW. Und dann wäre da noch „eine undenkliche Prozedur zur Lösung des Altschuldenproblems“, weist der Kämmerer auf einen weiteren, seit Jahren strittigen Punkt mit dem Land hin.

Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz – hätten zum Thema Aufnahme von Liquiditätskrediten durch Städte und Gemeinden Lösungen gefunden. Zudem habe der Bund signalisiert: Wir beteiligen uns!

In anderen Bundesländern würden hochverschuldete Städte von ihren Verbindlichkeiten freigestellt. Doch in NRW seien Zusagen und Inaussichtstellungen wieder eher Rhetorik. Obwohl sich die Situation hier „exeptionell“ darstelle. Denn von den bundesweit ungefähr 45 Milliarden an Liquiditätskrediten/Schulden in den Städten entfielen allein 25 auf Nordrhein-Westfalen.

Als Entschuldungsmöglichkeiten habe man dem Land vorgeschlagen: den Stärkungspakt fortzuschreiben, die Konditionen der Bundesfinanzierung bezüglich der Verzinsung zu übernehmen sowie die Aushandlung einer Proportion zwischen dem Beitrag der Städte und des Landes. Sie seien erst begeistert worden, dass noch im Sommer dieses Jahres eine Altschuldenregelung auf den Tisch käme. Danach wurde es Sommer 2020; schließlich habe es geheißen, das würde dann nichts mehr.

Trotz finanzieller Engpässe: Kämmerer sieht wichtige städtische und zivilgesellschaftliche Anliegen gewahrt

Kämmerer Jörg Stüdemann zeigt sich optimistisch. Foto: Alex Völkel
Kämmerer Jörg Stüdemann (Archivbild)

Das alles schlüge sich aber „in den Parametern, in den Rahmenbedingungen und auch in den Rechendaten dieses Haushaltes nieder. Das muss man so deutlich sagen“, so Stüdemann. Hätte die Stadt 50, 60 Millionen vom Hals, „wären wir wunderbar raus“ und es könne entschuldet werden.

Ansonsten freue er sich: es gäbe einen Haushalt mit einem Investitionsumsatz von fast 500 Millionen Euro in zwei Jahren, fast so groß wie noch nie in dieser Stadt. Vereine, Verbände, Organisationen, soziale Arbeit, im Kulturbereich, Jugend, Sport usf. könnten nicht nur auskömmlich finanziert, sondern tendenziell besser gestellt werden.

Insofern ist es für den Stadtkämmerer „nicht nur ein sehr ausgewogener“, sondern auch ein politisch akzeptabler Haushalt, denn viele würden sich darin in ihren Anliegen wiederfinden. Gelänge es noch, die NRW-Landesregierung zur aktiven Mitwirkung und Problemlösung zu bewegen, „dann haben wir eine glückliche Zukunft“, appelliert er an die EntscheidungsträgerInnen in Düsseldorf.

Haushaltsplanentwurf geht in kommunale Gremien – Verabschiedung vom Stadtrat frühstens im Dezember

Neben diesen besonderen Belastungen für den kommunalen Haushalt, für die Landes- bzw. Bundeslösungen angemahnt werden, kommuniziert die Stadt aber auch eine generellen Trend, der sich gleichfalls nicht günstig ausnimmt: Insgesamt ließe sich festhalten, so heißt es in einer Pressemitteilung zum neuen Doppelhaushalt, „dass zwar weiterhin von Jahr zu Jahr deutliche Ertragssteigerungen erzielt werden, die Aufwandszuwächse und die Aufwandsdynamik aber deutlich stärker ausgeprägt sind als in der Vergangenheit“.

Kämmerer Jörg Stüdemann (li.) und OB Ullrich Sierau (re.) bekommen den Bescheid von Regierungspräsident Hans-Josef Vogel. Foto: Stadt Dortmund/ Gaye Suse Kromer
Kämmerer Jörg Stüdemann (l.) und OB Ullrich Sierau (r.) bekamen 2018 den Genehmigungsbescheid für den Haushalt von Regierungspräsident Hans-Josef Vogel bereits im Februar des Jahres. Foto: Stadt Dortmund/ Gaye Suse Kromer

Mit anderen Worten: Wir nehmen zwar mehr ein, aber die Ausgaben steigen schneller. –  Über kurz oder lang ein Problem.

Was für Stadtkämmerer Jörg Stüdemann nichtsdestotrotz festzuhalten bleibt: dass es gelungen sei, einen genehmigungsfähigen Entwurf vorzulegen – „ohne Steuererhöhungen, ohne Zwangsmaßnahmen der Haushaltssanierung, ohne Reduktion der Leistungsangebote unserer Stadt“.

Nachdem der Haushaltsplanentwurf nun in den Stadtrat eingebracht wurde, werden Fachausschüsse und Bezirksvertretungen in den kommenden Wochen über das Zahlenwerk debattieren und etwaige Veränderungswünsche anmelden. Nach abschließender Beratung im Ausschuss für Finanzen, Beteiligungen und Liegenschaften wird die endgültige Fassung sodann unter Einbezug der Ergebnisse aus diesem Prozedere dem Stadtrat – günstigstenfalls – auf seiner letzten Sitzung in diesem Jahr am 12. Dezember zur endgültigen Beschlussfassung vorgelegt werden. OB Sierau hofft, dass die Genehmigung des Haushaltes seitens der Bezirksregierung in Arnsberg wie im letzten Jahr bereits im kommenden Februar nächsten Jahres erfolgen kann,

 

Einige Eckdaten zum Haushaltsplanentwurf 2020/2021:

Weitere Informationen:

  • Weitere Eckdaten und Informationen zum Haushaltsplanentwurf 2020/2021 der Stadt Dortmund; hier:
  • Eckdaten, unterlegt mit Graphiken; hier:

 

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