Erster Gemeingütertag in der Nordstadt: Zeit zum Umdenken für Kirche, Wirtschaft und VerbraucherInnen in Dortmund

Pfarrer Friedrich Laker und Christian Nähe laden zum Gemeingütertag ein.
Pfarrer Friedrich Laker und Christian Nähle laden zum Gemeingütertag in der Nordstadt ein.

Von Sascha Fijneman

Die Gemeingüter-Initiative Dortmund veranstaltet in Kooperation mit der Pauluskirche und Kultur am Samstag, 7. Juli 2018, in der Nordstadt den ersten Gemeingütertag. Es geht um Nachhaltigkeit, bewusstes Konsumverhalten und alternative Lebens- und Arbeitsweisen. Die Leitfragen: Was kann die Gemeinschaft und was kann der oder die Einzelne dazu beitragen, einen fortschrittlichen, nachhaltigen Plan für die Zukunft zu entwickeln?

Wir brauchen einen fortschrittlichen, nachhaltigen Plan für die Zukunft

Natürliche Ressourcen sind begrenzt. Die Weltbevölkerung wächst kontinuierlich und mit ihr der Bedarf an überlebenswichtigen Gütern und Waren. Doch was ist Allgemeingut und was Privateigentum? Darf beispielsweise Wasser als Ware vermarktet werden, um Profit zu erzielen? Wie erhalten wir das ohnehin schon fragile, natürlich gegebene Gleichgewicht zwischen Mensch, Tier und Natur?

Bereits bei den Philosophischen Abenden war Nachhaltigkeit eines der Themen. Foto: Stephan Schuetze

Wie schaffen wir es, natürliche Kreisläufe und Systeme der Regeneration zum Zwecke der Neuentwicklung zu bewahren? Welche Rolle spielen Menschenrechte, Finanzen, Philosophie und Religion in diesem Themenkomplex? Und vor allem: Sind wir wirklich frei? Denn durch den Hyperkapitalismus, der pausenlosen Wettbewerb verlangt, begeben wir uns unmerklich immer weiter in wirtschaftliche Abhängigkeiten, die es kritisch zu hinterfragen gilt.

Aus diesem Grund freut sich Pfarrer Friedrich Laker, die Veranstaltung in der Pauluskirche beherbergen zu können. Durch regelmäßig stattfindende philosophische Abende, sei schon im Vorfeld deutlich geworden, dass reges Interesse an den Themen Besitz, Eigentum und Allgemeingut bestehe. „Durch diese Abende haben wir in unserer Kirche einen Dialograum geschaffen. Wir besprechen hier regelmäßig Sinnfragen des Lebens und gesellschaftliche Themen“, so Laker. 

Ziel solcher Abende sei es unter anderem, das Bewusstsein der Gemeindemitglieder für die globale Bedrohung des Lebens zu sensibilisieren und ein Umdenken anzustoßen. Das Thema passe perfekt zur Lydia-Gemeinde, in die die Pauluskirche eingegliedert ist. „Wir gehen ja hier auch mit der Kirche neue Wege und öffnen sie, passen uns an und bringen die Institution Kirche den Leuten auf kultureller Ebene näher. Das ist wesentlich effektiver und zeitgemäßer als der rein theologische, devote Gehorsam, mit dem viele Menschen Kirche auch heute noch hauptsächlich verbinden“, so Laker weiter.

Paulus-Kulturkirche ist der richtige Ort, um neue Wege einzuschlagen

Wie immer findet die Veranstaltung in der Pauluskirche statt. Foto:
In und um die Pauluskirche findet der erste Gemeingütertag statt. Foto: Alex Völkel

So finden mittlerweile zahllose kulturelle Veranstaltungen wie zum Beispiel das Weltmusikfestival  „LickLike“ und rund 40 Konzerte im Jahr in der Pauluskirche statt. Am Samstag, den 7. Juli 2018, öffnet sie nun ihre Pforten für den ersten Gemeingütertag in Dortmund. Rund 30 Organisationen und Initiativen werden sich und ihre Angebote in und um die Pauluskirche herum vorstellen.

Es wird Vorträge, Gesprächskreise, jede Menge Kultur und auch Shops geben, die ihre nachhaltig produzierten Waren anbieten. Hierfür wird die Kirchstraße teilweise gesperrt sein, um Platz für die einzelnen Stände zu haben.

Für das leibliche Wohl ist, ebenfalls im Zeichen der Veranstaltung, mit veganen Speisen gesorgt. In der Kirche selbst wird es den ganzen Tag über Foren zu verschiedenen Themen und Workshops geben, alles im Zeichen der Nachhaltigkeit und der Schonung von Ressourcen. Aber vor allem auch, um Wege aufzuzeigen unabhängiger zu werden.

Laut Lawrence Lessig, amerikanischer Professor für Rechtswissenschaften, ist eine Ressource dann frei, wenn man sie erstens ohne Erlaubnis nutzen kann oder zweitens, die Erlaubnis sie zu nutzen, neutral vergeben wird. Es ist erstaunlich festzustellen, wie weit der Einfluss großer Konzerne hinsichtlich dieses Prinzips reicht und wie schnell durch juristische Verstrickungen und komplizierte Besitzverhältnisse, Allgemeingüter in den Besitz wirtschaftlich orientierter Industriemagnaten gelangen.

Christian Nähle ist mit viel Fachwissen und jeder Menge Leidenschaft bei der Sache

Einer, der sich auf diesem Themengebiet bestens auskennt ist Christian Nähle von der Gemeingüter-Initiative Dortmund. Er hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und findet sich im Dickicht von rechtlichem Besitz und Allgemeingut bestens zurecht.

„Denken Sie nur an das Beispiel der gerade vollzogenen Fusion zwischen dem deutschen Bayer Konzern und dem amerikanischen Saatgutunternehmen Monsanto. Die Lizenzrechte aller Saatgutarten von Monsanto liegen nun bei Bayer, die dadurch über eine ungeheure wirtschaftliche Marktmacht verfügen“, erklärt Nähle.

Monsanto stand schon vor der Fusion durch den Einsatz von Pestiziden und die Genmanipulation von Saatgut in der Kritik. Diese führt zu sogenannten Hybriden, Pflanzen, die nur einmal geerntet werden können und danach absterben. Man kann ihre Samen nicht für die Zucht nutzen. So werden die Produzenten, die Landwirte, an das Unternehmen gebunden und abhängig gemacht.

Ist Wasser eine wirtschaftliche Ware oder ein für jeden zugängliches Allgemeingut?

Christian Nähle
Christian Nähle von der Gemeingüter-Initiative-Dortmund.

An diesem Punkt möchte Christian Nähle mit seiner Arbeit ansetzen. Er klärt auf, informiert, hinterfragt und kritisiert. Er will die Bevormundung und Enteignung der Öffentlichkeit durch die Wirtschaft nicht einfach akzeptieren, sondern dagegen kämpfen und alternative Lösungen finden. Er macht deutlich, wie sehr wir uns schon in wirtschaftlichen Abhängigkeiten befinden.

„Ein weiteres Beispiel für die Einflussnahme der Wirtschaft ist die Privatisierung von Wasservorkommen in Afrika, unter anderem durch den Nestle-Konzern. Hier wird den Einheimischen ihr Recht auf Wasser streitig gemacht und wenn der Dorfbrunnen dann versiegt, bieten die Unternehmen das Wasser gönnerhaft zum Verkauf an“, empört sich Nähle. Über dieses Thema wird unter anderem die Neven Subotic-Stiftung ausgiebige Aufklärungsarbeit am 7. Juli betreiben.

Nähle und Laker treibt die Frage: Was steht dem Menschen durch sein schieres Menschsein zu? Was bedeutet Freiheit? Eines steht für beide unzweifelhaft fest; dass unsere westliche, individualisierte Art und Weise des Lebens, der sorglose Umgang mit Ressourcen auf Kosten anderer, die Wegwerfgesellschaft und die Wirtschaftsdiktatur immer weiter in die Unmündigkeit führen und langfristig betrachtet zum Scheitern verurteilt sind.

Deshalb ist für sie die Veranstaltung so wichtig. Es geht ihnen darum Kontakte zu knüpfen und Vernetzungen zu schaffen, um eine kooperative, aus dem Miteinander entstandene Front gegen die Privatisierung von Allgemeingut aufzubauen und mit ihrer Hilfe einen Plan für die Zukunft zu entwickeln.

Im Garten der Pauluskirche wird die weltweit einzige lizenzfreie Tomate gezüchtet

Ein Beispiel verdeutlicht ihre Ambitionen. Im Hinterhof der Pauluskirche haben sie in Zusammenarbeit mit dem Familienzentrum der Lydia-Gemeinde ein „Urban Gardening“ Projekt mit Kindern gestartet. Hier bauen sie die weltweit einzige lizenzfreie Tomatenart an, zunächst ausschließlich zu Zuchtzwecken. Ihr Saatgut darf nicht zum Verkauf angeboten werden und ist durch die freie Lizenz geschützt. Die Pflanzen an sich sind also Eigentum der Kirche, das Saatgut ist jedoch ein Allgemeingut.

Die Pauluskirche geht also mit gutem Beispiel voran. Dies manifestiert sich in unterschiedlichster Form. So ist in näherer Zukunft zum Beispiel eine Dachbegrünung für einen besseren Energiehaushalt und Klimaveränderung geplant und das einsame Insektenhotel im Garten wird ein paar Nachbarn bekommen.

Für Laker und Nähle besteht der direkte Bezug zwischen Allgemeingütern und der Kirche beispielsweise im Erhalt der Schöpfung. Darüber hinaus hat sie im Reformationsjahr 2017 die Geschichte Martin Luthers inspiriert und nachdenklich gestimmt. 

Es ist an der Zeit, sich von alten Weltbildern zu verabschieden

Pfarrer Friedrich Laker freut sich über die 7. Ausgabe des Halleluyeah-Festivals - Foto Leonie Krzistetzko
Pfarrer Friedrich Laker. Foto: Leonie Krzistetzko

„Luther hat durch die Übersetzung der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche dazu beigetragen, die Menschen mündiger zu machen. Waren sie vorher auf die Kirche angewiesen, um sich mit Gott und seinem Wort auseinander zu setzen, war es ihnen nun möglich sich selbst ein Bild davon zu machen.

Die Abhängigkeit von der Kirche war vorbei“, so Nähle. Für Friedrich Laker ist es erneut Zeit für eine Reformation. „Wir als Institution Kirche müssen uns in Sachen Glauben und Spiritualität von alten Weltbildern verabschieden.

Alles Leben ist gleichartig und miteinander verbunden. Es besteht eine notwendige Symbiose zwischen Mensch, Tier und Natur.“ Alle Religionen seien angesichts der großen gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart in der Verantwortung.

Wirtschaftsnationen stehen in der Pflicht, internationale Teilhabe zu ermöglichen

Die Annahme der Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes, für die man laut Luther nichts leisten muss, lässt sich beispielsweise auf aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen oder ein bedingungsloses Existenzrecht übertragen.

Das Prinzip der christlichen Nächstenliebe wird vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund in ein völlig neues Licht gerückt. Denn gerade unsere westlichen Wohlstandsgesellschaften stehen in der Pflicht und der Verantwortung, den Menschen international Teilhabe und Zugriff auf Allgemeingüter zu ermöglichen, fussen unsere Gesellschaften doch letztendlich auf historischen Fakten wie der Kolonialisierung der dritten Welt.

Der Gemeingütertag wird am Abend des 6. Juli mit einem Konzert von Andy Jones eingeläutet. Der Kirchgarten ist für die BesucherInnen ab 18 Uhr geöffnes und der Eintritt ist frei. Es wird ein Hut herumgereicht werden. Kultur ist für alle! Das Konzert wird um 20 Uhr beginnen. Am nächsten Morgen, Samstag, den 7. Juli 2018 dann, geht es ab 10.30 Uhr los, in und um die Pauluskirche.

Ab 19.15 Uhr ist ein kulturelles Abendprogramm mit gemeinsamen Ausklang in der Kirche und im Kirchgarten geplant. Auch am Samstag ist der Eintritt selbstverständlich kostenlos.

Weitere Informationen:

Print Friendly, PDF & Email

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert