
Von Inci Şen
„Offensichtlich hatte er ein zu kleines Gehirn für vielfältige Gedanken“, so der Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß in seiner Rede über den Ingenieurswissenschaftler Christian Beuth (1781-1853). Dieser steht wegen seines antisemitischen Gedankenguts und seiner damaligen Haltung heute stark in der Kritik. Der Umbennung der Beuthstraße war eine Prüfung des Dortmunder Stadtarchivs vorausgegangen, durch die Christian Peter Beuth eindeutig als einer der bedeutenden Antisemiten der deutschen Romantik identifiziert wurde, der einen rhetorisch äußerst aggressiven Kampf gegen die „Judenemanzipation“ führte und gedachte als organisierter Antisemit die öffentliche Meinung sowie den politischen Prozess unmittelbar zu beeinflussen.
VMDO-Vorsitzender Dr. Ümüt Kosan: „Vielfalt ist die Zukunft”

Es kommen mehr Leute als ursprünglich erwartet zur offiziellen Einweihung mit der Installation der neuen Straßenschilder. Die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite, als sich am Dienstagnachmittag um die 50 Leute vor dem Haus der Vielfalt versammeln, um eine Straße umzubenennen.
Die ehemalige Beuthstraße wird künftig den Straßennamen „Zur Vielfalt“ tragen. Der VMDO lädt ein zu Kaffe, Tee und Fingerfood des indischen Restaurants Dixon’s Kitchen. Aus Boxen tönen musikalische Weltklänge mit Rythmus.
Es herrscht eine fröhliche Stimmung. Auch Vertreter.innen der Stadt und der Politik sind gekommen. So unter anderem Bezirkbürgermeister Friedrich Fuß, sein Vorgänger im Amt Ralf Stolze und Birgit Buchholz als neue Geschäftsführerin der Bezirksvertretung Innenstadt-West.
Auch Mitglieder und der Vorstand des VMDO (Haus der Vielfalt) sind vor Ort, um dieses Ereignis zu würdigen. Genauso wie zahlreiche Menschen jeglichen Alters und Herkunft. „Vielfalt ist die Zukunft”, sagt Dr. Ümit Kosan, Geschäftsführer des VMDO, vor der Menge.
VMDO begrüßt einstimmigen Beschluss der Bezirksvertretung

„Was darf man und was darf man nicht?“, so Friedrich Fuß im Interview. „Darf man Jim Knopf und den Lokomotivführer noch zeigen? Darf man den Struwelpeter noch zeigen mit der Antipädagogik? Müssen wir Bücher umschreiben, wo das Wort N…. steht oder darf man das nicht, weil das eine Literatur ist? Wir haben ja immer schon Worte verändert. Alte Schreibweisen wurden überholt. Was darf man und was darf man nicht, das ist die große Frage“, so beleuchtet Fuß das Thema weiter im Interview.
„Um ein Zeichen zu setzen, damit Missetaten der Vergangenheit nicht in der Zukunft noch Bestand haben. Dass solche Menschen, auch wenn es sich in der Vergangenheit abspielte, noch kritisiert werden für die Haltung, die sie hatten. Selbst wenn es damals eher noch en vogue war. Aber dass man aus heutiger Sicht sagt: Nein, wir können auf gar keinen Fall so einen Mann ehren, indem wir eine Straße nach ihm benennen“, äußert Birgit Buchholz im Gespräch.
„Die Umbenennung der Straße war für uns natürlich sehr wichtig“, bestätigt Tülin Dolutas, Vorsitzende des VMDO, im Einzelgespräch. „Wir haben den Namen „Zur Vielfalt“ vorgeschlagen. Das kommt von uns, weil wir hier in Vielfalt leben“, so Dolutas weiter.
„In diesem Sinne war und ist es sehr wichtig, denn der Vielfalt gehört die Zukunft. Es ist gut, dass man hier nun läuft und bestätigt bekommt, dass unsere Stadt Dortmund auch eine sehr tolerante Stadt ist. Die Menschen fühlen sich dadurch gut. Es tut gut, hier so einen Straßennamen zu sehen. Dies finde ich wirklich sehr wichtig, auch dass der Entschluss einstimmig von der Bezirksvertretung entschieden wurde.“
Ist die Vielfalt überhaupt schon in unseren Köpfen und Herzen angekommen?

‚Wo fange man an und wo höre man auf?‘ Diese Frage drängt sich in Einzelgesprächen immer wieder in den Raum. Außerdem fällt einige Male der Satz‚ früher hätte es ja schließlich auch keinen gestört.
So bleibt am Ende der Veranstaltung ein gemischter Eindruck. Die strahlenden Gesichter vieler anwesender Menschen, vermischen sich mit der Frage: Wieso benennen wir Straßen um, wenn in unseren Herzen und Köpfen, Vielfalt noch nicht angekommen ist? Oder geht es am Ende um Prestige?
Noch ein halbes Jahr, wird das Straßenschild der Beuthstraße koexistieren zum neuen Schild „Zur Vielfalt“ – um Verwechslungen zu vermeiden. Danach gehört die Beuthstraße der Vergangenheit an.
Reaktionen
„Straße der Vielfalt“: Kinder und Jugendliche gestalten Wandbild zu den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung im Unterbezirk Union (PM)
Ein farbenfrohes Zeichen für Nachhaltigkeit, Teilhabe und Gemeinschaft setzt
das neue Wandbild im Dortmunder Unterbezirk Union: Im Rahmen des Projekts
„Straße der Vielfalt“ haben Kinder und Jugendliche gemeinsam mit dem
Künstler Paul Manzey eine rund 120 Quadratmeter große Fassade gestaltet –
inspiriert von den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der
Vereinten Nationen.
Das von die Urbanisten e.V. in Kooperation mit dem VMDO initiierte und von
der Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW geförderte Projekt begann mit einer
zweitägigen Ideenwerkstatt. In einem kreativen und partizipativen Prozess
entwickelten die jungen Teilnehmenden eigene Interpretationen der globalen
Nachhaltigkeitsziele. Ihre Gedanken und Wünsche brachten sie in Zeichnungen,
Collagen und sogar in einem kleinen Theaterstück zum Ausdruck.
Aus diesen vielfältigen Impulsen entstand in enger Zusammenarbeit mit Paul
Manzey ein Entwurf, der Ende April in einem dreitägigen Malprozess auf die
Wand im Herzen der Dortmunder Innenstadt-West übertragen wurde. „Die Kinder-
und Jugendlichen haben nicht nur über Themen wie Klimaschutz,
Gleichberechtigung oder Bildung nachgedacht – sie haben sie bildlich zum
Leben erweckt“, sagt Projektleiter David Kory von die Urbanisten e.V.
Die Umsetzung wurde dabei auch zu einem nachbarschaftlichen
Gemeinschaftsprojekt: Anwohner*innen und Auszubildende der
außerbetrieblichen Ausbildungsstätte der Handwerkskammer Dortmund griffen
spontan zu Pinsel und Farbe und unterstützten die jungen Künstler*innen. So
entstand ein lebendiges Wandbild, das nicht nur den Schriftzug „Vielfalt“
trägt, sondern auch viele farbenfrohe Motive, die zum Nachdenken anregen und
die Kraft gemeinschaftlichen Handelns zeigen.
Das Projekt „Straße der Vielfalt“ zeigt eindrucksvoll, wie künstlerische
Beteiligung, nachhaltige Bildung und soziale Vernetzung Hand in Hand gehen
können – mitten im Quartier.