
Von Susanne Schulte
Nach dem Mittagessen kam die ganze Geschichte auf den Tisch. Renate Breß hatte ausgepackt – ihre Ordner und Alben mit den Zeitungsberichten über die mehr als 100 Fußball-Länderspiele, die sie von Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er in der inoffiziellen Deutschen Nationalmannschaft der Frauen absolvierte. Und die Spielerinnen der 1. Mannschaft des BVB lauschten nach ihrem Training interessiert den Worten der 88-Jährigen und blätterten begeistert durch die Dokumente. Das Ganze passierte vor laufender Kamera im Tennisheim im Hoeschpark. Und, so es nicht herausgeschnitten wird, hört man Renate Breß sagen: „Ich habe mich all die Jahre gewundert, dass Borussia keine Damenfußballmannschaft hatte.“ Viele andere Vereine seien da weiter gewesen. Borussia hat erst vor fünf Jahren nachgezogen.
Heute lassen sich die Vereine den Frauenfußball etwas kosten
Anders als 1955, als die Frauenvereine nicht die Plätze und Duschen der Männervereine nutzen durften, als der DFB den Frauenfußball verbot, lassen sich Wolfsburg und München, Potsdam und jetzt auch der BVB den Frauenfußball etwas kosten.

Die Sportlerinnen der 1. Mannschaft sind Profis, erhalten, so es klappt mit den Bauarbeiten, zum Start der nächsten Saison eine eigene Trainingsanlage im Hohenbuschei und sollen, so verkündete Geschäftsführer Carsten Cramer im November, alle Unterstützung bekommen, um in die Bundesliga aufzusteigen – innerhalb der nächsten drei, vier Jahre.
Den Weg dahin dokumentiert die Abteilung Kommunikation in Zusammenarbeit mit sky seit 2023 in jährlich vier halbstündigen Sendungen, die zum Teil kostenlos im Netz anzusehen sind. Die zehnte Folge wurde unter anderem im Hoeschpark gedreht, wo die Frauen trainieren und sie im Tennisheim Unterkunft gefunden haben, bis die Anlage in Brackel zu nutzen ist.
1955 wurden die Spielerinnen von Fortuna Dortmund 55 aus dem Park verwiesen
Und darin soll es vor allem menscheln. Die 16- bis 28-jährigen Regionalliga-Spielerinnen sind dort Plätzchen backender Weise zu sehen und eben auch im Gespräch mit einer der Fußballpionierinnen vom Borsigplatz, mit Renate Breß von Fortuna Dortmund 55. ___STEADY_PAYWALL___

Die Idee zu diesem Treffen Danny Fritz, Angestellter beim BVB in der Abteilung Kommunikation, Team Lead Content, BVB-TV: „Es ist doch sicher ganz interessant für die Frauen zu erfahren, wie es vor 70 Jahren war.“ So hörten die Fußballerinnen, dass die Fortuna-Frauen selbst von einer wenig gepflegten Wiese im Hoeschpark vertrieben wurden und fürs Training und für die Spiele gegen andere Ruhrgebiets-Teams nur unter großen Schwierigkeiten Plätze buchen konnten.
Der DFB drohte den Vereinen ansonsten den Sportgroschen zu streichen. Aber man habe nicht aufgegeben, so Breß. „Wir wollten doch nur Fußball spielen.“ Das konnten sie dann auch später sehr intensiv und erfolgreich – in der inoffiziellen deutschen Nationalmannschaft.
Dortmunderinnen stellten den größten Teil der ersten Frauen-Nationalelf
Josef Floritz, ein pfiffiger Manager, hatte die Idee. Er gründete einen Frauenfußballverband, buchte an den Wochenenden Plätze vor allem in Süddeutschland, wo man den kickenden Frauen wohlwollender zusah, und organisierte meist zwei Länderspiele an den zwei Tagen mit Teams aus Holland und England, Belgien und Österreich.

Die Dortmunderinnen stellten den größten Teil der deutschen Mannschaft, Teamkameradinnen kamen jedoch auch aus Nürnberg und München. Den Erfolg dieser Idee bezeugen die Spielberichte, die sich Renate Breß, damals „das bezopfte Fräulein Müller“, von Zuschauern aus den jeweiligen Städten schicken ließ.
„Ich habe denen immer 50 Pfennige gegeben, oder was das Porto damals kostete“, erzählte Breß. Und die so Gebetenen kamen dem Auftrag dann auch nach.
„Dass sind ja heute Ballettschuhe, mit denen ihr spielt“
1965 war Schluss mit den Busreisen von Dortmund in die Welt. Josef Floritz war gestorben, die Frauen dachten ans Heiraten und an die Familiegründung, Spielerinnen-Nachwuchs ließ sich nicht blicken. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis der Frauenfußball anerkannt war.

„Ich freue mich, dass es euch heute besser geht“, sagte Renate Breß ihren Zuhörer*innen und wog deren Fußballschuhe in der Hand. „Dass sind ja heute Ballettschuhe, mit denen ihr spielt.“ Sie selbst hatte ihr letzten Paar mitgebracht. Der Gewichtsunterschied ließ die jungen Sportlerinnen staunen.
Und dann staunte Renate Breß selbst. Kapitänin Paula Reimann entfaltete ein BVB-Trikot mit den Namen aller Spielerinnen der 1. Mannschaft und dem Namen Breß auf dem Rücken. Das nahm die 88-jährige gerne mit nach Hause und wird es womöglich auch tragen, wenn sie am Nikolaustag auf der Tribüne der Roten Erde sitzt und die Frauen im Spiel gegen das Team vom FC Köln unterstützt.
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Das Archiv des deutschen Frauenfußballs liegt in Kisten in der Dortmunder Nordstadt

