
Genossin Sonne – bereits der Titel der Ausstellung, die noch bis zum 18. Januar im HMKV im Dortmunder U zu sehen ist, macht neugierig. 30 Werke, 18 Künstler:innen auf zwei Etagen und immer geht es um die Kraft der Sonne, unsere Abhängigkeit von ihr oder auch unsere Faszination für diesen Himmelskörper.
Inwiefern kann die Sonnen eine Genossin sein?
Als Genossin oder Genossen bezeichnet man häufig Verbündete im politischen Bereich – den oder die Parteifreund:in. Mit den Genoss:innen teilt man gemeinsame Wertvorstellungen und kann sich ihrer Unterstützung sicher sein, wenn es zum Kampf kommt. Aber die Sonne? Inwiefern kann die Sonnen eine Genossin sein? Die Irritation ist beabsichtigt und die Ausstellung gibt darauf auch nicht nur eine Antwort.

„Beeinflusst die Sonne was auf Erden passiert? Spielt sie vielleicht eine Rolle in Revolutionen – oder macht sie bestimmte Ereignisse einfach wahrscheinlicher? Diese Fragen sind nicht nur spekulativ, sondern es gibt auch wissenschaftliche Theorien, auf die sich einige der künstlerischen Positionen beziehen“, erklärt Inke Arns, Direktorin und Künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVereins.
Gemeinsam mit Andrea Popelka hat sie die Ausstellung kuratiert, die zuvor in Wien als eine Kooperation der Festspiele und der Kunsthalle zu sehen war. In Dortmund ist die Show größer geworden – zwei Etagen im Dortmunder U stehen zur Verfügung und das Thema konnte erweitert und vertieft werden.
Assoziativ, vielfältig und durchaus subjektiv
30 Arbeiten von 18 international renommierten Künstler:innen – zeitgenössische und historische Positionen, Malerei und Skulptur, im wesentlichen aber Video- bzw. Medienkunst sind zu sehen.

Assoziativ, vielfältig und durchaus subjektiv beschäftigen sich die Künstler:innen mit der Sonne. Wissenschaftliche Analysen, Kult und Mystik, KI und Psychogramme – bei der Suche nach verborgenen Kräften werden viele Wege genutzt.
Auf der Etage 3 des Dortmunder U – den eigentlichen Räumen des Hardware MedienKunstVereins – sollte man den Besuch starten. Er ist wie ein Intro für das Thema und macht Lust auf die ganz große Inszenierung im 6. Stock.
Begrüßt werden Besuchende zunächst von der Videoarbeit „The New Sun“ der polnischen Künstlerin Agnieszka Polska. Sie wurde zum Leitmotiv der Ausstellung, wirbt bereits an vielen Stellen der Stadt für die Show und weist auch den Weg durch das Gebäude.
Künstler:innen spüren dem Kräfteverhältnis von Mensch und Kosmos nach
Polskas Sonne ist eine freundliche Sonne – zumindest auf den ersten Blick. Sie betrachtet das Streben der Menschen aus der Ferne mit Wohlwollen und „immer ein wenig verliebt“ (so die Künstlerin). Aber was sie sieht gefällt ihr nicht immer und dann kann sie wütend werden. Ist sie nur Beobachterin oder kann und wird sie das Treiben auf Erden beeinflussen?

Geht es nach dem Wirtschaftswissenschaftler Mikhail Gorbanev fördert sie sogar Revolutionen. Seine Grafiken legen einen Zusammenhang zwischen Sonnenaktivitäten und revolutionären Ereignissen nahe und basieren auf Thesen des Biophysikers Alexander L. Chizhevsky von 1924. Die Idee von der „Sonne als Genossin“ hat hier wohl ihren Ursprung.
Auch der Holzschnitt „Im Teufelskreis“ von Wolfgang Mattheuer spürt dem Kräfteverhältnis von Mensch und Kosmos nach. „Mattheur ist einer der führenden Vertreter der figurativen Kunst in der DDR“, erläutert Arns. Eine ganze Serie seiner Linolschnitte findet sich dann im oberen Stockwerk.
Wer jetzt also auf den Geschmack gekommen ist – und auch weitere der tollen „Space Junk“-Objekte von Sonia Leimer sehen will – nimmt Fahrstuhl oder Rolltreppe in den 6. Stock und kommt der Sonne auch in diesem Sinne ein Stück näher.
Eintritt frei – oder auch nicht. Die Entgeltregelung im U hat ihre Tücken.

Auf Etage 6 wird allerdings Eintritt fällig. „Leider sieht die Entgeltordnung der Stadt Dortmund keinen freien Eintritt bei den Sonderausstellungen vor. Wir haben versucht, dort für Genossin Sonne auch den Eintritt frei zu machen, aber ohne Erfolg“, berichtet Arns. Regulär sind es neun Euro, es gibt Ermässigungen und Familientickets – trotzdem muss sie bestätigen: „Ja, die Besuchszahlen unten sind besser als oben.“
Schade, denn der Weg nach oben lohnt sich. Der Empfang – gestaltet von Kerstin Brätsch – ist ein wenig psychedelisch, die anschließende Ausstellungsarchitektur mit ihren Plattformen, Traversen und Screens schafft Raumschiff-Atmosphäre.
Die Sonne bringt Freude, sie bringt Wachstum, aber auch Leiden mit sich
Eindrucksvoll: Die „Sonne um Mitternacht schauen“ von Katharina Sieverding, die sich aus 200.000 Satellitenaufnahmen der NASA zusammensetzt. Nicht weniger faszinierend: Otto Pienes „Die Sonne kommt näher“ – eine Zusammenstellung von 287 handbemalten Glasdias, die für die Ausstellung eigens digitalisiert wurden und nun als Video-Installation gezeigt werden.

Die Sonne bringt Freude, sie bringt Wachstum, sie bringt aber auch Leiden mit sich. Künstler:innen wie Ho Rui An, Zhiyuan Yang oder Disnovation.org beschäftigen sich mit unserer Abhängigkeit von diesem Himmelskörper, dessen Energie das Leben auf der Erde ermöglichen und zerstören kann.
Den Kolonialisten macht die tropische Sonne zu schaffen, Hungersnöte könnten enden, gäbe es eine zweite Sonne und wäre nicht auch eine neue solare Weltordnung denkbar? In einer Ecke der Ausstellung erzeugt ein kleiner Bioreaktor Spirulina Algen. Was wäre, wenn sie die neue Währungseinheit wären?
Rahmenprogramm bietet Comic Workshop und Lesung mit Ilko Sascha Kowalczuk
Es ist eine vielfältige Ausstellung geworden und die erste im U, die sich über zwei Etagen erstreckt. Arns und ihr Team konnten sich austoben: „Wir hatten endlich wieder so viel Platz wie damals in der PHOENIX Halle“, erinnert sie sich. Mehr Platz auf der Sonderausstellungsetage des Dortmunder U bedeute aber auch eine größere Verantwortung, den Raum angemessen zu füllen. Hinzu kommen Konzeption und Umsetzung eines umfangreichen Begleitprogramms.

Doch all das ist gelungen: Es gibt Führungen, Vorträge, einen Yogakurs und demnächst den Comic Workshop „Solar Stories“ (23.11, ab 16 Jahre) und eine Lesung mit Ilko Sascha Kowalczuk aus seinem Buch „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“ (28.11 ab 18.00 Uhr).
Wird es weitere Projekte dieser Größenordnung geben? „Wir sind gerade dabei, die Nutzung der U6 vertraglich zu regeln – abwechselnd durch das MO und den HMKV“, erzählt Arns. Und schon im nächsten Jahr ist der HMKV wieder mit einer Ausstellung auf zwei Etagen präsent. Dann ist das Thema „INDUSTRIAL – Das Ende der Seidenstraße/n“.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
